geistliche Impulse

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Bildmeditation

von P. Pius Kirchgessner, OFMCap

 

Jesus und Zachäus

Meditation zu einem Bild von Sieger Köder; Lk 19, 1 – 10

 

Unruhe, Erregung, ja Aufruhr zeigt das Bild von Sieger Köder in der unteren Bildhälfte. Geballte Emotionalität. Hochrote Köpfe. Entsetzen und Zorn in Gestik und Mimik.

Aufgeregt und empört diskutieren die einen, vorwurfsvoll dozieren und tuscheln die anderen. Mehrere Zeigefinger sind erhoben, belehren, drohen, wollen treffen. Eine Faust ist geballt und hoch erhoben, bereit zuzuschlagen und draufzuhauen.

 

Was mag diese Menschen – allesamt Männer – so in Wallung bringen?

Einer – am rechten Bildrand – schaut ganz entsetzt. Er kann kaum glauben, was er sieht. Wie gelähmt hält er die Hand vor den Mund: „Es ist nicht zu fassen.“ „Hast du da noch Worte?“

Zwei darunter stehen dicht beieinander, scheinen zu konspirieren, anzurechnen, abzurechnen: „der da“, „gerade der“, „hör bloß auf“, „ich kann dir sagen“, „das darf doch nicht wahr sein“, „so geht’s nicht“, „unmöglich“, „alles, was Recht ist“.

Einer – am linken Bildrand – schiebt seinen Unterkiefer nach vorne und zeigt seine Zähne. Erbost hat auch er die Faust geballt.

Neben ihm tippt sich einer an die Schläfe: „Der hat doch ne Meise“, „der tickt nicht mehr richtig“, „der hat nicht mehr alle Tassen im Schrank“.

Die beiden unten in der Mitte: Der Rechte mag ein weltlicher Intellektueller sein, der Linke ein Geistlicher. Sie schreien und toben nicht. Sie sprechen eher leise. Doch sind sie sich einig. Sie wissen, was sich gehört, was sein darf und nicht sein darf. Auch hier regiert der ausgestreckte Zeigefinger.

Wut-Bürger sind sie alle. Die einen schäumen und drohen, die anderen gestikulieren und moralisieren.

 

Das Ganze geschieht vor einem Haus, dessen Eingang von zwei Bäumen gesäumt wird. Und wir sehen, was die Männer in der unteren Bildhälfte so entsetzt und empört, ärgert und wütend macht: „Bei einem Sünder ist er eingekehrt!“

 

Wenn einer in ihren Augen ein „Sünder“ ist, wenn jemand in diese Kategorie passt, dann der Oberzöllner von Jericho, Zachäus.

Er paktiert mit dem römischen Feind. Er kollaboriert mit den verhassten Besatzern. Und ein Gauner ist er obendrein, ein Schuft, ein stadtbekannter Betrüger. Knallhart schröpft er seine Landsleute, zockt sie ab nach Strich und Faden. Gewissenlos wirtschaftet er in seine eigene Tasche. Reich ist er dabei geworden, stinkreich.

Aber auch ein Gemiedener, einer, mit dem man nichts zu tun haben will, einer, um den man einen Bogen macht, einer, in dessen Nähe man ausspuckt, zumindest seelisch, einer, auf den man verächtlich herabschaut. Einerseits ein - wegen seiner Machtbefugnisse - Gefürchteter, andererseits ein Außenseiter, isoliert und einsam.

 

Der Maler zeigt den aufregenden Moment unmittelbar vor der Haustür des Zachäus, der – wie es heißt – klein war von Gestalt und auch auf unserem Bild Jesus gerade mal bis zur Schulter reicht.

Ein spannender Augenblick: Jesus und Zachäus. Beide umarmen sich. „Heute muss ich in deinem Haus zu Gast sein!“ hatte Jesus zu ihm gesagt, als er ihn auf dem Maulbeerfeigenbaum sah. Da ist er schnell heruntergestiegen. Und jetzt nimmt er Jesus freudig bei sich auf.

Jesus, der bei ihm einkehrt, Jesus bei ihm zu Gast, Jesus, der mit ihm isst und trinkt. Was für ein glückliches Ereignis! Welche Seligkeit! Es ist für Zachäus nicht zu fassen, kaum zu glauben. Er erfährt – vielleicht zum ersten Mal in seinem Leben – vorbehaltlose Liebe, uneingeschränkte Bejahung, unbedingtes Angenommensein.

 

Das macht was mit ihm. Die Begegnung mit Jesus, seine vorbehaltlose Annahme bewirkt große Freude und Dankbarkeit in seinem Herzen. Aber auch Wandlung und Umkehr. Vielleicht drückt das Violett der Ärmel des Zachäus dessen Reue aus, seinen Willen sich zu ändern, seine Bereitschaft zu teilen und wieder gut zu machen. Sein Blick in den Armen Jesu ist jedenfalls beschwörend und versprechend.

 

Jesus glaubt Zachäus. Er schenkt ihm seine Nähe. Und so kann er zu ihm sagen – aber auch als Antwort auf den Protest seiner Gegner: „Heute ist diesem Haus Heil geschenkt, weil auch dieser Mann ein Sohn Abrahams ist.“

 

Das ist das Neue, das Beglückende und Befreiende, das mit Jesus in die Welt gekommen ist: die Liebe Gottes, sein überreiches Erbarmen, seine Gnade.

 

Dass aber seine Zuwendung und seine Liebe auch Sündern gilt, dass er mit solchem „Gesindel“ sich sogar an einen Tisch setzt und mit ihnen Mahl hält, das geht denen, die sich selbst für gerecht halten, völlig gegen den Strich. Das ist in ihren Augen ein empörendes Ärgernis, ein Skandal.

 

Am Schluss fasst Jesus seine Sendung zusammen und begründet seine Haltung und sein Handeln in dem programmatischen Satz: „Denn der Menschensohn ist gekommen, um zu suchen und zu retten, was verloren war.“