Exerzitien mit P. Pius

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"Christus und die Kinder"

(Bildmeditation zu einem Bild von Emil Nolde, 1910) 

Das Bild besteht aus zwei Hälften:

Rechts Kinder und (ganz hinten) zwei Frauen,

die jeweils ein Kind auf den Armen tragen bzw. empor halten.

Auf der linken Bildhälfte Männergestalten, Männergesichter.

 

Dazwischen der breite Rücken eines Mannes, der sich aus der linken Bildhälfte heraus, von der Männerseite her, halb schräg, den Kindern und Frauen nach rechts zuwendet, sich zu diesen hinkehrt, fast möchte man sagen, sich zu diesen bekehrt und dadurch den Männern den Rücken zustreckt.

 

Die rechte Bildhälfte ist von hellen Farben geprägt.

Links dominieren dunkle Farbtöne.

 

Emil Nolde malte dieses Bild im Jahr 1910.

Es hat den Titel: „Christus und die Kinder“.

 

Jesus neigt sich den Kindern zu.

Diese wurden – wie es im Evangelium heißt –

von ihren Müttern zu ihm gebracht,

damit er ihnen die Hände auflege und sie segne.

 

Die Kinder auf dem Bild sind quicklebendig.

Sie gestikulieren, sie jubeln und freuen sich.

Sie drängen zu Jesus.

Sie strecken ihm ihre Hände entgegen.

 

Das kleinste Kind im Hintergrund reißt vor lauter Begeisterung die Arme empor. Ein Kind daneben schmiegt seinen Kopf noch ein wenig scheu an das Gesicht seiner Mutter.

 

Jesus hat ein Kind auf den Arm genommen.

Mit großen leuchtenden Augen schaut es ihn an und legt seinen Arm um seine Schulter. Es freut sich offensichtlich, ganz nah bei Jesus zu sein. Es fühlt sich wohl und geborgen bei ihm.

 

Man hat den Eindruck, dass alle Kinder ihn anrühren, umarmen, und einfach gern haben möchten.

 

Im Gegensatz zu den Kindern wirken die Männer auf der linken Seite ernst und streng. Sie blicken kritisch drein, verständnislos,

abweisend. Sie empfinden die Kinder wohl als lästig und störend.

 

Im Evangelium heißt es:

„Sie (die Jünger) wiesen die Leute schroff ab“ (Mk 10, 13).

 

Dunkel wie ihr Gemüt ist auch die Farbe ihrer Gewänder,

Die Kinder aber leuchten in strahlender Helligkeit.

 

Dazwischen Jesus. Er mag die Kinder.

Er geht auf sie zu. Er neigt sich zu ihnen hin.

 

Er weist die Jünger nicht nur zurecht:

„Lasst die Kinder zu mir kommen! Hindert sie nicht!“

Begründung: „Menschen wie ihnen gehört das Reich Gottes.“

 

Er geht noch weiter.

Er stellt die Kinder den Erwachsenen als Vorbild hin:

„Amen, ich sage euch: Wer das Reich Gottes nicht annimmt wie ein Kind, der wird nicht hineinkommen.“

 

Eine ungeheure Provokation!

Jesus wendet sich den Kleinen, den Verachteten zu.

Er geht auf Augenhöhe mit ihnen. Er stellt sich auf ihre Seite.

 

Wo positionieren wir uns?

Auf der Männerseite (Macht, Prestige, Argwohn, Ehrgeiz…)?

Oder auf der Kinderseite (Offenheit, Spontaneität, Lebenslust…)?

 

Auf welcher Seite stehe ich? Für welche entscheide ich mich?

 

Wenn ich die Seite der Männer wähle, entscheide ich mich für Macht, Herrschaft, Position, bleibe aber unbewegt, verschlossen und unerlöst im dunklen Raum.

Wenn ich mich für die andere Seite entscheide, die weibliche, die Seite der Frauen und Kinder, dann verliere ich Dominanz, gewinne aber Spontanität, Lebendigkeit und Freude.

