geistliche Impulse

www.pius-kirchgessner.de

Bildmeditation

von P. Pius Kirchgessner, OFMCap

 

Die Taue Jesu im Jordan

(Meditation zu einer Buchmalerei aus dem Hidta-Codex, nach 1000) 

 

Das Bild zeigt die Taufe Jesu im Jordan.

Es handelt sich um eine Buchmalerei aus dem Hidta-Codex, entstanden als Evangeliar, geschaffen von Mönchen der Kölner Malschule, kurz nach dem Jahr 1000.

 

Die Miniaturen des Hidta-Codex zeichnen sich durch ihre unvergleichliche Ausdruckskraft aus. So erscheint auch auf dem Bild der Taufe Jesu nichts zufällig. Alles wird sparsam, mit bewusst ausgewählten Farben und Konturen im Blick auf das Wesentliche geschildert.

 

Die Miniatur ist mit einer leuchtend orangeroten Leiste eingefasst.

Die Taufe Jesu ereignet sich in einer vom Wind bewegten Flusslandschaft. Beide Flussufer oben und unten scheinen mit Pflanzen bewachsen zu sein. Am oberen Ufer sind an den Bildrändern Bäume zu sehen, links einer, zwei rechts. Mit ihren fiedrigen Blättern gleichen sie Palmen, die sich, vom Wind bewegt, nach rechts hin biegen.

 

Oben im Bild ist der Himmel dargestellt. Er ist mit Sternen übersät, elf davon sind groß und golden, zwei sind kleiner und weiß. – Darunter ist als Himmelsrand ein Segmentband zu sehen, das sich oval herabsenkt und mit rot-weißen Streifen bzw. Strahlen gekennzeichnet ist.

 

Am oberen Flussufer ist auf der linken Seite rechts vom Baum Johannes der Täufer dargestellt. Sein Haupt ist von einem großen goldenen Nimbus, der mit einem doppelten Rand versehen ist, eingerahmt. Johannes trägt einen Bart und lange Harre, die in Zöpfen über die Schultern herabfallen. Er ist in ein bräunlich-zottiges Kamelhaargewand gekleidet. Darüber hat er um die Hüften und vorne (wie eine Schürze herabfallend) einen weißen Mantel geknotet. Mit seinen Füßen steht er schreitend im Wasser. Sein Oberkörper ist geneigt, beide Arme ausgestreckt, wobei der rechte Arm überlang erscheint. Mit den Fingern seiner rechten Hand berührt er sanft das Haupt Jesu.

Während er dabei ist, Jesus die rechte Hand zur Taufe aufzulegen, zeigt er gleichzeitig mit seiner linken – nach oben geöffneten – Hand nach vorn und in die Höhe. Sein Blick geht zu Jesus und zur Taube, die den Heiligen Geistes symbolisiert.

Johannes bezeugt ja, dass er den Geist wie eine Taube auf Jesus herabkommen sah. Und er erkannte in ihm den verheißenen Messias, der mit Heiligem Geist taufen wird (vgl. Joh 1, 32 - 33).

 

Jesus steht bis zu den Hüften nackt im Wasser, worin sich seine Körperkonturen dunkel abzeichnen. Der Kopf Jesu ist nach links gewendet, ein wenig geneigt. Die Augen sind weit geöffnet und schauen auf zu Johannes.

Ein mächtiger Goldnimbus mit Kreuzzeichen umgibt sein Haupt.

In die Kreuzarme des Kreuzzeichens im Nimbus sind die Buchstaben L (oben), V (links) und X (rechts) eingeschrieben, das lateinische Wort LUX = LICHT.

 

Links und rechts von Jesus stehen auf Halshöhe griechische Kürzel: „IHC“ und „XPC“, die „Jesus Christus“ bedeuten.

 

Jesus Oberkörper ragt aus dem Wasser heraus. Verglichen mit der mächtigen Gestalt Johannes des Täufers wirkt er klein und schmächtig, zart, ja fast zerbrechlich. Arme und Hände sind erhoben, ausgebreitet, empfangsbereit, betend.

 

Jesu Gestalt und Haltung weist bereits hin auf den Gekreuzigten, der in gleicher Blöße am Kreuzesholz seine Arme ausbreiten wird. Auch der geneigte Kopf erinnert an die Stunde des Todesleidens Jesu, wenn er im Sterben sein Haupt neigen wird, um den Geist auszuhauchen (vgl. Joh 19.30), den er hier bei der Taufe im Jordan empfangen hat.

 

Wie im Sturzflug stößt von oben eine große, weiß gefiederte Taube mit gestreckten Krallen und mit dem Schnabel eines Raubvogels – fast wie ein Adler – auf Jesus herab.

