Exerzitien mit P. Pius

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Alles geben

32. Sonntag im Jahreskreis, Lesejahr B; Mk 12, 41 - 44

 

Es gibt eine wunderbare Kurzgeschichte im Neuen Testament, die allerdings - genauso wie die Person, von der sie handelt - leicht übersehen wird und tatsächlich – im Unterschied zur frühen Kirche – in unserer Verkündigung kaum noch eine Rolle spielt. Und doch hat sie auch uns heute Entscheidendes zu sagen.

Es ist eine der prägnantesten und eindrucksvollsten Kurzgeschichten im Neuen Testament. Sie besteht aus nur vier Versen. Markus, ein Meister der Erzählkunst, hat sie für so wichtig gehalten, dass er sie in sein Evangelium aufnahm. Hören wir sie zunächst einmal an, diese an und für sich unscheinbare Begebenheit, über die man so leicht hinwegsieht, in der aber sehr viel Zeichenhaftes und Bedeutungsvolles steckt - auch für uns heute.

 

Evangelium

Diese arme Witwe hat mehr in den Opferkasten hineingeworfen als alle andern

+Aus dem heiligen Evangelium nach Markus

41In jener Zeit,

als Jesus im Tempel dem Opferkasten gegenübersaß, sah er zu, wie die Leute Geld in den Kasten warfen. Viele Reiche kamen und gaben viel.

42Da kam auch eine arme Witwe und warf zwei kleine Münzen hinein.

43Er rief seine Jünger zu sich und sagte: Amen, ich sage euch: Diese arme Witwe hat mehr in den Opferkasten hineingeworfen als alle andern.

44Denn sie alle haben nur etwas von ihrem Überfluss hineingeworfen; diese Frau aber, die kaum das Nötigste zum Leben hat, sie hat alles hergegeben, was sie besaß, ihren ganzen Lebensunterhalt.

 

Es muss etwas dabei herausspringen, wenn wir uns für eine Sache engagieren. Es muss noch etwas für uns übrigbleiben, wenn wir Zeit, Kraft und Mittel für eine Sache aufbringen. Alles hergeben, alles restlos einsetzen – auf die Gefahr hin, dass uns nichts verbleibt, dass wir möglicherweise leer ausgehen, nicht wahr, davor schrecken wir zurück. Wo kämen wir denn hin? Eine Frage, die wir wohl alle schon oft gestellt haben.

Ist es nicht ganz vernünftig, immer noch etwas in der Rückhand, im Rückhalt zu haben? Ist es nicht sinnvoll und gut, für alle Fälle vorzusorgen, die Eventualitäten, so weit möglich, einzukalkulieren und sich abzusichern?

 

Ganz anders verhält sich die Witwe im Evangelium: Zwar hat sie nicht viel, nur zwei kleine Münzen, mehr nicht. Aber sie gibt sie restlos weg.

Es waren zwei Münzen. Sie hätte auch nur eine geben können und die andere für sich behalten. Sie gibt alles. Sie behält nichts für sich zurück.

Handelt sie nicht unüberlegt, unklug, unvernünftig? Hätte nicht jemand der Frau in die Arme fallen müssen, um die törichte Tat zu verhindern, die ja dem Tempel praktisch nichts bringt, ihr selbst aber alles nimmt?

 

Man muss wissen: die Frau ist wirklich arm dran. Sie lebte buchstäblich von der Hand in den Mund. Es gab damals ja keine Witwenrente, keine Altersversicherung, keine Sozialhilfe. Witwen gehörten damals (zusammen mit den Waisen) zu den völlig benachteiligten und schutzlosen Bevölkerungsschichten. Eine Witwe besaß kein eigenes Einkommen. Nach dem Tod ihres Mannes musste sie in ihr Elternhaus zurückkehren. Wenn der eigene Vater ebenfalls nicht mehr lebte, hatte sie nur die Möglichkeit, um Almosen zu betteln.

