Exerzitien mit P. Pius

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Das Wunder der Vergebung

Die beiden Reisenden im Zugabteil saßen sich schon lange gegenüber. Der eine jung, mit einem schäbigen Koffer in der Ablage. Der andere bedeutend älter, gut gekleidet.

Ihre Blicke gingen zwischendurch immer wieder zum Fenster hinaus, wenn die Landschaft wechselte. Schon über eine Stunde saßen sie sich gegenüber und hatten noch kein Wort gewechselt.

 

Der Zug ratterte über eine Brücke. Tief unten schlängelte sich ein Fluss. Dann kam ein letzter Anstieg. Die Fahrt wurde etwas langsamer. Erst als es in die Ebene hinunterging, legte er an Geschwindigkeit zu. Dörfer kamen in Sicht und Straßen. Und jedes Mal, wenn sich Straße und Schienen näher kamen, konnte man sogar die Schilder lesen.

„Nur noch 20 Meilen bis Stockton“, entfuhr es dem Jüngeren. Und wenn gleich er sich dabei auf die Lippen biss, als hätte er Unstatthaftes gesagt, war der Bann gebrochen.

 

Der Ältere lächelte: „Ich komme leider zu selten in diese Gegend. Stockton kenne ich deshalb nicht. Aber sie werden mir vielleicht davon erzählen.“

Längst hatte er gespürt, dass sein Gegenüber unruhiger geworden war, je weiter der Zug in die Ebene hineinfuhr. Jetzt fing der Jüngere zu erzählen an. Er machte nur kurze Pausen.

 

Stockton war seine Heimat. Mehrerer Jahre war er nicht mehr dort gewesen. Seit jenem Tag, als er ins Gefängnis musste. Das lag jetzt hinter ihm. Viel schwerer aber wog, dass er mit seiner Verurteilung Schande über seine Familie gebracht hatte. Nur selten hatte man ihm geschrieben, nie ihn besucht. Ob sie ihm jetzt verzeihen würden? Sonst wollte er am liebsten gar nicht heimkommen, sondern weiterfahren, immer weiter.

Er hatte seinen Eltern einen Brief geschrieben. Sie sollten ihm ein Zeichen geben. Und wenn sie ihn wieder aufnehmen wollten, sollten sie einfach in den Baum vor dem Haus ein weißes Band flechten. Andernfalls nichts tun, gar nichts. Auch das würde ihm viel sagen, furchtbar viel. – Das war gut gedacht. Denn das Haus lag einige hundert Meter vor dem Bahnhof.

Ohne weißes Band am Baum würde er erst gar nicht aussteigen müssen.

 

Die Spannung im Abteil stieg. Stockton kam unaufhaltsam näher. Schon verlangsamte der Zug seine Fahrt. Der junge Mann vergrub sein Gesicht in den Händen. Der Ältere starrte aus dem Fenster. – Dann ging ein Lächeln über sein Gesicht. Das, was er draußen sah, musste der Baum sein. Er sah auf den Jüngeren, der immer noch die Hände vor seinem Gesicht hatte. Er legte ihm die Hand auf die Schulter: „Jetzt müssen Sie hinschauen. Es ist alles in Ordnung. Der Baum hängt voller weißer Bänder.“

Jetzt wagte auch der Jüngere den Blick nach draußen und sah den prächtig geschmückten Baum, zig Willkommensgrüße.

„Das ist ein Wunder!“, entfuhr es ihm. Es war auch eines, ein Wunder der Vergebung.

Dann drückte er dem Älteren die Hand und ließ sie nicht los bis die Bremsen quietschten. Jetzt erst packte er seinen armseligen Koffer und stürzte mit leuchtenden Augen aus dem Zug.

 

     (Quelle: unbekannt)   

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