geistliche Impulse

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Bildmeditation

von P. Pius Kirchgessner, OFMCap

 

Die Ausgießung des Heiligen Geistes

(Bildmeditation zum Pfingstbild von El Greco, um 1596 / 1600) 

 

 

Das Pfingstbild stammt von Domenicos Theotokopoulos, besser bekannt als „El Greco“ (= der Grieche). Es handelt sich um ein Spätwerk, war für ein Kloster in Madrid bestimmt-und gilt als Höhepunkt der Malerei El Grecos. Heute befindet es sich im Museo Nacional del Prado in Madrid.

 

El Greco wurde 1541 auf Kreta geboren und starb 1614 in Toledo (Spanien). In jungen Jahren lernte er bei Mönchen die Ikonenmalerei. Aber entscheidend wurde für seine künstlerische Entwicklung Venedig, wo er um 1667 Schüler von Tizian war. Über Parma kam er 1570 nach Rom, wo er besonders vom Werk Michelanchelos beeinflusst wurde. 1576 reiste er nach Spanien weiter. Nach einem kurzen Aufenthalt in Madrid ließ er sich in Toledo nieder, wo er als gefeierter Meister 1614 verstarb.

 

El Grecos Pfingstgemälde ist nur gut einen Meter breit, aber fast drei Meter hoch. Schon das ungewöhnliche Hochformat ist erstaunlich (127 x 275 cm). Es zeigt die Apostel versammelt um Maria, die Mutter Jesu, im Obergemach von Jerusalem (vgl. Apg 1,4 - 8).

Der Versammlungsort wird unten durch Stufen und eine Balustrade allerdings nur angedeutet und bleibt ansonsten im Dunkeln. – Oben hat sich der Himmel weißglühend geöffnet. In lichter Helle schwebt der Heilige Geist in Gestalt einer Taube. Über den Köpfen aller Versammelten zeigt sich das Feuer des Geistes in weiß-rötlichen Flammen.

 

Hier wird das Pfingstereignis nicht historisierend wiedergegeben, auch nicht als belehrendes Glaubensbild, sondern es wird als mystisches Geheimnis aufgefasst und als ekstatische Geschehen verbildlicht. Die Jünger und Jüngerinnen Jesu machen eine bestürzende und sie mit Leib und Seele packende und überwältigende Geist-Erfahrung.

 

Stummes Entrücktsein, inniges Verzücktsein und ekstatisches Ergriffensein kennzeichnet die Haltung, Gestik und Mimik der dargestellten Personen.

 

Wenn man in die Runde schaut und die Personen zählt, die sich um Maria geschart haben, dann sind es zwei mehr als die zwölf Apostel – Matthias ist bereits hinzugewählt. Und diese zwei heben sich auch auffällig von den anderen ab.

 

Da ist zunächst rechts von Maria eine junge Frau mit Schleier zu sehen. Demütig und friedvoll neigt sie ihren Kopf zu Maria hin. Vielleicht steht sie stellvertretend für die Frauen, die sich ebenfalls – wie die Apostelgeschichte erwähnt – im Obergemach in Jerusalem befanden und einmütig mit Maria und seinen Brüdern im Gebet verharrten (Apg 1,14). Wahrscheinlicher ist aber, dass El Greco hier seine Lebensgefährtin Dona Jeronima de la Casas ins Bild gebracht hat. Mit niedergeschlagenen Augen und gesenktem Kopf wirkt sie wie ein Gegenpol der Innerlichkeit zu den lebhaft gestikulierenden Aposteln.

 

Auch die dritte Person rechts von Maria sticht heraus und fällt auf. Von ihr ist nur der Kopf zu sehen. Mit ruhigem Blick schaut er als einziger aus dem Bild heraus und nimmt Kontakt zum Betrachter auf. Manche sehen in ihm den Stifter oder Auftraggeber des Bildes. Viel spricht aber auch dafür, dass sich El Greco hier selbst ins Bild gebracht hat. Es gibt zwar kein gesichertes Porträt El Grecos, aber hier wird eine der anonymen Selbstdarstellungen vermutet. Die Flamme des Heiligen Geistes schwebt auch über ihm. Auch er hat Anteil an dem pfingstlichen Gnadenereignis.

 

Rechts im Vordergrund ist – in hellblauer Tunika und gold-gelb-rötlichem Pallium – Petrus zu erkennen. Er wirft seinen Oberkörper kräftig zurück, stürzt fast hintüber  und stützt sich dabei mit seinem rechten Arm auf eine kleine Säule. Es ist, wie wenn er geistgewirkt und geistergriffen emporgehoben würde. Seine Füße lösen sich bereits von der Stufe, so dass er nur noch mit den Zehen den Boden berührt.

 

Links neben Petrus kniet der jugendlich wirkende Apostel Johannes. Mit dem Rücken zum Betrachter ist er direkt Maria gegenübergestellt. Jesus hatte sie ihm vom Kreuz herab als Mutter anvertraut (vgl. Joh 19, 26 - 27). Ohne sich zu wehren überlässt er sich mit geöffneten Händen ganz der ekstatischen Entrückung. Mit seligem Antlitz wendet er sich dem Licht von oben zu. Vom Heiligen Geist erfasst scheint er fast schwerelos die Steintreppe hinauf zu schweben.

