Während
und nach dem 1. Weltkrieg gestaltete
Schmidt-Rottluff (geb. 1884) eine ganze Reihe von
Holzschnitten mit biblischen Themen. – Der „Gang
nach Emmaus“ entstand im letzten Kriegsjahr
1918.
Beim
ersten Anschauen
fallen sofort die Personen ins Auge, die den größten
Teil des Bildes ausmachen.
Drei
Menschen sind unterwegs auf einer langen Straße.
Ihre Kleidung ist ganz schwarz.
Sie
machen einen recht unterschiedlichen Eindruck.
Die
Gestalt ganz rechts
sieht völlig zerbrochen und hoffnungslos aus, wie
ein zum Krüppel Geschlagener. Die Füße sind
entstellt. Nur mühsam scheint er sich vorwärts zu
schleppen. Er stützt sich auf einen Stock, der aber
auch keinen rechten Halt gibt. Der Kopf ist geneigt,
die Augen wie blind.
Der
Mann links
wirkt ähnlich niedergedrückt.
Auch
seine Schultern sind gebeugt, hilflos lässt er die
Arme hängen.
Die
Hände sind geöffnet, die Finger wie abgeschnitten.
Es ist
als sei ihm alles herausgeschlagen, was ihm wichtig
war.
Nur sein
Kopf hebt sich schon ein wenig lauschend.
Und der
Fuß schiebt sich tastend auf das neue Wegstück.
Zwei
Freunde Jesu am Ende ihrer Kraft.
Beide gehen als sei ihnen das Rückgrat gebrochen.
Nur schlürfend bewegen sie sich vorwärts. Ihre
Schatten wirken wie weggeworfene Gewehre.
Ein
Lichtpunkt in ihrem Dunkel: Sie sind nicht
verstummt. Sie reden miteinander auf ihrem Weg
„über all das, was sich ereignet hatte.“
Rings
um sie Bedrohung und Dunkel:
Eine bizarre Landschaft. Gefährliche Bäume säumen
den Weg wie schneidende, scharfe Waffen. Die Steine
wirken scharf und spitz; selbst die Pflanzen wie
angreifende Strahlen.
„Wir aber hatten gehofft.“
Alle
ihre Hoffnungen wurden am Karfreitag zerstört. Und
sie selbst wirken wie am Boden zerstört, ganz
enttäuscht und völlig mutlos.
Hinter
ihnen liegt der totale Zusammenbruch ihrer Hoffnung.
Endstation ihrer Sehnsucht: das Kreuz. Ihr Leben
scheint sinnlos geworden, ohne Ziel.
Haben
sie umsonst alles verlassen? Sind sie IHM umsonst
nachgefolgt? Wie soll es weitergehen?
Die Last
der Vergangenheit erdrückt sie. Wie Blinde schreiten
sie in die Zukunft: Blind für alles, was hinter
ihnen liegt; blind für den Weg, der sich vor ihnen
auftut.
„Ihre Augen waren wie mit Blindheit geschlagen.“
Darum
erkennen sie auch den Herrn nicht in ihrer Mitte.
Aber sie lassen ihn Weggefährte sein.
Nun
brauchen sie jemanden, der ihnen Mut macht, der
ihnen die Augen öffnet, sie aufrichtet und ihnen den
Sinn erschließt.
Der
Dritte
geht – mitten in ihrer Krise – längst mit ihnen,
unerkannt. Plötzlich war er da, mischte sich in ihr
Gespräch.
Er kennt
den Weg der Angst und Dunkelheit durch Leid und
Trauer hindurch. Darum kann er sie darin begleiten.
Aber er
ist anders. Er geht aufrecht zwischen den zwei
niedergedrückten Gestalten, ruhig, souverän, mit
wachen Augen.
Auffallend ist die Geste der linken Hand, weisend
und gebietend, beruhigend und tröstend.
