Ein
Bild aus lauter Strichen.
Zunächst mutet es wirr an, unruhig,
scheinbar durcheinander, wie ein Gekritzel Aber dann lassen sich doch
drei Personen erkennen. Sie sind auf verschiedenen Ebenen dargestellt:
-
Ein Mann
rechts hinten, groß und aufrecht, stehend.
-
Eine Frau ganz vorne, unten, am Boden, kniend.
-
Und einer in der Mitte, zwischen diesen beiden,
sitzend.
Wenden wir uns zunächst dem zu, der aufrecht dasteht, hoch aufgerichtet
über allen.
Ob er zufällig auf der oberen rechten
Seite dargestellt wurde, er, der meint „recht“ zu sein, der „Gerechte“,
der nichts zu bereuen hat?
Er zeigt auf andere. Mit der rechten Hand
zeigt er nach unten, auf die gebückte Gestalt am Boden, ohne dass sein
Blick der Zeigerichtung folgt. Er würdigt die Frau keines Blickes. Mit
so jemand wie dieser da gibt er sich nicht ab. Hat er etwas vor dem Kopf
(die vielen Striche!), vielleicht ein Brett?
Er steht unbeweglich da,
wie ein Klotz.
Er wirkt auf mich:
-
kühl und kalt, stolz und
rücksichtslos,
-
überlegen,
überheblich, arrogant.
Er kommt mir vor:
-
wie einer, der
urteilt und verurteilt
-
wie einer, der
sich über andere stellt, sich besser dünkt.
Er wirkt auf mich:
-
wie einer, der niemanden wirklich anblickt,
-
sich distanziert, sich isoliert, sich verschließt.
Stolz, Standesdünkel, Mitleidlosigkeit
verhärten sein Herz, versperren seinen Blick auf die Frau und auf Jesus.
Er wirkt auf mich:
-
wie einer, der Macht hat und sie missbraucht,
-
wie einer, der andere ausbeutet,
-
wie einer, der von seinem hohen Ross nicht
heruntersteigt.
Er weiß und ist sich ganz sicher:
Die da ist eine Sünderin, er ein
Gerechter.
Ihm gebührt Lob, der Frau Tadel.
Wo kämen wir sonst hin?
Schließlich hat man sich immer an die
Vorschriften gehalten: Fasten, Sabbat, Tempelsteuer, Almosen...
Man hat sich nichts vorzuwerfen. Und
andere können einem auch nichts vorwerfen.
Schließlich hat man ja „Ordnung“ in
seinem Leben, immer anständig, sauber, korrekt.
Ich frage mich:
-
Ob er sich seiner Situation bewusst ist?
-
Ob er weiß, dass er andere durch seine Haltung zur
Qual wird?
-
Ob er einsam ist und sich deshalb hinaufretten muss?
-
Ob er sonst wo geschlagen wird und hier Rache übt?
Ich frage mich:
Kenne ich den Pharisäer? Gibt es den auch
in mir? Wo fühle ich mich erhaben über andere? Gibt es Menschen in
meiner Umgebung auf die ich mit Verachtung schaue, zu denen ich eng und
hartherzig bin, eiskalt, knallhart? Schreibe ich andere ab? Habe ich
mein fertiges Bild, mein Urteil? – Weiß ich, dass ich selber Fehler
habe? Bin ich mir bewusst, dass ich selber immer wieder Verzeihung
brauche von Menschen und von Gott?
Kann ich selber verzeihen? Bin ich
barmherzig, gütig, großzügig?
Und die Frau?
Sie kniet, unten, am
Boden. Sie ist gebeugt, sogar gekrümmt.
-
Ist sie
zusammengebrochen unter einer Last?
-
Wird sie geknechtet,
gedemütigt, ausgenützt?
-
Ist sie eine von der
unteren Sorte, eine, mit der sich anständige Menschen nicht abgeben,
Abschaum, Schandfleck der Gesellschaft?
Ihre Hand hält zärtlich
den Fuß Jesu. Ihr dichtes Haar fällt darüber. Sie hebt den Kopf und
schaut gespannt nach oben.
Mir scheint:
Die Frau hofft, dass es mehr gibt als
Gerechtigkeit und makelloses Leben.
Der Pharisäer ist ein korrekter Mensch.
Korrektheit ist gut. Aber sie ist nicht alles.
Die Frau hat die größere Liebe. Und sie
macht aus ihrer Zuneigung und Liebe keinen Hehl.
Ich frage mich:
-
Worin besteht die
Last, die sie trägt und die sie niederbeugt?
-
Woher sie die Kraft
hat, trotzdem zu lieben?
-
Wird sie mit Hilfe des Mittleren aufstehen können?
-
Wird sie „verzeihen“ können, wenn sie einmal nicht
mehr „unten“ sein sollte?
Wenden wir uns dem zu, der in der Mitte
sitzt.
Auffallend: seine linke Hand.
Er hält sie zwischen die beiden,
schützend und zulassend einerseits, mahnend und zurückweisend
andererseits.
Die andere Hand
Es scheint:
-
dass er die Frau versteht,
-
sie akzeptiert, sie so annimmt wie sie ist, ohne Wenn
und Aber.
Sie darf sein, dasein.
-
Er zieht seinen Fuß nicht zurück
-
Er stößt sie nicht fort
-
Er lässt sie gewähren.
