In der
Bibel gibt es viele Begegnungsgeschichten.
Eine der
schönsten ist die Begegnung zwischen Maria und Elisabeth. Die Szene ist
auch ein großes Thema in der Kunst.
Oft ist
dargestellt worden wie die beiden Frauen einander begegnen, wie sie sich
freudig und herzlich begrüßen und sich vielleicht sogar liebevoll
umarmen.
Das Bild,
das vor uns liegt, unterscheidet sich davon. Überschwängliche Freude und
Herzlichkeit ist bei dieser Darstellung nicht zu finden. Eher kommen –
bei der Begegnung und Begrüßung der
beiden
Frauen – ein gewisser Ernst, Ehrfurcht und Achtung voreinander und eine
große Würde zum Ausdruck.
Das Bild
ist Teil eines Flügelaltars, den der schwäbische Maler Friedrich Herlin
zwischen 1470 und 1475 für die St. Georgs-Kirche in Nördlingen
angefertigt hat.
Beide –
Maria links und Elisabeth rechts – sind vornehm gekleidet. Die Ältere im
roten, pelzbesetzten Kleid schaut die Jüngere forschend an. Diese sieht
– wie gedankenverloren – an ihr vorbei in die Ferne. Beide Frauen tragen
einen weißen Schleier. Bei Maria liegt er nur lose und flüchtig auf den
Kopf bzw. über dem langen Haar. Bei Elisabeth lässt er nur das Gesicht
frei.
Die
Gesichter der beiden wirken ernst, fast starr, auf jeden Fall ruhig,
aufmerksam und zugleich in sich gekehrt.
Die
Begegnung findet im Freien statt, auf einem Weg. Im Hintergrund sind
Mauern und Türme einer Stadt zu sehen.
Ob die
eine der anderen entgegenging? Sie scheinen sich gerade begegnet zu
sein. Man sieht das noch an der Bewegung der Gewänder. Die Knie deuten
noch einen Schritt an.
Nun
stehen die beiden einander gegenüber.
Eines
fällt auf: Elisabeth sinkt nicht vor Maria in die Knie. Die beiden
umarmen sich auch nicht. Mit ihren Händen hält Elisabeth Marias rechte
Hand. Behutsam hat diese ihre Linke unter den Arm Elisabeths geschoben.
Die Geste
berührt stark. Sie zeigt, was für jede Begegnung zwischen Menschen
wichtig ist: Distanz und Nähe, Behutsamkeit, Respekt und Entgegenkommen
– ohne einander zu vereinnahmen einerseits, aber auch ohne allzu große
Zurückhaltung andererseits.
Noch
etwas: Nicht nur Maria und Elisabeth begegnen einander, sondern auch
Jesus und Johannes, der kommende Retter und sein Vorläufer, der Größte
des Alten Testamentes und der Erlöser, den Israel seit Jahrtausenden
ersehnte. Der Maler deutet es an und bringt es zum Ausdruck in dem
sternförmiger Lichtschein mit goldenen Strahlen, der jeweils von den
Kindern im Mutterleib der beiden Frauen ausgeht.
Was bei
der Betrachtung des Bildes auffällt und wohl auch verwundert, ist die
vornehme Kleidung der beiden Frauen. Vielleicht ist es bei Elisabeth,
der Frau des Priesters Zacharias, noch zu verstehen. Aber Maria war
gewiss nicht mit Wohlstand und Reichtum ausgestattet. Außerdem hat sie
ja gerade eine mehrtägige Wanderung durch unwirtliches Gelände hinter
sich. Und doch – seltsam und erstaunlich – so ein prächtiges Gewand!
Was will
der Maler wohl damit sagen? Soll der äußere Glanz die Würde und
Bedeutung der beiden Frauen zum Ausdruck bringen?
Große
Ehrfurcht und heilige Scheu lebt in der Begegnung der beiden heiligen
Mütter, denn es erkennt jede die Begnadung der anderen. Sie erkennen das
Erstaunliche, Unfassbare und Wunderbare, das Gott an einer jeden von
ihnen getan hat.
In der
biblischen Geschichte gewinnt dies freilich noch einen tieferen Sinn.
Die Begegnung Marias mit Elisabeth ist nämlich eine der wenigen
Kindheitserzählungen Jesu im Neuen Testament, in welcher nichts vom
Widerstand der Welt vorkommt, nichts von Schuld, Bosheit, Hass und
Finsternis, nichts von Rücksichtslosigkeit und Härte.
Die
Erzählung des Evangelisten Lukas (1, 39 - 56) ist vielmehr voll zarter
Schönheit. Sie atmet Dankbarkeit und Freude. Sie ist geprägt von
gläubiger Zuversicht und von Lobpreis.
Aus der
Begegnung der beiden Frauen entströmt die Seligpreisung der Gottesmutter
durch Elisabeth: „Du bist gebenedeit unter den Frauen.“ Und ganz
im Geist des Sendung ihres Sohnes, der nichts anders als Bote,
Fingerzeig und Hinweis auf Jesus sein wollte, fährt sie fort und fügt
hinzu: „Und gebenedeit ist die Frucht deines Leibes.“
Maria
ihrerseits wendet Elisabeths Lobpreisung hin zu Gott: „Magnificat –
Meine Seele preist die Größe des Herrn!“ Sie singt ein Loblied auf
das Erbarmen Gottes, der Großes an ihr getan hat.
Es ist
gut, wenn wir das gerade auch in unserer Zeit nicht vergessen. Es gibt
viel Dunkles und Böses in der Welt, viel Unheil, Verwirrung und Sünde. –
Aber es gibt auch dies, dass Menschen erfahren: In Jesus ist Gott uns
ganz nahe gekommen. In ihm hat er gnädig an uns gehandelt. In ihm ist
der Reichtum der Liebe Gottes zu finden. Sie gilt trotz allem, was
geschieht.
Erinnern
wir uns: Als der Engel der Verkündigung zu Maria kam, da hat er ihr den
Hinweis auf ihre Verwandte Elisabeth gegeben, dass diese nämlich – trotz
ihres Alters und obwohl sie als unfruchtbar galt – einen Sohn empfangen
habe. Dann hat der Engel das begründet und den entscheidenden Satz
hinzugefügt: „denn für Gott ist nichts unmöglich.“
Diesem
Hinweis ist Maria gefolgt. Und – in der Begegnung mit Elisabeth – findet
sie die Worte des Engels bestätigt. Gleichzeitig wird sie in ihrem
Glauben bestärkt. Denn Elisabeth begrüßt sie als „die Mutter meines
Herrn“. Elisabeth erfasst – erfüllt vom Heiligen Geist – dass die
Mutter des Allerhöchsten vor ihr steht und ruft aus: „Selig bist du,
weil du geglaubt hast, dass sich erfüllt, was der Herr (durch den Engel)
dir sagen ließ.“
Später
wird eine Frau bei der Predigt Jesu ganz spontan und voll Freude
ausrufen: „Selig der Leib, der dich getragen und die Brust, die dich
genährt hat!“
Maria
trägt das Gotteskind unter ihrem Herzen, den lang ersehnten Retter, den
Immanuel, den „Gott mit uns“.
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