geistliche Impulse

www.pius-kirchgessner.de

Bildmeditation

von P. Pius Kirchgessner, OFMCap

 

Gott in weiblicher Gestalt

(Bildmeditation zum Dreifaltigkeitsfresko von Urschalling [um 1390]) 

 

Die Dreifaltigkeit – nach christlicher Lehre der eine Gott in drei Personen – zählt zweifellos zu den schwierigsten Glaubenssätzen des Christentums.

Was so schwer zu formulieren, zu definieren und in Worte zu fassen ist und worüber die größten Theologen scharfsinnig spekuliert und diskutiert haben, nämlich über das dreifaltige Wesen Gottes, das hat man immer wieder versucht in Bildern auszudrücken.

Der römische Schriftsteller Tertullian wählt das Bild vom Baum aus Wurzeln, Stamm und Zweigen. Der Kirchenvater Augustinus vergleicht das Geheimnis mit dem Menschen aus Körper, Seele und Geist. Der hl. Patrick von Irland sieht die Dreifaltigkeit im Kleeblatt versinnbildlicht, der Theologe David Clemens in der Rechnung 1 x 1 x 1 = 1. Drei Kerzenflammen ineinander gehalten – drei Flammen, eine Glut – ist ein weiteres Bild.

„Der Vater über uns, der Sohn mit uns, der Geist in uns“ lautet eine biblische Beschreibung.

 

Auch in der Kunst gibt es durch die Jahrhunderte viele Versuche, das Geheimnis der göttlichen Dreifaltigkeit – die Einheit in drei Verschiedenheiten – darzustellen. Manchmal gelingt es der Kunst sogar mehr als den wortreichen Spekulationen und Definitionen nahe an die göttliche Wirklichkeit zu kommen.

 

In der Ikonografie der orthodoxen Kirche z.B. ist die Darstellung des Dreifaltigen Gottes in Form dreier gleich aussehender Gestalten bis heute beliebt, die  an die alttestamentliche Begegnung Abrahams mit den drei Engeln erinnert.

 

Eine sehr schöne, eindrucksvolle und tiefsinnige, gleichzeitig aber auch sehr ungewöhnliche Darstellung der heiligsten Dreifaltigkeit findet sich in Urschalling im Chiemgau.

In dem kleinen oberbayrischen Ort, der Teil der Markt-Gemeinde Prien am Chiemsee ist, gibt es ein kunsthistorisch bedeutsames kleines und nahezu unverändertes, romanische Kirchlein, das dem Apostel Jakobus geweiht ist.

Das Westjoch wurde um 1160 auf dem Unterbau eines Wehrturmes erbaut, der östliche Anbau entstand etwa um 1200 als Station auf dem Jakobusweg.

 

Das Kirchlein besitzt eine figurenreiche Wand- und Deckenbemalung. Es handelt sich um Fresken aus dem 14. Jahrhundert. Mitte des 16. Jahrhunderts wurden sie überdeckt und tauchten erst 1923 durch Zufall wieder auf als im Zuge einer aufwändigen Renovierung der Innenputz abgeklopft wurde. Zum Vorschein kam ein Freskenzyklus, der in seinem Erhaltungszustand und in seiner Qualität in ganz Süddeutschland einmalig ist.

Ein Fresko zeigt im Zwickel des Chorgewölbes zwischen zwei Bögen die heilige Dreifaltigkeit. Der Maler, der dieses Bild geschaffen hat, war vielleicht kein großer Künstler, aber er hatte eine originelle Idee.

Um auszudrücken, dass sich Gott nicht nur auf verschiedene Weise den Menschen zeigt, sondern auch in sich Fülle und Vielfalt enthält, hat er eine Figur mit drei Köpfen bzw. Gesichtern und drei Oberkörpern entworfen. Nach unten zu, wo sich die Gewölberippen treffen, verschmelzen jedoch die drei Körper zu einem einzigen, was auf die Einheit der drei göttlichen Personen hinweisen will.

