Exerzitien mit P. Pius

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Jesus und die Ehebrecherin

(5. Fastensonntag - Lesejahr C; Joh 8, 1 - 11)

 

Ehebruch. Auf frischer Tat ertappt. Nach jüdischem Gesetz hat die Frau ihr Leben verwirkt. Der Fall ist eindeutig. Das Urteil steht fest. Eine Verhandlung erübrigt sich.

 

Wo ist der Mann? Zum Ehebruch gehören zwei. Die Frau steht allein vor ihren Anklägern. Diese kennen keine Gnade.

 

Auch Jesus sitzt in der Klemme.

Ihre Frage: „Was sagst du dazu?“ ist eine Fangfrage.

Wie wird er reagieren?

 

Entweder er ist streng und verurteilt die Frau, dann ist seine angebliche Güte und Menschenfreundlichkeit nur äußerer Schein, dann ist es mit seiner Predigt von der grenzenlosen Liebe Gottes nicht soweit her. Oder er urteilt mild und spricht die Frau frei, dann würde er auf eklatante Weise der Thora widersprechen, er würde das Gesetz missachten.

Ganz gleich wie Jesus antwortet, er muss in die Falle gehen.

Er muss zu Fall kommen. Eine heikle Situation!

 

Jesus durchschaut seine Gegner. Wieder einmal verhält er sich anders als erwartet. Er antwortet gar nicht. Er verweigert eine theoretische Diskussion. Stattdessen vollzieht er eine vieldeutige Geste. Souverän und ruhig bückt er sich und schreibt auf die Erde. Alle warten auf sein Wort: die Gegner voll Selbstsicherheit, die Frau voll Angst, das Volk voll Spannung.

 

Interessiert ihn die ganze Sache gar nicht? Will er Zeit gewinnen?

Soll das Schreiben auf die Erde seine Ruhe demonstrieren, im Gegensatz zum Eifer der Ankläger? Will Jesus seine Gegner ermüden oder sie verunsichern? Will er ihnen Zeit geben, über sich selbst nachzudenken? Schreibt er ihre Sünden auf?

 

Vielleicht weist er auf ein Wort des Propheten Jeremia hin.

Bei ihm heißt es an einer Stelle:

„Alle, die Gott verlassen, werden in den Staub geschrieben, die von ihm abfallen, ihre Namen auf die Erde. Denn verlassen haben sie den Brunnquell lebendigen Wassers, den Herrn.“

 

Eines steht fest: Jesus konfrontiert die Ankläger mit sich selbst. Er bringt sie selbst ins Spiel. Die aber begreifen nicht. Sie werden ungeduldig. Hartnäckig fragen sie weiter. Sie bestehen auf einer Antwort.

 

Da richtet Jesus sich auf und spricht die Worte, die meines Erachtens zu den bedeutsamsten Worten Jesu überhaupt gehören: „Wer von euch ohne Sünde ist, werfe als erster einen Stein auf sie.“

 

Dieser wunderbare Satz vermag es, die Mauer der Ankläger aufzulösen. Aus dem Kollektiv der Beschuldiger, die sich gemeinsam stark fühlen, werden Einzelne. Jeder wird darauf gestoßen, bei sich selbst zu schauen, bei sich selbst wahrzunehmen, welche Schwachpunkte es da gibt, welche Gefühle ihn beherrschen, Gefühle der Schadenfreude, der Wollust, der Rechthaberei, des Sadismus, des Sich-genüßlich-die-Hände-Reibens…

 

Sie sehen nur das Gesetz und die Schuld der Frau. Sie sind selbstsicher, scheinheilig, selbstgerecht. Was, wenn aufgedeckt würde, was für böse Wünsche und schlimme Phantasie in ihnen selbst leben?

 

Jesus erinnert sie an ihre eigenen Verfehlungen. Können sie selbst ihre Hände in Unschuld waschen? Sind sie wirklich ganz makellos, ohne Fehl und Tadel?

 

Jesus möchte, dass sie einsichtig werden bis zu dem Punkt, dass jeder sich eingestehen muss: Auch ich wäre fähig so zu handeln. Auch ich wäre fähig, solches zu tun.

 

„Wer von euch ohne Sünde ist, der werfe als erster einen Stein auf sie.“

Es gibt kein Jesuswort, das mit solcher Entschiedenheit ausspricht: Alle sind Sünder! Es gibt kein Leben ohne Schuld.

 

Und Jesu Wort trifft. Es trifft bis ins Innerste. Ohne Sünde, ganz und gar unschuldig, das ist keiner! Niemand kann behaupten, ohne Schuld zu sein.

 

Keiner wagt es, einen Stein zu werfen. Die Ankläger ziehen sich zurück, einer nach dem anderen, die Ältesten zuerst. Sind nicht alle auf die Geduld und die Barmherzigkeit Gottes angewiesen?

 

Das Geschehen kommt nun zu seinem zweiten Höhepunkt: Jesus bleibt allein mit der Frau zurück.

Augustinus sagt: „Die Erbarmenswerte steht der Barmherzigkeit gegenüber“.

Jesus und die Frau. Sie ist ihren Richtern entkommen.

