geistliche Impulse

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Vortrag

von P. Pius Kirchgessner, OFMCap

 

Wer ist Jesus für mich?

(21. Sonntag im Lesejahr A; Mt 16, 13 - 20)

 

„TU ES PETRUS ET SUPER HANC PETRUM AEDIFICABO ECCLESIAM MEAM“ – so steht es in mannshohen Buchstaben in der Kuppel des Petersdomes.

„Du bist Petrus. Und auf diesen Felsen werde ich meine Kirche bauen.“

 

Liebe Schwestern und Brüder!

Als katholische Christen denken wir bei diesen Worten an die Einsetzung des Papstamtes und an die Zusage Jesu, dass die Kirche nicht untergehen wird.

Und gewiss kann uns dieses Wort Jesu an Petrus in allen Stürmen, die der Kirche von außen und innen drohen, Ermutigung und Halt sein.

Aber es geht im heutigen Evangelium gar nicht ausschließlich und in erster Linie um den Primat des Petrus und damit des Bischofs von Rom. Damit ist unser Evangelium längst nicht ausgeschöpft.

Der meines Erachtens wichtigste Satz des Evangeliums steht vorher. Es ist das Bekenntnis des Petrus zu Jesus:

„Du bist Christus, der Sohn des lebendigen Gottes!“

 

Jesus selbst hat dieses Bekenntnis provoziert durch zwei Fragen.

Die erste ist allgemein gestellt:

„Für wen halten die Leute den Menschensohn?“

Also: Was denkt und spricht man über mich?

Wer bin ich nach Meinung der Leute?

Die zweite Frage richtet Jesus direkt an die Jünger:

„Ihr aber, für wen haltet ihr mich?“

 

Petrus macht sich – wie bei anderen Gelegenheiten auch – zum Sprecher aller und legt das großartige Bekenntnis ab:

„Du bist Christus, der Sohn des lebendigen Gottes!“

 

Liebe Schwestern und Brüder!

Die Frage: „Für wen haltet ihr mich?“ ist mit der Antwort des Petrus nicht erledigt!

Es geht – wie immer im Evangelium – je neu um uns selbst!

Was halten wir von Jesus? Was halte ich von ihm? Wer ist er für mich?

Wir sind gefragt! Was bedeutet Jesus dir und mir im täglichen Leben?

Merken Sie, wie da die Frage ganz persönlich wird?

 

Stellen Sie sich vor, ich hätte beim Vortragen des Evangeliums an dieser Stelle, bei dieser Frage Halt gemacht.

Und dann hätte ich Sie eingeladen in einer Zeit der Stille darüber nachzudenken, was Sie von Jesus halten, wer er für sie ist.

Und dann wäre ich mit einem Mikrophon zu Ihnen gekommen. Was hätten Sie geantwortet?

Was bedeutet Ihnen Jesus? Wer ist er für Sie ganz persönlich?

 

Blenden wir zurück:

Damals gingen die Meinungen, wer Jesus sei weit auseinander.

Es gab vielfältige, ganz unterschiedliche Ansichten und Urteile über ihn.

 

Er erregte Aufsehen.

Er redete und handelte anders als die maßgeblichen Führer.

Er tat Zeichen und Wunder.

Viele vermuteten in ihm etwas Außergewöhnliches und ganz Besonderes.

Andere ärgerten sich über ihn.

Denn er brachte Unruhe und Verwirrung unter die Leute.

Er untergrub die Macht und das Ansehen religiöser und politischer Autoritäten. Er stellte Fragen und stellte in Frage.

Er setzte sich über heiligste Überlieferungen und Vorschriften hinweg.

Für manche war er ein Rebell, ein Aufrührer, ein Gotteslästerer.

Die meisten meinten aber doch, einer der großen Propheten (wie z. B. Elija oder Johannes der Täufer) sei wieder gekommen.

 

Wie lauten heute die Urteile über Jesus?

Auch heute sind die Meinungen breit gefächert!

Für die einen ist er ein edler Mensch, vielleicht der beste aller Menschen, die je gelebt haben, der Inbegriff echten Menschseins, Vorbild wahrer Humanität.