 

Die übrigen zehn Apostel befinden sich allesamt in Bewegung, Verzückung, Ekstase, die Arme hocherhoben oder zum Empfangen geöffnet und ausgebreitet. Entrückt, entflammt, berauscht, begeistert, ergriffen, hingerissen, „außer sich“ – jeder auf seine Weise.

 

Links oberhalb von Johannes ist ein Apostel abgebildet, bei dem sein ungeordnetes Haar und sein struppiger Bart auffällt. Er trägt nur ein einfaches braunes Kleid. Seinen Kopf hat er weit nach oben gestreckt, ganz gebannt und innerlich vom Geist erfasst.

 

Über diesem Apostel ist ein anderer blau gekleideter Jünger zu sehen. Auch er schaut nach oben. Den rechten Arm hat er hoch empor gestreckt, die Hand wie eine Schale geöffnet. Gesicht, Arm und Hand sind licht-erfüllt.

 

Rechts von diesem hat ein anderer Apostel seinen rechten Arm über seinen Kopf gelegt.

 

Weiter rechts ist ein Apostel in goldgelbem Gewand zu sehen. Seine Arme sind weit geöffnet. Die Hände hat er erhoben wie bei der Orante-Haltung. Vielleicht drücken sie auch seliges Erschrecken aus, Zurückweichen, demütige Abwehr. Auch er ist ein vom Geist Ergriffener, Erstaunter und Entflammter.

 

Von dem Jünger daneben ist nur der Kopf zu sehen. Sein bartloses Gesicht wirkt jugendlich, fast knabenhaft. Es gibt die Vermutung, hier habe El Greco seinen einzigen Sohn, Jorge Manuel, porträtiert. Auch er ist ganz verzückt und ergriffen dem Licht aus der Höhe zugewandt. Die Flamme des Heiligen Geistes züngelt und schwebt auch über ihm.

 

Direkt daneben, links von Maria, ist ein wohl schon älterer Apostel mit weißem Vollbart abgebildet. Sein Gesicht wirkt auch verklärt, entrückt, aber ruhig und gesammelt. Sein Blick geht ebenfalls nach oben.

 

Auf der anderen Seite, rechts von Maria, ist als zweiter ein Apostel im grünen Gewand dargestellt. Ob es der sogenannte „ungläubige Thomas“ ist, der zwar auch von Gottes Geist gepackt ist, aber doch auch zweifelnd und wie erstarrt die linke Hand erhebt, mit der er vor Kurzem noch die Wundmale des Auferstandenen betasten wollte?

 

Der übernächste Apostel, rechts von Thomas, in türkisfarbenem Gewand bildet sozusagen den Gegenpol zu dem Jünger auf der linken Seite. Der eine hat den Arm ganz nach oben gerissen. Der andere weist mit überlangem Arm und quergestellter Hand nach unten. Er wirkt noch relativ jung und schaut mit gerecktem Hals und Kopf wie gebannt nach oben.

 

Direkt darunter ist ein Apostel mit vollem Bart zu sehen. Er trägt eine goldgelbe Tunika mit weit ausgeschnittenem Hals. Wie verzückt und hingerissen streckt er seinen kahlen Kopf nach oben.

 

Rechts daneben – wie Petrus und Johannes – in Rückenansicht ist als letzter in der Runde noch ein Apostel mit weißer Tunika und rötlichem Pallium zu sehen. Schützend hält er seine rechte Hand über sein Haupt.

 

Die Menschen in dieser Versammlung erleben die Ausgießung des Heiligen Geistes  Sie erleben den Einbruch Gottes als ein Emporgerissen-Werden, dem Licht entgegen, das auf sie herabfällt.

 

Vom Fuß des Petrus am unteren Bildrand geht eine dynamische Bewegung durch die Mitte der Komposition. Aufschauend reißen Petrus und Maria die Blicke nach oben. Das lichte blau ihrer Gewänder unterstützt diesen aufsteigenden Zug, der mit den züngelnden Flammen direkt in den offenen Himmel zielt.

Kontrapunkt dazu ist das rote Gewand der Mutter Jesu, das sie mit dem gleichfarbigen Pallium des Lieblingsjüngers Johannes verbindet.

 

Im Zentrum des Bildes erscheint der Schoß Mariens wie die Herzmitte der Versammlung. Allein ihre Gestalt ist unverdeckt frontal in sitzend-thronender Haltung dargestellt. Als einzige faltet sie die Hände zum Gebet. Auch sie nimmt eine schwebende Haltung ein, aber das Herabkommen des Heiligen Geistes vermag die Begnadete, die bereits ganz und gar von Gott erfüllt ist, nicht aus der Fassung, aus der Sammlung und aus der Vereinigung mit Gott herauszureißen.

 

Maria ist hier ganz Sinnbild der Kirche. In ihr ist Raum für die Menschen in all ihrer Individualität und Vielfalt, damals und zu jeder Zeit.