Dieser Evangeliumsabschnitt (24. Sonntag im Lesejahr A) trifft den Kern der Botschaft
Jesu. Es
geht um Vergebung. Vergebung ist ein Herzstück der christlichen
Heilsbotschaft.
Petrus
fragt seinen Herrn – schon Schlimmes befürchtend:
Wie
oft muss ich meinem Bruder verzeihen, wenn er mir etwas angetan hat?
– Petrus versucht zuerst selbst eine Antwort: vielleicht sogar bis zu
siebenmal? – Petrus hat für seine Begriffe schon sehr hoch angesetzt,
kaum zu überbieten. Das Ende der Fahnenstange.
Jesus
antwortet, nicht nur für Petrus erschreckend: siebenundsiebzig mal!
Jedes Mal, immer! Ohne Ausnahme!
Petrus fragt nach einem Maßstab, nach
einer oberen Grenze des Verzeihens. Jesus sagt: Es gibt keine Grenze.
Man muss sich das einmal vorstellen: Dem
anderen den gleichen Fehler, die gleiche Verfehlung, die gleiche
Charakterschwäche, die gleiche Unart, die einem nervt, seine
Vergesslichkeit z.B. oder sein ständiges Zu-spät-Kommen, die immer
wieder auftretende Unzuverlässigkeit jedes Mal verzeihen! Wer hat so
viel Geduld? Wer hat so viel Nachsicht?
Ist die Forderung Jesu nicht eine
Überforderung, eine Zumutung? Geht das nicht über unsere Kräfte? Bürdet
uns Jesus mit dieser maßlosen Forderung nicht nur neue Schuldgefühle
auf?
Jesus
begründet die grenzenlose Vergebung, indem er ein Gleichnis erzählt. Er
begründet sie letztlich mit dem Hinweis auf Gott selbst. Modell für
christliches Verhalten – auch bezüglich der Bereitschaft zu vergeben –
ist Gott selbst.
Ein
König
rechnet mit seinen Leuten ab. Er trifft auf einen, der hoffnungslos
verschuldet ist. Seine Schulden gehen in die Millionen, eine
astronomische Summe. Der Mann ist verloren.
Auch wenn man ihn mit seiner Familie in
die Sklaverei verkauft, auch wenn man sein Privatvermögen konfisziert:
das Geld, das nötig wäre, um die Schulden zu bezahlen, kann er nie und
nimmer aufbringen.
Der Mann hat sein Leben verspielt. Er
weiß das und geht in die Knie. Er bittet um Gnade und Barmherzigkeit.
Da geschieht das Unbegreifliche: Die
Schuld wird ersatzlos gestrichen. Es ist wie ein Wunder: Der Herr
verzichtet auf das, was ihm zusteht. Königliche Vergebung!
Kaum ist dieser Knecht, von der Last
befreit, wieder draußen, da trifft er einen Kollegen, einen armen
Schlucker, dem er ein paar Euro gepumpt hat, einen Kleckerbetrag, kaum
der Rede wert.
Jetzt wirft sich sein Mitknecht ihm zu
Füßen und bittet um Gnade und Barmherzigkeit. Und die
Wahrscheinlichkeit, dass dieser zweite dem ersten irgendwann die geringe
Schuld erstatten kann ist um ein Vielfaches größer, als dass der erste
dem Herrn die Millionenschuld zurückzuzahlen vermag, ein Ding der
Unmöglichkeit.
„Ist schon gut“,
hätte er sagen können. „Es ist gut“, das hatte er ja gerade
selbst aus dem Mund des Königs gehört, als es um viel mehr ging. - Aber
nun geschieht in diesem Gleichnis das Erstaunliche und im Grunde
Unverständliche: Er, dem die Riesenschuld gerade total gestrichen wurde,
er kennt keine Gnade.
Stattdessen packt er brutal zu: „Zahle, was du schuldig bist.“
Er besteht auf seinen Forderungen auf
Heller und Pfennig. Ganz grausam verfährt er mit seinem Kollegen. Er
kennt kein Pardon. Aber seine Hartherzigkeit wird ihm zum Verderben.
Am Schluss der Erzählung tritt der König
wieder auf: „Hättest nicht auch du Erbarmen haben müssen, wie ich mit
dir Erbarmen hatte?“ Und er behandelt den unbarmherzigen Knecht
ebenso hart, wie der seinen Mitknecht behandelt hat.
Liebe Schwestern und Brüder!