Andere sehen in ihm einen gütigen Lehrer und Helfer, einen Idealisten.

Für wieder andere ist er ein revolutionärer Typ, ein Kämpfer für Veränderungen, eine Art Sozialreformer.

Groß ist heute auch die Versuchung, ihn auf eine Stufe mit anderen Religionsstiftern zu stellen, einem Mohammed oder Buddha etwa.

Manche deuten ihn als Weisen von der Art eines Sokrates, der für seine Gewissensüberzeugung in den Tod ging.

 

Natürlich ist es schon sehr viel, wenn Menschen in Jesus ein Vorbild sehen. Es ist gut, wenn man sich auf seine Güte und Menschenfreundlichkeit besinnt.

Aber ist das der ganze Jesus? Was haben wir von ihm begriffen, wenn wir ihn nur „interessant“ finden, wenn wir von ihm „fasziniert“ sind oder uns seine Großherzigkeit und Menschlichkeit anspricht? Und damit hat sich’s.

 

Wenn es bei Interesse und Bewunderung bleibt, im übrigen wir aber nicht selbst von ihm berührt werden, dann muss das nicht viel bedeuten, dann braucht das noch lange keine Auswirkungen auf unser Leben zu haben. Dann bleibt die Gestalt Jesu im Unverbindlichen und für meine persönliche Lebensgestaltung belanglos.

 

„IHR ABER FÜR WEN HALTET IHR MICH?“

Das ist eine Frage, die ein eindeutiges Bekenntnis fordert, eine Entscheidung. Hier gibt es kein Ausweichen.

Gefragt sind auch nicht vergleichende Antworten mit anderen Größen der Weltgeschichte, die man nach Belieben bewundern und ablehnen kann.

Jesus Frage zielt auch nicht nach Glaubenswahrheiten, Katechismussätzen o.ä., sondern er fragt nach der Einstellung der Jünger zu ihm. Es geht um die persönliche Beziehung zu ihm.

 

Ein Missionar aus Indien wurde einmal gefragt: „Wie steht es denn bei euch mit Gandhi?“ Er sagte: „Wie bei euch im Westen mit Jesus Christus! Er wird zitiert, verehrt, aber nicht ernst genommen.“

 

Liebe Mitchristen!

Nehmen wir, die wir uns als Christen bezeichnen, ihn ernst, von dem wir den Namen haben?

Dann kann er für uns nicht bloß ein idealer Mensch sein.

Dann geht es nicht nur um Vorbildfunktion, sondern dann sehen wir in ihm Gott selbst am Werk.

Dann ist er nicht mehr nur irgendein Bote Gottes, sondern wir glauben, dass in ihm Gott selbst zu uns gekommen ist und einer von uns geworden ist, um uns zu erlösen.

In ihm begegnen wir nicht nur einem Religionsstifter oder einer bewundernswerten und verehrungswürdigen großen Gestalt der Geschichte. In ihm begegnen wir dem lebendigen Gott.

„Du bist Christus, der Sohn des lebendigen Gottes!“

Und wir dürfen als österliche Menschen hinzufügen:

„Du bist unser Friede, unser Heiland und Erlöser.“

 

WER IST JESUS FÜR UNS? FÜR WEN HALTEN WIR IHN?

Anscheinend halten wir viel von ihm.

Denn wir gehen Sonntag für Sonntag in die Kirche, vielleicht auch noch öfter oder sogar täglich.

Wir beten zu ihm und beten ihn an. Wir hören sein Wort und feiern Eucharistie, das Mahl der Liebe.

Wir bekennen uns zu ihm, dem „Gott von Gott, Licht vom Licht, wahrer Gott vom wahren Gott“ (Credo).

Wir singen: „Du allein bist der Heilige, du allein der Herr, du allein der Höchste, Jesus Christus“ (Gloria).

Wir bringen die Einzigartigkeit Jesu zum Ausdruck, das, was ihn von allen anderen unterscheidet.

Ist das, was wir beten und singen nur Leerformel, Worthülse?

Ist das, was wir feiern nur gedankenlose Routine?

