geistliche Impulse

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Bildmeditation

von P. Pius Kirchgessner, OFMCap

 

Pfingsten

(Bildmeditation zu einem Bild von Sieger Köder)

 

 

Das gesamte Bild wird von der Farbe Rot beherrscht.

Rot die Farbe des Feuers, der Glut, Symbol des Heiligen Geistes.

Rot auch Farbe der Liebe, der Leidenschaft.

 

Ganz in Rot eingetaucht sieht man ein Gebäude, das fast den ganzen Raum des Bildes einnimmt.

Was sofort auffällt: die vielen Fenster.

Das Gebäude scheint nur aus Fenstern zu bestehen.

Alle Fenster sind weit geöffnet. Aus jedem Fenster schaut und beugt sich eine Person heraus.

 

Im Gegensatz dazu sind im unteren Drittel des Bildes rechts und links Baugerüste zu sehen und Leute, die im Dunkeln sitzen.

Sie wirken verschlossen, isoliert, missmutig und resigniert.

Einsamkeit, Erschöpfung, Angst und Verzweiflung spricht aus ihrer Körperhaltung und ihren Gesichtern.

 

Dieser Teil des Bildes erinnert an den Turmbau zu Babel und an die babylonische Sprachenverwirrung.

Die Menschen bauen, aber ohne Beziehung zu Gott und ohne Gottes Geist. So verlieren sie auch die Beziehung zueinander. Keiner versteht den anderen. Und der Bau bleibt unvollendet.

 

Dieses düstere, trostlose Darstellung wird überdeckt durch ein gegensätzliches Geschehen: das Pfingstereignis.

Ein neues Haus mit mehreren Stockwerken entsteht.

 

Ganz unten – in ein rotes Gewand eingehüllt – ist ein kräftig gebauter Mann zu sehen. Mit beiden Händen hält er ein aufgeschlagenes Buch und streckt es dem Betrachter entgegen.

Quer über beide Seiten des Buches steht mit griechischen Buchstaben geschrieben das Wort „euangelion“, das heißt: Frohe Botschaft. Es ist Petrus, der die erste Pfingstpredigt hält.

 

Hinter ihm ist eine Tür des Gebäudes weit geöffnet und lässt in einen Raum hineinblicken. Darin sind mehrere Personen zu erkennen. Sie scheinen ins Gebet versunken zu sein.

Es sind die Jünger und Jüngerinnen Jesu. Nach der Himmelfahrt Jesu haben sie sich versammelt, um betend den Heiligen Geist zu erwarten, den Jesus ihnen versprochen hatte.

Rechts, die Frau mit dem Kopftuch ist wohl Maria.

In der Apostelgeschichte heißt es:

„Sie beteten ganz intensiv und waren ganz eins, zusammen mit den Frauen und mit Maria, der Mutter Jesu“.

 

Über den Köpfen sind rote Feuerzungen zu sehen. Sie beteten um den Geist und er kommt über sie wie ein Feuer. Sie werden „Feuer und Flamme“, und im wahrsten Sinn beGEISTert.

 

Statt weiterhin angstvoll unter sich zu bleiben, sich zu verbarrikadieren und zu verschließen, gehen sie mutig nach draußen und werden Christi Zeugen. Allen voran Petrus.

 

Er, der in der Ölbergnacht geschlafen und im Hof des hohenpriesterlichen Palastes Jesus verleugnet hat, verkündigt Dank der Kraft des Geistes freimütig die frohmachende Botschaft.

 

Aber nicht er und sein Amt stehen im Vordergrund, sondern allein das Wort des Evangeliums.

Darum geht es, dass die Frohe Botschaft zu den Menschen kommt, ihre Herzen erreicht und in ihrem Leben wirksam wird.

 

Während bei den Personen im Hintergrund die Flamme noch über den Köpfen schwebt, ist sie bei Petrus schon ins Herz gedrungen.

Das Feuer des Geistes hat ihn gepackt, entzündet.

Es hält ihn nicht mehr drinnen. Er tritt heraus aus dem Raum seiner Mutlosigkeit und Ängstlichkeit:

„Diesen Jesus, den ihr ans Kreuz geschlagen und umgebracht habt, den hat Gott auferweckt. Dafür sind wir Zeugen.“

 

Ausgerechnet der „Versager“ wird aus der Tiefe seines Herzen nach draußen getrieben, zu den Menschen gedrängt, ein Zeuge des göttlichen Feuers, ein Ergriffener, ein Brennender, einer mit der rettenden Botschaft in der Hand.

Am Pfingstfest ist sie sozusagen aufgegangen wie eine Knospe. Da hat etwas angefangen, was sich einfach ausbreiten will, was aufwachsen will wie ein Keim – unwiderstehlich lebendig.

 

Was da alles aufgewachsen ist durch die Jahrhunderte, das nimmt den meisten Raum auf dem Bild ein.

 

Im ersten Stockwerk präsentiert Sieger Köder die Ökumene.

Und zwar in der Weise, dass er die verschiedenen Konfessionen nicht als ein zu überwindendes Ärgernis sieht, sondern als Ausdruck lebendiger Vielfalt. Da wird das Haus „katholisch“ im ursprünglichen Sinne des Wortes: „allumfassend“, offen für alle.

 

Drei Gestalten des 20. Jahrhunderts, drei Zeugen des einen Evangeliums, vom Geist ergriffen und ihm verpflichtet, schauen aus geöffneten Fenstern.