Es
liegt Jesus nicht daran, dass wir uns über den Ersten empören. Es käme
vielmehr alles darauf an, dass wir uns in ihm wieder finden. Es wäre
wichtig, dass wir uns wirklich als Sünder vor Gott sehen, dass wir das
nicht nur so daher sagen: „Durch meine Schuld,
durch meine Schuld, durch meine übergroße Schuld“.
Wie egoistisch können wir denken und
handeln! Wie können unsere Leidenschaften und Triebe uns fortreißen! Wie
sehr können wir anderen weh tun! Wie viel Gutes hätten wir tun können
und haben es nicht getan! - Wie oft weichen wir dem Anspruch Gottes aus!
Wie wenig nehmen wir seinen Willen ernst!
Sind wir bereit und sind wir fähig zu
sehen, dass das Böse auch in unserem Herzen wohnt?
Nur wenn wir uns da nichts vormachen,
können wir uns in der Vergebung als Beschenkte erfahren. Wenn wir das
aber nicht sehen, wenn wir uns nicht bewusst sind, dass wir angewiesen
sind auf Gottes Erbarmen, dass wir seine Vergebung immer wieder nötig
haben, dann erleben wir auch das Beglückende nicht mehr, dass wir
nämlich von der Liebe Gottes, von seinem Verzeihen leben. Wir stumpfen
ab. Wir sind nicht dankbar. Wir vergessen die Konsequenzen zu ziehen,
die aus der Vergebung Gottes, die uns selbst immer wieder so überreich
zuteil wird, erwachsen.
Wenn uns das aufgeht, wie überraschend,
wie unwahrscheinlich großzügig Gott handelt, wenn uns einleuchtet, wie
wir selbst ständig davon leben, dass Gott uns aufrichtig und von Herzen
verzeiht, nur dann können wir begreifen, was es heißt:
„Liebt einander, wie ich euch geliebt habe!“
und:
„Wie ich euch vergeben habe, so vergebt auch ihr!“
oder:
„Seid barmherzig, wie euer Vater im
Himmel barmherzig ist!“
Eine akrobatisch hohe Summe, wird dem
Knecht einfach erlassen. Alles erscheint übertrieben an dieser
Geschichte.
Aber gerade dadurch will Jesus sagen: So
überraschend handelt Gott, so unwahrscheinlich großzügig ist Gott.
Hier könnte freilich ein Irrtum
entstehen:
Als ob Gott die Schuld des Menschen nicht
ernst nimmt, als ob er sie im Grunde als eine Bagatelle ansieht.
So
meint Jesus das nicht! Sondern: Hier steht ein Mensch vor Gott, der sich
der ganzen Tragweite und Aussichtslosigkeit seiner Schuld bewusst ist,
der seine Schuld vor Gott zugibt, der vor Gott einfach kapituliert, der
nicht mehr weiter kann und nun das überraschende und befreiende Wort
hören darf: Deine ganze Schuld ist dir
vergeben!
Wie das Herz Gottes lauteres Erbarmen
ist, absolute Großmut, so soll auch unsere Haltung sein. Wie Gott
unendlich langmütig, barmherzig und gnädig ist, so soll auch der Mensch
nicht nur mit den Lippen, sondern mit seinem Herzen, also ganz
aufrichtig langmütig sein, barmherzig, bereit zu verzeihen.
Gottes Liebe
ruft unsere Liebe. Sein Herz ruft unser Herz.
Eine wesentliche Bitte am
Herz-Jesu-Freitag lautet:
„Bilde unser Herz nach deinem Herzen!“
Gertrud von le Fort hat das Wort:
„In der Verzeihung des Unverzeihlichen ist der
Mensch der göttlichen Liebe am nächsten.“
Wo Gott so großzügig ist, wie kann ich da
hart und unversöhnlich bleiben? - Wo Gottes Vergebung so bedingungslos
und grenzenlos ist, wie können wir da unsere Vergebung an Bedingungen
knüpfen? Oder ihr Schranken setzen? Oder sie von Umständen abhängig
machen?
Jesus sagt in der Bergpredigt: „Mit dem Maß mit dem ihr messt, wird auch euch gemessen werden!“
Ein ernstes Wort, das in die Verantwortung ruft.
Jesus sagt ganz unmissverständlich: Gott zieht seine Vergebung zurück, wenn bei euch der
Wille zur Vergebung fehlt, wenn ihr nicht, ein jeder, dem Bruder, der
Schwester verzeiht, und zwar von Herzen.
Man kann nicht das Vaterunser beten und
darin auch die Bitte an Gott richten um Vergebung der Schuld, wie auch
wir vergeben unseren Schuldigern und gleichzeitig die Faust in der
Tasche geballt haben.