Die Kürzel „SPC“ (links) und „SCS“ (rechts) kennzeichnen die Taube als „Heiligen Geist“. Die Geisttaube ragt mit ihrem Schnabel in den Kreuznimbus Jesu und mit ihrem Schwanz in das Himmelsband. Sie ist die Verbindung zwischen dem menschgewordenen Sohn Gottes und seinem Vater im Himmel.

 

Die übergroße, deutlich hervorgehobene Taube zeigt, dass Jesus vom Heiligen Geist erfüllt ist und als Träger dieses Geistes im lebendigen Wasser steht, welches seinerseits Sinnbild ist für Gottes Geist (vgl. Jes 44, 3; Ez 36,25 - 27; Joh 7,38 - 39).

 

Ganz rechts unten in der Ecke liegt ein Mann mit Bart und langen Haaren auf dem Rücken am Boden. Sein Kopf überschneidet ein wenig die innere Rahmenleiste. Auf seinem weißen Hemd stehen die Worte „JORDAN FLUVIUS“. – Die Gestalt symbolisiert bzw. personifiziert den Fluss Jordan.

Der Mann hält in seinen Händen einen rötlichen Krug, der sich aus seinem Schoß wie ein biegsamer Schlauch erhebt. Daraus entströmen über seinen Kopf hinweg nach rechts die bläulich-weißen Fluten des Jordan. Der Flussgott schaut versonnen auf die Öffnung seines Kruges. Von der Taufe Jesu scheint er nichts mitzubekommen.

 

Über ihm wuchern am unteren und oberen Uferstreifen goldene Ranken und im Wasser tummeln sich fünf große delphinartige Fische mit großen Mäulern.

Mit staunenden, ja sogar erfreuten Minen umkreisen sie die schattenhaften Umrisse des in den Wassern stehenden Jesus.

Es ist als scheinen sie zu ahnen, wer da als das wahre Licht in den Jordan hinabgestiegen ist, um ihn durch seine Gegenwart zu heiligen und zur neuen Flut des Taufwassers zu machen.

 

So symbolisieren die Fische bereits die Christen, die sich durch die Taufe im Wasser der Gnade befinden. Und wo der durch Christus geheiligte Strom hinfließt, beginnt die Wüste mit Bäumen und goldenen Ranken zu blühen. Die Kraft der geheiligten Fluten macht die Ufer des Jordan fruchtbar.

 

Nachbemerkungen:

Erstens: Die Kirchenväter haben die Taufe Jesu im Zusammenhang mit seiner Menschwerdung gesehen. Jesus ist nicht nur heruntergekommen bei seiner Geburt im Stall von Bethlehem, sondern er ist hinein- und hinabgestiegen in die Fluten des Jordan. Die Tiefen des Jordan stehen für die Abgründe unserer Welt und die Tiefen unserer Seele. Jesus ist also in die Tiefen dieser Welt hinabgestiegen und in die tiefste Tiefe unsere Seele, dorthin, wo die Geister des Unbewussten lauern und das Verdrängte in uns haust. Er ist hinabgestiegen, um zu reinigen und zu läutern, um zu heilen, uns zu heiligen und zu erlösen.

 

Zweitens: Als Jesus hineinsteigt in die Fluten des Jordan, da geschieht das Wunderbare. Wie ein kostbares Tuch senkt sich (auf unserem Bild) der Sternenhimmel auf ihn herab. Der Himmel öffnet sich und während der Geist wie eine Taube auf ihn niederfährt, spricht die Stimme des Vaters aus der Höhe: „Das ist mein geliebter Sohn, an dem ich Gefallen gefunden habe.“

 

Drittens: Die Taufe Jesu im Jordan kann uns an unsere eigene Taufe erinnern. Da hat Gott auch zu einem jeden von uns gesagt: „Du bist mein geliebter Sohn, meine geliebte Tochter. An dir habe ich Wohlgefallen.“

Getauft sein heißt: Wir sind bedingungslos angenommen. Wir sind geliebt. Und zwar ohne unsere Vorleistung, ohne unser Verdienst!

Wir heißen nicht nur Kinder Gottes, sondern wir sind es!

 

Das wahrnehmen, verspüren, verkosten! Das ganz tief in mich aufnehmen und mich davon durchdringen und erfüllen lassen.

Wenn ich mich bedingungslos angenommen und geliebt weiß, dann brauche ich mich vor anderen nicht mehr rechtfertigen und beweisen. Ich darf einfach sein. Gott schaut in Liebe auf mich.