Von einem Beduinen wird erzählt,
dass er sich immer wieder der Länge nach auf den Boden legte und sein Ohr in den
Wüstensand drückte. Als man ihn fragte, was er da mache, antwortete er: „Ich höre, wie die Wüste weint, sie möchte gern ein Garten
sein.“
Auch die Bibel
ist voller Bilder der Sehnsucht nach Erfüllung. Sie ist voller Visionen von
Frieden, Freiheit und Geborgenheit.
Wir haben es in der Lesung gehört: Die Wüste und das
trockene Land sollen sich freuen, die Steppe soll jubeln und blühen. Und an anderer Stelle werden Schwerter zu
Pflugscharen, Lanzen zu Winzermessern. Schafe weiden bei Wölfen und Kinder
spielen am Schlupfloch der Natter. Aus Gestein und Wüstensand brechen Quellen
und frische Wasser tränken dürres Land.
Die Wüste, die blüht
und all die anderen Bilder der Sehnsucht sind adventliche Bilder, Bilder der
Erwartung, Bilder der Hoffnung, Sie meinen Leben, wo Tod ist; Frieden, wo Streit
ist; Vertrauen, wo Angst herrscht. Diese Bilder meinen Schutz in Bedrohung;
Trost in Not; Zuversicht in Ausweglosigkeit.
Ursehnsüchte
des Menschen drücken sich in diesen Bildern aus, die Sehnsucht nach Heilsein und
Angenommensein, die Sehnsucht nach Beheimatung und Geborgenheit.
Aber
klingen diese Verheißungen und Bilder nicht zu schön, um wahr zu sein? – Die
heile Welt: Ist sie nicht ein Wunsch, ein Traum, Utopie? – Freiheit,
Glück, Erfüllung: Die Politiker propagieren es. Die Werbung suggeriert es.
Aber wo gibt’s das wirklich, in Fülle, dauerhaft?
Freiheit, Gerechtigkeit, Frieden! - Sind wir nicht
Jahrhunderte nach diesen biblischen Verheißungen, diesen Trost- und
Sehnsuchtsbildern des Propheten Jesaja immer noch weit davon entfernt? Was hat
sich verändert?
Können wir angesichts des Bösen in der Welt,
angesichts des vielen Unheils noch an Gott, den Retter glauben und an Jesus, den
Heiland und Erlöser?
Allerdings, eins ist gewiss: was Jesaja angekündigt hat,
nämlich: „Gott selbst wird kommen und euch retten.“ Und weiter: „Dann werden die Augen der Blinden geöffnet, auch die Ohren der
Tauben sind wieder offen. Dann springt der Lahme wie ein Hirsch, die Zunge des
Stummen jauchzt auf.“
Das hat sich in Jesus erfüllt. Menschen haben
durch ihn Heil und Heilung erfahren.
Und, sehen Sie, liebe Schwestern und Brüder,
das ist auch die Antwort, die Jesus den Gesandten des Johannes
gibt, als sie fragen: „Bist du es, der da kommen soll
oder sollen wir auf einen anderen warten?“
Die Antwort Jesu ist kein direktes Ja oder Nein. Er
verweist vielmehr auf sein Tun, auf das, was alle hören und sehen können: „Blinde sehen, Lahme gehen, Aussätzige werden rein, Taube
hören, Tote stehen auf. Den Armen und Verachteten wird die Liebe Gottes
zugesagt.“
Jesus greift die biblischen Bilder
der Heilszeit auf. Sie sind Zeichen seiner göttlichen Sendung,
Erkennungszeichen.
Schon der Prophet Jesaja hat sie als Merkmale des
kommenden Messias verkündet.
Bei einem Bibelkreis sprachen wir einmal über das heutige
Evangelium. Jemand meinte: Wie schön, dass Jesus Wunder gewirkt hat. Aber warum
geschieht das heute nicht mehr?
Schön, dass Jesus Menschen geheilt hat: Blinde
sehen, Lahme gehen, Aussätzige werden rein, Taube hören... Aber wo gibt’s
denn das heute? Die erlöste Welt! Wo ist sie zu finden?
Wo ist Jesus mit seiner Macht, mit
seinem Erbarmen, mit seinem Heil heute? Was hat sich denn seit dem Kommen Jesu
in unserer Welt verändert?
Wir kamen dann in dem Bibelkreis
darauf, dass das letztlich eine Anfrage an uns Christen ist, wie wir seine
Botschaft der Liebe aufnehmen, wie wir sein heilendes und rettendes Erbarmen
umsetzen, wie wir weiterführen, was in ihm und mit ihm begonnen hat. An uns ist
es, sein Heilswerk fortzusetzen.