 

Leicht zu identifizieren ist rechts Gottvater (mit weißem Haupthaar und Bart) und links Gottsohn (mit dunklem Haar und Bart, umhüllt mit demselben weißen Mantel den der Vater trägt). Beide wenden sich halb zur Mitte und lassen aus sich eine dritte Gestalt hervorgehen, den heiligen Geist.

 

Oder soll man besser sagen die „heilige Geistin“?

Denn das Besondere und Ungewöhnliche an dieser Darstellung ist nicht das menschliche Antlitz, das Besondere ist eher, dass diese Gestalt klar als Mädchen oder Frau zu erkennen ist mit weiblichem Gesicht, bartlos und rund, freundlich und jugendlich wirkend, mit langem hellbraunem Haar und roten Wangen.

 

Die Gesichter der drei Gestalten veranschaulichen drei Lebensabschnitte des Menschen: links das Mannesalter, rechts das Greisentum, in der Mitte die Jugend.

 

„Lasst uns den Menschen machen als unser Abbild, uns ähnlich.

Gott schuf also den Menschen als sein Abbild; als Abbild Gottes schuf er ihn, als Mann und Frau schuf er sie“ (Gen 1, 26 - 27).

 

Daran mag der Maler gedacht haben, als er die drei Lebensalter in die Gesichter der drei göttlichen Personen legte und gleichzeitig ein weibliches Gesicht für die heilige Geistkraft malte.

 

Alle drei Köpfe sind mit jeweils einem Heiligenschein versehen. Die drei Heiligenscheine gehen ineinander über.

Jeder Heiligenschein enthält nur einen Teil des Kreuznimbus.

Die drei Köpfe werden so durch die drei Balken eines einzigen Kreuzzeichens verklammert. Wenn man alle drei Heiligenscheine zusammenschiebe, käme der in der Kunst für Christus übliche Kreuznimbus zustande. Ebenfalls ein Hinweis auf die Einheit in der Verschiedenheit von Vater, Sohn und Geist.

 

Weiter fällt auf, dass die Gesamtgruppe nur zwei Hände hat.

Die beiden Hände, eine groß (männlich?), die andere zartgliedrig (weiblich?) weisen nach innen in die Mitte.

Drei Personen mit nur zwei Händen! Durch die Verschiedenheit der beiden Hände wird die Verschiedenheit der göttlichen Personen angedeutet, aber zugleich auch, dass es sich um ein Wesen handelt, denn sonst müssten es sechs Hände sein.

 

Alle drei Personen tragen dasselbe dunkelrote Untergewand, das bei der mittleren Gestalt unterhalb der Brust in Falten gestrafft ist.

Der weiße Mantel umhüllt alle drei. Doch er öffnet und schließt sich und öffnet sich noch einmal nach unten hin.

 

Auffällig ist auch das Weiblichkeitssymbol im Faltenwurf zu Füßen der mittleren Gestalt, eine deutliche Darstellung des Schoßes, trickreich aus den Falten der Gewänder von Vater und Sohn gebildet. Ein Hinweis auf Leben und Fruchtbarkeit.

 

Das Dreifaltigkeitsfresko von Urschalling ist ein Bild, an das man sich erst gewöhnen muss. Gleichzeitig fasziniert es.

 

Wollte der Maler – seiner Zeit weit voraus – deutlich machen, dass es im Wesen Gottes nicht nur männliche, sondern auch weibliche Eigenschaften gibt?

Man denkt unwillkürlich an das berühmte Wort von Papst Johannes Paul I.: „Gott ist nicht nur Vater, vielmehr ist er auch Mutter.“

 

Sicher hat der Künstler im 14. Jahrhundert nichts von Emanzipation, Feminismus, Frauenquote und Geschlechterkampf gewusst. Die Rolle der Frau war im Mittelalter klar umschrieben. Und diese Rolle war alles andere als frauenfreundlich. Dennoch hat es sich der Künstler nicht nehmen lassen, den Heiligen Geist als Frau zu malen.

 

Es scheint, dass der Maler des Bildes sich nicht nur auf sein Handwerk verstand, sondern auch das hebräische Wörterbuch kannte. Denn im biblischen Originaltext, der ja in der hebräischen Sprache verfasst wurde, wird der Heilige Geist „Ruach“ genannt.

