Einführung
Südlich von Rom befindet sich in einem Landhaus in San Pastore ein Bild
von Sieger Köder. Dieses Landhaus gehört zum Germanicum, dem
Studienkolleg der deutschsprachigen, römischen Theologiestudenten. Das
Bild hängt im Speisesaal, wo die Studenten der Theologie und Priester
sich zu den Mahlzeiten versammeln.
1. Eine Abendmahlsdarstellung ganz besonderer Art
Denn:
Um den Tisch des Paschamahles sitzen nicht die zwölf Gefährten Jesu in
vertrauter Runde, sondern sieben Personen, bunt zusammengewürfelt die
uns zunächst fremd erscheinen, drei Frauen und vier Männer. ‑ Nach Jesus
ihrem Herrn suchen wir vergeblich. Der Maler sieht ihn dort gegenwärtig,
wo wir, die Betrachter sind. ‑ Die Blicke der Tischgenossen sind auf ihn
gerichtet. Sichtbar sind nur seine Hände.
Die
Linke lädt ein oder weist auf den Becher, die rechte hält das Brot. ‑ Es
blüht auf dem Tisch etwas Zartes, Kostbares auf, ausgedrückt im Bild der
Rose.
2. Das Bild meditiert ein Kernstück der biblischen Botschaft:
die
Gemeinschaft Jesu mit den Sündern, mit den Außenseitern der menschlichen
Gesellschaft. Allerdings: das Bild von Sieger Köder rückt diese
Tischgemeinschaft aus dem Einst ins Heute, aus dem Damals ins Jetzt
herein, in die lebendige Gegenwart. Das Bild befindet sich ja im
Speisesaal von San Pastore und oben rechts wird der kleine, auf Felsen
gebaute Nachbarort Gallicano sichtbar.
3. Wer wäre es heute, mit dem Jesus Mahl halten wollte?
Gibt es eine solche Tischrunde wirklich irgendwo?
Sieger
Köder wählt eine Gruppe von Menschen, wie sie wohl kaum jemals wieder
zusammensitzen wird, weder in der Bannmeile von Rom noch an einem
anderen Ort.
Aber
all jenen Menschen gemeinsam ist die Suche nach einem lebendigen Du. Sie
erwarten eine Antwort auf die Frage nach dem Heil und dem menschlichen
Glück. In diese Gesichter ist die Sehnsucht geschrieben nach einem, der
sie frei macht aus innerer und äußerer Verstrickung, der sie durch das
Angebot seiner Liebe hoffen lässt über die Mühsal ihrer Tage hinaus.
4. Wer sind die Gefährten Jesu hier und heute?
Folgen wir der Runde von rechts nach links.
Da ist
ganz rechts der Afrikaner, einer aus der Dritten Welt, mit
verbundenem, Arm und blutbeflecktem Kittel, verwundet im Kampf um das
Lebensrecht seines Stammes; vielleicht handgreiflich geworden für die
Anerkennung seiner Hautfarbe, ein Habenichts, ein Überflüssiger, den
keiner braucht. Er ist das Gesicht aus den Gettos der Schwarzen
‑ geschunden, gequält.
Da ist
eine vornehme Dame, aus besseren Kreisen, standes- und
traditionsbewusst. Eigentlich will sie ja mit diesem Gesindel nichts zu
tun haben, nur nicht die Hände schmutzig machen.
Weiter: ein Intellektueller mit Brille und Bart, möglicherweise
ein Student, vielleicht ein Linker, jedenfalls einer, der in Frage
stellt, ein Zweifler und deshalb zum Ärgernis geworden ist.
Dann
kommt ein Clown, ein Harlekin hinter der Maske verborgen:
Traurigkeit, Sehnsucht (ein besonderer Liebling des Malers, der in
vielen seiner Bilder wiederkehrt) ein Mensch, der im Spiel der Ironie
Realität und Alltag erträglich macht, zwischen Lachen und Weinen ein
Spiegel unseres Lebens.
Hier
ist sodann eine alte, blinde Frau mit verhärmtem Gesicht von
Armut und Trauer gezeichnet, von schwarzem Tuch umhüllt, die Hände auf
dem Tisch übereinander gelegt, vornüber gebeugt, lauschend, weil sie den
Gastgeber nicht sieht, weggeholt vom Bettel-Job an irgendeinem viel
besuchten Heiligtum.
