Evangelium
Wer von euch ohne Sünde
ist, werfe als erster einen Stein auf sie
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Aus dem heiligen Evangelium nach Johannes
In jener Zeit
1ging
Jesus zum Ölberg.
2Am
frühen Morgen begab er sich wieder in den Tempel. Alles Volk kam zu ihm.
Er setzte sich und lehrte es.
3Da
brachten die Schriftgelehrten und die Pharisäer eine Frau, die beim
Ehebruch ertappt worden war. Sie stellten sie in die Mitte
4und
sagten zu ihm: Meister, diese Frau wurde beim Ehebruch auf frischer Tat
ertappt.
5Mose
hat uns im Gesetz vorgeschrieben, solche Frauen zu steinigen. Was sagst
du?
6Mit
diesen Worten wollten sie ihn auf die Probe stellen, um einen Grund zu
haben, ihn anzuklagen. Jesus aber bückte sich und schrieb mit dem Finger
auf die Erde.
7Als
sie hartnäckig weiterfragten, richtete er sich auf und sagte zu ihnen:
Wer von euch ohne Sünde ist, werfe als Erster einen Stein auf sie.
8Und
er bückte sich wieder und schrieb auf die Erde.
9Als
sie das gehört hatten, ging einer nach dem anderen fort, zuerst die
Ältesten. Jesus blieb allein zurück mit der Frau, die noch in der Mitte
stand.
10Er
richtete sich auf und sagte zu ihr: Frau, wo sind sie geblieben? Hat
dich keiner verurteilt?
11Sie
antwortete: Keiner, Herr. Da sagte Jesus zu ihr: Auch ich verurteile
dich nicht. Geh und sündige von jetzt an nicht mehr!
Da bringen Männer eine
Frau zu Jesus, die sie angeblich auf frischer Tat beim Ehebruch ertappt
haben. – Wo ist der Mann? Zum Ehebruch gehören zwei. Haben sie den
laufen lassen?
Ihre Frage an Jesus:
steinigen oder nicht steinigen?
Die Antwort wissen sie
längst: steinigen! Wenn die Frau wirklich inflagranti beim Ehebruch
erwischt wurde und wenn die Steinigung die Strafe dafür ist, dann kann
Jesus gar nicht anders antworten. Und wenn er etwas anderes sagt, wenn
er auf Freispruch plädiert, dann steht er nicht mehr auf dem Fundament
ihres Glaubens und nicht mehr auf dem Fundament ihres Gesetzes – und
dann können sie ihn gleich mitsteinigen.
Aber dann dieser Satz, den
wohl niemand erwartet hat: „Wer von euch ohne Sünde ist, der werfe
als erster einen Stein…“ Und alles ist mit einem Mal anders. Denn da
ist keiner, der ohne Sünde wäre. Und da ist keiner, der sich über diese
Frau als Richter erheben dürfte. – Und so stehlen sie sich davon, die
Ältesten zuerst. Am Ende steht Jesus allein da mit der Frau. – „Hat
dich keiner verurteilt? Auch ich verurteile dich nicht… Sündige von nun
an nicht mehr.“
Eine neue Art des Umgangs
mit Schuld, die Jesus da zeigt. Einen Umgang mit Schuld, von dem auch
wir, liebe Schwestern und Brüder, lernen können.
Dabei ist festzuhalten,
dass Jesus die Schuld sehr wohl ernst nimmt. Da wird nichts
heruntergespielt, nichts kleiner gemacht als es ist, nach dem Motto: Ist
ja nicht so schlimm – Schwamm drüber – Kommt überall mal vor. --- Nein,
Jesus nimmt die Schuld ernst. „Geh, und sündige nicht mehr!“ sagt
er sehr deutlich.
Aber Jesus verzichtet auf
die Strafe. Er verzichtet auf die Sühne. Und stattdessen schenkt er
einen neuen Anfang.
Und genau mit diesem
Verhalten unterscheidet er sich von diesen Männern – und vielleicht auch
von uns. Aber damit gleicht er Gott.
Liebe Schwestern und
Brüder!
Dieser Jesus denkt nicht
wie die Menschen denken, sondern wie Gott denkt. Und er handelt auch
nicht so wie die Menschen so gerne handeln, sondern wie Gott handelt,
nämlich gnädig und barmherzig.
Wie jener Gott, der eben
nicht will, dass der Sünder stirbt, sondern dass er lebt. Denn nur wer
lebt, kann sich bekehren. Nur wer lebt, kann sich verändern und neu
beginnen.
Ja, Jesus denkt und
handelt wie Gott. Und damit zeigt er, dass er wirklich der Sohn Gottes
ist. Er kann gar nicht anders, nicht anders als Gott.
Nochmal, liebe Schwestern
und Brüder!
Gott weiß sehr wohl um
unsere Schuld. – Aber er ist nicht darauf festgelegt, jede Schuld auch
zu bestrafen, sondern er kann sie verzeihen. Er kann Schuld vergeben –
aus Liebe. Aus Liebe zu einem Menschen, der doch sein Kind ist.
Ein inzwischen geflügeltes
Wort sagt: Gott hasst die Sünde, aber er liebt den Sünder. Und
damit treffen wir das Wesen Gottes: Seine Liebe. Eine Liebe, die so groß
ist, dass sie ihn zum Erbarmen bringt – zur Barmherzigkeit.
Liebe Schwestern und
Brüder!
Sie kennen sicher alle die
Novelle von Werner Bergengruen, die von einer ähnlichen Situation
berichtet:
In einem Fischerdorf auf
einer südländischen Insel gilt das ungeschriebene Gesetz: Eine Frau, die
des Ehebruchs überführt ist, wird von einem hohen Felsen in den Tod
gestürzt. Da geschieht es: Die Frau eines Fischers hat mit einem
Matrosen die Ehe gebrochen. Der Frau wird eine knappe Frist gewährt, in
der sie ihren Mann ein letztes Mal sprechen darf. Aber der Mann ist
nicht zu Hause und kehrt auch bis zum Ablauf der Frist nicht zurück. So
wird das Urteil erbarmungslos vollstreckt.
Am andern Tag sehen die
Richter die Frau unversehrt am Herd ihres Hauses arbeiten. Staunen packt
die Dorfbewohner, als der Mann der Geretteten erzählt, er habe um die
Tat seiner Frau gewusst und natürlich auch, welches Schicksal ihr
drohte. Deshalb sei er hingegangen und habe tief unter dem Felsen sein
Fischernetz gespannt – und dieses habe die Frau sicher aufgefangen.
Ein Netz. Ein Netz, das
auffängt und rettet.
Ein wunderschönes Bild für
Gott! Für diesen Gott, der sehr genau um unsere Schuld weiß – aber der
alles dafür tut, um uns aus dieser Schuld zu retten. – Ein Gott, der
weiß, dass wir immer wieder versagen, immer wieder über die gleichen
Stellen stolpern und immer wieder in die alten Fehler fallen. Und der
deswegen immer wieder ein Netz ausspannt, das uns auffängt.
Ein Netzt aus Liebe, ein
Netz aus Barmherzigkeit und Langmut.
Und er breitet es aus,
damit wir eben nicht umkommen in unserer Schuld, sondern trotzdem leben
können. Leben, um dann heimzufinden zu IHM, zum barmherzigen Vater.
Denn beim Herrn ist
Barmherzigkeit und reiche Erlösung. |