Vor
langer, langer Zeit, als die große Kathedrale gebaut wurde, kam ein
unbekannter Handwerker zum Meister der Bauhütte und fragte, ob er seine
Handwerkskunst einsetzen dürfe. Steinmetze hätten sie genug, sagte der
Baumeister und wollte den Fremden abweisen. Er wolle doch keine Steine
behauen, sagte der Fremde, sondern er bitte um die Erlaubnis, eines der
bunten Glasfenster gestalten zu dürfen. Wenn es sein müsse, zur Probe,
sogar ohne Bezahlung. Da willigte der Baumeister ein, auch wenn er
vermutete, dass am Ende das Glas des Fremden wieder werde herausbrechen
müssen, um die Arbeit von einem anderen Fachmann ausführen zu lassen.
In den
folgenden Wochen kümmerte sich niemand mehr um den fremden Handwerker.
Monatelang arbeitete er in einem provisorischen Verschlag, bis sein
Fenster fertig war. Dann kam der Tag, der ans Licht brachte, was so
lange im Verborgenden geschaffen worden war: ein Kirchenfenster von
unbeschreiblicher Schönheit, mit solch glühenden Farben, wie es niemand
zuvor gesehen hatte, prächtiger als alle anderen Fenster der Kathedrale.
So einzigartig war das Fenster in seiner Leuchtkraft, dass Menschen von
nah und fern kamen, um es anzuschauen.
„Aber
woher hast du all das wunderbare, leuchtende Glas?“, fragte der
erstaunte und zugleich begeisterte Baumeister den Handwerker. Und der
Fremde sagte: „Ach, ich fand hier und da ein Stück in der Nähe der
anderen Werkstätten. Das Fenster ist gemacht aus den Glasresten, die von
den anderen als unbrauchbar weggeworfen wurden.“
in
„Aufbruch für die Seele“, @ 2021 - St. Benno Verlag |