 

Eine Witwe – durch ihre Kleidung ist sie für alle als solche erkennbar –, eine arme Witwe – der Text sagt es selbst: „die noch nicht einmal das Nötigste zum Leben hat“ – opfert im Tempel zwei Münzen, griechisch Lepta. Zwei Lepta, das ist weniger als das Existenzminimum.

 

Jesus sieht es. Er nimmt es wahr. Und das Geschehene ist ihm so wichtig, dass er seine Jünger darauf aufmerksam macht und die kleine Szene zu einer entscheidenden Unterweisung nutzt.

Er erklärt ihnen nämlich, dass die arme Spenderin mehr gegeben habe als alle anderen zusammen. Begründung: „Jene haben nur etwas von ihrem Überfluss gegeben. Diese Frau aber, die kaum das Nötigste zum Leben hat, gab alles, was sie besaß, ihren ganzen Lebensunterhalt.“

 

Woher weiß Jesus, was die Frau gegeben hat? Wie konnte jemand überhaupt wissen, wieviel Geld die Leute in den Opferstock geworfen haben? – Nun, Jesus lehrte im Tempel. Er saß im Vorhof der Frauen, so genannt, weil dorthin auch die Frauen Zugang hatten, nicht nur die Männer. Dort war auch die Schatzkammer mit den 13 posaunenförmigen Opferstöcken. Jeder war für einen eigenen Zweck bestimmt, für Tempelsteuer z.B. oder für Armenpflege. Der 13. war für die Darbringung von Brandopfer vorgesehen, also für Opfer allein zur Ehre Gottes. – Anders als bei uns üblich konnten die Leute das Geld aber nicht selbst in den Opferstock werfen. Sie haben es dem daneben stehenden Priester ausgehändigt. Der hat sich den Verwendungszweck nennen lassen, den Wert der Gabe geprüft und bestätigt. Erst dann kam das Geld in den Opferstock. Ein aufwendiger Vorgang, wobei nicht unbemerkt blieb, ob und was jemand gab. Diskretion war nicht gewährleistet. – So konnte Jesus ohne weiteres sehen, wohin die zwei winzigen Münzen der armen Witwe ihrem Wunsch gemäß gewandert sind. Wenn dann zudem der diensthabende Priester den Reichen ihren Opferbetrag lautstark bestätigt hat, war ihnen öffentliche Bewunderung gewiss. – Für jemand wie die arme Witwe mit ihren zwei schäbigen kleinen Münzen war es eine eher peinliche Angelegenheit, eine Hürde; wohingegen, wer viel zu geben hat, auch wenn die große Summe ein bedeutungsloser Betrag aus einem riesigen Vermögen war, sich leicht zeigen konnte und obendrein noch Anerkennung erntete.

 

Die arme Witwe ist sehr mutig. Sie steht zu sich. Sie zeigt sich mit ihrer geringen Gabe in der Öffentlichkeit. Sie versteckt sich nicht. Sie traut sich, auch das Wenige zu geben. Es hätte ja sein können, dass jemand sie fragt: „Was soll man denn mit diesen lumpigen zwei Lepta (zwei Pfennigen bzw. Cents) anfangen?“ Es hätte jemand entrüstet sein können, dass sie es wagt, mit einer so schäbigen und eigentlich nutzlosen Gabe überhaupt zu kommen. Oder jemand, der sie kennt und um ihre Armut weiß, hätte sie schelten können und ihr sagen, dass sie die paar Pfennige doch wohl dringend für sich selbst braucht. Sie zu opfern sei doch Dummheit.

 

Auch wenn die arme Witwe nur wenig gibt und das in den Augen anderer vielleicht blamabel sein mag, sie meint ihr Opfer ernst. Indem sie alles gibt, was sie hat, wagt sie sehr viel. Sie wagt es, nichts mehr in den Händen zu haben. Sie verzichtet auf die letzte Absicherung.

Jesus sagt: „Diese arme Witwe hat mehr gegeben als alle anderen zusammen!“

 

Wie ist dieses „mehr“ zu verstehen?

