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Steinigung des Stephanus (Bildmeditation zu einem spanischen Fresko aus dem 11. Jahrhundert)
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1. Bildbeschreibung Der zweite Weihnachtstag ist liturgisch gesehen ein Heiligenfest. Es ist dem Gedächtnis des ersten christlichen Märtyrers Stephanus gewidmet.
Das Bild – eine romanische Wandmalerei aus Katalonien – zeigt Stephanus im Augenblick seines Sterbens. Keine idyllische, friedvolle Weihnachtsszene, sondern eher ein Karfreitagsbild, ein Schreckensbild, eine Gewaltszene.
Tödliche Steine fallen auf Stephanus nieder, während er den Himmel über sich offen sieht und seine Hände – leer und erwartungsvoll – nach oben ausstreckt in Richtung der „Hand Gottes“, die ihm entgegenkommt und in die er sein Leben gibt. Stephanus in der Orante-Haltung: die offenen Hände betend, flehend erhoben und sehnsüchtig ausgestreckt.
Von der Hand Gottes geht ein Lichtstrahl aus – Gnade und Segen – hin zum Haupt des Stephanus. Einerseits vernichtende Fäuste im Nacken, andererseits die Schwur- und Segenshand Gottes. Einerseits vernichtender Steinhagel, andererseits der Lichtstrahl von oben. Einerseits der zu Boden geworfene, der Vernichtung ausgelieferte Mensch, andererseits gerade darin seine Erhöhung, sein Angenommensein von Gott.
Oberhalb des Kopfes des ersten Märtyrers der Kirche ist sein Name zu entziffern: „Stefanus“, darüber der Buchstabe „S“, die Abkürzung für „heilig“. – Gott zeigt seine Macht und Größe im Tod seines Heiligen.
Eine Reihe von Händen sind auf dem Fresko zu sehen: Die mit Steinen gefüllten und Steine werfenden Hände seiner Gegner, sodann die leeren, betend erhobenen Hände des Blutzeugen und schließlich die segnende Rechte Gottes.
Wenn sich im Anschauen dieses Bildes und in der Mitfeier dieses Märtyrerfestes auch meine geballten Fäuste sich lockerten, sich öffneten und zu betenden Hände würden – ganz auf den offenen Himmel ausgerichtet, ganz bereit, sich beschenken zu lassen, ganz empfänglich für Gottes Licht und Kraft von oben – das wäre eine wunderbare Wandlung, das wäre weihnachtlicher Segen und Friede und Freude.
2. Bildmeditation
Wenden wir unsere Aufmerksamkeit – schauend und betrachtend – einem kleinen Ausschnitt des Bildes zu, einem – wie ich finde – sehr ausdrucksvollem Detail, das – für sich genommen – noch einmal ein lohnenswertes und wunderschönes Meditationsbild ist.
Hier sehen wir in der unteren linken Ecke die linke Hand des Stephanus ins Bild ragen. Sie ist geöffnet und schräg nach oben ausgestreckt. – Diagonal gegenüber erscheint aus der oberen rechten Ecke die ausgestreckte rechte Hand Gottes im Schwur- Segens- oder Weisungsgestus. Der braune Ärmelaufschlag dieser Hand ist gerade noch sichtbar. – Rechts und Links davon ist jeweils ein achtstrahliger Stern zu erkennen, die den göttlichen Raum, den Bereich des Himmels kennzeichnen. – Von der linken oberen Ecke des Bildausschnittes schwingen zwei Bänder in Kreisform – zwischen den beiden Händen hindurch – zum Bildrand rechts unten, ein helles Band oben und ein dunkles mit Ornamenten verziertes Band darunter. Dadurch scheinen die beiden Hände zwei verschiedenen Bereichen – oben und unten – anzugehören.
Zwei Hände – zwei Räume. Voneinander getrennt und doch aufeinander zu. Die Hand Gottes und die Hand des Menschen. Die eine ganz gebend – die andere ganz empfangend. Frage und Antwort, Bitte und Erfüllung.
Die Hand des Menschen hat die Horizontale durchbrochen und ist wie eingetaucht in ein Meer von Rot. Doch so sehr und soweit sie sich auch ausstreckt: sie kann das Göttliche nicht „fassen“. – Die Hand Gottes bleibt im „unzugänglichen Licht“ (1 Tm 6, 16). Aber Gott hat seine Unzugänglichkeit von sich aus durchbrochen in einem Strahl des Lichtes und der Gnade.
Die linke untere Hand hat die Form einer Schale. Sie ist ganz Offenheit, Erwartung, Bereitsein, Empfänglichkeit. Die rechte obere Hand ist ganz Kommen, Entgegenkommen, Sendung, Weisung, Zuspruch: „Fürchte dich nicht! Ich bin mit dir!“ (Jer 1, 8). In dem Strahl – ausgehend von den Fingern Gottes dürfen wir vielleicht auch Gottes Geist sehen, mit dem Stephanus erfüllt, belebt und beseelt war, so dass er – wie Jesus – noch im Sterben für seine Feinde beten und um Verzeihung bitten konnte.
„Steinigung des Stephanus“ ist das Thema des romanischen Freskos, das wir betrachtet haben. Stellen wir uns den jungen Diakon Stephanus vor, der unter dem Steinhagel der Verfolger in die Knie fällt und dabei nicht an Gott verzweifelt. Vielmehr erhebt er seine Hände in gläubiger Hoffnung. Gott ist da und antwortet mit dem stärkenden Licht seiner Gnade. |
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