ERSTE LESUNG
Reiß
doch den Himmel auf, und komm herab!
Lesung
aus dem Buch Jesaja
16bDu,
Herr, bist unser Vater, „Unser Erlöser von jeher“ wirst du genannt.
17Warum
lässt du uns, Herr, von deinen Wegen abirren und machst unser Herz hart,
so dass wir dich nicht mehr fürchten? Kehre zurück um deiner Knechte
willen, um der Stämme willen, die dein Eigentum sind.
19bReiß
doch den Himmel auf, und komm herab, so dass die Berge zittern vor dir.
3Seit
Menschengedenken hat man noch nie vernommen, kein Ohr hat gehört, kein
Auge gesehen, dass es einen Gott gibt außer dir, der denen Gutes tut,
die auf ihn hoffen.
4Ach,
kämst du doch denen entgegen, die tun, was recht ist, und nachdenken
über deine Wege. Ja, du warst zornig; denn wir haben gegen dich
gesündigt, von Urzeit an sind wir treulos geworden.
5Wie
unreine Menschen sind wir alle geworden, unsere ganze Gerechtigkeit ist
wie ein schmutziges Kleid. Wie Laub sind wir alle verwelkt, unsere
Schuld trägt uns fort wie der Wind.
6Niemand
ruft deinen Namen an, keiner rafft sich dazu auf, festzuhalten an dir.
Denn du hast dein Angesicht vor uns verborgen und hast uns der Gewalt
unserer Schuld überlassen.
7Und
doch bist du, Herr, unser Vater. Wir sind der Ton, und du bist unser
Töpfer, wir alle sind das Werk deiner Hände.
Auch
heute besteht die erste Lesung (aus Jesaja) wieder nur aus einigen
wenigen zusammengestückelten Versen. Sie sind einem wunderbaren,
eindringlichen Text entnommen, einem Psalm – genauer einem Klagepsalm
des Volkes. Es lohnt sich, ihn in seiner ganzen Länge zu lesen und zu
betrachten. (63, 7 - 64, 11)
Die
Lesung endet mit dem Satz: „Wir sind der Ton, und du bist der Töpfer,
wir alle sind das Werk deiner Hände“. – Ich finde: das ist ein
wunderschönes Bild. Einen Pfarrer hat dieses Bild zu einem
heiter-besinnlichen Gebet für die Adventszeit inspiriert. Ich finde
seine Gedanken so köstlich und gut, so ansprechend und treffend, dass
ich sie hier wortgetreu übernehme und an Sie, liebe Mitchristen,
weitergebe.
„Wir sind der Ton und du bist unser Töpfer“
– so möchte ich auch gerne beten, Gott. Dieses Bild gefällt mir. Der
Gedanke, in deiner Hand zu sein, mich durch deine Berührungen zu
entwickeln, ein Profil zu bekommen und zu einem wertvollen Gefäß zu
werden – dieser Gedanke ist mir sogar außerordentlich sympathisch.
Allerdings meldet sich dabei ziemlich schnell ein kleines
„Aber“ –
und darüber möchte ich heute mit dir reden: Du musst zugeben, dass wir
es in deiner Töpferwerkstatt nicht immer leicht haben.
„Wir sind der Ton und du bist unser Töpfer“ –
aber
findest du nicht auch, dass du es mit mir auf der Töpferscheibe manchmal
etwas zu bunt treibst? Ich habe das Gefühl, mein Zeitenrad dreht sich
immer schneller, mein Leben wird unruhiger und hektischer.
Du
scheinst auch unbeeindruckt zusehen, wie ich beinahe durchdrehe bei all
dem, was du auf unserer Welt geschehen lässt. Und warum greifst du nicht
ein, wenn du siehst, dass ich aus dem Kreisen um mich selbst gar nicht
mehr herausfinde?
Ich hoffe, du verstehst mich, wenn ich mir für diese Adventszeit
wünsche: Gönne mir doch eine kleine Pause! Lass mich zur Ruhe kommen und
unterbrich wenigstens in diesen Wochen mein tägliches Rotieren.
