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Kraft in der Schwachheit (14. Sonntag im Lesejahr B; 2 Kor 12, 7 - 10)
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„Wer angibt, hat mehr vom Leben.“ Kennen Sie diese Redewendung?
Es gibt viele Situationen, in denen sich Menschen nach diesem Motto verhalten. Nicht nur am Stammtisch, auch bei Klassentreffen, bei Wahlveranstaltungen, bei Familientreffen, Vorstellungsrunden oder im Kollegenkreis. Auch sonst wird gerne dick aufgetragen. Die eigene Leistung und der Erfolg werden hervorgehoben. Schauen wir nur in die Politik! Da sehen wir das fast jeden Tag. Immer geht es ums Image, um Ehre, Prestige und Anerkennung. Immer geht es darum, Eindruck zu machen, groß herauszukommen und gut dazustehen, sich ins rechte Licht rücken. Mehr scheinen als sein. Schwächen, Scheitern, Niederlagen und Enttäuschungen werden versteckt oder gekonnt überspielt.
„Wer angibt, hat mehr vom Leben.“ In der Gemeinde von Korinth gab es offensichtlich auch „Angeber“: Leute, die sich wichtig machten, Leute, die sich etwas einbildeten auf ihre Herkunft, ihren Einsatz in der Gemeinde, ihre Begabungen, Leute, die sich ihrer geistlichen Erfahrungen und mystischen Erlebnisse rühmten. Gleichzeitig versuchten sie, Paulus, den Gründer der Gemeinde, in seiner Abwesenheit verächtlich zu machen, ihn in Misskredit zu bringen, seine Autorität zu untergraben. Paulus nennt diese Leute, die ihn anfeinden „falsche Apostel“ oder auch ironisch „Über-Apostel“, „Super-Apostel“.
Eigentlich ist Angeben kindisch, lächerlich und abstoßend. Auch Paulus ist Selbstlob und Angeberei zuwider. Aber in seinem zweiten Brief an die Korinther (2 Kor 12, 7 - 10), da fühlt Paulus sich gezwungen, dieses dumme Spiel, diese Prahlerei und Narretei einmal mitzumachen. Und er kann gut mithalten. Er hat eine ganze Menge vorzuweisen:
„Sie sind Hebräer – ich auch. Sie sind Israeliten – ich auch. Sie sind Nachkommen Abrahams – ich auch. Sie sind Diener Christi – jetzt rede ich ganz unvernünftig – ich noch mehr.“ Dann fährt er fort: „Ich ertrug mehr Mühsal, war häufiger im Gefängnis, wurde mehr geschlagen, war oft in Todesgefahr. Fünfmal erhielt ich von Juden die neununddreißig Hiebe, dreimal wurde ich ausgepeitscht, einmal gesteinigt, dreimal erlitt ich Schiffbruch, eine Nacht und einen Tag trieb ich auf hoher See.“ Das ist nicht alles. Paulus schreibt weiter: Auf Reisen, gefährdet durch Flüsse, gefährdet durch Räuber, gefährdet durch das eigene Volk, gefährdet durch Heiden, gefährdet in der Stadt, gefährdet in der Wüste, gefährdet auf dem Meer, gefährdet durch falsche Brüder. Ich erduldete Mühsal und Plage, durchwachte viele Nächte, ertrug Hunger und Durst, häufiges Fasten, Kälte und Blöße. Um von allem anderen zu schweigen, weise ich noch auf den täglichen Andrang zu mir und die Sorgen für alle Gemeinden hin.“
Und dann erzählt Paulus noch ausführlich von einer Vision, die ihn bis in den dritten Himmel geführt und ins Paradies entrückt hat. Ein gewaltiges und überaus freudvolles Erlebnis, das sich sehen lassen kann und alle vergleichbaren Visionen und Offenbarungen in den Schatten stellt.
