Johannes sitzt im
Gefängnis. Er muss mit dem Schlimmsten rechnen.
Zweifel steigen in ihm
auf. Fragen setzen ihm zu. Er fühlt sich ratlos und hilflos.
Auf Jesus hat er
hingewiesen als den kommenden Erlöser. Und sich selbst sah er als seinen
Wegbereiter. Für ihn hat er Zeugnis abgelegt. Alles hat er darangegeben:
seine Kraft, sein Wort, seine Jünger... Jesus war die Hoffnung seines
Lebens.
„Er muss wachsen, ich
aber abnehmen!“
So verstand er sich. Darin
sah er seine Sendung.
Doch jetzt quält ihn die
Frage, ob er auf den Falschen gesetzt hat?
Was ist, wenn er sich in
Jesus getäuscht hat?
War dann nicht alles
umsonst?
Hat sich der ganze Aufwand
gelohnt und die Kraft seines Einsatzes?
In seinen Bußpredigten am
Jordan hat er den angekündigt, der das göttliche Strafgericht
vollziehen wird, der die Axt anlegt und die Wurfschaufel nimmt, der die
unfruchtbaren Bäume umhaut und die Spreu verbrennt.
Gott lässt nicht mit sich
spaßen! - Das war seine Botschaft.
Kein Drumrum-Reden. Eine
deutliche Sprache.
Kein Hängen des Fähnchens
in den Wind. Unerschrockenes Auftreten und konsequentes Eintreten für
die Sache Gottes.
Doch hat sich etwas getan,
hat sich was geändert? Wo ist etwas zu merken vom großen Umbruch? Von
einer Revolution Gottes keine Spur!
Im Gegenteil: Was
von Jesus zu ihm dringt, stimmt so gar nicht mit seinem Bild und seinen
Vorstellungen überein. Jesu Heilsbotschaft und seine Gerichtsbotschaft,
wie geht das zusammen?
Jesus zeigt sich anders
als erwartet:
Nicht als Rächer Gottes,
der mit Gewalt für Ordnung sorgt. Nicht als „Feuerrichter“, der hart
durchgreift, die Sünder an den Pranger stellt und die Feinde Gottes
niederstreckt. Nichts von all dem. Das macht unsicher, weckt Fragen,
nährt den Zweifel. Ein Gefühl der Enttäuschung macht sich breit.
Johannes hält es nicht
länger aus. Zu viel steht auf dem Spiel, sein ganzes Leben! Er weiß sich
nicht anders zu helfen als mit Jesus selbst in Kontakt zu treten. Voll
Ungeduld schickt er Boten und lässt ihn fragen:
„Bist du es, der
da kommen soll, oder müssen wir auf einen anderen warten?“
Das ist die Alternative,
klar und deutlich.
Doch Jesu Antwort
überrascht.
Er hält sich nicht
an das vorgegebene „Entweder-Oder“. Er sagt nicht direkt „ja“
oder „nein“. Er lässt
sich nicht in die Entscheidung zwischen nur zwei Möglichkeiten drängen.
Er versucht den Blick zu weiten für eine andere, neue Sicht.
Es passiert leicht und ist
eine Gefahr – nicht nur für einen, der hinter Schloss und Riegel sitzt –
, dass das Denken gleichsam hinter Gitter gerät, dass Vorstellungen in
engen Bahnen kreisen und Hoffnung sich tot läuft, weil sie sich nur noch
in einem ganz bestimmten, engen Rahmen bewegt.
Jesus versteht es
meisterhaft, Menschen einen neuen Blick zu geben und sie in einen
geweiteten offenen Raum hineinzustellen.
Diese Erfahrung versucht
er nun nicht nur dem gefangenen Johannes zu vermitteln, sondern auch
dessen Anhängern.
Er lässt sie nicht in der
Rolle, bloß Überbringer einer Frage und Boten einer Antwort zu sein.
Jesus lädt sie ein, die sichere Distanz neutraler Beobachter zu
verlassen. Er mutet ihnen zu, Zeugen zu werden.
Sie sollen sich selbst ein
Bild machen, sich eine eigene Überzeugung bilden. Und dabei sollen sie
weniger achten auf das, was er sagt, als viel mehr sich ansprechen
lassen, von dem, was er tut.
Und was erfahren die
Jünger des Johannes, wo sie sich selber ins Spiel bringen? – Sie sehen,
wie Jesus hilft und rettet, heilt und tröstet,
aufrichtet und vergibt,
Not wendet und zum Leben erweckt.
Jesus tut genau das, was
nach Jesaja der Messias beim Anbruch der Heilszeit tun wird:
„Blinde sehen, Lahme
gehen, Aussätzige werden rein, Taube hören, Tote stehen auf und den
Armen wird die frohe Botschaft verkündet.“
Die Boten des Johannes
erleben: der Gott, den Jesus in Wort und Tat verkündigt, ist ein
Gott, der sich niederbeugt zu denen, die sich nach Heil und Heilung
sehnen; ein Gott, der sieht, wo Menschen sich durch Ängste einengen; ein
Gott, der sich erbarmt; ein Gott, der ein Herz hat für die Elenden und
Schwachen.
„Selig ist“,
fügt Jesus hinzu, „wer an mir keinen Anstoß
nimmt!“
Selig ist, wer sich
von vorgefertigten Messiasvorstellungen lösen kann. Selig ist,
wer erkennt, dass Gott nicht gefürchtet werden muss, sondern als Vater
geliebt werden will. Selig ist, wer im gesandten
„Gottesknecht“ nicht einen Kämpfer mit Feuer und Schwert erblickt,
sondern einen Bruder der Menschen, der das geknickte Rohr nicht bricht
und den glimmenden Docht nicht auslöscht.
Wie mag dieses Zeugnis,
das die Boten dem Täufer ins Gefängnis bringen, bei ihm angekommen sein?
Ob Johannes zufrieden war
mit der Antwort, die er von Jesus erhielt?
Ob sie seine Zweifel
zerstreut hat?
Ob sie ihm half, seine
Krise zu meistern und seine Seelennot zu überwinden?
Ob er wieder inneren
Frieden gefunden hat?
Ob wieder Freude und Licht
in seine Zelle, in sein Eingeschlossen- und Gefangensein, in sein von
Fragen verdunkeltes Herz gedrungen ist?
„Blinde sehen wieder,
Lahme gehen, Aussätzige werden rein, Taube hören, Tote stehen auf und
den Armen wird die Frohe Botschaft verkündet.“
Das spricht für sich. Und
damit wird deutlich:
Ja, Jesus ist der, der
kommen soll.
Er erfüllt die
Verheißungen des alttestamentlichen Propheten.
Er ist der Messias - wenn
auch anders als erwartet.