Ein neues Kirchenjahr hat begonnen und
wieder einmal geht es mit raschen Schritten Weihnachten entgegen und das
Jahresende naht. Ich möchte die Gelegenheit nutzen und an alle denken,
die einen Platz in meinem Herzen haben.
Wenn ich auf das vergangene Jahr zurückblicke, dann stellt sich
in mir ein Gefühl tiefer Dankbarkeit und Freude ein. Ich
durfte viel Schönes und Beglückendes erleben. So erstaunt und ergreift
es mich immer wieder, wenn ich das wunderbare und gnadenhafte, Wirken
des Geistes Gottes im Verlauf von Exerzitien erlebe, wie sich –vor allem
bei Einzelexerzitien – bei dem, der sich einlässt und intensiv betend
mit dem Wort Gottes umgeht, der sich davon ansprechen und berühren
lässt, wie sich da immer wieder Erstaunliches tut, wie Läuterung
geschieht, Licht und Klarheit geschenkt wird, Leben sich ordnet und
wandelt, Versöhnung sich ereignet, Befreiung erfahren wird, Zuversicht
wächst und neue Anfänge möglich sind.
Ich bin dankbar, dass meine Hauptaufgabe nach wie vor in der
Exerzitienseelsorge besteht.
Mit Interesse, großem Engagement und viel Freude bin ich bei der Sache
und immer noch auch viel unterwegs. Nächstes Jahr verlagern sich die
Gewichte allerdings ein wenig. Etwa ein Drittel meiner Kurse werden dann
hier in Zell im „Haus der Begegnung“ (HdB) angeboten.
Innerlich bewegt und mitgenommen haben mich im zu Ende gehendem
Jahr kirchliche Ereignisse.
Mit unzähligen Menschen nahm ich teil am Leidensweg des alt und
gebrechlich gewordenen, gebeugt am Kreuz seiner Hinfälligkeit hängenden
Heiligen Vaters. An Ostern habe ich mit Bangen zu dem Sterbenskranken
nach Rom geschaut. Noch heute habe ich seinen stillen Segen „Urbi et
orbi“ vor Augen. Er brachte kein Wort mehr heraus und konnte nur noch
mit letzter Kraft die Hand zum Segen erheben. Das hat mich tief berührt
und innerlich ergriffen mehr als alle Enzykliken und Predigten. Seine
nachhaltigste Predigt, finde ich, war das Ertragen und Annehmen seiner
Gebrechlichkeit und zunehmenden Hilflosigkeit.
„Auch Christus ist nicht vom Kreuz gestiegen.“ Dieses Wort des
von Krankheit und Schwäche Gezeichneten ist mir haften geblieben. Über
Wochen hinweg verfolgte die Weltöffentlichkeit das Sterben eines großen
Dulders und Glaubenden. Ist da nicht ohne viel Worte offensichtlich und
deutlich geworden, dass Alter und Hinfälligkeit, Leid und Tod nicht
abgeschoben und verdrängt werden müssen, sondern dass es um die Würde
des Menschen geht in allen seinen Lebensphasen? Ich bin ganz sicher,
der leidende Papst hat vielen kranken und alten Menschen ein Beispiel
gegeben und Mut gemacht, wie er überhaupt 26 Jahre lang uns begleitet,
aufgerichtet, ermahnt und Hoffnung und Kraft gegeben hat.
Eines der ersten und programmatischen Worte des sehr dynamischen und
agilen Papstes aus Polen ist mir noch in Erinnerung: „Fürchtet euch
nicht! Öffnet die Tore weit für Christus!“ Und eines seiner letzten
Worte war: „Ich bin froh, seid ihr es auch!“
Überaus beeindruckt haben mich die mehr als vier Millionen
Menschen, die nach seinem Tod nach Rom gepilgert sind, um im
stundenlangen Stehen in der Warteschlange Abschied zu nehmen von dem,
den sie verehrt und ins Herz geschlossen hatten, zu dem sie aufgeschaut
und dem sie vertraut hatten. Dieser Papst hat eine ganze Epoche geprägt
und nicht nur Kirchengeschichte geschrieben, sondern auch Weltgeschichte
beeinflusst.
