Wir sind gewohnt, dass am
Sonntag der Prediger auf das Evangelium eingeht und es auslegt.
Mich hat allerdings ein
Satz aus der 2. Lesung besonders angesprochen.
Meines Erachtens ist es
einer der schönsten und zentralsten Sätze im Neuen Testament.
Und ich meine: Er trifft
den Kern unseres Glaubens.
Der Apostel Paulus
schreibt da an die Gemeinde in Rom:
„Nehmt einander an,
wie auch Christus uns angenommen hat zur Ehre Gottes!“
CHRISTUS HAT UNS
ANGENOMMEN!
Knapp und bündig steht es
da. Klar und deutlich sagt es der Apostel. Er sagt nicht: Es könnte
sein… Oder: Ich hab’ so ein Gefühl. Ganz fest, ganz sicher sagt der
Apostel: „Christus hat uns angenommen.“ Für ihn gibt es da
gar keinen Zweifel.
CHRISTUS HAT UNS
ANGENOMMEN!
Das ist Wirklichkeit,
Grundwirklichkeit, die seit den Tagen des Damaskusereignisses das Leben
des Apostels prägt.
Aber Paulus sagt nicht:
Christus hat mich angenommen.
Er spricht im Plural:
CHRISTUS HAT UNS ANGENOMMEN.
Auch das steht fest. Auch
das ist Wirklichkeit.
In der Taufe hat Christus
uns geheiligt und uns in seine Gemeinschaft aufgenommen.
CHRISTUS HAT UNS
ANGENOMMEN!
Liebe Mitchristen!
Finden Sie nicht auch,
dass hier – wie in einem Brennglas – die ganze Frohe Botschaft enthalten
ist?
Leuchtet hier nicht die
Mitte unseres Glaubens auf?
Liebe Schwestern und
Brüder!
Seit längerer Zeit
begleitet und fasziniert mich ein Bild vom barmherzigen Samariter. Es
stammt aus dem 6. Jahrhundert.
Das auffallende an dem
Bild: Der barmherzige Samariter ist Christus selbst. Das Bild zeigt, wie
er sich zu dem unter die Räuber gefallenen, am Boden liegenden Armen,
Zerschlagenen herabneigt, wie er seine Wunden pflegt und einen Arm
stützend und liebevoll unter den Kopf des halbtoten Mannes legt. Gleich
wird er ihn aufheben, auf sein Lasttier setzen und ihn zur Herberge
bringen.
Christus hat sich zu uns
herabgebeugt in Liebe, zu uns Menschen mit unseren Wunden und
Verletzungen. Er hat uns aufgehoben, getröstet, geheilt.
Christus hat uns geliebt
und sich für uns hingegeben.
Er hat uns den Weg
gezeigt zum Vater.
Er hält und birgt uns in
seiner Treue.
Er, Christus, ist der
barmherzige Samariter, der Helfer, der Beistand, der Retter.
Er ist unser Heiland und
Erlöser.
Liebe Schwestern und
Brüder!
Wir sind in jedem
Augenblick unseres Lebens vom Herrn geliebt und gehalten, auch und
gerade dann, wenn wir einmal gefallen sind und uns wieder neue Wunden
zugezogen haben.
Wir sind ganz und
vorbehaltlos bejaht, auch und gerade dann, wenn andere uns nicht
bejahen.
Wir sind vom Herrn
angenommen, auch und gerade dann, wenn es uns schwer fällt, uns selbst
anzunehmen.
Ist das nicht oft etwas
vom Schwersten sich selbst anzunehmen, zu sich selbst ja zu sagen?
Ist andererseits dieses
Angenommensein und Sich-bejaht-Wissen nicht das, was jeder Mensch
braucht, fast mehr noch als Essen und Trinken?
CHRISTUS HAT UNS
ANGENOMMEN!
Paulus fügt hinzu: „ZUR
EHRE GOTTES“.
Ich verstehe da so, dass
Jesu Liebe zu uns, uns mit hinein nimmt zum Vater. Das ist wie ein
Garantieschein. Christus wird uns garantiert nie fallen lassen und
nichts mag uns zu scheiden von dieser Liebe.
Ich weiß, liebe
Mitchristen, oft zweifeln wir daran, ohne Vorleistung und Bedingung, ja
selbst noch im Versagen, angenommen und geliebt zu sein.
Aber Christi Liebe hängt
nicht – wie bei uns Menschen oft – von Voraussetzungen und Umständen ab.