Oder merkt man unserem Leben an, dass wir uns zu Christus bekennen?

Wird in unserem Alltag, in unserem Verhalten sichtbar, dass wir seinen Namen tragen?

 

FÜR WEN HALTET IHR MICH?

Mit dem Mund ist die Antwort schnell gegeben. Leicht singen sich das Gloria und das Credo.

Aber ist das Bekenntnis auch durch mein Leben gedeckt, durch mein Verhalten im Alltag?

Rechne ich da mit Gott? Kommt Gott da vor?

Hat er das Sagen oder rangiert er unter „ferner liefen“?

Höre ich auf sein Wort? Gebe ich seinem Willen Vorfahrt?

 

Hat also das Bekenntnis zu Jesus Christus Auswirkung auf das tägliche Leben und Miteinander?

Oder ist es nur Lippenbekenntnis?

„Dieses Volk verehrt mich mit den Lippen, aber ihr Herz ist weit weg von mir“

 

Liebe Schwestern und Brüder!

Fragen wir uns selbst noch einmal:

Ist Jesus für uns, für mich der „Christus, der Sohn des lebendigen Gottes“?

Ist mein Glaube an ihn mehr als Verehrung?

Prägt und bestimmt er mein Leben?

Lasse ich mich von ihm leiten und führen?

Ist er Maß gebend auch in meinem Alltag?

Versuch ich meine  Glauben an Jesus Christus – so gut ich kann – in den alltäglichen Gegebenheiten und Umständen unter Beweis zu stellen?

 

Wir sind ausgegangen von der Frage Jesu:

„Ihr aber, für wen halten ihr mich?“

Und wir haben gefragt:

Wer ist Jesus für uns? Für wen halten wir ihn?

Eine Frage war auch, ob im Alltag sichtbar wird, was wir von ihm bekennen und dass wir uns zu ihm bekennen? Wie zeigt sich das? Und ob man uns das anmerkt.

 

Wir können zum Schluss noch einen Schritt weitergehen und die Frage Jesu noch direkter hören.

Ich kann sie ganz persönlich an mich gerichtet vernehmen.

Jesus fragt mich und er fragt dich: WER BIN ICH FÜR DICH?

 

„WER IST JESUS FÜR MICH?“

Ist er für mich mein Freund, mein Vertrauter?

Ist er für mich der Weg, auf dem ich gehe?

Ist er für mich die Wahrheit, die ich glaube?

Ist er für mich der Weinstock, ohne den ich keine Zukunft habe?

Ist er für mich das Leben und erfüllt mich mit Freude?

Ist er meine Hoffnung, mein Licht?

Ist er mein Halt, meine Stärke, meine Zuversicht?

Ist er für mich die Mitte und das Ziel meines Lebens?

 

WER IST JESUS FÜR MICH?

Von Lothar Zenetti stammt das Wortspiel, aber es ist mehr als ein Wortspiel, es ist eine tiefe Aussage, ein knappes, aber inhaltsrei­ches Bekenntnis, eine Glaubenserfahrung:

„WER JESUS FÜR MICH IST? – EINER, DER FÜR MICH IST!

WAS ICH VON JESUS HALTE? – DASS ER MICH HÄLT!“

 

Ich persönlich finde meinen Glauben an Jesus Christus in folgendem fast 1000 Jahre altem Gebet, einem Hymnus im Stundengebet der Kirche, sehr schön ausgedrückt.

Ich kann es auswendig und bete es gern:

 

„Christus, göttlicher Herr,

dich liebt, wer nur Kraft hat zu lieben,

unbewusst, wer dich nicht kennt,

sehnsuchtsvoll, wer um dich weiß.

 

Christus, du bist meine Hoffnung,

mein Friede, mein Glück, all mein Leben.

Christus, dir neigt sich mein Geist,

Christus, dich bete ich an.

 

Christus, an dir halt ich fest

mit der ganzen Kraft meiner Seele.

Dich, Herr, lieb ich allein,

suche dich, folge dir nach.“

 

Erzbischof Alphanus von Salerno

(1015 - 1085)