„Wir sind der Ton und du bist unser Töpfer“ –
aber
merkst du nicht, wie heftig du an mir herummodellierst und wie hart du
mich durchknetest; wie kräftig du Hand anlegst, mich presst und mir
Druck machst? Ginge das nicht auch etwas sanfter und zarter?
Mein nächster Adventswunsch heiß deshalb: Drück nicht so fest! Zeig mir
vorsichtig und feinfühlig, wohin du mich führen und was du aus meinem
Leben machen willst. Weck in mir durch die wunderschönen Visionen der
Propheten die Sehnsucht nach einem besseren, intensiveren Leben! Öffne
mir in den besinnlichen Stunden die Augen für die Konturen, die du
meinem Leben geben willst!
„Wir sind der Ton und du bist unser Töpfer“ – und so, wie es für die modellierten Gefäße eine
Phase des Trocknens gibt, so mutest du auch mir „trockene“ und dürre
Zeiten zu. Aber
sind denn wirklich so viele „Durststrecken“ nötig, so viele Tage, an
denen ich mich kraftlos fühle, wie gelähmt und ohne inneren Antrieb? Das
Gefühl, auf dem Trockenen zu sitzen ist ja nicht gerade angenehm.
Man sagt mir zwar immer wieder, dass diese trockenen
„Wüstenzeiten“ für dein Arbeiten an mir notwendig sind; dass ich nur so
erkenne, was wichtig und wertvoll für mich ist und wohin mein Weg gehen
soll –
aber
ich möchte gerade in der Adventszeit auch das andere erleben: Dass aus
Gestein und Wüstensand frische Wasser fließen; dass du einen Tau vom
Himmel gießt, der mich erfrischt und aufblühen lässt; dass du mir einen
Tropfen des Regen schickst, der aus Wüsten Gärten machst.
„Wir sind der Ton und du bist unser Töpfer“ –
deshalb gehört zu deinen Arbeitsgängen an mir nach dem Formen und
Trocknen schließlich auch das Brennen. Ich weiß, dass dein Sohn gekommen
ist, um Feuer auf die Erde zu werfen, und dass er sich sehnlich
gewünscht hat, dass es schon brennt (Lk 12, 49).
Aber
übertreibst du nicht ab und zu? Es gibt Zeiten, da heizt du mir gewaltig
ein und bringst mich ins Schwitzen. Manchmal wendest du dabei auch einen
ganz raffinierten Trick an: Du schickst mir Menschen, die mich „auf 180“
bringen und zur Weißglut treiben. Und warum verhinderst du nicht, dass
ich mir manchmal den Mund oder die Finger verbrenne? Ich frage mich
auch, ob du dir vorstellen kannst, wie mir zumute ist, wenn ich
ausgebrannt und leer bin?
Wenn ja, dann wirst du sicher meinen letzten, etwas ungewöhnlichen
Adventswunsch verstehen: Gib mir „hitzefrei“ in diesen Wochen! Reduziere
die Temperatur auf die angenehme Wärme der Kerzen und beschränke die
„heißen Phasen“ in meinem Leben auf ein Minimum!
„Wir sind der Ton und du bist unser Töpfer“ – so
möchte ich wirklich gerne beten, Gott. Ich habe nichts dagegen, dass du
an mir arbeitest und mich „in Form“ bringst; dass du meinem Leben
Gestalt und Kontur geben willst.
Und ich
ahne auch, dass mir dabei Drehen und Drücken, Trocknen und Brennen nicht
erspart bleiben – dass du mich in Schwung bringen und manchmal hart
anfassen musst, dass du mich in die Wüste schickst und ich hin und
wieder für dich durchs Feuer gehen muss.
Wahrscheinlich kann ich nur so dein Gefäß werden – offen wie eine
Schale; bereit, deine Botschaft in mich aufzunehmen und an andere
weiterzugeben.
Aber
– kannst du auch meine Wünsche verstehen? Und wirst du mir in dieser
Adventszeit den einen oder anderen erfüllen?
Die Gedanken und Formulierungen verdanke
ich einer Predigtvorlage von Wolfgang Raible |