 

Es ist möglich – Jesus macht es vor –  sich aus der linken Bildhälfte zu lösen, aus dem Dunkel herauszukommen, den Standort zu wechseln, die Einstellung zu ändern.

 

Mit dieser „Um-kehr“ (Umwendung) kommt die helle, die frohe, die lebhafte Seite mit den Kindern und Müttern in den Blick, die Zukunft, Lebensbejahung und Neubeginn verkörpern.

 

Bewusst setzt Emil Nolde die Dynamik der Farben ein.

Das Blau im Gewand Jesu führt das Auge in die Tiefe des Bildes. Rot und Orange drängen aus dem Bild nach vorn und stürzen dem Betrachter gleichsam entgegen.

So entsteht eine starke Bewegung, die fast körperlich miterleben lässt, mit welcher Intensität Jesus sich den Kindern zuwendet und mit welcher Lebhaftigkeit und Freude die Kinder seine Nähe suchen.

 

Was für die Farben gilt, gilt auch für den Bildaufbau.

Über den Rücken Jesu geht ein Bogen nach rechts oben auf die „Frauenseite“ zu. Über die Köpfe der Jünger und der Kinder weist ein zweiter Bogen nach rechts unten:

Zweimal die Wendung zum Positiven!

Im Schnittpunkt beider Bögen befindet sich der Kopf Jesu.

 

Den thematischen Brennpunkt aber bildet sehr effektvoll in kaum merklichem Abstand daneben die intime Szene zwischen Jesus und dem Kind auf seinen Arm. Ihre gegenseitige Zuwendung spiegelt sich in den Augen des Kindes.

 

„Wenn ihr nicht umkehrt und wie die Kinder werdet, könnt ihr nicht in das Reich Gottes kommen.“

 

Wie ist es möglich, zum Geist des Kindseins zurückzukommen? Was können wir von Kindern lernen?

 

Vielleicht gehört dazu auch, das Schwache, Bedürftige und Unvollkommene bei mir und in mir anzunehmen.

Lernen, nicht nur im Kopf zu sein – denken, überlegen, planen, sorgen – sondern auch meine Gefühle wahrzunehmen, sie nicht zu unterdrücken und zu verdrängen, sondern sie zuzulassen, leben zu lassen, wie Kinder es tun.

 

Vielleicht gehört dazu auch, lernen, nicht alles selbst machen und leisten zu müssen, sondern mich beschenken zu lassen wie ein Kind, offen zu sein wie ein Kind und zu vertrauen wie ein Kind.

Es braucht nicht einen Berg von Werken und Leistungen, auch keine theologischen Erkenntnisse und kirchliche Ehren und Ämter, ich muss nicht weiß Gott was vorweisen, um bei ihm Zugang zu haben, sondern es genügt die Einfachheit, Offenheit und das Vertrauen eines Kindes.

 

Vielleicht will Jesus auch mir sagen:

Meine Gegenwart, meine Liebe, mein Erbarmen brauchst du nicht zu verdienen. Sie kommt dir entgegen, sie neigt sich dir zu.

Du brauchst nur deine Arme und dein Herz zu öffnen.

Nimm meine Liebe an! Freue dich und sei dankbar!

 

Übrigens, wer in das Bild, das Emil Nolde malt, kommen möchte, wer eintreten möchte in die Szene „Christus und die Kinder“, wird zunächst feststellen, dass er sich außerhalb befindet und dass die Rückenpartie Jesu ihm den Zugang versperrt.

 

Aber es gibt einen Weg. Er befindet sich auf der Seite der Kinder: Über die „Treppe“ der Kinderköpfe können wir zur Begegnung mit Jesus aufsteigen, zu ihm kommen, seine Nähe erfahren, sein Angenommensein verspüren, Geborgenheit in seinem liebevollen Umarmen.

  

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