Unterm Strich hat die Gabe der Witwe praktisch keinen Wert. Sie ist sozusagen belanglos, nicht der Rede wert. Objektiv hat die Witwe nicht mehr gegeben. Da haben die anderen viel höhere Beträge gespendet. Aber der Gesinnung nach. Da ist der wahre Wert ihres Opfers gar nicht zu bemessen.

 

Sehen Sie, Jesus geht es hier, wie auch sonst immer, um die innere Haltung, die Einstellung. Er schaut tiefer. Er schaut auf das Herz. Und die Frau ist hochherzig. Hochherzigkeit fängt dort an, wo jemand etwas schenkt, das einem selbst noch nützlich oder gar notwendig gewesen wäre. – Nicht auf die Große der Gabe kommt es an, sondern auf die Größe der Hingabe!

Die einen geben, ohne mit der Wimper zu zucken viel. Sie können sich’s leisten. Sie geben von ihrem Überfluss. Das ist nichts Besonderes. Vielleicht schwingt auch noch mit, um gesehen und bewundert zu werden, oder um ihr Gewissen zu beruhigen. Vielleicht ist ihr Opfer auch nur eine Pflichtübung. Sie entrichten den geforderten Obulus. Aber ihr Herz, sie selbst sind nicht in der Gabe.

 

Ganz anders die arme Witwe. Sie kann nicht aus dem Vollen schöpfen. Ihr Geben ist auch keine Pflichtübung, kein Taktieren und Profitieren. Sie gibt ihr Letztes, nicht um gesehen zu werden - äußerlich ist ja blamabel, was sie gibt, für sie eher peinlich. – Und doch kommt in ihrem Tun eine ungeheure Radikalität zum Ausdruck, eine Radikalität, die uns erschrecken kann. Aber auch eine große Gelassenheit und Unbekümmertheit, über die wir nur Staunen können.

 

Die arme Witwe gibt ihr Letztes, weil sie glaubt, weil sie auf die Güte Gottes baut, weil sie auf seine Fürsorge hofft. Diese Frau muss ein ganz großes, ein unbändiges Vertrauen auf Gott gehabt haben, auf seine Vorsehung, auf seine Führung.

Sie verlässt sich ganz auf Gott und vertraut ihm die Sorge für ihr Leben an. Sie ist gewiss: Gott trägt mich. Er sorgt für mich. Er lässt mich nicht im Stich. Sie ist überzeugt: Gott ist an Großmut nicht zu übertreffen.

Sie weiß: Ihm verdanke ich alles. Was ich bin und habe, kommt von ihm. Alles gehört letztlich ihm. Ich selbst bin sein Eigentum.

 

So schenkt und überlässt die Witwe mit dem letzten Pfennig, den sie gibt, nicht nur ihr ganzes Hab und Gut, sondern sich selbst.

Ohne Vorbehalt und mit grenzenlosem Vertrauen gibt sie sich in die Hände Gottes. Alles, ihr eigenes Leben, stellt sie Gott anheim. Ihre äußere Gabe wird ein Zeichen ihrer inneren Haltung und ist Ausdruck einer echten religiösen Gesinnung und wahrer Frömmigkeit.

Die anderen spenden nur, sie opfert alles, frei und ungeteilt, weil sie keine Angst um ihr Leben hat. Ihr Leben gehört allein Gott. In ihrer Gabe schenkt sie ihre ganze Existenz.

 

Eduard Schweizer schreibt: „So preist diese kleine Geschichte jene stille, selbstverständliche und ganze Hingabe, die von ihrer Tat kein Aufhebens macht, in der der Mensch aber praktisch sich selbst und alle seine Sicherungen fahren lässt und sich ganz Gottes Barmherzigkeit ausliefert.“

 

Vor solcher Haltung gerät Jesus ins Staunen: „Sie opferte alles, was sie besaß, ihren ganzen Lebensunterhalt“ (griechischer Urtext: Bios = Leben) – Der Betrag war nicht großartig. Großartig, staunenswert aber der Geist, aus dem heraus das Opfer erwachsen ist. Auf ihrer kleinen Gabe liegt der heimliche Glanz einer großen Liebe und eines unendlichen Vertrauens.

