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Der heilige Martin teilt seinen Mantel (Tafelbild um 1460/70, Diözesanmuseum Rottenburg)
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Am 11. November gedenkt die Kirche des heiligen Martin. Er gehört zu den bekanntesten Persönlichkeiten des christlichen Abendlandes und zu den großen Heiligen der Kirchengeschichte.
Eine der Geschichten dieses Mannes ist uns von Kindheitstagen an vertraut. Jahr für Jahr wird bei den Martinsumzügen das Ereignis nachgespielt und in Liedern besungen, das sich im Winter des Jahres 334 vor den Toren der Stadt Amiens zugetragen hat. Martin, ein Gardeoffizier der römischen Reiterei, sieht am Wegrand einen frierenden Bettler. Kurz entschlossen teilt er seinen Offiziersmantel und gibt dem Armen die Hälfe.
Ein spätmittelalterliches Gemälde, entstanden um 1460/70 am Bodensee, zeigt die Szene. Das Tafelbild wurde für die Martinskirche in Günzburg angefertigt. Der Maler („Meister des Riedener Altars“) ist namentlich unbekannt. Aufbewahrt wird es im Diözesanmuseum Rottenburg.
Zu sehen ist rechts das Tor der nordfranzösischen Stadt Amiens. In der Bildmitte reitet der jugendliche Martin auf einem Schimmel. Mit dem Schwert in der rechten Hand teilt er seinen leuchtend roten Mantel, den die linke Hand kräftig umfasst.
Unten links vor dem Stadttor kniet ein Bettler. Er hat eine gelbe Kappe auf und trägt eine bräunliche Tasche. Für einen kalten Wintertag ist er spärlich bekleidet. Außerdem ist er von der Lepra gezeichnet. Sein Gesicht zeigt rote Flecken. Die Füße sind bereits abgefallen. Die Stummelbeine sind bis über die Knie mit Binden umwickelt. Er kann sich nur auf Knien und gestützt auf einen Stock fortbewegen. Als Aussätziger bleibt ihm nichts übrig als zu betteln.
Er schaut zum elegant gekleideten, schön anzusehenden und hoch auf dem Ross sitzenden Reitersmann hinauf – welch ein Kontrast! – und ergreift den Mantel, der hinter dem Pferd herabfällt, mit seiner rechten Hand.
So weit, so gut. Die Darstellung der Mantelteilung des hl. Martin ist weit verbreitet. Das Besondere an diesem Bild ist jedoch, dass der Maler gleichsam hinter die Szene schaut und damit den tieferen Zusammenhang und den Sinn des Geschehens aufzeigt.
Auf dem Bild mit dargestellt ist nämlich was Martin in der Nacht nach der Mantelteilung widerfuhr. In einer Traumvision erschien ihm Christus, zu sehen als Halbfigur oben links. In seinen Händen hält er ein Stück von Martins Mantel. Dieser leuchtend rote Mantel durchzieht wie eine Diagonale das Bild und reicht vom Himmel bis zur Erde, von Christus in den Wolken oben links über Martin in der Mitte bis zum Bettler rechts unten am Boden. Mantelteilung und Traumvision sind gekonnt und wunderbar miteinander verbunden. Der Höchste im Himmel und der Niedrigste auf Erden sind verknüpft.
Wer schenkt? Wer ist Beschenkter? Das rote Tuch umhüllt den Reiter. Er zerteilt es. Der Bettler empfängt es. Und Christus? Ist er es der gibt? Ist er es aber nicht auch, der empfängt? Ja, Christus selbst ist es, dem Martin das Stück Mantel gab. IHM ist er begegnet im Elenden und Armen. IHN hat er bekleidet und gewärmt, indem er spontan und kurzentschlossen seinen Mantel teilte. So ist Jesus sowohl oben als auch unten. Und er ist die Kraft, die in Martin wirkt. Martin seinerseits ist gewissermaßen die Brücke zwischen oben und unten. Drei goldene Scheiben fallen auf: Die größte – wie eine Sonne – um das Haupt des Marin, ein wenig kleiner hinter der Darstellung Christi und – wie ein Abglanz von beiden – die gold-gelbe Kappe des Bettlers. In Martin begegnet Christus dem Bettler. Und im Bettler begegnet Christus dem Martin.