Von
Herzen verzeihen,
auch dort, wo´s schwer fällt, auch dort, wo ich gar nicht schuld bin.
Gar nicht so leicht!
Die Höchstform der Liebe ist die
Vergebung. Wir können auch sagen: Die Vergebung ist der Testfall der
Liebe.
Vergebung?-
Sicher, man vergibt schon mal, wenn´s hoch kommt auch ein zweites,
drittes, ja sogar ein siebtes Mal. Aber dann ist Schluss, irgendwo
hört`s auf. Was der mir angetan hat! Wie die mich beleidigt hat! Das
kriegt er/sie zurück!
Wie du mir so ich dir! Da weiß man, wo
man dran ist. Verdient hat er`s ja! Dem geschieht recht!
Wie
oft muss ich vergeben?
Alles hat ja schließlich mal seine Grenzen! - Schluss mit der Vergebung?
Wo andere Schluss machen, da fängt`s mit
dem Christsein erst an, sagt Jesus. Und er hat es nicht nur gesagt. Er
hat so gehandelt. Sein Wort ist durch sein Leben gedeckt. Sogar seinen
Henkern hat er am Kreuz hängend die Vergebung des Vaters erbeten.
Alles hat seine Grenzen.
Bei Jesus nicht. Er ist über alle Grenzen hinausgegangen; siebzigmal
siebenmal ist er weitergegangen. Und er lädt uns ein, mit ihm zu gehen,
er lädt uns ein zu einer neuen Gangart. Er lädt uns ein, die gewohnten
Denkmuster und Verhaltensweisen aufzugeben.
Damit ist nicht gesagt:
Wir lassen fünf gerade sein. Es ist ja alles gar nicht so schlimm! Wir
decken es mit dem Mantel der Liebe zu. So nicht!
Wenn ein Kind seine Mutter belügt, wenn
ein Mann seine Frau betrügt, wenn ein Mitbruder mich beleidigt, über
mich bei anderen redet, mich beim Oberen schlecht macht, dann ist das
schlimm, dann zerbricht etwas.
Da
kann man nicht einfach sagen: „Schwamm drüber!“
Wohl aber kann die Liebe größer sein als das, was zwischen Zweien steht.
Das ist Vergebung! Dazu sind wir eingeladen und ermutigt, immer von
neuem, 70 x 7 mal, auch dann, wenn wir denken: „Jetzt reicht´s aber!“
Allerdings:
Großzügigkeit, Nachsicht, Vergebungsbereitschaft heißt nicht, dass ich
alles widerspruchslos hinnehme, dass ich mir immer alles gefallen lasse,
alles schlucke, unter den Teppich kehre oder in mich hineinfresse. Ich soll und darf mich auch verteidigen und wehren.
Großzügig sein
heißt nicht, dass ich mich nicht äußere, mich nicht zu Wort melde. Ich
soll und darf meinen Standpunkt vertreten und meine Sicht der Dinge
einbringen und deutlich machen, allerdings möglichst ruhig und sachlich,
denn der Ton macht die Musik und wie man in den Wald hineinruft, so
schallt es auch wieder zurück.
Es ist anderen gegenüber sogar fair, wenn
sie wissen, wie sie bei mir dran sind! Und ich bin aufrichtig, wenn ich
den anderen sage, wo ich mich übergangen, zu kurz gekommen oder nicht
ernst genommen fühle.
Es kann auch eine Form von Demut sein, zu
sagen, was ich wünsche, wo ich etwas brauche, meine Bedürfnisse
anzumelden oder auch zu signalisieren, wo ich verletzt bin.
Vergeben heißt nicht:
die Wirklichkeit vernebeln. Wenn Vergeben darin besteht, unter den
Teppich zu kehren, wenn es die offene Aussprache verhindert, dann
bewirkt sie oft das Gegenteil, wirkt kontraproduktiv.
Von Herzen verzeihen: das ist etwas von
Schwersten!
Wie schwer kann es sein, einen
Schlussstrich zu ziehen, das erlösende Wort zu finden, den Schritt zur
Versöhnung zu tun!
Jesus aber sagt:
Wenn ihr nur die liebt, die euch
lieben...
Wenn ihr nur die grüßt, die euch
grüßen...
Was tut ihr da Besonderes?
Welchen Lohn wollt ihr dafür erwarten?
Tut Gutes, denen die euch hassen! Betet
für die, die euch verfolgen. Segnet die, die euch verfluchen!
Wir bringen es oft nicht fertig. Wir
tragen nach. Wir rühren gern in alten Töpfen. Wir tischen längst
Vergangenes wieder auf und jubeln es bei passender Gelegenheit unter die
Weste oder streichen es aufs Butterbrot.