Dort, wo wir es tun, da, wo es geschieht, wird auch heute noch
erfahrbar, was Jesaja verheißen hat und was mit Christus begonnen hat. – Und
Wunder kann man dann auch heute noch erleben. Vielleicht so:
Blinde sehen:
Er kommt aus Rumänien und ist seit 6 Wochen auf
dem Bau.
Er wohnt mit 4 Mann auf einem Zimmer in einem abbruchreifen Haus. Als er bei der
Arbeit verunglückte, brachte ihn der Polier nach Hause. Als dieser seine Bude
sah, gingen ihm die Augen auf. Bald konnten die Vier umziehen. – Blinde
sehen!
Lahme gehen:
Er war so ein lahmer Typ. Nach Feierabend
interessierte ihn nichts, nur noch der Fernseher und sein bequemer Sessel. Dann
sprach ihn einer an, er sollte mitmachen bei einer Aktion für geistig behinderte
Kinder. Jetzt ist er jeden Abend auf den Beinen. Es macht ihm Spaß, sagt er. –
Lahme gehen!
Taube hören:
Ich wollte eine alte Frau besuchen. Man warnte
mich. Die redet wie ein Wasserfall. Ich nahm mir vor zuzuhören. Nach zwanzig
Minuten fragte sie: Warum sagen Sie denn nichts? Wir kamen in ein richtig gutes
Gespräch. – Taube hören!
Aussätzige werden rein:
Er ist Student. Eines Tages vermisst er sein
Handy.
Er verdächtigt einen Mitstudenten. Je mehr er ihn
daraufhin anschaut - die verschlossene Art, die vielen Komplexe - der ist sicher
der Dieb! Dann findet er daheim sein Handy wieder.
Doch immer, wenn sie sich begegnen, hält er ihn
weiterhin für einen möglichen Dieb. Er pflegt seine Vorurteile und kommt von
seinen Verdächtigungen nicht los. Eines Tages sollen sie gemeinsam etwas
ausarbeiten. Er lernt ihn näher kennen. Bald sind sie Freunde. – Aussätzige
werden rein!
Tote stehen auf:
Sie ist 17 und erwartet ein Kind. Sie macht einen
Selbstmordversuch. Im Krankenhaus lernt sie eine Schwester kennen. „Nicht die
Ärzte haben mich gerettet“, sagt sie. „Diese Frau ist einfach gut. Man
kann ihr vertrauen. Ich freue mich auf mein Kind.“ – Tote stehen auf!
Ist man ein Träumer, wenn man wünscht, dass so
etwas öfter geschieht? - Ist man ein Träumer, wenn man sich eine Welt wünscht,
wo man über tiefe Gräben Brücken baut und über Zäune sich die Hände reicht, eine
Welt, wo Feinde sich die Hände reichen, Gegner einen Weg zueinander suchen, wo
Herren und Knechte sich gemeinsam an einen Tisch setzen, eine Welt, wo die
Versöhnung lebt, wo man Arme um verängstigte Schultern legt und von weinenden
Augen die Tränen trocknet, eine Welt mit Menschen, die nicht hassen, sondern
lieben; nicht vergelten, sondern vergeben; nicht geizen, sondern schenken; nicht
strafen, sondern erlösen; nicht verwunden, sondern heilen.
Liebe Schwestern und Brüder!
Wo solches geschieht, da berühren sich Himmel und Erde, da
fängt die Wüste an zu blühen, da werden Nächte hell. Da löst sich Erstarrung, da
wächst aus Totem neues Leben.
Es gibt Dinge, die können ein ganzes Leben
verwandeln.
Und oft braucht es gar nicht viel dazu.
Oft genügt schon ein wenig Geduld, ein kleines
Entgegenkommen, ein unscheinbares Zeichen der Anteilnahme, ein bisschen mehr
Friede und weniger Streit, ein bisschen mehr Güte und weniger Neid, ein bisschen
mehr „Wir“ und weniger „Ich“.
Wo solches geschieht, da bereiten wir dem Herrn
den Weg.
Wo Menschen aus solchem Geist handeln, da
ereignet sich auch heute - oft verborgen und ganz alltäglich - Reich Gottes.
Da wohnt Gott schon in unserer Welt. Da schauen
wir heute schon sein Angesicht. Da geschieht Epiphanie, Erscheinung des Herrn.
Da wird sichtbar, dass Gott da ist.
„Wo die Güte und die Liebe, da ist Gott.“
Amen
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