Exerzitien mit P. Pius

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Auf dem Weg nach Emmaus

(Lk 24, 13 - 35) 

 

 

1. Ein Weg voller Fragen

 

Die Geschichte der Jünger, die nach Emmaus gehen, gehört für mich seit langem zu den schönsten und beeindruckendsten Erzählungen im ganzen Neuen Testament. – Und obwohl ich sie schon zigmal gehört habe, höre ich sie immer noch und immer wieder gern.

 

Es ist eigenartig: Diese Erzählung wird mir nie leid. Ich mag sie einfach, diese tiefgehende und gar nicht ganz auszulotende Weggeschichte, für die der Evangelist Lukas seine ganze Erzählkunst, seine ganze Psychologie und Theologie aufgeboten hat.

 

Ich denke, diese Erzählung berührt mich deswegen immer wieder und spricht mich jedes mal auf’s Neue an, weil ich mich in den beiden Emmausjüngern gut selbst wiederfinden kann, weil es mir oft so oder zumindest ähnlich geht wie diesen beiden, die unterwegs sind zwischen Angst und Hoffnung, Trauer und Freude, Enttäuschung und Zuversicht. Im Weg der beiden Jünger können wir ein Sinnbild sehen für unseren eigenen Lebens- und Glaubensweg.

 

Auch zu unserem Leben gehören die Stunden des Leids, der Traurigkeit, der Enttäuschung, der Dunkelheit des Herzens und zerschlagene Lebenshoffnungen? Und auch in unserem Leben gibt es – wie bei den Emmausjüngern – Stunden des aufkommenden Lichtes, Stunden der Klarheit, Augenblicke, wo es einem warm wird ums Herz und Augenblicke der verborgenen Gotteserkenntnis und Gottesbegegnung. Es gibt die strahlende helle Freude und das Glück, wenn wir herausgefunden haben aus resignativer Verzagtheit, aus Ratlosigkeit oder trostloser Ungewissheit.

Unser Leben bewegt sich zwischen den Polen: Angst und Vertrauen, Erwartung und Enttäuschung, Hoffnung und Verzweiflung, Traurigkeit und Freude.

Wer von uns hätte sich nicht schon einmal so gefühlt wie die Emmausjünger, als sie sich auf den Weg machten fort von Jerusalem: deprimiert, total enttäuscht, am Nullpunkt der Hoffnung, völlig ratlos, voll Fragen und Zweifel..., wenn nur noch Nacht und Dunkel in uns ist, wenn wir entmutigt sind, resigniert, traurig, am Boden zerstört, weil schlimme Ereignisse uns hart getroffen oder schwere Schicksalsschläge uns heimgesucht haben. Dann ist es zum Verzweifeln. Man möchte am liebsten abhauen, alles hinschmeißen. Es ist zum Davonlaufen. Die Emmausjünger sind davongelaufen.

 

Wenn uns so zumute ist wie den beiden, wenn Angst und Sorgen einem quälen, wenn Kreuz und Leid niederdrücken, wenn Nöte und Probleme zu schaffen machen, wenn Fragen und Zweifel zusetzen, dann ist es gut, wenn wir einen Weggefährten haben, wenn wir mit jemandem reden können, uns aussprechen, Leid klagen, Trauer ausschütten. Mit jemandem reden können über Unverständliches, Unfassbares, bringt oft schon Erleichterung, es wirkt befreiend, schenkt Trost, ermutigt und lässt neue Hoffnung keimen. Manches kann einem aufgehen und klar werden schon im Formulieren, im Aussprechen. Neue Perspektiven zeigen sich und in den Grauton kann wieder Farbe kommen.

 

Die Jünger, die Jerusalem hinter sich lassen, den Ort des ersehnten Heiles, den Ort ihrer Hoffnung, der aber zum Ort des Grauens und des Endes aller Hoffnungen geworden ist, sie sind zu zweit. – Was über sie gemeinsam hereingebrochen ist und ihnen nun ganz arg zu schaffen macht, das verbindet die beiden: der Schrecken des Karfreitags, Traurigkeit, Enttäuschung, Ungewissheit, Unruhe.

 

Es bewegt sie die Frage: Warum ist alles so anders gekommen? Am Galgen ist er geendet, gescheitert. Seine Gegner haben gesiegt. Sein Tod ist die Katastrophe ihres Lebens. Das ist der Punkt über den sie nicht wegkommen. Der tote Punkt. Alles ist aus. Alles war umsonst. Die Sache mit Jesus ist für sie "passe".