Zu Herze gehend war für mich die Begräbnisfeier mit
der Ansprache von Kardinal Ratzinger. So etwas hatte die Welt noch nicht
erlebt: das größte Requiem aller Zeiten und vielleicht auch das
eindrucksvollste. Neben rund 200 Staatsoberhäuptern und Regierungschefs,
Königinnen und Königen, dem Generalsekretär der Vereinten Nationen waren
auffällig viele Vertreter zahlreicher Kulturen und anderer Religionen
anwesend, viele Muslime und Juden, Hindus, Skis und Buddhisten, wie sie
sich einst zu den großen Friedensgebeten in Assisi getroffen hatten.
Ich sehe heute noch den schlichten Zypressensarg und auf ihm das
aufgeschlagene Evangelienbuch, wie die Seiten hin und her geweht und
durchgeblättert wurden, bis es zuklappte, ein Bild von dichter,
wahrhaftiger Symbolik. Ich sehe auch noch die „Santo subito“
Transparente auf dem Petersplatz. Sie dürften, wenn nicht alles täuscht,
bald erhört werden. Ein ökumenisches Signal besonderer
Art: Der evangelische Prior von Taize, Roger Schutz, empfing im
Rollstuhl die hl. Kommunion aus der Hand von Kardinal Joseph Ratzinger.
Das hat mich gefreut und es macht mir Hoffnung, dass auf dem Weg zur
Einheit im Glauben doch noch manches möglich ist.
Stark berührt haben mich die Worte von Kardinal Ratzinger am Ende seiner
Predigt.
Da lenkte er die inneren Augen der Menschen nach oben. Er sagte: „Wir
können sicher sein, dass unser geliebter Papst jetzt am Fenster im Haus
des Vaters steht, uns sieht und uns segnet.“ Dann redete er den
verstorbenen Papst direkt an: „Ja, segnen Sie uns, Heiliger Vater!
Deine liebe Seele vertrauen wir der Mutter Gottes an, deiner Mutter, die
dich Tag für Tag geleitet hat und dich jetzt zur Herrlichkeit deines
Sohnes führen wird, zu Jesus Christus, unserem Herrn.“
Dann kam die Zeit des Konklave und das Warten auf den
weißen Rauch und das Glockengeläut. Wieder waren die Augen der
Weltöffentlichkeit auf Rom gerichtet. Mit vielen war auch ich gespannt.
Das „Habemus papam“ erfuhr ich dann bei Meditationsexerzitien in der
Schweiz. Ich war nicht wenig überrascht, denn bisher galt, wer als Papst
ins Konklave einzieht, kommt als Kardinal wieder heraus. Das war diesmal
nicht der Fall. Doch keine Regel ohne Ausnahmen. Ich habe mich gefreut,
nicht nur weil es ein Deutscher war, den das Kardinalskollegium gewählt
hatte, sondern weil mir sofort klar war, dass Kardinal Joseph Ratzinger
als oberster Pontifex = Brückenbauer ganz anders agieren
und sich verhalten könne, als in seinem Amt vorher, wo er als oberster
Glaubenswächter manchmal auch durchgreifen oder Einhalt gebieten musste
und deshalb autoritär, hart und streng wirkte. Aber wie viel hat er auch
abgekriegt und einstecken müssen.
Auf mich hat er bei seinem ersten Auftreten und Segenspenden auf der
Loggia wie befreit gewirkt. Der neu Gewählte, ein sonst eher verhalten
und scheu wirkender Mensch, strahlte Freude und Heiterkeit aus.
Natürlich waren die alten Bedenkenträger und Ladenhüter der
Kirchenkritik nach der Wahl mit ihren Warnungen, Ratschlägen und
besserwisserischen Kommentaren sofort gefragt und zur Stelle. Keine
Talkshow ohne Drewermann, Hasenhüttel, Küng, Heiner Geißler,
Ranke-Heinemann und wie sie alle heißen, die gebetsmühlenartig nur auf
den üblichen Reizthemen herumreiten, der Kirche gern die Leviten lesen
und ständig alles mies reden. Doch manche Vorurteile über J. Ratzinger
wird man wohl korrigieren müssen. „Wo haben wir in der Kirche Leute,
die mit Jürgen Habermas diskutieren oder in die Academie Francaise
aufgenommen werden“ fragte nach der Wahl zurecht Bischof Karl
Lehmann. Inzwischen hat der neue Papst auch ein vierstündiges Gespräch
mit Hans Küng geführt, von dem dieser selbst sagte, es sei nicht nur
freundlich, sondern freundschaftlich gewesen.