Wenn er seine Arbeit nicht zu Ende führt
ist er faul, wenn ich meine Arbeit nicht abschließe, bin ich beschäftigt
und überarbeitet.
Spricht er über andere, ist er ein
Klatschmaul, tue ich das gleiche, übe ich konstruktive Kritik.
Verteidigt er seine Sache, ist er
dickköpfig, beharre ich auf meinem Standpunkt, bin ich ein Mann von
Charakter.
Redet er nicht mit mir, ist er hochnäsig,
rede ich nicht mit ihm, war ich halt mit den Gedanken nicht dabei.
Ist er freundlich, führt er was im
Schilde, bin ich freundlich, ist das so meine nette Art.
Von
Herzen verzeihen:
gar nicht so einfach!
Denn es geht ja nicht bloß um
Kleinigkeiten. Natürlich auch darin sind wir groß, Kleinigkeiten
nachzutragen. Über was für lächerliche Dinge können sich manchmal
Familien oder Nachbarn, Kollegen und Angestellte aufregen und
zerstreiten. Ein Wort gibt das andere. Und dann herrscht eisiges
Schweigen. Man grüßt mitunter tagelang nicht mehr und schaut sich nicht
mehr an, oft wegen Bagatellen und Lappalien.
Von
Herzen verzeihen
sollen wir auch das Unrecht, das uns wirklich weh getan hat, das uns
wirklich getroffen hat.
Jesus
traut uns das „Siebenundsiebzigmal“ zu. Leicht wird`s nie sein,
aber möglich; am ehesten möglich dann, wenn wir uns bewusst sind, dass
wir selber keine weiße Weste haben, wie viel Schatten, Dunkles, Böses in
uns selber steckt und wie sehr wir selber von Gott und von unseren
Mitmenschen her auf Vergebung angewiesen sind.
Vergebung ist dann möglich,
wenn wir uns vom Evangelium bewegen, vom Geist Jesu inspirieren lassen.
Vergebung ist dann möglich,
wenn wir lernen, das Kreuz Jesu Christi anzuschauen.
Im
Gekreuzigten
sehen wir unsere Schuld. In ihm sehen wir noch mehr Gottes Liebe und
Erbarmen. Im Gekreuzigten sehen wir, wie viel wir Gott wert sind!
Jesus meint:
Wir müssten - in unserer Freude über Gottes großzügige Vergebung -
selber zu großzügiger, vorbehaltloser Vergebung bereit sein.
Wer Vergebung erfahren hat, sollte der
nicht auch selber vergeben können? Wer weiß, dass er „aus Gnade lebt“,
kann der ungnädig sein? Wir sollen so miteinander umgehen, wie Gott mit
uns umgeht.
Am
13. Mai 1981
geschah das schlimme Attentat auf Papst Johannes Paul II.
Als der Papst im Dezember 1983 seinen
Attentäter Ali Agca im Gefängnis besuchte, ging diese Begegnung durch
die Presse und alle Medien: Keine Vorwürfe, kein Nachtragen, sondern ein
Treffen der Versöhnung, ein Gespräch brüderlicher, verzeihender Liebe.
„Was wir einander gesagt haben, bleibt
ein Geheimnis zwischen mir und ihm. Ich habe zu ihm gesprochen wie man
zu einem Bruder spricht, dem ich vergeben habe und dem ich vertraue.“
Das war alles, was Johannes Paul II. den
Journalisten anschließend mitteilte.
„Ein überraschendes Drama von Verzeihung und Versöhnung“,
schrieb damals die Times.
Es
war für mich damals sehr beeindruckend als ein Journalist im Fernsehen
seinen Rückblick auf das Jahr mit eben diesen Bildern der Versöhnung
beendete. Noch mehr beeindruckten mich die Worte, die nachdenklich die
Szene beschlossen; Worte, die das aussprachen, was letztlich uns allen
und der ganzen Welt nottut: „Herr, vergib uns
unsere Schuld, wie auch wir vergeben unseren Schuldigern!“
Gegen Ende des 2. Weltkrieges fand man im
Konzentrationslager Ravensbrück folgendes Gebet auf einem Stück
Packpapier:
„Herr, gedenke nicht nur der Männer und
Frauen guten Willens, sondern auch der böswilligen. Gedenke nicht nur
all der Leiden, die wir unter ihrem Joch zu erdulden haben, sondern
gedenke auch der Früchte, die wir dank dieser Leiden hervorgebracht
haben – unserer Kameradschaft, unserer Treue, unserer Demut, unserer
Tapferkeit und Hochherzigkeit, der Herzensgröße, die alles inspirierte.
