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„Haben wir
schon einmal geschwiegen, obwohl wir uns verteidigen wollten, obwohl
wir ungerecht behandelt wurden?
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Haben wir schon
einmal verziehen, obwohl wir keinen Lohn dafür erhielten und man das
schweigende Verzeihen als selbstverständlich annahm?
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Haben wir schon
einmal gehorcht, nicht weil wir mussten und sonst Unannehmlichkeiten
gehabt hätten, sondern bloß wegen jenes Geheimnisvollen,
Schweigenden, Unfassbaren, das wir Gott und seinen Willen nennen?
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Haben wir schon
einmal geopfert, ohne Dank, Anerkennung, selbst ohne das Gefühl
einer inneren Befriedigung?
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Waren wir schon
einmal restlos einsam? Haben wir uns schon einmal zu etwas
entschieden, rein aus dem innersten Spruch unseres Gewissens heraus,
dort, wo man es niemand mehr sagen, niemand mehr klarmachen kann, wo
man ganz einsam ist und weiß, dass man eine Entscheidung fällt, die
niemand einem abnimmt, die man für immer und ewig zu verantworten
hat?
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Haben wir schon
einmal versucht, Gott zu lieben, dort, wo keine Welle einer
gefühlvollen Begeisterung einen mehr trägt, wo man sich und seinen
Lebensdrang nicht mehr mit Gott verwechseln kann, dort, wo man meint
zu sterben an solcher Liebe, wo sie erscheint wie der Tod und die
absolute Verneinung, dort, wo man scheinbar ins Leere und gänzlich
Unerhörte zu rufen scheint, dort, wo es wie ein entsetzlicher
Sprung ins Bodenlose aussieht, dort, wo alles ungreifbar und
scheinbar sinnlos zu werden scheint?
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Haben wir einmal eine
Pflicht getan, wo man sie scheinbar nur tun kann mit dem
verbrennenden Gefühl, sich wirklich selbst zu verleugnen und
auszustreichen, wo man sie scheinbar nur tun kann, indem man eine
entsetzliche Dummheit tut, die einem niemand dankt?
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Waren wir einmal gut
zu einem Menschen, von dem kein Echo der Dankbarkeit und des
Verständnisses zurückkommt?
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Suchen wir die
eigenen Erfahrungen, wo gerade uns so etwas passiert ist. Wenn wir
solche finden, haben wir die Erfahrung des Geistes gemacht, die
Erfahrung, dass der Sinn des Menschen nicht im Sinn und Glück dieser
Welt aufgeht, die Erfahrung des Wagnisses und des abspringenden
Vertrauens.“
Karl Rahner
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