Der münsteraner Theologe J. B. Metz sagte: „Joseph Ratzinger
ist kein Fundamentalist, denn Fundamentalismus ist ein Zeichen der
Dummheit.“ Ohne Zweifel ist J. Ratzinger einer der größten
christlichen Gelehrten, einer der brilliantesten Intellektuellen, ein
ausgezeichneter Analytiker, einer der klügsten Köpfe, hochintelligent
und gebildet, aber auch ein sehr aufmerksamer Beobachter und guter
Zuhörer, nah bei den Menschen, ihren Freuden und Leiden, Sorgen und
Hoffnungen. Vor allem hat er eine große geistliche Tiefe und ist ein
durch und durch spiritueller Mensch. Dazu sehr bescheiden, ja demütig
und in der persönlichen Begegnung überaus liebenswürdig. Was wollen wir
mehr. Ich jedenfalls bin zuversichtlich. Einen Besseren hätte man wohl
kaum finden können. Der Hl. Geist war während des Konklave nicht in
Ferien, wie manche meinten. Auch Johannes XXIII. galt nur als
Übergangspapst und für welche Überraschungen hat er gesorgt!
Die Erwartungen waren und sind natürlich immens hoch.
Manche haben auch die Vorstellung als könne der Papst alles von heute
auf morgen ändern. Das ist ein populäres Missverständnis.
Jeder Papst ist verwiesen auf die kirchliche Tradition, ist Teil eines
Bischofskollegiums, repräsentiert eine Weltkirche und ein Sechstel der
Erdbevölkerung. Und unsere deutsche Perspektive ist oft sehr eng und
einseitig.
Mit dem langjährigen engsten Mitarbeiter des verstorbenen Papstes haben
die Kardinäle Kontinuität und Prinzipienfestigkeit
gewählt. Der neue Papst wird dort weitermachen - ohne zu kopieren,
sondern auf seine Art - wo sein Vorgänger aufgehört hat. Er wird ein
unbequemer Mahner sein müssen, wenn es um die Werte und die Würde des
Menschen geht, die oft angezweifelt oder relativiert werden oder um
falsche Anpassung an den Zeitgeist. Ein bloßes „Weiter so“ dürfte es mit
dem neuen Papst allerdings auch nicht geben. Er wird neue Akzente
setzen. Das ist gleich zu Anfang in der Liturgie seiner Amtseinführung
deutlich geworden.
Ein Schwerpunkt dieses Pontifikates dürfte die Ökumene
werden. Benedikt XVI. sucht den Dialog, die Begegnung. Er will
zusammenführen, Einheit stiften, Frieden schaffen.
Die Zeit für Benedikt XVI dünkt mir günstig. Wenn nicht alles täuscht,
gibt es eine Wiederkehr des Religiösen, eine Sehnsucht nach
Transzendenz. Es geht dem neuen Papst um eine Revitalisierung des
Glaubens. Ob allerdings die Kirche vor Ort und im Alltag diese
Chancen nutzt und davon profitiert ist eine andere Frage. Möge Gott
jedenfalls dem neuen Papst viel Kraft geben und ihm beistehen in der
Ausübung seines schweren Amtes, das er mit 78 Jahren noch auf sich
genommen hat. Es ist ja nicht nur Würde, sondern auch eine große Bürde.
Sehr betroffen gemacht hat mich auch der gewaltsame Tod von Roger
Schutz, des Priors von Taize, der während des Weltjugendtages
geschah. Dass ausgerechnet der Mann, der sich wie kaum jemand sonst für
Frieden und Versöhnung eingesetzt hat, auf diese Weise ums Leben kommen
musste? Gottes Wege sind manchmal sehr geheimnisvoll. Ich war öfters in
Taize mit Jugendgruppen von Werne und Reute aus. Und singe in
Gottesdiensten gern und oft Taizelieder. Interessant, dass der
Begräbnisgottesdienst auf Wunsch der Brüder von Taize oder sogar des
Verstorbenen im katholischen Ritus unter Leitung von Bischof Walter
Kasper vollzogen wurde. Interessant auch, dass der Nachfolger von Roger
Schutz und Vorsteher dieser ökumenischen Mönchsgemeinschaft jetzt ein
Katholik und ein Deutscher ist.