Aber genau an der Stelle, liebe Mitchristen, erfolgt ein Umschwung. Paulus wird still und nachdenklich. Er schreibt: „Damit ich mich der einzigartigen Offenbarungen nicht überhebe, wurde mir ein Stachel ins Fleisch gestoßen: ein Bote Satans, der mich mit Fäusten schlagen soll, damit ich mich nicht überhebe.“
Man hat oft gerätselt, was es mit diesem „Stachel im Fleisch“, diesem „Boten Satans“, auf sich hat, der Paulus wie mit Fäusten schlägt. War Paulus chronisch krank? Hatte er ein Augenleiden? Litt er an Migräne, Epilepsie, Nierenkoliken, an Depressionen oder sonst etwas? – Wir wissen es nicht. Im Grunde kann man nur darüber spekulieren.
Auf jeden Fall „Stachel“ bzw. „Pfahl im Fleisch“, „Satansbote“, „Faustschläge“, all das deutet darauf hin, dass es sich nicht um eine Kleinigkeit gehandelt hat, sondern etwas ganz Gravierendes, ein schlimmes und schmerzhaftes Übel, mit dem er wohl schon lange zu kämpfen hatte.
Ich denke, es ist gar nicht so wichtig, genau zu wissen, was dem Apostel so schrecklich zugesetzt hat, was ihn so teuflisch gepiesackt, gequält und beeinträchtigt hat. Ich finde es viel wichtiger und spannender zu sehen, wie Paulus darauf reagiert hat, wie er damit umgegangen ist und damit fertig wurde.
Wir haben es in der Lesung gehört: Paulus ruft Gott um Hilfe an. Er betet inständig und beharrlich. Er bittet Gott, diese teuflische Sache, diese Last und Qual, von ihm zu nehmen. Aber Paulus findet keine Erhörung, keine Erlösung, keine Heilung. Er wird diesen Stachel nicht los. Der Satansbote drangsaliert ihn weiter. Welch eine Enttäuschung! Paulus bleibt ein Angefochtener.
Geht es uns nicht auch oft wie Paulus? Wir bitten Gott inständig in Angst und Not, in Sorgen und Leid. Aber wir werden anscheinend nicht erhört, jedenfalls nicht so wie wir es uns wünschen.
Paulus erkennt, wofür in seinem Fall der Stachel gut ist, wofür er da ist und was er soll: Zweimal sagt er: „Damit ich mich nicht überhebe.“ Damit ich nicht abhebe, damit ich nicht stolz und hochmütig werde, damit ich auf dem Teppich bleibe, realistisch, geerdet, demütig. Dann bekommt Paulus eine Antwort, die auch für uns hilfreich und wegweisend sein kann. Sie lautet: „Meine Gnade genügt dir; denn sie erweist ihre Kraft in der Schwachheit.“ Dass die Gnade Gottes genügt, hat Paulus immer wieder erfahren. Er hat erfahren, dass Gott ihm in seiner Schwachheit beisteht. Er hat erfahren, dass seine Schwachheit sich in Kraft verwandelt hat, in Mitgefühl, Rücksicht, Freundlichkeit, Güte, Barmherzigkeit.
Dass die Gnade genügt, darauf dürfen auch wir hoffen und vertrauen, liebe Schwestern und Brüder! Allerdings, Gott hilft uns nicht immer, so wie wir wollen. Er befreit uns nicht auf jeden Fall von Mühsal und Angst, von unseren Nöten und Sorgen. Auch wer glaubt, gehört nicht automatisch zu den Gewinnern und Siegern. Gott bewahrt nicht vor allem Leid, aber in allem Leid. Gott sieht weiter. Er weiß, was für uns gut ist. Er schenkt seine Kraft, seine Gnade, seine Gegenwart.