Neben
ihr die Dirne, eine von den Tausenden registrierten ‑ oder
illegalen ‑ Frauen des ambulanten Gewerbes, die die Via Appia säumen und
auch die Straßen auf dem Weg nach San Pastore. Für sie ist Liebe
käuflich und verkäuflich, Ihr Körper ist ihr Kapital, ihr Geschäft. Ihr
Leben ist ohne Heimat, ohne einen Ort, wo sie hingehört.
Ganz
links dann der jüdische Rabbi. Sein Gebetsschal zeigt seine Treue
zum Gesetz, das Gott gegeben hat, dem er sich ausliefert auch in
tiefster Not, in Verfolgung und Hass, am Rande der Verrichtung, immer
noch wartend auf den Messias, den Retter der Welt, der dem
Gesetzestreuen Gerechtigkeit verschafft. Sein Gesicht erinnert an die
Gesichter, die man von den schrecklichen Bildern aus den
Konzentrationslagern kennt.
‑ Eine feine Gesellschaft also. –
Der
Tischherr kann mit diesen Gästen "keinen Staat machen".
5. Eine seltsame Gesellschaft
mit
leeren Gesichtern, mit leeren Augen, ‑ Augen, die durstig sind nach
einem Menschen, der ihnen Vertrauen schenkt, der sie annimmt wie sie
sind, der nicht fragt, wer seid ihr, wo kommt ihr her, was taugt ihr
denn; ‑ Augen, die fragen, was weißt du über uns, unsere Not, unsere
Verzweiflung, unsere Angst und Einsamkeit? Kennst du unsere
ausgebrannten Herzen? ‑ Augen, die eine Antwort finden in dem, der sich
mit ihnen an einen Tisch setzt, mit dem, der nicht nur von Liebe
redet, sondern sie lebt und Ansehen gibt den Unansehnlichen.
6. Wo wäre auf diesem Bild für mich ein Platz?
Wo
fühle ich mich hingezogen? Kann ich mich ein Stück weit identifizieren
mit der jeweiligen Angst und Not dieser Menschen? Kann ich mich
angerührt fühlen von ihren Leiden und Leidenschaften, weil es die meinen
sind, die sich hier siebenfach entfalten?
Haben
wir schon genug von diesem Bild?
Denken wir:
es handelt sich ja doch von Leuten nicht meines Schlages ... Wollen
wir uns lieber nicht in besserer Gesellschaft Jesus zuwenden?
Aber wenn wir so denken und so gesinnt sind werden wir den Herrn
vergeblich suchen. Als Arzt finden wir ihn bei den Kranken, nicht bei
den Gesunden, als Heiland bei den Sündern, nicht bei den Gerechten.
Solange nicht auch ich mich zu meinen Mängeln, zu meinen Schwächen und
meinem Elend bekenne, solange ich meine Bedürftigkeit und Armut nicht
wahrnehme und mich damit zu jenen Gästen auf diesem Bild bekenne, habe
ich keine Chance am Tisch Jesu zu sitzen.
7. Der letzte Platz
Der
Maler geht noch einen Schritt weiter:
Wie
wäre es denn, wenn wir den achten Platz einnehmen würden, den Platz
dessen auf den alle Blicke gerichtet sind?
Dann
wären wir der Gastgeber und hätten jene Sonderlinge und Unbequemen, die
Herausforderer und Ärgernisse an unseren Tisch geholt, um ihnen das
Mitzuteilen, was Jesus ihnen gab und wofür die Rose steht: Verständnis
und Vergebung, Angenommensein und Vertrauen, Beachtetsein und Würde.
Der
letzte Platz beim Mahl der Sünder ist eine Herausforderung. Wenn ich
als Christi Bruder mitten unter Brüdern und Schwestern sitze, dann kann
ich nicht wohltätig den feudalen Bewirter spielen, gönnerisch, von oben
herab.
Es
genügt auch nicht, dass ich Kultvorsteher einer Zeremonie bin, sondern
es kommt darauf an, dass ich Anteil habe und teilnehmen will, nicht nur
an Brot und Wein, sondern auch am Schicksal der anderen, an ihrer
Verzweiflung, ihren Sorgen, ihrem Leid, an ihrem Anspruch auf Versöhnung
und Schutz.
Anteilnehmen - und - teilhaben - können ist aber nur dann möglich, wenn
ich die Barrieren durchbreche, die uns alle umgeben: gesellschaftliche
Tabus, Unverständnis, Hochmut, Fanatismus, Egoismus, Interesselosigkeit
und Gleichgültigkeit, Angst vor der Beanspruchung, mich mit einer
unbequemen Art von Elend einzulassen.
