Unruhe, Erregung, ja Aufruhr zeigt das Bild von
Sieger Köder in der unteren Bildhälfte. Geballte
Emotionalität. Hochrote Köpfe. Entsetzen und Zorn in
Gestik und Mimik.
Aufgeregt und empört diskutieren die einen,
vorwurfsvoll dozieren und tuscheln die anderen.
Mehrere Zeigefinger sind erhoben, belehren, drohen,
wollen treffen. Eine Faust ist geballt und hoch
erhoben, bereit zuzuschlagen und draufzuhauen.
Was mag diese Menschen – allesamt Männer – so in
Wallung bringen?
Einer
– am rechten Bildrand – schaut ganz entsetzt. Er
kann kaum glauben, was er sieht. Wie gelähmt hält er
die Hand vor den Mund: „Es ist nicht zu
fassen.“ „Hast du da noch Worte?“
Zwei
darunter stehen dicht beieinander, scheinen zu
konspirieren, anzurechnen, abzurechnen: „der da“,
„gerade der“, „hör bloß auf“, „ich kann dir sagen“,
„das darf doch nicht wahr sein“, „so geht’s nicht“,
„unmöglich“, „alles, was Recht ist“.
Einer
– am linken Bildrand – schiebt seinen Unterkiefer
nach vorne und zeigt seine Zähne. Erbost hat auch er
die Faust geballt.
Neben ihm
tippt sich einer an die Schläfe: „Der hat doch ne
Meise“, „der tickt nicht mehr richtig“, „der hat
nicht mehr alle Tassen im Schrank“.
Die beiden
unten in der Mitte: Der Rechte mag ein weltlicher
Intellektueller sein, der Linke ein Geistlicher. Sie
schreien und toben nicht. Sie sprechen eher leise.
Doch sind sie sich einig. Sie wissen, was sich
gehört, was sein darf und nicht sein darf. Auch hier
regiert der ausgestreckte Zeigefinger.
Wut-Bürger
sind sie alle. Die einen schäumen und drohen, die
anderen gestikulieren und moralisieren.
Das Ganze
geschieht vor einem Haus, dessen Eingang von zwei
Bäumen gesäumt wird. Und wir sehen, was die Männer
in der unteren Bildhälfte so entsetzt und empört,
ärgert und wütend macht: „Bei einem Sünder ist er
eingekehrt!“
Wenn einer
in ihren Augen ein „Sünder“ ist, wenn jemand in
diese Kategorie passt, dann der Oberzöllner von
Jericho, Zachäus.
Er paktiert mit dem römischen Feind. Er kollaboriert
mit den verhassten Besatzern. Und ein Gauner ist er
obendrein, ein Schuft, ein stadtbekannter Betrüger.
Knallhart schröpft er seine Landsleute, zockt sie ab
nach Strich und Faden. Gewissenlos wirtschaftet er
in seine eigene Tasche. Reich ist er dabei geworden,
stinkreich.
Aber auch
ein Gemiedener, einer, mit dem man nichts zu tun
haben will, einer, um den man einen Bogen macht,
einer, in dessen Nähe man ausspuckt, zumindest
seelisch, einer, auf den man verächtlich
herabschaut. Einerseits ein - wegen seiner
Machtbefugnisse - Gefürchteter, andererseits ein
Außenseiter, isoliert und einsam.
Der Maler
zeigt den aufregenden Moment unmittelbar vor der
Haustür des Zachäus, der – wie es heißt – klein war
von Gestalt und auch auf unserem Bild Jesus gerade
mal bis zur Schulter reicht.
Ein spannender Augenblick:
Jesus und Zachäus. Beide umarmen sich. „Heute
muss ich in deinem Haus zu Gast sein!“ hatte
Jesus
zu ihm gesagt, als er ihn auf dem Maulbeerfeigenbaum
sah. Da ist er schnell heruntergestiegen. Und jetzt
nimmt er Jesus freudig bei sich auf.
Jesus,
der bei ihm einkehrt, Jesus bei ihm zu Gast, Jesus,
der mit ihm isst und trinkt. Was für ein glückliches
Ereignis! Welche Seligkeit! Es ist für Zachäus nicht
zu fassen, kaum zu glauben. Er erfährt – vielleicht
zum ersten Mal in seinem Leben – vorbehaltlose
Liebe, uneingeschränkte Bejahung, unbedingtes
Angenommensein.
Das macht was mit ihm.
Die Begegnung mit Jesus, seine vorbehaltlose Annahme
bewirkt große Freude und Dankbarkeit in seinem
Herzen. Aber auch Wandlung und Umkehr. Vielleicht
drückt das Violett der Ärmel des Zachäus dessen Reue
aus, seinen Willen sich zu ändern, seine
Bereitschaft zu teilen und wieder gut zu machen.
Sein Blick in den Armen Jesu ist jedenfalls
beschwörend und versprechend.
Jesus glaubt Zachäus.
Er schenkt ihm seine Nähe. Und so kann er zu ihm
sagen – aber auch als Antwort auf den Protest seiner
Gegner: „Heute ist diesem Haus Heil geschenkt,
weil auch dieser Mann ein Sohn Abrahams ist.“
Das ist das Neue,
das Beglückende und Befreiende, das mit Jesus in die
Welt gekommen ist: die Liebe Gottes, sein
überreiches Erbarmen, seine Gnade.
Dass aber seine Zuwendung und seine Liebe auch
Sündern gilt, dass er mit solchem „Gesindel“ sich
sogar an einen Tisch setzt und mit ihnen Mahl hält,
das geht denen, die sich selbst für gerecht halten,
völlig gegen den Strich. Das ist in ihren Augen ein
empörendes Ärgernis, ein Skandal.
Am Schluss
fasst Jesus seine Sendung zusammen und begründet
seine Haltung und sein Handeln in dem
programmatischen Satz: „Denn der Menschensohn ist
gekommen, um zu suchen und zu retten, was verloren
war.“ |