Er fragt
nach, spricht mit ihnen, nimmt Anteil an ihrer
Trauer und Trostlosigkeit, klärt sie auf über den
Sinn der Schrift, entbrennt ihr Herz und heilt sie:
Die Heilsverheißungen des Messias haben sich in ihm
erfüllt; der Weg der Liebe geht durch Leid und Tod
zum Licht und Leben.
Sein
Blick ist direkt auf den Betrachter gerichtet. Er
reicht über Katastrophen hinaus. Um sein Gesicht
sind Strahlen, keine gefährlichen, sondern
hellmachende, das Dunkel durchbrechend.
Der
weiße Weg, auf dem die drei gehen, verliert sich
nach einer Windung im Hintergrund, so, als seien sie
schon weit gegangen.
Ins Auge
fällt eine schwarze Sonne. Sie unterstreicht und
vertieft – ebenso wie die tote Landschaft – die
Hoffnungs- und Mutlosigkeit, die über der Szene
liegt. Ihre Strahlen reichen über den Weg und vor
allem auch über die gebeugte Gestalt rechts bis zu
Jesus. Der Nimbus (Heiligenschein) über seinem Kopf
wirkt jedoch wie eine helle Sonne, die Strahlen
aussendet.
Auch
ohne den Titel des Bildes wird durch diesen Nimbus –
ein traditionelles Zeichen christlicher Ikonographie
– deutlich, dass Schmidt-Rottluff hier ein
Christusbild geschnitten hat.
In
den biblischen Erzählungen
heißt es, dass ein Fremder zu den beiden Jüngern
trat und mit ihnen ging. Sie kamen voller
Verzweiflung aus Jerusalem, wo sie das Leiden und
Sterben Jesu miterlebt haben. Was da passiert ist,
war für sie eine unerhörte Katastrophe. Im Grunde
ist für sie eine Welt zusammengebrochen, hatten sie
doch gehofft, dass er – Jesus von Nazareth – der
sei, der „Israel erlösen werde“.
Ihr Weg
war ein Weg der Hoffnungslosigkeit, fort von dem
Ort, wo alles zerbrochen war, worauf sie gebaut
hatten und was für sie Sinn und Ziel, Hoffnung und
Leben bedeutete.
Wir
sehen es an der toten Landschaft, an ihrer Haltung.
Nur Trauer und Schwärze scheinen sie zu erreichen;
sie fühlen sich verlassen, allein auf einem Weg ohne
Ende, der nur begleitet wird von den Strahlen der
schwarzen Sonne.
So
nehmen sie den Fremden, der zu ihnen getreten ist,
gar nicht richtig wahr; sie erkennen Jesus nicht in
ihm. Sie merken nicht, dass er bereits mit ihnen auf
dem Weg. Noch können sie seine Geste, die
gleichzeitig Segen und Trost ausdrückt, nicht sehen.
Aber er ist an ihrer Seite in diesen dunklen,
verzweifelten Stunden, in denen das Weitergehen
schwerfällt, ja fast unmöglich erscheint.
Ich
denke, dass es nicht von ungefähr ist, dass der noch
unerkannte Jesus den Betrachter, uns, so direkt
anschaut und die Handbewegung aus dem Bild gleichsam
auf ihn, auf uns, zukommt. Fürchtet euch nicht!
Ich bin mit euch auf dem Weg.
Wir
wissen auch, wie die Geschichte weiterging.
Als die
Jünger ihn schließlich erkannt hatten, kehrten sie
unverzüglich wieder um an den Ort, von dem sie
geflohen waren.
Sie
sagten zueinander: „Brannte uns nicht das Herz,
als er unterwegs mit uns redete und uns den Sinn der
Schrift erschloss?“ – Sie wussten, dass er lebt
und bei ihnen ist.
Das
Wichtigste vielleicht an diesem Bild:
Die Jünger kannten ihn. Doch sie müssen umdenken,
ihn neu kennenlernen.
Das
Wichtigste und Dringendste für unser Leben:
Wir
wissen von ihm. Wir müssen aber immer wieder neu
fragen: nach ihm, nach seinem Weg, nach seinem
Willen.
|