Dann kam im August der Weltjugendtag in Köln, noch einmal
ein kirchliches Großereignis, das zumindest hier zu Lande auch ein
Medienereignis war. (Wann gab es das schon, dass Kirchliches so sehr wie
in diesem Jahr die Nachrichtensendungen beherrschte, im Mittelpunkt des
Medieninteresses war und Zeitungen, die sonst gerade mal an den großen
Festen was Religiöses bringen, ganze Seiten freiräumten?) Es war ein
Glaubensfest, fröhlich und innig zugleich. Sofort nach seiner Wahl sagte
der neue Papst im Blick auf den WJT in Köln: „Ich komme.“ Und er,
der in seinem vorigen Amt nie Applaus, sondern meist Hiebe und Häme
geerntet hatte, erlebte von einer Million junger Menschen ein überaus
herzliches Willkommen, Offenheit, ehrfurchtsvolles Zuhören,
Wertschätzung, ja jugendliche Begeisterungsstürme. Schon in der Feier
seiner Amtseinführung sagte er an die jungen Menschen gewandt: „Wer
Christus in sein Leben einlässt, dem geht nichts verloren, was es frei,
schön und groß macht. Habt keine Angst. Er nimmt nichts und er gibt
alles. In seiner Freundschaft findet ihr das wirkliche Leben.“
In Köln kamen hunderttausende junge Menschen zusammen, die sich zum
Glauben bekennen, ihn zu leben versuchen und dafür auch manche Strapazen
auf sich nehmen. Verloren geglaubte Gebets- und Andachtsformen, die
eucharistische Anbetung oder der Kreuzweg, auch das Bußsakrament fanden
reichlich Interesse. Die Frage ist: Wie wird es weiter gehen? Wird es
einen Aufbruch geben, neuen Elan, einen frischen Wind? Das hängt sicher
auch von den haupt- und ehrenamtlichen Vertretern der Kirche ab, wie sie
dieses hoffnungsvolle Potential zu nutzen verstehen. Werden wir bereit
und fähig sein, auf dem guten Weg weiterzugehen, den der Weltjugendtag
gezeigt hat?
Der stumme Ostersegen von Papst Johannes Paul II., die Millionen Pilger
in Rom, das Requiem auf dem Petersplatz, das Konklave, die
Amtseinführung des neuen Papstes, der Weltjugendtag in Köln: Die Bilder
dieser Feiern und Ereignisse haben in Verbindung mit den liturgischen
und biblischen Texten und Ansprachen auf mich einen mächtigen Eindruck
hinterlassen und sind mir nahe gegangen, haben mich auch gestärkt und
froh gemacht. „Die Kirche lebt. Und die Kirche ist jung“, sagte
Papst Benedikt am Sonntag nach seiner Amtseinführung. Das ist genau das,
was man in diesem Jahr in der Stadt der Päpste und in Köln, dem
deutschen Rom, sehen und erleben konnte.
Ich muss sagen: Es ist schön, glauben zu können. Es ist schön,
katholisch zu sein.
„Wenn Gott für mich ein Mensch würde,
dann würde ich ihn lieben – ihn ganz allein.
Dann wären Bande zwischen ihm und mir, und für das Danken reichten alle
Wege meines Lebens nicht. Ein Gott, der Mensch würde, gebildet aus
unserem liebenswert elenden Fleisch – ein Gott, der erfahren wollte, wie
der Salzgeschmack auf unserer Zunge schmeckt, wenn alles uns verlassen
hat. Ein Gott, der das Leid auf sich nähme, das ich heute leide – Wenn
Gott für mich Mensch würde, dann würde ich ihn lieben.“ (Jean Paul
Sartre, ungläubiger Philosoph)
Gott ist Mensch geworden, einer von uns, unser Bruder, in Jesus.
Karl Rahner sagt: „Er ist gekommen. ER hat die Nacht
hell gemacht. Er hat die Nacht unserer Finsternis, die Nacht unserer
Unbegreiflichkeiten, die grausame Nacht unserer Ängste und
Hoffnungslosigkeiten zur Weihnacht, zur heiligen Nacht gemacht. Gott hat
sein letztes, sein tiefstes, sein schönstes Wort in die Welt
hieneingesagt. Und dieses Wort heißt: Ich liebe dich, du Welt und du
Mensch.“
Von Herzen wünsche ich ein gnadenreiches Fest der Menschwerdung unseres
Gottes,
Viel Licht und Hoffnung, viel Kraft und frohen Mut!
Und für´s Neue Jahr Gesundheit und Zufriedenheit und vor allem:
Gottes Schutz und Segen!
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