Er liebt uns nicht wegen
irgendwelcher Qualitäten oder Tätigkeiten oder Tüchtigkeiten.
Er liebt uns nicht, weil
wir so brav und solange wir lieb sind.
Er liebt uns so, wie wir
sind. Er liebt uns immer und durch alles hindurch und über alles hinaus.
Ich sage es noch einmal:
Christi Liebe ist vor allem, was wir bringen, leisten und
vorweisen können.
Wir können sie uns nicht
verdienen und brauchen es auch nicht.
Diese Liebe kommt nicht
aus uns, sie kommt zu uns.
Sie ist reine Gabe. Sie
ist Geschenk. Und sie ist größer als alle Schuld.
„Ich bin gekommen“,
sagt Jesus, „um zu heilen, was verwundet ist
und um zu suchen, was verloren war.“ – „Ich bin gekommen, damit sie das
Leben haben und es in Fülle haben.“
Gott, nicht Rächer,
sondern Retter. Er will nicht unser Verderben, sondern unser Heil.
CHRISTUS HAT UNS
ANGENOMMEN ZUR EHRE GOTTES!
Das ist das Erste. Das
steht am Anfang.
Der Apostel lenkt den
Blick auf das, was der Herr für uns getan hat.
An einer anderen Stelle
sagt er: „Christus hat uns geliebt und sich für
uns hingegeben.“
Das erste ist die Liebe
Christi. Sie kommt vor allem.
Ganz, ganz weit ist er
gegangen in seiner Liebe.
Ganz viel hat er sich
diese Liebe kosten lassen.
Im Johannesevangelium
heißt es: „Da er die Seinen liebte, liebte er
sie bis zur Vollendung.“
Sehen Sie, liebe
Schwestern und Brüder, die Menschen, die Jesus begegnet sind, haben
etwas gespürt von der rettenden, heilenden, Leben spendenden Kraft der
Barmherzigkeit und Liebe Jesu: der Zöllner Zachäus z. B., die Sündern,
die Ehebrecherin…
Und noch am Kreuz
verspricht er dem Schächer Heil und Leben.
Im
4. Hochgebet heißt es: „Den Armen verkündete er die Botschaft vom
Heil, den Gefangenen Freiheit, den Trauernden Freude.“
Jesu ausgestreckte Arme
am Kreuz sind Zeichen seiner Liebe.
Sein durchbohrtes Herz
ist Zeichen seiner Liebe.
Jesus selbst sagt: „Eine größere Liebe hat niemand als wer sein Leben
hingibt für seine Freunde.“
CHRISTUS HAT UNS
ANGENOMMEN ZUR EHRE GOTTES!
Diesen fundamentalen Satz
schickt der Apostel noch etwas voraus, nämlich: „Nehmt einander an, wie Christus uns angenommen hat!“
CHRISTUS HAT UNS
ANGENOMMEN!
Das gilt. Das ist
irreversibel, unumstößlich.
Aber auch das andere
gilt, ja es wächst daraus:
NEHMT EINANDER AN! – Wie
Christus uns, so wir einander!
„Nehmt einander an,
wie auch Christus uns angenommen hat, zur Ehre Gottes.“
Ist das nicht ein
adventlicher Auftrag, liebe Schwestern und Brüder?
Könnte das nicht ein
Programm sein für die Zeit bis Weihnachten? Wäre das nicht für jeden von
uns eine Möglichkeit, den Umkehrruf Johannes des Täufers zu
verwirklichen und in täglichen kleinen Schritten dem Herrn den Weg zu
bereiten?
„Bringt Früchte
hervor, die eure Umkehr zeigen!“
ruft Johannes seinen Zuhörern zu.
Einander annehmen, wie
Christus uns angenommen hat zur Ehre Gottes.
Wäre das nicht eine
wunderschöne Frucht dieser Adventstage?
CHRISTUS HAT UNS
ANGENOMMEN; einen jeden von uns.
Schenken auch wir
einander etwas von der Erfahrung dieses Angenommenseins.
Je mehr wir uns jetzt
schon darum bemühen und uns darin üben, desto froher und desto
glaubwürdiger können wir Weihnachten feiern, das Fest der Liebe, desto
echter und inniger können wir dann singen: „In
deine Lieb’ versenken, will ich mich ganz hinab.“
Seine Liebe ruft unsere
Liebe.
NEHMT EINANDER AN; WIE
AUCH CHRISTUS UNS ANGENOMMEN HAT ZUR EHRE GOTTES!