 

Was jetzt? Wie soll‘s weitergehen? Sie haben keine Antwort auf diese Fragen. Niemand kann ihre Zweifel lösen. Ihre Traurigkeit ist riesig, die Enttäuschung sitzt tief.

Was passiert ist in Jerusalem, geht ihnen nicht aus dem Sinn. Auch wenn sie sich abwenden, weggehen, der Stadt den Rücken zukehren, es verfolgt sie. Abstand gewinnen wollen sie von den Ereignissen, die sich in Jerusalem abgespielt haben, fort von dem Ort, tapfer zurückgehen in den Alltag, nach Hause, zu ihren Familien, zu ihrem Beruf, weitermachen wie vorher. Und doch können sie nicht einfach alles abstreifen und abschütteln.

Was sie loswerden möchten hängt an ihnen wie bleierne Gewichte. Ihr Herz ist schwer. Der Blick verdüstert. So schleppen sie sich dahin, reden miteinander, versuchen zu enträtseln, zu verstehen, durchzublicken. Immerhin gehen die Jünger zu zweit und reden miteinander über ihre Enttäuschungen, über das, was geschehen ist.

Die Ereignisse haben sich überschlagen am dritten Tag: das leere Grab, die Frauen, denen Engel erschienen sind, ihre Botschaft, zwei Jünger daraufhin am Grab. „Ihn selber aber sahen sie nicht!“ So viel Bestürzendes, Rätselhaftes, Ungereimtes. Das Hin und Her der Erinnerungen, das Drunter und Drüber der Ereignisse, es ist wie in einem Irrgarten.

 

 

2. Der unerkannte Wegbegleiter

 

Während die beiden innerlich aufgewühlt, voll Not und Zweifel auf dem Weg sind, kommt Jesus hinzu, schließt sich ihnen an und wandert verborgen und unerkannt mit. Keine umwerfende Erscheinung, kein spektakulärer Auftritt. Was mich an dieser Geschichte sehr fasziniert: Jesus ist mit auf dem Weg. Er hört zu, fragt nach, fühlt sich in die beiden ein, spürt, wie verschlossen sie sind. Sie sind wie mit Blindheit geschlagen; ihre Augen sind gehalten. Sie erkennen ihn zunächst gar nicht.

„Was sind das für Reden?“ fragt scheinbar ahnungslos der Unbekannte. In Wirklichkeit holt Jesus sie dort ab, wo sie stehen, bei dem, was sie so sehr beschäftigt und was sie so niedergeschlagen und verdrossen sein lässt.

 

„Da blieben sie traurig stehen.“ Es kommt zu einem Innehalten.

Unfassbar ist ihnen, dass es in Jerusalem jemanden geben könnte, der nicht wüsste und nicht mitbekommen hätte, was dort alles vorgefallen ist und sich in den letzten Tagen ereignet hat.

Jesus fragt sie: „Was denn?“ – Jesus sagt nicht: „Kommt vergesst’s! Denkt was anderes.“ Jesus überspielt und verharmlost nicht, was die beiden traurig macht. Vielmehr fordert seine Frage heraus, davon zu reden. So kommen sie zum Zug, können auspacken, können abladen, können erzählen von dem, auf den sie ihre ganze Hoffnung gesetzt hatten, können mitteilen, was er ihnen bedeutete, wen sie in ihm sahen und was das für ein harter Schlag war, sein Tod am Kreuz, was da alles für sie zerbrochen ist.

„Was denn?“ – Es ist tatsächlich, wie wenn es jetzt aus ihnen herausbricht: „Das mit Jesus von Nazareth...“ Es scheint, als hätten sie darauf gewartet, sich ihren ganzen Frust von der Seele reden zu können. Und Jesus lässt sie reden. Er nimmt sich Zeit für sie. Er hört zu, lässt sie ausreden. Alles, was schmerzt darf aus ihnen heraus. Das allein tut schon gut.