Nun steht sie vor Jesus in ihrer Scham und Schuld.

Jesus fragt: „Hat dich keiner verurteilt?“

Nun spricht die Frau zum ersten Mal. Erleichtert und befreit antwortet sie: „Keiner, Herr!“

 

Und Jesus? Er, der als einziger das Recht dazu hätte, er bricht nicht den Stab über sie. Er hält ihr keine Moralpredigt. Er nagelt sie nicht auf ihre schuldhafte Vergangenheit fest. Er stellt überhaupt nicht die Schuldfrage. Er registriert lediglich: Keiner hat sie verurteilt.

 

Nun eröffnet Jesus ihr eine neue Zukunft: „Auch ich verurteile dich nicht. Geh und sündige von jetzt an nicht mehr!“

 

Liebe Schwestern und Brüder!

Hier wird ein Grundzug der Verkündigung und Praxis Jesu sichtbar:

Jesus fragt nicht nach begangenen Sünden. Er spricht Vergebung zu. Er spricht nicht von Wiedergutmachung, Buße, Sühne. Er setzt stillschweigend voraus, dass die Frau aus Herzensantrieb von heute an ein anderes, ein neues Leben beginnen wird. Zuerst die Zusage der Vergebung, dann die Aufforderung anders, neu zu leben.

 

Die Frau erfährt Vergebung ihrer Sünden, Befreiung von ihrer Schuld.

Die Heuchler hatten nur Steine bereit. Jesus aber hat ein Herz. Er schenkt ihr einen neuen Anfang. Dass gerade die Verlorenen Verständnis, Güte und Erbarmen brauchen, das war es, was Jesus mit seinem Leben und seiner Botschaft sagen, zeigen und bringen wollte.

 

Freilich: Jesus heißt das, was die Frau getan hat, nicht gut.

Er billigt und verharmlost ihr Verhalten nicht.

Er macht daraus kein „Kavaliersdelikt“.

Er fordert sie nachdrücklich auf, die Sünde zu meiden!

 

„Geh hin und sündige nicht mehr!“

Es war also Sünde, aber Jesus hackt nicht darauf herum.

Und schon gar nicht sieht er die Lösung in Steinigung, Tötung, Vernichtung.

 

Entscheidend ist der neue Anfang für diese Frau. Durch Jesus erfährt sie die barmherzige Liebe Gottes. Sie erlangt Vergebung.

 

So sind beide Parteien, die Ankläger und die angeklagte Frau, in Jesus der Barmherzigkeit Gottes begegnet. Und Jesus selbst entgeht der Falle, die seine Gegner ihm siegessicher gestellt hatten.

 

Diese Geschichte gehört zu den Höhepunkten des Evangeliums.

Es wird darin die ganze Bedeutung dessen sichtbar, was Jesus gebracht hat. Sie gibt sehr gut seine Denkart und seine Geistigkeit wieder. Jesus vertraut darauf, dass Sündenvergebung den Menschen im Innersten trifft und ihn zur Umkehr bewegt.

 

Jesu Sündenvergebung ruft die Umkehr hervor, nicht umgekehrt.

Jesu Sündenvergebung ist nicht von Voraussetzungen abhängig.

Sie ist an keine Bedingungen geknüpft.

Es ist eine Liebe, die den Menschen in seiner tiefsten, innersten Schicht erreichen möchte, um dann – aus einem absolut sich von Gott geliebt und angenommen Wissen – die Umkehr zum Gott der Liebe und zu einem neuen Leben zu bewirken.

 

Gottes Liebe ist reines Entgegenkommen. Gottes Liebe ist stets „zuvorkommende“ Liebe, eine Liebe, welche die Liebe des Menschen hervorlockt und hervorruft.

Liebe will Gegenliebe. Gottes Liebe ruft unser Liebe.

 

Dass Jesus an das Gute im Menschen glaubt, dass er Liebe und Gnade gewährt ohne Vorleistungen, dass er auch einem totverfallenen Sünder noch eine Chance gibt und ihn bedingungslos von der Last seiner Vergangenheit befreit, das war nicht nur für die Gegner Jesu damals anstößig, das ist bis heute eine Herausforderung für jeden Einzelnen und auch für die Kirche.

 

Ich finde, das macht diese Erzählung so kostbar, dass sie uns offenbart, worin die Größe und Unbegreiflichkeit Gottes eigentlich besteht: nicht so sehr in seiner überragenden Weisheit und Allmacht, sondern in seiner Güte, in seiner unerschöpflichen Liebe, in seiner grenzenlosen Barmherzigkeit.

 

Vielleicht wäre es nicht das Geringste, wenn der Jesus, wie ihn dieses Evangelium uns schildert, uns animieren würde, weniger über anderer Menschen zu urteilen, sondern zuerst an unsere eigene Brust zu klopfen und lernen barmherzig zu sein, zu verzeihen, zu lieben.

 

„Hättest nicht auch du Erbarmen haben müssen, wie ich mit dir Erbarmen hatte?“ (Mt 18, 33)

„Seid barmherzig, wie es auch euer Vater ist!“ (Lk 6, 36)

Gottes Liebe ruft unsere Liebe!

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