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Samariter Christus (Purpurcodex von Rossano, Syrien um 550)
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Wir kennen die Geschichte von dem Menschen, der auf dem Weg von Jerusalem nach Jericho überfallen, halb totgeschlagen, ausgeraubt und dann völlig hilflos sich selbst überlassen wird. Wir kennen auch die zahlreichen Auslegungen und Deutungen zu dieser Erzählung, die zu den bekanntesten im Neuen Testament gehört. Schon immer hat man gewusst, was Jesus mit diesem Gleichnis unmittelbar und anschaulich sagen wollte: nämlich, dass Hilfsbedürftigkeit und Not jeden Menschen uns zum Nächsten machen.
Dennoch haben die Christen schon früh die Geschichte noch ganz anders verstanden. Sie haben nämlich in ihr eine Christus-Ikone gesehen, ein Bild, das Jesus von sich selbst hinterlassen hat. Er selbst ist der barmherzige Helfer, der „Samariter“, der sich über die sterbende Welt und über jeden einzelnen Menschen beugt. Er ist in die Welt gekommen, „um alle Menschen zu retten“ (Tit 2, 11). – So verkünden es die Engel den Hirten auf dem Feld. „Heute ist euch in der Stadt Davids der Retter, der Heiland, geboren, Christus, der Herr.“ – So predigt bereits im zweiten Jahrhundert Irenäus, im dritten Jahrhundert Origines, im vierten Jahrhundert Ambrosius.
Ein besonders eindrucksvolles Beispiel für diese Sicht und Auslegung ist die älteste uns erhaltene bildliche Darstellung des Gleichnisses vom barmherzigen Samariter. – Sie zeigt einen nackt und hilflos am Boden liegenden Menschen. Und über ihn beugt sich – ernst und gütig, helfend und heilend – der „Samariter Christus“.
Das Bild ist etwa 1500 Jahre alt. Es entstand im sechsten Jahrhundert in Kleinasien und findet sich im sogenannten „Purpurcodex von Rossano“, einer alten kostbaren Evangelienhandschrift. Es ist eines der schönsten frühen Bilder von Jesus Christus. Über eineinhalb Jahrtausende hinweg überbringt es uns die Sichtweise und das gläubige Bekenntnis eines unbekannten Christen aus Syrien: Jesus, der uns die Geschichte vom barmherzigen Samariter erzählt hat, will uns damit nicht nur sagen, wie wir aufeinander zugehen und miteinander leben sollen, sondern er hat uns zugleich ein Bild von sich selbst gegeben: Von sich dem Helfer und Retter – und von uns, den Hilflosen, den seiner Hilfe Bedürftigen.
Schauen wir dieses Bild genauer an. Christus auf der linken Seite befindet sich ganz auf der Ebene des Menschen, der in der Mitte des Bildes langgestreckt auf der Erde liegt, während der Engel, fast schwebend, sich vom linken Bildrand her – eine goldene Schale in seinen verhüllten Händen – ehrfürchtig zur Szene und zur Bildmitte hinneigt. Wie ein Diakon reicht er – das Sich-Neigen des Herrn mitvollziehend – das Gefäß dar.
Christus beugt sich vor und neigt sich tief zum hilfsbedürftigen Menschen hin. Sein Haupt – von einem großen goldenen Nimbus umgeben – und seine Hände, die sich zum Menschen, der am Boden liegt, ausstrecken, bilden die Mitte des Bildes. Die Augen des Samariter Christus sind weit aufgetan, wie von Entsetzen und Mitleid. „Als er ihn sah, hatte er Mitleid mit ihm“, heißt es in dem Gleichnis. Er wurde im Innersten von Erbarmen berührt und von tiefem Mitgefühl erfasst.
Der Mensch liegt wahrhaftig ganz und gar am Boden. Er ist im wahrsten Sinne des Wortes „total unten“. Niedergestreckt, zerschlagen, ausgeplündert, halb tot liegt er da (vgl. Lk 10, 30). Eine armselige, nackte, völlig hilflose Menschengestalt, fast ohne Konturen, fast ohne Farben dargestellt. Nur sein linkes Auge lässt erkennen, dass er noch nicht gestorben ist.
Christus – in Sandalen, mit blauem Untergewand und goldenem Obergewand – sieht den Menschen. Er geht nicht vorbei. Er nimmt sich des Menschen an. Er wendet sich ihm zu. Er beugt sich nieder. Dann wird er – wie es in der Erzählung heißt – Öl und Wein auf seine Wunden gießen, sie verbinden, den Menschen aufrichten, ihn auf sein Lasttier heben und ihn in eine Herberge bringen.
So wird deutlich, was der Purpurgrund symbolisiert: Das göttliche Erbarmen, die alles umgreifende, alles erfüllende Liebe Gottes in Jesus Christus – hindurchgegangen durch das Blut der Passion.
Am Ende der Beispielerzählung fragt Jesus den Gesetzeslehrer: „Was meinst du? Welcher von den Dreien ist der Nächste dessen geworden, der unter die Räuber gefallen war?“ Er antwortete: „Derjenige, der das Werk des Erbarmens an ihm getan hat.“ Da sagte Jesus zu ihm: „Geh und tu desgleichen!“ (Lk 10, 36f).
„Geh und tu desgleichen“, sagt Jesus zum Gesetzeslehrer. So sagt Jesus zu uns.
Noch mehr: Bin ich mir bewusst – und gestehe ich es mir ein – dass ich ein verletzter, ein heilungsbedürftiger, ein erlösungsbedürftiger Mensch bin?
Und noch etwas: Kenne ich meinen Retter?
Schauen wir auf das Bild! Schauen wir auf Jesus! Schauen wir auf uns selbst! Und hören wir:
Samariter Christus Du siehst. Du gehst nicht vorbei. Du beugst dich nieder. Du rührst an. Du richtest auf. Du heilst.
Samariter Christus Sieh auch mich an. Komm mir zu Hilfe. Beuge dich über mich. Rühre mich an. Richte mich auf. Heile mich.
Samariter Christus Du rufst uns, dass auch wir sehen und nicht vorbeigehen, uns niederbeugen und helfen, aufrichten und heilen zusammen mit Dir. Samariter Christus |
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