Seit drei Jahren schon geht der Besitzer
hinaus und schaut nach den Früchten.
Immer das gleiche: Nichts.
Auch diesmal: Keine einzige Frucht.
Das ist bitter. Das ist enttäuschend.
Einmal ist Schluss. Der Baum ist ein
hoffnungsloser Fall.
Die sauberste und wirtschaftlichste
Lösung: Umhauen!
Doch der tödliche Schlag findet nicht
statt.
„Hau ihn um“,
wird zwar gesagt, aber nicht getan.
Wie kommt’s?
Da ist der Weingärtner. Der macht sich
für den Feigenbaum stark.
Er kämpft für ihn. Obwohl der schon seit
drei Jahren nichts bringt und nur den Boden auslaugt, legt er Fürsprache
für ihn ein.
Er bittet um eine Gnadenfrist für den
Baum:
„Herr, lass ihn dieses Jahr noch
stehen.
Ich will den Boden um ihn aufgraben,
die Erde lockern und noch einmal
kräftig düngen.
Vielleicht trägt er doch noch
Frucht.“
Eigentlich hätte er ja die Axt verdient,
der unfruchtbare Feigenbaum.
Doch die Axt schlägt nicht zu, weil da
einer ist, der für den Baum eintritt.
Einer, der den Baum noch nicht
abgeschrieben hat.
Einer, der noch Hoffnung hat, trotz
aller enttäuschenden Erfahrungen.
Und ganz persönlich will er sich noch
einmal um den Baum mühen, sich einsetzen, ihm viel Gutes zukommen
lassen, damit er vielleicht doch noch die gesuchten Früchte bringt.
Mir kommt vor, der Baum hat einen Freund
gefunden, der sich schützend vor ihn stellt, einen Verbündeten, der ihm
noch etwas zutraut.
Mir ist, als sei der Gärtner in den Baum
verliebt.
Sein Herz hängt an ihm.
Im Weinbergsgärtner dürfen wir Jesus
selbst erkennen.
Jesus zeichnet in diesem Gleichnis
sozusagen ein Selbstportrait.
Mir sagt das:
Jesus
hat Hoffnung für mich, auch wenn meine Früchtebilanz alles andere als
berauschend ist.
Jesus
hat Hoffnung für mich, auch wenn ich mich manchmal so wenig umkehrbereit
und veränderungsfähig erlebe.
Jesus
schreibt mich nicht ab. Er gibt mich nicht auf.
Er ist der, der die Neunundneunzig im
Stall zurücklässt und dem einen Verlorenen nachgeht.
Er ist der, der das geknickte Rohr nicht
bricht und den glimmenden Docht nicht auslöscht.
Er ist der Heiland der Armen, der Freund
der Sünder.
Er tritt bei Gott für uns ein.
Der Apostel Paulus
hat im Römerbrief über dieses Thema meditiert und dabei folgende Sätze
geschrieben, die ich sehr tröstlich finde:
„Wer kann die Auserwählten Gottes
anklagen? Wer kann sie verurteilen? Jesus Christus sitzt zur Rechten
Gottes und tritt für uns ein… Nichts kann uns von seiner Liebe scheiden“ (vgl. Röm 8, 32 - 35).
Christus hat uns geliebt und sich für
uns hingegeben.
Seine ausgespannten Arme am Kreuz sind
Zeichen seiner Liebe.
Sein durchbohrtes Herz ist Zeichen
seiner Liebe.
Wo Menschen sagen: verloren, da sagt er:
gefunden!
Wo Menschen sagen: gerichtet, da sagt
er: gerettet!
Wo alle nein sagen, sagt er: ja!
In einem Lied heißt es:
„Sag ja zu mir, wenn alles nein sagt,
weil ich so vieles falsch gemacht. Wenn Menschen nicht verzeihen können,
nimm du mich an trotz aller Schuld.“
Und weiter:
„Wenn du ja sagst, kann ich leben, stehst du zu mir, dann kann ich
gehen. Dann kann ich neue Lieder singen und selbst ein Lied für andere
sein.“
Auch wenn ich in mancher Hinsicht dem
unfruchtbaren Feigenbaum gleiche,
auch wenn ich vielleicht gar nicht viel
Gutes an mir finde und manchmal denke:
„Wer bin ich schon? Was taug ich
schon? Was habe ich schon zu bieten?“
Ich brauche nicht zu resignieren und
schon gar nicht zu verzweifeln.
Es gibt einen, der zu mir hält, der mich
nicht fallen lässt, der für mich eintritt und der mir immer noch Umkehr
und Früchte zutraut.
Allerdings, es braucht schon auch meine
Offenheit, meine Bereitschaft, meinen Willen zum Guten. Es braucht mein
Mittun.
Der Feigenbaum hat noch ein Jahr
bekommen, eine Bewährungsprobe, eine Gnadenfrist.
Ob er dem Gärtner sein Wohlwollen, seine
Fürsprache, seine Zuwendung und seine Mühen gedankt hat?
Ob er schließlich Früchte gebracht hat?
Wir wissen es nicht.
Das Gleichnis hat einen offenen Schluss.
Wir sind gefragt, Sie und ich!
„Jetzt ist die Zeit der Gnade! Jetzt
sind die Tage des Heils! Empfangt nicht vergeblich die göttliche Gabe!“,
heißt es in der Liturgie der Kirche in diesen Tagen und Wochen vor
Ostern.
Gott schenkt uns diese Gnadenzeit zu
unserem Heil.
Nutzen wir sie! Richten wir den Blick
nach vorne!
Und trauen wir uns Früchte zu! Gott tut
es auch.
Und vergessen wir nicht:
Jeder Tag, den Gott uns schenkt, ist ein
neuer Anfang!