 

Links der evangelische Pfarrer und Märtyrer Dietrich Bonhoeffer, mit der Bibel in der Hand. Die Bibel nicht kennen, heißt Christus nicht kennen. Christ ist einer, der aus der Bibel lebt.

Bonhoeffer lebte und starb aus der Kraft des Wortes Gottes.

 

Aus dem mittleren Fenster schaut der orthodoxe Patriarch Athenagoras von Konstantinopel.

Leidenschaftlich und unermüdlich hat er sich zu seiner Zeit – von 1948 bis 1972 – um die Ökumene bemüht, um ein fruchtbares Miteinander der Konfessionen in gegenseitiger Achtung und Wertschätzung. Mit seinem „Bruder Paul VI.“ hat er mehrmals „die Einheit durch Vielfalt“ besprochen. Nicht zuletzt seinem Engagement ist es zu verdanken, dass die römisch-katholische Kirche und die orthodoxe Kirche die gegenseitige Exkommunikation, die 1054 zur Kirchenspaltung geführt hatte, zurückgenommen haben.

Mit einer großen Osterkerze, die er beiden Händen hält, verkündet er den Auferstandenen als das „Licht der Welt“, erinnert aber auch an die Zusage und den Anspruch Jesu an die Seinen „Ihr seid das Licht der Welt“.

Das Licht des Evangeliums will und soll von uns hinausgetragen werden in die Finsternisse und Zwielichtigkeiten der Welt.

 

Aus dem rechten Fenster lehnt sich weit Papst Johannes XXIII. heraus. Sein Markenzeichen: ausgestreckte Arme und offene Hände als Zeichen herzliche Zuwendung zu allen Menschen.

Er hat mit der Einberufung des 2. Vatikanischen Konzils die Fenster der Kirche zur Welt hin weit aufgestoßen, damit vor allem der Geist Gottes in sie einströme.

Über dem Fenster von Johannes XXIII. ist in einem Spruchband der Titel seiner berühmten Sozialenzyklika „Pacem in terris“ dargestellt.

 

Die obere Etage macht Mut. Die junge Generation kommt in den Blick. Pfingsten ereignet sich immer, auch in unseren Tagen.

 

Die beiden rechts und links stehen stellvertretend für diejenigen, die sich auch heute noch im Rahmen von Kirche engagieren, in der kirchlichen Jugendarbeit.

Der Ministrant schwingt mit Freude das Rauchfass und macht damit ordentlich Dampf in einem Haus, in dem es nicht immer nach Gottes Geist „riecht“.

Der Jungscharführer oder Gruppenleiter hält das flatternde Christusbanner in der Hand. Damit bekannten sich in der Nazizeit so manche Jugendliche zu Jesus Christus und taten kund, wen sie für ihren wahren Führer hielten.

 

Aus den beiden mittleren Fenstern schauen eine junge Frau und ein Schwarzer. Sie halten ein Transparent mit der Aufschrift „Schalom – Friede“.

Diese beiden stehen stellvertretend für alle, die ihr Engagement hat hinausgehen lassen in die Welt, die sich für Frieden, für Gerechtigkeit und die Bewahrung der Schöpfung einsetzen, z. B. bei Pax Christi oder Aktion Sühnezeichen, bei Amnesty international oder Greenpeace oder einfach auch „nur“ in der Pflege ihrer alten Eltern, beim Obdachlosenfrühstück, beim kostenlosen Nachhilfeunterricht für Aussiedlerkinder oder beim Besuchsdienst für kranke und alte Menschen.

 

Das wichtigste Fenster – so sagt Sieger Köder – ist das oberste, von dem man nur ein Stück sieht und das noch leer ist.

Hier hört das Bild auf. Die Zukunft beginnt.

Wer wird morgen aus diesem Fenster herausschauen?

Wer wird morgen das Evangelium leben und die Kirche weiterbauen?

 

Eine andere Frage: Wo ist mein Platz?

Was kann ich – erfüllt und gestärkt durch den Geist Gottes – einbringen, wo mitwirken, wo mich beteiligen, Zeugnis geben, Gutes tun, wie mich für Frieden und Versöhnung einsetzen, wie mich engagieren für eine gerechtere und menschlichere Welt – nicht unbedingt in der Ferne, sondern an dem Platz, wo Gott mich hingestellt hat, in Familie und Gesellschaft, in der Pfarrei oder Seelsorgeeinheit, in einer Gruppe, einem Verein oder in einer christlichen Gemeinschaft?

 

Pfingsten feiern, das heißt, Fenster und Türen öffnen, sich den Menschen zuwenden, ihnen von der befreienden Liebe Gottes erzählen, ihnen in Ängsten und Nöten beistehen, aufrichten, trösten und helfen, wo Hilfe nötig ist.

 

 

Gebet (aus der Ostkirche)

 

Komm, heiliger Geist,

heilige uns.

 

Erfülle unsere Herzen

mit brennender Sehnsucht

nach Wahrheit, dem Weg

und dem vollen Leben.

 

Entzünde in uns dein Feuer,

dass wir selber davon

zum Lichte werden,

das leuchtet und wärmt und tröstet.

 

Lass unsere schwerfälligen Zungen

Worte finden, die von deiner Liebe

und Schönheit sprechen.

 

Schaffe uns neu,

dass wir Menschen der Liebe werden,

deine Heiligen,

sichtbare Worte Gottes.

 

Dann werden wir das Antlitz

der Erde erneuern

und alles wird neu geschaffen.

 

Komm, heiliger Geist,

heilige uns, stärke uns,

bleibe bei uns.

                                             Amen