Und „Ruach“ ist im Hebräischen (zwar nicht durchgehend, aber doch meist) Femininum, also mit dem weiblichen Artikel versehen: die Ruach, so weiblich wie die Mutter, die Schwester oder die Gefährtin.

Aber nicht nur grammatikalisch ist „Ruach“ weiblich, auch die Vorstellung ihres Wirkens in der Welt entstammen dem Erfahrungsbereich von Frauen:

Die Ruach schwebt (F. Stier übersetzt „brütet“) über dem Wasser.

Sie ist die Kraft, die schon bei der Schöpfung am Anfang der Bibel wirksam war. Sie schafft („gebiert“) das Leben.

Sie inspiriert, motiviert, bewegt und fördert es.

Sie lässt den Menschen atmen, leben, handeln.

 

Diese Tradition findet sich auch im Neuen Testament, wenn etwa Jesus dem Nikodemus erklärt, dass der Mensch „neu geboren werden muss aus dem Geist“, um in Gottes Reich zu gelangen  (Joh 3, 3f).

Etwas davon drückt sich auch heute noch darin aus, wenn wir Pfingsten, das Fest des Heiligen Geistes, als „Geburtsfest“ der Kirche bezeichnen.

 

Gottes Geist: die Liebe und die Güte – die Zuwendung – die Glut, die uns im finsteren Tal und in der kalten Nacht des Lebens wärmt und uns schützend umgibt – die Stimme, die uns ruft, die uns mit ihrer Weisheit begleitet und uns die Richtung weist.

 

Wir kommen mit unserer Sprache an die Grenzen des Sagbaren.

Doch der Maler, der vor 600 Jahren dieses Bild gemalt hat, er kommt uns zu Hilfe. Er sagt uns auf seine Weise: Stellt euch die Liebe und die Güte, die Weisheit und die Herrlichkeit Gottes nicht einseitig, nicht nur männlich vor. Gott hat auch weibliche Züge.

 

Das Deckenfresko in Urschalling war ein mutiger Schritt, die weibliche Seite Gottes buchstäblich ins Zentrum zu rücken.

Die „Heilige Geistin“ bildet hier die Mitte der Trinität und weist hin auf die Seite in Gott, die neues Leben gebiert. Es ist die Seite Gottes, die treffend besungen wird: „Komm, heilger Geist, der Leben schafft, erfülle uns mit deiner Kraft. Dein Schöpferwort rief uns zum Sein, nun hauch uns Gottes Odem ein.“

 

Bei aller Betonung des Weiblichen in Gott soll das allerdings auch nicht dazu führen, das Männliche, das lange Zeit überbetont war, gegen das Weibliche auszutauschen.

Eigentlich ist Gott weder Mann noch Frau, sondern er ist Gott!

Gott kann weder durch sein Mann-Sein noch durch sein Frau-Sein definiert werden, sondern nur durch sein Gott-Sein!

 

Er lässt sich nicht festnageln auf ein Merkmal, auf einen Wesenszug, auf eine Eigenschaft. Gott ist „alles in allem“.

Es sind gerade die vielfältigen Erscheinungen Gottes in der Geschichte des Menschen mit seinem Gott, von denen uns die Trinität erzählt:

Gott als Vater und Mutter, als Schöpfer und Ruach (Geisteswehen) von Anbeginn der Welt spürbar.

Er spricht zu uns als Bruder, Freund, Geliebter, als Heiland und Erlöser in den Erzählungen des Neunen Testamentes.

Und er ist, solange es Menschen gibt, in uns, betet in uns, wirkt in uns als Heiliger Geist. Er wohnt ins uns und ist in unserem Leben erfahrbar, wo wir uns für ihn öffnen, uns von ihm durchdringen und uns von seinem Licht und seiner Kraft, von seiner Freude und Liebe erfüllen lassen.

„Von ihm und durch ihn und zu ihm hin sind alle Dinge“ (Röm 11, 36). – „In ihm leben wir, bewegen wir uns und sind wir“ (Apg 17, 28). – „Gottes Liebe ist ausgegossen in unseren Herzen durch den Geist, der uns gegeben ist“ (Röm 5, 5).