geistliche Impulse

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Bildmeditation

von P. Pius Kirchgessner, OFMCap

 

In Erwartung

(Bildmeditation zu einem Holzschnitt von Walter Habdank) 

 

Fünf Menschen und ein Hund – eng zusammengepfercht – auf einem Gerüst – hoch über der Stadt.

Irgendwann in der Nacht sind sie hinaufgeklettert. Noch steht die Mondsichel am Himmel. Über ihnen weht eine dürftige Fahne. Der Wind bläst ihnen ins Gesicht.

Höher hinauf konnten sie nicht. Sie drängen sich auf dem schwankenden Gestell. Die Plattform ist schmal. Es droht die Gefahr des Abgleitens und Abstürzens.

 

Was sind das für Menschen?

Was hat sie veranlasst, sich dieser unbequemen Lage auszusetzen? Was hat sie in eine solch schwankende Situation getrieben? Warum haben sie ihren Alltag, ihr gesichertes Leben unten in der Stadt hinter sich gelassen? Warum steigen sie aus, hinauf, jetzt, sofort?

Oder war ihr Leben unten in der Stadt gar nicht so sicher? Sind sie vielleicht geflohen vor einer Welle von Langeweile, vor einer Flut von Unsicherheit, vor einem Meer von Angst, in dem sie zu ertrinken drohten?

Vielleicht haben sie Schlimmes mitgemacht. Vielleicht sind sie gerade noch einmal davongekommen. In ihren großen weit aufgerissenen Augen sind noch Spuren eines unheilvollen Dunkels zu erkennen.

 

Allen diesen Menschen ist etwas gemeinsam:

Sie schauen in eine Richtung. Ihr Blick geht in die Ferne. Gespannt halten sie Ausschau. Ahnen sie, dass etwas auf sie zukommt und wollen es unbedingt erspähen, erkennen? – Ihre Haltung, ihre Gesichter, die Augen, ihr ganzes Dasein drückt Erwartung aus.

Welche Erwartung kann einen aus dem Schlaf reißen, dass man sich sofort aufmacht, hinaus, hinauf, um sehnsüchtig Ausschau zu halten?

 

Der Apostel Paulus schreibt im Brief an die Römer:

„Begreift die Zeit, in der ihr lebt: Jetzt ist die Stunde da, vom Schlafe aufzustehen. Denn unser Heil ist nahe. Die Nacht ist vorgerückt, der Tag ist nahe. Darum wollen wir uns abwenden vom Dunkel und das Licht erwarten: Christus, den Herrn.“

 

Meditationsmusik

II.

Der Holzschnitt von Walter Habdank hat den Titel: „In Erwartung“.

Ganz vorne dran steht einer mit einem Fernglas. Fast fällt er vom Turm. Er möchte genau sehen, klarer als mit bloßen Augen, näher als in Wirklichkeit. Doch er schaut auch neben dem Glas vorbei, will vielleicht das Ganze sehen, nicht nur den Ausschnitt, den das Fernglas zeigt.

Hinten steht einer und hält sich mit beiden Händen fest. Er beugt sich nach vorne, streckt sich dem entgegen, was er erwartet.

Zwischendrin lugt einer hervor. Er deutet mit dem Finger in die Ferne und öffnet ein wenig den Mund. Er beugt sich zu seinem Nachbarn und flüstert ihm etwas zu. Auf was zeigt er? Was sieht er?

Am Rand steht einer, der sichert sich mit der einen Hand, mit der anderen hält er schützend die Frau. Oder hält er sich an ihr fest?

Die Frau hat sich am Rand hingesetzt. Sie hält sich nicht fest. Sie hebt ihre Arme hoch. – Greift sie sich an den Kopf? Oder hat sie die Hände – angestrengt lauschend – an die Ohren gelegt, um besser zu hören?

Sie alle blicken nach vorn, schauen hinaus, in die Ferne. Gemeinsam halten sie Ausschau.

Vom Hund ist nur der Kopf zu sehen. Auch er spitzt die Ohren und schaut und lauscht. Die ganze Schöpfung wartet, dass Gottes Herrlichkeit vernehmbar werde. Wenn Gott unsere Erwartungen erfüllt, geschieht das überreich. Dann gibt es Hoffnung auch für den letzten armen Hund.

 

Mit Psalm 119 können wir beten:

„Herr, nach deiner Hilfe sehnt sich meine Seele; ich warte auf dein Wort. – Meine Augen sehnen sich nach deiner Verheißung. Wann wirst du kommen und mich trösten?“

 

Meditationsmusik

III.

Wer sind die Menschen in Erwartung, die Walter Habdank darstellt?

Sind wir es vielleicht selbst? Wir, du und ich? Natürlich sehen wir hier nicht besonders gut aus. Keine sportlichen Erscheinungen sind wir, nicht elegant gekleidet. Unvollkommen sind wir, brüchig, aus dem Lot geraten, gewissermaßen ausgesetzt, zusammengezwängt, bedroht von der Unsicherheit und vom Absturz.