 

Was die beiden sagen und an Jesus weitergeben, ist wie eine Verkündigung. Ihre Worte sind ein Teil der Heilsbotschaft der ersten Christen und der frühen Kirche, z. B. des Petrus in der Apostelgeschichte. „Jesus von Nazareth, ein Prophet, mächtig in Wort und Tat vor Gott und den Menschen. Doch die Hohenpriester und Führer des Volkes haben ihn ausgeliefert, er wurde zum Tod verurteilt und ans Kreuz geschlagen.“

 

Dies ist jedoch erst die Hälfte der Heilsbotschaft der Urkirche: „ausgeliefert, verurteilt, gelitten, gekreuzigt, gestorben und begraben.“ Das sind für die beiden Jünger die dramatischen Ereignisse, das Schlimme, das passiert ist und wovon sie zutiefst erschüttert sind. Die erste Hälfte der Heilsbotschaft endet in der Tat hier, in Traurigkeit, in gekreuzigten Hoffnungen. Es ist die dunkle, düstere Seite.

„Wir aber hatten gehofft.“

 

Jesus selbst muss ihnen Ohren und Augen öffnen für die helle Seite, für die ganze Wirklichkeit dessen, was in Jerusalem geschehen ist. Und da beginnt ihr Herz zu brennen, wo er ihnen die Schrift auslegt. Es geht eine Kraft und eine Wärme von ihm aus, ein verhaltenes Feuer und eine tiefe Glut.

 

 

3. Christus begegnen im Wort der Schrift

 

Mir fällt auf: Trotz aller Enttäuschung und Entmutigung sind die beiden offen für Gottes Wort, hören zu und lassen sich den Sinn erschließen. Und es geht ihnen auf: zum Messias gehört das Leiden und Sterben als Durchgang zur Herrlichkeit. „Musste nicht der Messias all das erleiden und so in seine Herrlichkeit eingehen?“

 

Für die Jünger und die frühen Christen war die große Frage:

Wer als Gotteslästerer verurteilt wie ein Verbrecher am Kreuz stirbt, kann das der Messias sein? Ist das nicht ein Widerspruch?

„Wenn du Gottes Sohn bist, dann steig herab vom Kreuz!“

 

Jesus versucht den Jüngern zu einer neuen Sicht des widersprüchlichen Geschehens zu verhelfen. Ein Schlüssel zum Verstehen ist die Schrift, d.h. die Schriften des Ersten Testamentes. „Gemäß der Schrift“

Hier ist die Schriftauslegung nur erwähnt. An anderen Stellen wird näher darauf eingegangen. So in Lk 22: „An mir muss das Schriftwort erfüllt werden: „Er ist unter die Frevler gerechnet worden.“ Ein Zitat aus Jesaja 53. oder in der Apg 4, 11 das Wort aus Ps 118: „Er ist der Stein, der von euch Bauleuten verworfen, zum Eckstein geworden ist.“

 

Solche Schriftmeditation war für die ersten Christen ganz wichtig, um sich selbst und auch anderen in der Weitergabe des Glaubens das widersprüchliche Geschehen des Leidens Jesu und der Torheit bzw. des Ärgernisses des Kreuzestodes zu deuten.

Das Kreuz war kein Unfall, kein Schicksalsschlag. Jesu Tod war kein Irrtum der Heilsgeschichte, sondern Folge eines geheimnisvollen göttlichen Ratschlusses.

Aber in der Emmauserzählung wird deutlich: Die Schrift ist nicht selbstverständlich. Von sich aus eröffnen ihre Aussagen nicht das richtige Verständnis. Es braucht die Hinführung, die Auslegung, es braucht die Meditation des Wortes Gottes. Hier ist es Jesus selbst, der im Mitgehen mit den beiden ihnen durch sein Hinführen, Erklären und Deuten den Sinn der Schrift erschließt, zu begreifen hilft und zum Verstehen führt. „Begreift ihr denn nicht?“

 

Und Jesu Worte legen sich wie Saatkörner in die fragenden und zagenden Herzen. Im Gespräch mit ihm, im Hören auf ihn gehen ihnen neue Horizonte auf. Der abgerissene Hoffnungsfaden wird wieder geknüpft. Die beiden, in denen alles dunkel und abgestorben war, fangen Feuer. Es beginnt zu brennen in ihren Herzen und Seelen. „Brannte uns nicht das Herz, als er unterwegs mit uns redete und uns den Sinn der Schrift erschloss?“ werden sie rückblickend auf dieses Schriftgespräch und die Schriftauslegung durch Jesus sich fragen.