Und wenn sie dann vor den Richter treten, lass all diese Früchte, die
wir hervorgebracht haben, ihnen zur Vergeltung und zur Vergebung
gereichen.“
Von Werner Bergengruen stammt folgende
Geschichte:
Die Frau eines Fischers hatte mit einem
Matrosen die Ehe gebrochen. Nach Landessitte soll sie deshalb von einem
hohen Felsen gestürzt werden. Doch in der Nacht der Vollstreckung steigt
der betrogene Ehemann in die Felswand. Aus starken Seilen spannt er ein
großes Netz über den Abgrund und stopft es mit Stroh und Kissen aus. Als
nun am anderen Morgen das Urteil vollstreckt wird, stürzt die Frau vom
Felsen herab, aber sie wird aufgefangen im Netz der Liebe ihres Mannes.
Seine Liebe fängt ihre Schuld auf.
Überall aber,
wo Menschen sich versöhnen, Unrecht vergeben, Frieden schließen,
einander verzeihen, vollzieht sich auch göttliche Vergebung. Gottes
Liebe fängt unsere Schuld auf. Von seinem Erbarmen leben wir. Sein
Erbarmen ist größer als unsere Schuld.
Eine Geschichte erzählt:
Ein König sollte folgendes Urteil unterschreiben: „Gnade unmöglich,
im Gefängnis lassen!“
Ihm kam das Urteil zu hart vor, weil er
an die Zukunft des Mannes und seiner Familie dachte. Er änderte das
Urteil um: „Gnade, unmöglich im Gefängnis lassen!“
Er machte nur eine Kommaverschiebung, und
das Urteil lautete auf Freispruch. Gott macht ständig bei uns solche
Kommaverschiebungen. Probieren wir das doch auch mal im Umgang
miteinander!
Über Papst Johannes XXIII.
werden unzählige Anekdoten erzählt. Folgende Geschichte über ihn ist als
wahr verbürgt:
Es war in der Zeit, als Johannes noch
Patriarch von Venedig war. Eines Tages hörte er davon, dass einer seiner
Priester in der Stadt dem Alkohol verfallen sei. Johannes machte sich
zusammen mit seinem Sekretär auf, um den Mitbruder einmal aufzusuchen.
Im Pfarrhaus traf er ihn nicht an. Man
verwies Johannes an das Stammlokal des Pfarrers. Johannes ging hin und
schickte seinen Sekretär hinein. Der kam mit dem Pfarrer zurück.
Johannes sagte zu ihm: Ich muss mit dir reden. Hast Du Zeit für mich?
Beide gingen zum nahe gelegenen
Pfarrhaus. Dort sagte Johannes: Mitbruder, es ist wieder Zeit bei mir.
Nimm mir bitte die Beichte ab. Und dann beichtete der Patriarch bei
seinem zum Säufer gewordenen Mitbruder.
Der gab seinem Bischof die Lossprechung.
Johannes dankte ihm und ging nach Hause. Den Pfarrer hat man nie wieder
betrunken gesehen.
Johannes hat seinem Mitbruder das Trinken
nicht vorgeworfen, nicht einmal erwähnt. Er hat ihn nicht kommen lassen
und dann abgeurteilt. – Er ist zu ihm gegangen und hat ihn erleben
lassen, dass er nicht von der Warte des Besseren auf ihn herabschaut.
Hätte er ihm die Verfehlungen um die
Ohren geschlagen – er hätte dem Mann noch eine Wunde hinzugefügt zu
seiner Sucht. Stattdessen hat er ihn mit seiner Güte bestürzt.
So hat er ihn nicht noch einmal verletzt
und gänzlich eingesperrt in seine Schuld, sondern er hat jenem Pfarrer
seine Würde als Mensch und Priester zurückgegeben. Genau das hat ihn
erlöst aus seiner Verstrickung.
Jesus will uns
mit der kleinen Petruserzählung und dem sich anschließenden Gleichnis
vom unbarmherzigen Knecht sagen:
-
Was Menschen einander zu verzeihen haben, ist geradezu unfassbar
geringfügig im Vergleich zu dem, was Gott den Menschen verzeiht!
-
Man kann nicht von Gott für sich selber Vergebung erbitten und sie dem
Mitmenschen verweigern. „Hättest nicht auch du
Erbarmen haben müssen, wie ich mit dir Erbarmen hatte?“
Die
Erfahrung lehrt: Wer seinen Nächsten verurteilt, kann irren; wer
ihm aber verzeiht, irrt niemals.
|