 

Therese von Lisieux sagt einmal: „Heiligkeit besteht nicht in diesen oder jenen Übungen und Leistungen. Sie besteht in einer Bereitschaft des Herzens, die uns klein und demütig werden lässt in den Armen Gottes, wissend um unsere Schwäche und bis zur Verwegenheit vertrauend auf seine Vatergüte.“

 

So oft hat Jesus von diesem totalen Vertrauen gesprochen:

„Seht die Vögel des Himmels: Sie säen nicht, sie ernten nicht und sammeln keine Vorräte in Scheunen; euer himmlischer Vater ernährt sie. Seid ihr nicht viel mehr wert als sie?... Lernt von den Lilien, die auf dem Feld wachsen... Wenn Gott schon das Gras so prächtig kleidet, das heute auf dem Feld steht und morgen ins Feuer geworfen wird, wieviel mehr dann euch, ihr Kleingläubigen! Macht euch also keine Sorgen und fragt nicht: „Was sollen wir essen? Was sollen wir trinken? Was sollen wir anziehen? Denn um all das geht es den Heiden. Euer himmlischer Vater weiß, daß ihr das alles braucht. Euch aber muss es zuerst um sein Reich und seine Gerechtigkeit gehen, dann wird euch alles andere dazugegeben.“

 

Das Scherflein der armen Witwe lehrt uns noch etwas anderes, dass nämlich vor Gott das Kleine groß und das Unscheinbare wichtig ist, wenn, ja wenn eine lautere Absicht dahintersteckt und ein gutes, ein großzügiges Herz mitschlägt.

 

Noch einmal Therese von Lisieux: „Suchen wir niemals, was in den Augen der Menschen groß erscheint... Alles Tun, auch das Geringste und Verborgenste ist, sofern es in Liebe getan wird, kostbar und groß in den Augen Gottes.“

 

Vor Gott entscheidet nicht die Größe der Gabe, sondern die Selbstlosigkeit der Liebe; nicht Quantität, sondern Qualität, nicht Leistung, sondern Liebe; nicht Abgabe, sondern Hingabe; nicht krampfhaftes An-sich-selbst-Festhalten, sondern die Übereignung des Herzens. Wahre Frömmigkeit ist Hingabe, Sich-Verschenken an Gott.

 

Aus ganzem Herzen schenken kann ein Mensch, der gelernt hat zu sehen, wahrzunehmen, zu schätzen, wieviel ihm selbst unverdient von Gott geschenkt wurde im Leben: an Begabungen, an Menschen, an Begleitung, an Anteilnahme, an Hilfen. Diese Gaben können viel mehr sein als der Griff in den Geldbeutel. Was eine Gabe wertvoll, kostbar, unbezahlbar macht, ist die Liebe, mit der sie gegeben wird, die innere Hingabe.

Ein Beispiel: Wenn die kleine Karin ihrer Mutter ein Sträußchen selbstgepflückter Wiesenblumen zum Geburtstag schenkt, kann das so wertvoll sein wie der Pelzmantel oder ein neues Auto von ihrem Mann, von dem sie weiß, dass er ihr nicht treu ist. Wichtiger als die Gabe ist die Liebe, mit der wir geben. – Das Kleinste wird vergoldet, wenn es einem guten, einem liebenden Herzen kommt.

 

Die arme Witwe im Vorhof des Tempels von Jerusalem hat eine Gleichgesinnte, eine Schwester im Alten Testament, ebenfalls eine Witwe. Das 1. Buch der Könige (1 Kön 17, 10 - 16) berichtet von ihr, die Witwe von Sarepta. Sie teilte großzügig. Sie gab auch alles her, den letzten Bissen. Und wurde doch nicht im Stich gelassen. Sie hatte ebenfalls jenes große Vertrauen, in dem sich ein Mensch loslassen kann auf andere Menschen hin (in ihrem Fall war es der Prophet Elija) und letztlich auf Gott.