Symbol
jener Liebe, die Grenzen überwindet, ist die kleine Rose in einem der
Glaskrüge, wie sie zur Essenszeit in Italien mit Wein gefüllt werden.
Die
Rose steht zwischen dem Herrn und dem Clown wie eine zarte Verständigung
zwischen den beiden, die an der Liebe zum Menschen leiden.
8. Der barmherzige Vater
Im
linken Teil des Bildes, hinter der Tischgemeinschaft, erhebt sich die
Saalwand. Sieger Köder hat sie mit einem Fresko ausgestattet. Es ist das
Motiv des barmherzigen Vaters und verlorenen Sohnes.
Der
Vater umarmt den Heimgekehrten, der sich an seine Brust wirft. In der
Umarmung erfährt er Versöhnung und erlösende Befreiung aus aller Not.
Daneben aber, abgewendet von der Szene der Heimkehr, sitzt der gerechte,
getreue Sohn, der Bruder ohne Dreck am Stecken, ohne Fehl und Tadel,
gefangen in seinem Trotz, in der Rebellion und der Auflehnung. ‑ In
dieser Gestalt findet das Bild seinen negativen Pol: der in sich selbst
gefangene Mensch, der weder Versöhnung braucht, noch Versöhnung zulassen
will.
9. Stein des Anstoßes
Leicht
zu übersehen auf dem Bild, aber dennoch da:
der
Stein des Anstoßes auf der Türschwelle; vom Maler bewusst dargestellt,
denn sein Bild will Stein des Anstoßes sein.
Anstoß, Ärgernis, Empörung, Skandal, das war Jesu Mahlgemeinschaft mit
den Sündern für die Frommen: das darf nicht sein; das geht zu weit, das
war noch nie so, wo kommen wir denn da hin, das ist gegen jede Regel,
das ist gegen jede Gewohnheit, unmöglich ... Sind uns diese
Redewendungen nicht bestens vertraut?
Anstoß, Ärgernis, Skandal: die Randexistenzen erhalten Lebensraum, die
Abgeschriebenen werden aufgewertet, die Unansehnlichen erhalten Ansehen,
die Heillosen werden geheilt. ‑ Jesus: Stein des Anstoßes, ‑ Jesus,
der Gesetze und Normen so auslegte, wie sie für den Menschen gut waren,
wie sie das Leben wachsen und gedeihen ließen.
Jesus,
der zeigte: das Gesetz ist für den Menschen da, um zu heilen, zu
bewahren, nicht klein zu halten, zu fesseln, zu töten, auszuschließen
und zu verurteilen.
Jesus,
der Althergebrachtes aus den Angeln hob, neue Wege einschlug.
Jesus,
Stein des Anstoßes, gibt zu denken, beunruhigt die Ruhigen, verunsichert
die Sicheren, überrascht und fordert heraus.
Jesus:
Anstoß zum Neuanfang zum Umdenken.
Nicht
mehr, man handelt so, man ist so, sondern ich bin gefragt, wie gehst du
mit deinem Bruder, deiner Schwester um? Welche Maßstab gilt: Sitte,
Anstand, Ordnung oder Leben, Zeichen, Liebe, Freundlichkeit?
Der
Stein des Anstoßes liegt auf der Türschwelle, auf dem Weg. Wer hinein
will kommt nicht daran vorbei. Wer hinaus will kommt nicht daran vorbei.
Stein des Anstoßes auch auf meinem Weg!?
Wie
feiern wir Christen Mahl, Eucharistie?
Feiern
wir es einladend? So dass alle kommen können?
Wen
schließen wir aus?
Ist es
ein Mahl der Einheit oder der Trennung?
Noch
etwas: ... der Mann, der mich verrät und ausliefert, sitzt mit mir am
Tisch" (Lk 22, 21), sagt Jesus. Im Augenblick der Gemeinschaft liegt der
Keim des Verrates.
Entscheidend bleibt, dass hier die Kleinen, die Armen, die Verstoßenen,
Geschändeten und Verachteten anwesend sind. Ob wir mit ihnen das Brot
brechen, daran wird man uns erkennen? "Wenn ihr
nur die liebt, die euch lieben, und denen gebt, die euch geben, welchen
Lohn wollt ihr dafür erwarten?"
Schluss
Wir
haben das Bild betrachtet.
Bleiben wir nicht stehen bei der Eigenwilligkeit dieser Abendmahlszene.
Versuchen wir den Blick jener Tischgenossen auszuhalten, der uns
auffordert, uns auf den Weg zu machen an jenen Platz, den Jesus als
Mensch unter Menschen eingenommen hat. |