-
Er nimmt ihre
Zuneigung an
-
Er schätzt und schützt
die Gebärden der Liebe, der Dankbarkeit, der Reue und des
Vertrauens.
-
Er lässt sie tun, was
ihr Herz ihr sagt.
-
Seine Nähe macht alles gut.
Er schaut hinauf zu dem,
der aufrecht steht. Er blickt ihn direkt an.
Sein Blick ist offen und
gerade, so als hätte er einen festen Willen, so als würde er sich nicht
scheuen, Stellung zu beziehen.
Es ist als biete er dem
anderen die Stirn, dessen vernichtendem Blick, seinem versteckten
überheblich, hohnvollen Gesicht.
Wie schwer ist es, soviel
vermeintliche Korrektheit, Gesetzestreue und Selbstgerechtigkeit
aufzubrechen und umzuwandeln in Nachsicht, Langmut, Güte und Erbarmen.
-
Ob Simon die Brücke
erkennt, die Jesus ihm baut mit dem kleinen Gleichnis aus dem
Wirtschaftsleben?
-
Ob er begreift, dass
Schuldenerlass einfach so, gratis, zu Dankbarkeit und Liebe bewegt?
-
Ob es ihm hilft, dass
Jesus seine Unterlassungen als Gastgeber der Liebestat der Frau
gegenüberstellt?
„Siehst du diese
Frau?“
Solange Simon auf sie mit
dem Finger zeigt und durch seine Vorurteile die Menschen fein säuberlich
trennt in moralisch Intakte und Verwerfliche, ist er weit von der
Gesinnung Jesu und seines Vaters im Himmel entfernt.
Jesus sitzt zwischen dem Pharisäer und
der Frau.
Ich frage mich:
-
Will er vermitteln, eine Verbindung herstellen?
-
Oder eine Grenze schaffen, damit die Frau vor den
Angriffen des Mannes geschützt ist, damit sie Raum hat zu leben.
Ich frage mich:
-
Ob er es schafft, beide auf die gleiche Ebene zu
bringen?
-
Gespräch zu ermöglichen, Mauern abzubauen?
Ich frage mich:
-
Wird er es aushalten, zwischen den beiden zu sitzen?
-
Wird er dabeibleiben oder sich irgendwann
zurückziehen?
Mit wem der drei identifizieren wir uns?
Wo finde ich mich wieder?
Sind wir nicht alle drei, manchmal
kniend, sitzend, stehend?
DER VERZEIHENDE JESUS!
Er macht deutlich, dass das Wesen Gottes
Güte ist, barmherzige Liebe. Er sagt, dass bei Gott größere Freude
herrscht über einen reuigen Sünder, der umkehrt, als über 99 Gerechte,
die meinen sie bräuchten keine Umkehr.
Was bedeutet aber schon die vermeintlich
weiße Weste, wenn sie ein enges, liebeleeres Herz verdeckt?
„Die große Schuld des Menschen sind nicht die Sünden, die er begeht –
die Versuchung ist mächtig und seine Kraft gering – die große Schuld des
Menschen ist, dass er jeden Augenblick die Umkehr tun kann und nicht
tut.“
(Martin Buber)
Gott verlangt nicht, dass wir nie schwach
werden, sondern dass wir mit gutem Willen, stets wieder neu anfangen.
DER VERZEIHENDE JESUS!
Sein Liebesangebot gilt auch heute noch.
Wer in Schuld verstrickt ist, wer nicht
mehr weiter weiß, wer von allen abgelehnt wird – einen gibt es, der ihn
annimmt: Jesus!
Das ist eine befreiende
Botschaft. Denn wird nicht jeder einmal schuldig und braucht jemanden,
der ihm einen neuen Anfang schenkt?
In dieser Frau, von der das Evangelium
erzählt, ist etwas vorgegangen. Sie ist zu Jesus gegangen. Sie hat
vertraut, bei ihm Verzeihen und Liebe zu finden. Sie hat Tränenbäche
vergossen, Tränen der Reue. Und Jesus hat ihr vergeben. Der Teufelskreis
des Sich-Verschließens wurde von Jesus durchbrochen. Für ihn ist niemand
verloren. Er gibt uns damit ein bleibendes Beispiel.
Finden also auch wir zum
Vertrauen dieser Frau. Schämen wir uns auch nicht unserer Tränen!
Seien wir gewiss:
Jesus verurteilt uns nicht. Wo Reue ist,
da ist Vergebung.
Nicht Schuld trennt uns von Gottes
Erbarmen, sondern allenfalls unser kleiner Glaube, unser mangelndes
Vertrauen.
Lernen wir zugleich
von Jesus jene Barmherzigkeit, die nicht einmal den verlorensten
Menschen abschreiben und ablehnen will. Dann geht der verzeihende Jesus
auch heute weiter durch die Welt: in uns. Und Menschen fühlen
sich bejaht und angenommen: durch uns.
Gott liebt uns.
Glaube ich daran?
Hat dieser Glaube Auswirkungen auf mein
Leben?
Gebet:
„Denk du in mir. o Jesus, dann denk ich
licht und klar.
Sprich du aus mir, o Jesus, dann sprech
ich gut und wahr.
Wirk du in mir, o Jesus, erfüll mein
ganzes Wesen,
durchdring mein ganzes Sein, dass man aus
mir kann lesen
die große Liebe dein!“
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