 

Die beiden Witwen sind lebendige Beispiele sorgloser Überlassung und liebenden Gottvertrauens. – So zu vertrauen und so loslassen zu können wie die beiden Witwen, so „vertrauens-selig“ im wahrsten Sinne des Wortes zu leben, ohne Angst zu kurz zu kommen oder leer auszugehen, das würde unser Leben reich und frei und froh machen.

 

Die beiden Witwen erinnern mich an einen Priester, der in die Seelsorge nach Nowosibirsk ging. Auf die Frage, ob denn dort für alles gesorgt sei, antwortete er: „Gott wird sorgen!“

 

Als Don Bosco anfing, sich um die Waisenkinder und verwahrloste Straßenjugend von Turin zu kümmern, wusste er oft nicht, wo er Unterhalt und Miete für das Haus hernehmen sollte. Aus seinem Vorhaben wäre nie etwas geworden, wenn er es erst finanziell hätte absichern wollen. Er wagte es – im Vertrauen auf die Vorsehung Gottes – einfach anzufangen. Oft kam im letzten Augenblick erst, was er benötigte. Aber er bekam es immer. Er hat für Gott alles gewagt und nachdrücklich erlebt, dass er sich auf ihn verlassen kann.

 

Eine ähnliche Erfahrung schildert Tatjana Goritschewa:

„Ich war bei Jean und Lucette in Moutjoie. Sie haben 13 seelisch und körperlich kranke Kinder aufgenommen. Ich erlebte eine richtige, herzliche Familie, in der jeder unentbehrlich ist und geliebt wird. Dabei sind Jean und Lucette gar keine reichen Leute. Sie versuchen einfach ihr Christsein ernst zu nehmen. Ihr Vertrauen auf Gott ist grenzenlos. Sie leben beständig auf der Kippe. Und es gab Zeiten, in denen sie nicht wussten, was sie den Kindern am nächsten Tag zu essen geben sollten. Die ganze Familie erhob sich dann zum Gebet. Diese Menschen glauben an das Unmögliche des Evangeliums. Warum begegnen wir so selten diesem ruhigen Vertrauen auf das Wunder?“

 

Hat nicht auch Franziskus dieses große Gottvertrauen an den Tag gelegt, als er auf dem Marktplatz dem Vater seine Kleider vor die Füße warf und fröhlich und bereit sagte: „Bis jetzt habe ich Pietro Bernadone meinen Vater genannt. Von nun an sage ich nur noch: Vater unser im Himmel.“

 

Eine ganz anders gelagerte, sehr eindrucksvolle Geschichte des Vertrauens auf Gott habe ich von einem Ehepaar gehört:

Die Frau erkrankte während der Schwangerschaft an Röteln. Das ungeborene Kind konnte dadurch ernsthaft geschädigt werden. Der Arzt riet zur Abtreibung. Sie jedoch verständigte sich mit ihrem Mann und gemeinsam vertrauten sie sich Gott an. Sie sagten „ja“ zu diesem Kind. Bewusst erklärten sie sich bereit, es auch dann anzunehmen, wenn es behindert sein sollte. Monate bangen Wartens vergingen. Immer wieder rangen sie neu um Vertrauen. Dann kam das Kind gesund zur Welt.

 

Warum ruht das Augenmerk Jesu auf der armen Witwe? Was entdeckt er an ihr?

Wir können noch ein Tiefstes sagen: In ihr trat ihm das Spiegelbild seiner selbst entgegen. Die arme Witwe hat alles gegeben wie er, der Herr, selbst alles gegeben hat aus Liebe. Wie diese Witwe mit ihrer Gabe ihren Lebensunterhalt und damit sich selbst in den Opferkasten legte, so verausgabte er sich selbst, wenn er mit seiner hinreißenden Sprachgewalt vom Gottesreich redete, wenn er Blinden, Tauben und Lahmen die heilende Hand auflegte, wenn er sich in die Auseinandersetzung mit seinen Gegnern einließ, wenn er seine Zeit und Kraft den Menschen gab und vor allem, wenn er schließlich seine Passion und seinen Kreuzestod auf sich nahm und sein Leben gab – aus Liebe, für uns.