  • Die Welt unter uns scheint zu wanken. Kriege und Naturkatastrophen, Hunger und Seuchen. (Seit einigen Monaten und immer noch die Corona-Pandemie!) Ganz zu schweigen von der drohenden Klima-Katastrophe! Dazu Not und Armut, Ungerechtigkeit, Habgier und Egoismus. Ein Teufelskreis von Angst und Verzweiflung, Ratlosigkeit und Mutlosigkeit. Alles das und noch vieles mehr lässt – wie auf einem Gerüst – den Boden unter unseren Füßen wanken.

  • Der Ruf der Kirche und vieler Christ-Gläubigen ist in den vergangenen Jahren schwer beschädigt worden. Ein riesiger Glaubwürdigkeits-Verlust! Kirche ist nicht mehr das „Haus voll Glorie“, „aus ewigem Stein erbauet“ und auf festem Grund stehend. Da ist vieles unsicher geworden. Die Zukunft liegt im Dunkeln. Wir können nur rufen: „In Drangsal mach uns frei und steh im Kampf uns bei!“

  • Und so manchem Zeit-Geist geht es nicht mehr um christliche Werte. Die Säkularisierung schreitet fort. Immer stärkere Ent-Christlichung der Gesellschaft. Beliebigkeit, Relativismus, Gleich-Gültigkeit bläst uns wie ein scharfer Wind ins Gesicht.

  • Wir leben in unruhigen Zeiten. Vieles ist nicht mehr im Gleichgewicht. Wir sind aus dem Lot geraten. Scheinbar Felsenfestes ist brüchig geworden. Die Situation ist unsicher und bedrohlich. Wir finden uns gefangen im wackligen Gerüst einer brodelnden Welt.

So stehen wir da, in einer unbequemen, einer beunruhigenden Lage, in einer unheilvollen Welt.

Wo ist Hoffnung? Wo Rettung? Wer bringt uns Hilfe?

„Wo bleibst du Trost der ganzen Welt?“

 

Meditationsmusik

 

IV

Das ist die eine Seite. Aber es wird noch etwas anderes deutlich, nämlich eine Ähnlichkeit dieser Figuren mit Hoffnungsgestalten der Bibel.

  • Da ist Noach, der aus der Arche hinausblickt, um die Rückkehr der Taube mit dem Ölblatt zu erwarten. Endlich Land sehen! Endlich wieder Boden unter den Füßen haben!

  • Da ist Mose, der mit erhobenen Händen fleht, dass Gott da bleibe, dass er die Seinen im Kampf stärke, sie stütze. Nur die Hände nicht sinken lassen! Beten! Glauben! Vertrauen!

  • Auch Jona ist dabei, der – dem Fischleib entronnen – aus dem wackeligen Gestell hinausweist und hofft und ruft. Ob wir – wie die Bewohner von Ninive – den Umkehrruf hören und ihm folgen?

  • Da ist der Zöllner Zachäus gleichsam im Gezweig des Baumes. Sein Anliegen: Jesus sehen, den Messias, den Erlöser! Das Heil der Welt erblicken!

  • Und da ist die Sünderin, die sich dem Herrn zuwendet und ihm mit ihren Haaren seine Füße trocknet. Ihr Glaube rettet sie.

 

Hoffende, sich sehnende Menschen, Erwartende.

Sie warten auf Hilfe, wo sie sich selbst nicht mehr helfen können. Sie warten auf Heil und Erlösung.

 

Menschen in Erwartung! Menschen im Advent!

Ausgerichtet auf das Neue, das ihre Situation verändern, ihr Leben verwandeln kann.

 

Menschen im Advent! Menschen in Erwartung!

Bin ich einer davon?

 

Adventliche Menschen sind Menschen,

  • die heraussteigen aus ihrem Alltag, um Weitblick und Klarsicht zu gewinnen.

  • die Ausschau halten nach Neuem und bereit sind, sich verändern zu lassen

  • die weit offen sind für das, was man noch nicht sehen und greifen kann,

  • die ausharren in unbequemer Lage, um ihr Heil nicht zu verschlafen,

  • die hellwach sind und sehnsüchtig eine lichte Zukunft erwarten.

 

Bin ich einer von ihnen, ein adventlicher Mensch?

Auf was warte ich? Warte ich überhaupt auf etwas?

Habe ich noch Erwartungen an mein Leben?

Wonach sehne ich mich?

 

Meditationsmusik

 

Ein Wort von Roger Schutz lautet:

„Advent ist zunächst Warten, Erwarten. Das heißt, Tag für Tag in sich das Maranatha, das „Komme, Herr!“ aufsteigen lassen. Komm für die Menschen! Komm für uns alle! Komm für mich selbst! – kurze Stille –

 

Mit Psalm 130 können wir beten:

„Ich warte auf den Herrn

mehr als die Wächter auf den Morgen.

Mehr als die Wächter auf den Morgen

harrt meine Seele auf den Herrn.

Auf ihn allein warte ich.

Von ihm kommt mir Hilfe.

Von ihm kommt mir Hoffnung.

Bei ihm ist Erlösung in Fülle.“