Paulus hat sich gesträubt gegen den „Stachel im Fleisch“. Er wollte ihn weghaben. Das ist ganz natürlich. Das darf auch sein. Wir dürfen klagen, fragen, zweifeln, hadern. Die Mehrzahl der Psalmen sind Klagepsalmen. Auch Jesus hat am Ölberg unter Tränen und Blutschweiß gebetet: „Vater, nimm diesen Kelch von mir! Aber nicht wie ich will, sondern wie du willst.“
Sehen Sie: Dazu findet am Schluss auch Paulus. Er schreibt: „Ich bejahe meine Ohnmacht, alle Misshandlungen und Nöte, Verfolgungen und Ängste, die ich für Christus trage.“
Paulus hat gelernt, anzunehmen, was nicht zu ändern ist. Er hat dahin gefunden, den Stachel im Fleisch zu akzeptieren und zum Unvermeidlichen ja zu sagen. Leicht war’s sicher nicht. Es ist ein langer und schmerzhafter Lernprozess.
Aber weil Paulus Ja-Sagen konnte, deshalb hat dieser Stachel in ihm keine Bitterkeit erzeugt. Groll, Bitterkeit, Unzufriedenheit wie wir es oft bei Menschen erleben, die ihr Schicksal nicht annehmen können. Paulus hat den inneren Frieden gefunden.
Was dem Apostel wohl auch geholfen hat, zum unvermeidlich Schweren ja zu sagen, sind die Worte „für Christus“. „Ich bejahe meine Ohnmacht, alle Misshandlungen und Nöte, Verfolgungen und Ängste, die ich für Christus trage.“ Paulus weiß, dass all sein Leiden, ein Leiden mit und für Christus ist, in seinem Dienst, in seiner Kraft. Er opfert sein Leiden sozusagen auf. „Jesus, alles dir zulieb“. „Alles meinem Gott zu Ehren.“ „Auf dass in allem Gott verherrlicht werde.“ Alles aus Liebe zu Gott. Das motiviert. Das gibt Sinn. Nicht mehr „Warum“, sondern „Wofür“. Wer ein Wofür zu leben hat, erträgt fast jedes Wie.
Liebe Schwestern und Brüder! Wer angibt, hat nicht mehr vom Leben. „Eigenlob stinkt.“ Wer ja sagen kann, wer Glück und Unglück, Freude und Leid annehmen kann, der hat mehr vom Leben, dessen Leben gelingt. Wer ja sagen kann, dessen Leben bekommt Sinn und Ziel.
Zum Thema „Kraft in der Schwachheit“ bzw. „wenn ich schwach bin, dann bin ich stark“ habe ich eine schöne Geschichte gefunden. Sie stammt aus China und trägt die Überschrift „Der Sprung in der Schüssel“:
Es war einmal eine alte chinesische Frau, die zwei große Schüsseln
hatte, die von den Enden einer Stange hingen, die sie über ihren
Schultern trug.
Jede und jeder von uns hat seinen je eigenen „Dorn“ oder „Stachel“. Jeder hat seine Macken, Fehler und Schwächen. Manchmal wären wir sie gerne los. Manchmal schämen wir uns ihrer. Wir wären gerne kraftvoll, stark, perfekt, makellos. Fitness und Wellness soll dazu verhelfen. Und doch kann auch aus einer Schwäche Segen strömen. Eine Behinderung kann stark machen. Ohnmacht kann sich in Kraft verwandeln. Eine Krise kann wachsen und reifen lassen. Die Liturgie der Osternacht nennt die Sünde Adams „glückliche Schuld“. Sind es nicht genau unsere Schwächen, Fehler und Macken, die uns einzigartig und unser Leben so interessant und lohnenswert machen? Es gilt, sich selbst anzunehmen, zu sich selbst ja zu sagen, auch zu den Brüchen und Rissen, den Dornen und Stacheln. Und es gilt zum anderen ja zu sagen, ihn anzunehmen wie er ist, Geduld zu haben, das Gute in ihm zu sehen und zu versuchen, ihn zu lieben wie sich selbst. Über all dem steht ein großes Ja, das Ja Gottes zu jedem Menschen.
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