 

 

4. Christus begegnen beim Brechen des Brotes, in der Gemeinschaft des Mahles

 

Der Weg ist lang, bis es dämmert. Der Abend bricht an, noch nicht der Morgen. Der Weggefährte, den die beiden gefunden haben, will die Reise fortsetzen. Sie laden ihn ein, ja drängen, nötigen ihn, bei ihnen zu bleiben. „Bleibe doch bei uns!“ Man kann’s nur allzu gut verstehen. Der Abend ist mehr als eine Tageszeit. Die Dunkelheit bricht herein. Wer die Nacht des Lebens kennt, wer erfahren hat, dass es finster aussieht, wer weiß, dass die Zeit zu Ende geht, der ahnt, was hier gemeint ist. Dann eingeladen zu sein ins Haus, an den Tisch – das ist wie ein Geschenk des Himmels. „Da ging er mit ihnen hinein, um bei ihnen zu bleiben.“

Und der Gast wird zum Gastgeber. Er, der immer noch für sie Fremde nimmt das Brot, spricht den Lobpreis und gibt es ihnen. Da fällt es ihnen wie Schuppen von den Augen. Und sie erkennen ihn. Der Gekreuzigte lebt. Er ist wirklich auferstanden. Gott hat zu ihm gehalten auch in seinem Sterben. Sein Tod war nicht das Ende.

 

Was wie eine beiläufige Begegnung begann, wird für die Jünger zur Erfahrung beglückender Gemeinschaft. Jesus schenkt sich ihnen im gebrochenen Brot, in der Gemeinschaft des Mahles. Welche Freude, welches Glück strömt da in das Herz. Da wandelt sich im Namen Jesu nicht nur das Brot. Da wandeln sich die müden Glieder und die schweren Herzen. „Noch in der gleichen Stunde brachen sie auf...“

 

Was sich in der Auslegung der Schrift andeutete, wird im Erleben des Mahles endgültig offenbar: Jesus lebt und ist mitten unter den Jüngern gegenwärtig. Es fällt auf: Die letzte Aufklärung wird nicht erreicht durch Erklärungen, sondern durch ein Erlebnis: das Brechen des Brotes. Das Brotbrechen, das Teilen des Lebens ist das Geschehen, in dem Jesus erkannt wird. Da gehen ihnen die Augen auf und das Herz.

 

5. Rückkehr und Zeugnis

 

Haus, Tischgemeinschaft – „Bleib doch bei uns!“ Da könnte man sich häuslich niederlassen. Aber Emmaus ist nur eine Station auf dem Weg. Wenn man angesteckt ist und wenn das Herz brennt, dann gibt es nichts Wichtigeres als aufzubrechen. Nichts hält sie mehr in Emmaus. Es drängt sie, ihre Erfahrungen den anderen in Jerusalem mitzuteilen. Die werden staunen!

So kehrt sich der Weg nach Jerusalem zurück, zu dem Ort der zerstörten Hoffnung, von dem sie sich abgewandt hatten, von dem sie Abstand gewinnen wollten. Sie eilen zu den anderen.

Und was erleben sie? – Der Ort, an dem ihre Hoffnungen zerbrochen waren, wird ihnen zum Ort der Verheißung. Noch bevor sie selbst bekennen und bezeugen können: „Jesus lebt. Wir sind ihm begegnet“, klingt ihnen die Osterbotschaft bereits entgegen. „Der Herr ist wirklich auferstanden!“

Die Freunde waren – wie sie – erschreckt, deprimiert, hoffnungslos, voll Not und Zweifel. Mit ihnen teilen sie jetzt die Freude über den, der lebt. Ein neuer, ein österlicher Tag beginnt. Licht strahlt herein in ihr Dunkel und vertreibt alle Angst und Finsternis.

 

Fast alle Ostererzählungen, Erscheinungen und Begegnungen mit Jesus, dem Auferstandenen enden mit einer Sendung, mit einem Bekenntnis, mit Zeugnis, mit dem Weitersagen und Weitergeben der eigenen Glaubenserfahrungen. Wovon das Herz voll ist, davon läuft der Mund bekanntlich über. „Wir können unmöglich schweigen von dem, was wir gesehen und gehört haben.“ (Apg 4, 20)

 

Und noch etwas: Die Emmausjünger erkennen Jesus nicht an seiner Gestalt, als er sich zu ihnen gesellt. Sie erkennen ihn auch noch nicht an seinem Wort, obwohl es ihnen da warm wird ums Herz und ihnen vieles aufgeht und einleuchtet. Sie erkennen ihn an seinem Tun, am Brechen des Brotes. – Ob es heute anders ist? Wird es nicht auch heute die gelebte Praxis sein, das Handeln und Leben von uns Christen, an dem die Menschen zum Glauben kommen?

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