Evangelium
Gott hat seinen Sohn in
die Welt gesandt, damit die Welt durch ihn gerettet wird
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Aus dem heiligen Evangelium nach Johannes
In jener Zeit sprach Jesus
zu Nikodémus:
14Wie
Mose die Schlange in der Wüste erhöht hat, so muss der Menschensohn
erhöht werden,
15damit
jeder, der glaubt, in ihm ewiges Leben hat.
16Denn
Gott hat die Welt so sehr geliebt, dass er seinen einzigen Sohn hingab,
damit jeder, der an ihn glaubt, nicht verloren geht, sondern ewiges
Leben hat.
17Denn
Gott hat seinen Sohn nicht in die Welt gesandt, damit er die Welt
richtet, sondern damit die Welt durch ihn gerettet wird.
18Wer
an ihn glaubt, wird nicht gerichtet; wer nicht glaubt, ist schon
gerichtet, weil er nicht an den Namen des einzigen Sohnes Gottes
geglaubt hat.
19Denn
darin besteht das Gericht: Das Licht kam in die Welt, doch die Menschen
liebten die Finsternis mehr als das Licht; denn ihre Taten waren böse.
20Jeder,
der Böses tut, hasst das Licht und kommt nicht zum Licht, damit seine
Taten nicht aufgedeckt werden.
21Wer
aber die Wahrheit tut, kommt zum Licht, damit offenbar wird, dass seine
Taten in Gott vollbracht sind.
Groß ist der Lebensdurst
in jedem Menschen. Wir alle wünschen uns ein volles, erfülltes Leben.
Wir sehnen uns nach Glück, nach Liebe. Wir möchten unsere besten Kräfte
und Möglichkeiten entfalten, ja, sie „ausleben“.“
„Jeder ist seines Glückes
Schmied“, sagt ein Sprichwort. Und so greifen Menschen nach dem
Leben, versuchen es an sich zu reißen: „Ich will etwas vom Leben haben!
Ich will mich selbst verwirklichen!“ Nach diesem Motto leben heute
viele. – Oft müssen sie dabei jedoch eine geradezu tragische Erfahrung
machen: Je heftiger sie das Leben an sich reißen und festhalten wollen,
desto rascher zerrinnt es ihnen zwischen den Fingern. – Jemand hat
einmal das Glück mit einem Stück Seife verglichen: Wenn man es unbedingt
ergreifen will, wenn man zu fest zupackt, dann rutscht es einem aus der
Hand. Außerdem verbraucht es sich umso schneller, je mehr man es
benutzt…
In manchen Gesprächen mit
Menschen, die so dem Leben nachgejagt waren, ist mir genau das
auffallen: Gerade durch ihre selbstbezogene Lebensgier haben sie oft
das, was ihr Leben tatsächlich hätte, lebenswert machen können,
zerstört! – Liebesbeziehungen z.B. zerbrechen häufig daran, dass die
Partner darin hauptsächlich ihre eigene Entfaltung suchen, hohe
Erwartungen aneinander richten, aber nicht bereit sind, etwas zu geben.
Wer nur an sich selbst denkt, missbraucht den anderen und zerstört damit
die Beziehungen. – Wir können erfülltes Leben nur als Geschenk
empfangen, nicht jedoch erzwingen. Wenn wir es an uns reißen wollen,
zerstören wir das Glück. Manchmal nehmen wir uns das Leben sogar
gegenseitig weg.
Es gab jemanden, der hat
überhaupt nicht sich selbst gesucht, sondern hat vorbehaltlos und
grenzenlos sein Leben verschenkt: JESUS! – Er widmete den Menschen seine
ganze Kraft, seine Zeit, seine Liebesfähigkeit – und am Ende opferte er
sein Leben, gab sich freiwillig in den Tod hinein. Er konnte das, weil
er aus dem Herzen Gottes kam: Gott selbst ist so! Er ist Leben, das sich
verschenkt. „So sehr hat Gott die Welt geliebt, dass er seinen
einzigen Sohn dahingab.!“
Jesus brachte diesen
„göttlichen Lebensstil“ auf die Erde. Er lebte ihn selbst vor. Und indem
er sich weggab, wurde er zur Lebensquelle für viele. Menschen fanden in
der Begegnung mit ihm Heilung, Versöhnung und neuen Lebensmut. Darum war
auch das Sterben von Jesus am Kreuz kein Untergang, sondern der
Höhepunkt seines Lebens (seine „Erhöhung“, wie das Johannes-Evangelium
sagt). Hier besiegte er den äußersten Feind allen Lebens: den Tod. Das
Leben, das Jesus zu geben versteht, ist darum „ewiges Leben“: Fülle des
Lebens schon hier – und über die Grenze des Todes hinaus.
Anteil an diesem „ewigen
Leben“ gewinnt, wer an Jesus glaubt und ihm nachfolgt. Solcher Glaube
äußerst sich unter anderem darin, dass man seine eigene
Lebenseinstellung, seine Lebensweise von Jesus prägen lässt – dass man
lebt wie er: sich selbst vergessen, um sein Leben an die Mitmenschen zu
verschenken, statt nur das eigene, ganz persönliche Glück an sich reißen
zu wollen.
Gewiss wird es jeder als
ein großes Wagnis empfinden, sich auf eine solche Art des Lebens
einzulassen. Man mag sich fragen: „Wo bleibe dann ich? Werde ich nicht
untergehen, wenn ich mich immer nur verschenke? Werde ich am Ende dabei
nur ausgenutzt? – Ja, ist nicht auch Jesus dabei „untergegangen“? Es ist
wirklich eine Sache des Glaubens – des österlichen Glaubens an
den lebendigen Jesus, der Untergang und Tod und alles Scheitern
überwunden hat.
Wer sich allerdings – im
Vertrauen auf Jesus – einlässt auf ein Leben für andere, der erfährt,
dass dann eine Überfülle von Leben zurückkommt, dass ihm wahrhaft das
Leben geschenkt wird, sogar dann noch, wenn er sich – menschlich gesehen
– aufopfern muss. Es ist ein Sprung ins Ungewisse. Denn, ob vom anderen
etwas zurückkommt, lässt sich nicht errechnen und nicht erzwingen. Immer
bleibt es ein Geschenk. Sich zu verschenken und sich beschenken zu
lassen – das ist das Geheimnis der Lebenserfüllung nach dem Vorbild von
Jesus.
An solchem konkret
verwirklichten Glauben an Jesus ereignet sich darum das Gericht über
Sinn oder Sinnlosigkeit eines Menschenlebens! – Vom „Gericht“ ist im
Evangelium dieses Sonntags viel die Rede – ohne dass jedoch irgendjemand
(auch nicht Jesus oder Gott) als „Richter“ auftritt. Das Gericht
geschieht vielmehr durch die Lebensweise selbst, der sich ein Mensch
verschrieben hat.
Wer nämlich nicht glaubt,
mag Tag für Tag und Jahr für Jahr dem Leben nachjagen; am Ende aber
steht er mit leeren Händen und einem enttäuschten Herzen da.
Offensichtlich hat durch pure Selbstbezogenheit noch nie jemand sich
selbst verwirklicht… Wer aber die Hingabe im Glauben wagt, entdeckt die
wahre „Kunst des Lebens“: sich verschenken und sich beschenken lassen,
sich hingeben und empfangen. Was einem dabei geschenkt wird, ist
meistens viel kostbarer als alles, was man dafür geopfert hat, und
reicher als alles, was man hätte erzwingen können.
Diese Predigt orientiert
sich an einer Vorlage von Wilhelm Schäffer |