Es war
schon Mitte Februar, und immer noch lag eine dicke Schneedecke über den
Fluren. Aber diejenigen, die glaubten, die Natur sei in Leblosigkeit
erstarrt, täuschten sich sehr. Denn unter der Erde war mancherlei im
Gange. Genauer gesagt sogar eine kleine Revolution.
Denn die
dicken runden Tulpenzwiebeln, die ans Licht kommen wollten, hatten
plötzlich keine Lust mehr zu warten. Voll Ungeduld empörten sie sich
über den hartnäckigen Schnee, den ihrer Meinung nach viel zu mächtigen
Mann, dessen Unterdrückung wieder einmal die armen Frauen ausgesetzt
seien.
„Lasst
uns zusammenstehen", riefen sie sich gegenseitig zu, „dann werden wir
ihm schon zeigen, wer die Macht hat." Und alle trafen ihre
Vorbereitungen für den geplanten Aufstand.
Nur ein
einziges Zwiebelchen, das viel kleiner und schwächer war als die
anderen, stimmte dagegen.
„Warten
ist doch keine verlorene Zeit", wagte es einzuwenden, „es ist nur eine
der schwersten Aufgaben. Aber wenn wir sie meistern und dabei geduldig,
beharrlich und zuversichtlich werden, ist es doch eine sehr heilsame
Übung, um die Dunkelheiten zu ertragen, unser Durchhaltevermögen zu
stärken und unseren Willen zu festigen für unseren Aufbruch zum Licht."
„Armes
Kind", sagten die anderen mitleidig lächelnd zu dem kleinen Zwiebelchen,
„dir scheint es an Konfliktbewusstsein zu mangeln. Gegen solche
Machthaber wie den Schnee muss man einfach aggressiv werden. Du siehst
doch, dass er uns Schwachen mit seiner männlichen Überheblichkeit keine
Chance lässt. Durch Anpassung wirst du wohl nie etwas erreichen."
Aber das
Zwiebelchen blieb bei seiner Überzeugung: Wer wachsen und blühen will,
braucht dazu Frieden und Harmonie. Gewalt wäre der falsche Weg.
Und so
versuchte es, den Unbeliebten einmal recht freundlich anzusprechen: „Ich
kann dich gut verstehen", sagte es zum Schnee, „dass dir der Abschied
von der Erde schwerfällt, die du so treu vor der strengen Kälte
beschützt hast. Aber alles hat seine Zeit.“
„Und
Undank ist der Welt Lohn", brummte der Schnee. „Sowie ich verschwunden
sein werde, wird keiner mehr an mich denken.“
„Wenn ich
erst blühen darf“, antwortete das Zwiebelchen, „will ich zum Dank deinen
Namen annehmen, so dass du noch lange in Erinnerung bleiben wirst.“
„Aber mit
euren grellen Farben, diesen leuchtend roten und gelben, ihr eitlen
Frühlingszwiebeln, werdet ihr mein schlichtes Weiß einfach in den
Schatten stellen. Arm und einsam werde ich sein, und nicht einmal mehr
die Kinder werden mich lieben."
„So will
ich, wenn ich blühen darf, gerne deine weiße Farbe annehmen", sagte das
Zwiebelchen bescheiden. „Es wird ein schönes Zeichen unserer Harmonie
sein.“
Darüber
war der Schnee so gerührt, dass er zu schmelzen begann. Und genau an der
Stelle, an der sich das Zwiebelchen aus der Erde hervorwagte, wich er
aus freiem Willen ein wenig zurück.
„Seht mal
dort", sagten die Menschen zueinander, „das erste Schneeglöckchen!“ Und
sie freuten sich über alle Maßen. – Die Tulpen aber mussten noch lange,
lange warten.
Elli
Michler
Aus: Elli Michler, Lass der Seele ihre Träume, Begegnungen mit der
Natur,
©Don Bosco Verlag, München |