Was auffällt ist noch ein Spruchband, das am oberen Bildrand von Christus über Martin hinweg flattert und bis zum Stadttor reicht. Darauf sind in gotischen Lettern die Christusworte zitiert, die von der berühmten Lebensbeschreibung des Sulpicius Severus überliefert sind: „Martinus adhuc catechominus hac veste me contexit – Martin, (noch) Katechumene, hat mich mit diesem Gewand bekleidet.“ Dieses wörtliche Zitat aus der Vita erschließt in Verbindung mit dem zentralen Bildelement – dem leuchtend roten Mantel des Heiligen – die Bildaussage: Martin handelt im Auftrag Christi, der damit zum eigentlichen Mantelspender wird. Der Heilige in der Mitte, durch den der Niedrigste und der Höchste miteinander verbunden sind, wird zum verlängerten Arm der Barmherzigkeit Gottes. Martins Tat war eine Tat der Nächstenliebe und sie sie war eine Frucht seiner anfanghaften (Noch-Katechumene =Taufanwärter) Begegnung mit der Botschaft von Jesus Christus, die sich damals im Römischen Reich verbreitete. Martin war dem Beispiel Jesu gefolgt. Er hatte im Bettler und Aussätzigen, im armen und leidenden Menschen, das Gesicht und die Gestalt Jesu entdeckt und hat gehandelt, hat geholfen, hat geteilt, hat Liebe geübt und dem Nächsten Barmherzigkeit erwiesen.
Ein alltäglicher Ort wird zum Glaubensort. Eine alltägliche Begegnung wird zur Begegnung mit Gott. Ein Geschehen im Vorübergehen wird zum Einfallstor des Geistes und der Gnade.
Als Martin, ohne lange zu überlegen seinen Mantel teilte und eine Hälfte dem Bettler gab, so wird erzählt, haben die Umstehenden über ihn gelacht, weil er in seinem halben Mantel seltsam aussah. Einige aber waren beschämt, weil sie auch hätten helfen können und es nicht getan haben.
Es braucht wache Sinne, Augen die sehen, Ohren die Hören…. Es braucht ein offenes Herz und tatkräftige Hände. Es braucht Menschen, die sich nicht abwenden, die nicht gleichgültig sind, nur selbstbezogen leben, sondern sich betreffen lassen, Leid sehen, fremde Not wahrnehmen und sich Elend zu Herzen gehen lassen. Es braucht Menschen, die sich zuwenden und helfen, wo Hilfe nötig ist. „Geh hin und handle genauso“, sagt Jesus im Gleichnis vom barmherzigen Samariter.
Die Geschichte von der Mantelteilung ist eine der beliebtesten rund um den heiligen Martin. Nicht umsonst. Was damals vor den Toren der Stadt Amiens in einer kalten Winternacht passierte und wodurch uns der heilige Martin auch heute noch am meisten vertraut ist, macht deutlich: Not kann und darf uns nicht kalt lassen. Das Wort aus der Gerichtsrede Jesu klingt an: „Was ihr einem der geringsten meiner Brüder getan habt, das habt ihr mir getan.“ (Mt 25,40)
Der heilige Martin steht in der Nachfolge Jesu auch heute noch dafür, dass wir alle gerufen sind, das Wort Gottes konkret werden zu lassen, Licht zu bringen, Frieden zu stiften, Liebe zu üben, Wunden zu heilen und Not zu teilen und uns dabei mit Gott zu verbinden. Denn „Hände, die schenken; Worte, die heilen; Augen die sehen; Lippen, die segnen…, erzählen von Gott…, sie sind der Trost, das Licht und die Hoffnung der Welt“
Und „dann wohnt ER schon in unserer Welt. Ja, dann schauen wir heut schon SEIN Angesicht, in der Liebe, die alles umfängt...“ Und es bewahrheitet sich: „Ubi caritas et amor, deus ibi est“ – „Wo die Güte und die Liebe, da ist Gott.“ Martin, der Soldat, „der später Mönch und Bischof wurde, verdeutlicht wie eine Ikone den unersetzlichen Wert des individuellen Liebes-Zeugnisses“ (Papst Benedikt XVI., in der Enzyklika „Deus caritas est“)
„Jeden Tag begegnen wir Menschen. Meist nehmen wir sie nur flüchtig war. Manchmal aber sehen wir mehr in ihnen. Ein Blick trifft ins Herz, ein Wort bleibt hängen, eine Geste weckt Mitgefühl. Begegnungen können das Leben verändern. Christus tritt auch uns in den Weg, unscheinbar und alltäglich, in den Menschen, mit denen wir leben.“ (aus der sehr empfehlenswerten Andacht zum heiligen Martin im Gotteslob, Anhang der Diözesen Freiburg und Rottenburg-Stuttgart, Nr. 934)
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