 

Sehen Sie: Der armen Witwe ist jene Ganzhingabe zu eigen, in der Jesus um unserer Erlösung willen sein Leben für uns dahingab.

Bedenken wir: gleich nach dieser kurzen Szene im Tempel beginnt bei Markus die Leidensgeschichte. Die Hingabe der Frau weist – wie die Salbung in Bethanien (Mk 14, 3 - 9) – hin auf den Jesus der Passion, der sich hingegeben hat für die Vielen und dessen Hingabe wir in jeder Eucharistiefeier gedenken.

 

Im Zusammenhang der Eucharistie sagt Franziskus: „Behaltet nichts von euch für euch selbst zurück, damit euch ganz aufnehme, der sich euch ganz hingibt.“

 

„Behaltet nichts von euch für euch selbst zurück!“ Das hat die arme Witwe getan. Sie gibt alles. Sie wagt buchstäblich das Letzte und gibt sich ganz in die Hand Gottes. Für alle Zeiten ist sie ein Beispiel, eine glaubwürdige Zeugin für jede selbstlose, vertrauensvolle Hingabe an Gott, aber auch eine große Herausforderung.

 

Folgende Geschichte habe ich einmal gelesen: Ein Volksmissionar hat für „Berufe der Kirche“ geworben und für deren Ausbildung gebettelt. Als das Kollektenkörbchen zu einem jungen Mann kam, hat dieser kein Geld bei sich gehabt. Da schrieb er auf einen Zettel: „Ich gebe mich selbst“ und legte ihn ins Körbchen.

 

Das ist es: Bei allem, was wir vor Gott tun, müssen wir uns selbst geben, sonst hat alles, so viel wir auch tun, wenig oder keinen Wert.

„Der Preis deiner Liebe“, sagt Augustinus, „bist du selbst.“

 

In der Kirche San Appollinare Nuovo in Ravenna hat sich ein alter christologischer Bilderzyklus aus der Zeit Theoderichs des großen erhalten: Da steht die arme Witwe groß, fast wie eine Königin neben dem Opferkasten, in den sie ihre bescheidene Gabe legt.

Die ersten Christen, die Gläubigen der frühen Kirche, haben sich anscheinend von dieser Szene sehr angesprochen gefühlt. Sie haben wohl noch recht gut verstanden, was der Herr den Seinen, indem er eigens die Jünger ruft und ihnen das Erlebte erklärt, hat sagen wollen. Und es ist ein schönes Zeugnis urchristlichen Denkens, dass man die kleine, so unscheinbare Begebenheit in der Erinnerung bewahrte und weitererzählte.

 

Auch für unser Christsein und für unser Leben aus dem Glauben ist ganz wichtig und von großer Bedeutung: diese ungeteilte, vorbehaltlose, vertrauensvolle Hingabe an Gott, an einen Gott, der da ist - „Ich bin, der ich bin da“ -, an einen Gott der mitgeht, der uns hält und trägt, an einen Gott, der die Liebe ist, auf die es nur eine Antwort geben kann: unsere Liebe, an einen Gott, der absolute Großmut und Großherzigkeit ist und den Jesus „Abba“ nennt, vor dem wir keine Angst zu haben brauchen, dem wir im Gegenteil vertrauen dürfen, ganz und ohne Vorbehalt.

 

Ich kann mich fragen:

1. Rechne ich in meinem Leben mit Gott?

2. Was erwarte ich wirklich von Gott?

3. Bin ich bereit, alles loszulassen, um, arm im Sinne des Evangeliums, alles von IHM zu erwarten?

 

Im Gebet kann ich den Herrn bitten, dass er mir den Glauben der armen Witwe schenkt, der nichts von sich selbst, dafür aber alles von Gott erwartet, die Radikalität des Alles, die sich nichts mehr vorbehält, sondern sich selbst ganz loslassen kann, die Bereitschaft zur ungeteilten Hingabe, wahre Großherzigkeit, echte Großmut.

 

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