geistliche Impulse

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Vortrag

von P. Pius Kirchgessner, OFMCap

 

"... und hat unter uns gewohnt"

 

Vor einiger Zeit las ich den Reisebericht eines Franziskanerprovinzials. Er beschreibt einen Besuch bei Mitbrüdern in Brasilien. Über einen Rundgang durch die Stadt Sao Louis berichtet er:

„Wir kommen an vielen Elendsvierteln vorbei. Alle Sinne nehmen das Elend wahr. - Dann in der Stadt fahren wir mit dem Lift in das oberste Stockwerk eines Hochhauses. Von oben sehen wir auf die Stadt herab. Wir sehen weit in die schöne Landschaft der Umgebung. Wir sehen das weite Meer. - Nur die Armut, die sehen wir nicht mehr. Von da oben sieht man darüber hinweg. Dächer verhüllen sie. - Und plötzlich ist der Gedanke da: Du musst nur hoch genug steigen, dann siehst du die Armut nicht mehr. Wer die Armut wahrhaben will, muss auf dem Boden bleiben, unten. Er muss von oben herabsteigen. Armut nimmst du nur wahr, wenn du unten bist, in Augenhöhe mit den Menschen, den Schwestern und Brüdern.“

Als ich das las, dachte ich, diese schlichte Beobachtung des Franziskanerprovinzials hat viel zu tun mit der Bewegung Gottes herab zu den Menschen. Menschwerdung Gottes! Gott, der Allerhöchste, wird zum Allernächsten. Der Schöpfer des Alls, der Herr der Welt kommt in unsere Zeit und Niedrigkeit.

 

„Und das Wort ist Fleisch geworden und hat unter uns gewohnt“.

Das ist der zentrale Satz im Vorwort des Johannesevangeliums. Wir sprechen ihn jeden Tag, wenn die Angelusglocke läutet, wenn wir den „Engel des Herrn“ beten

„Und das Wort ist Fleisch geworden und hat unter uns gewohnt.“

Man spürt diesem Satz noch förmlich die Ergriffenheit und das selige Erstaunen des Evangelisten an und mit ihm der frühen Christen, die Ergriffenheit, die sie empfunden haben angesichts des unbegreiflichen Geheimnisses der Menschwerdung Gottes.

Er hat unter uns gewohnt.

Gott kommt in unsere Welt. Er komm herunter auf Augenhöhe. Er begibt sich zu uns, auf unsere Ebene. Er sucht unsere Nähe. Er wird ei­ner von uns. Er teilt unser menschliches Leben von der Geburt bis zum Tod. Er durchlebt Höhen und Tiefen - wie wir. Er kennt Freuden und Schmerzen - wie wir. Er wird unser Bruder. „In allem uns gleich“, sagt Paulus, „sein Leben war das eines Menschen“.

Er hat unter uns gewohnt.

In Jesus hat Gott unser Menschsein aber nicht nur flüchtig gestreift. Er hat es auch nicht zum Schein angenommen. Er hat sich nicht bloß die Maske eines Menschen vorgehängt oder ist wie ein Theaterspieler in das Kleid des Menschen geschlüpft.

In Jesus nimmt Gott wirklich unsere menschlichen Züge an, ein menschliches Antlitz; menschliche Augen, die Erbarmen ausstrahlen; eine menschliche Stimme, die tröstet und Vergebung verspricht; ein menschliches Herz, das verschwenderisch liebt, menschliche Hände, die segnen und heilen; menschliche Ohren, die den Hilfeschrei hören; menschliche Füße, die nicht zögern, auf Notleidende zuzugehen. - Gott wird Mensch, einer von uns.

Er schaut nicht bloß von oben herab oder von außen her auf unser zerrinnendes Leben. Er nimmt auf sich unser Schicksal. Er teilt unser menschliches Los.

Er hat unter uns gewohnt.

Er hat alles, was unser Menschsein ausmacht, angenommen, in jeder Hinsicht hat er es erfahren und kennengelernt. Und nicht nur die schönen und angenehmen Seiten des Menschseins. Gott hat auch nicht nur ein wenig am Leben des Menschen genippt.

Er ging ganz in unser Leben hinein, wo wir weinen und leiden, wo wir enttäuscht sind und allein, verbittert und verzweifelt.

Er hat Leid, Schmerz, Angst und Not und sogar den Tod elementar erfahren.

Es gibt keine Nacht, die er nicht kennt, keinen Verlassenheit, die er nicht durchlitten hätte, keinen Abgrund, der ihm nicht vertraut wäre. Jesus hat wirklich unser Leben gelebt.

 

Warum tut das Gott? Warum nimmt er unser Leben an? Warum entäußert er sich seiner Allmacht? Warum steigt er herab in die Tiefen unseres Menschsein? Warum kommt er aus der unendlichen Fülle und dem Reichtum Gottes und wird ein Menschenkind, arm, angewiesen, hilflos, wehrlos?

Es gibt nur eine Antwort: Aus Liebe! - „So sehr hat Gott die Welt ge­liebt, dass er seinen Sohn sandte, damit jeder, der an ihn glaubt nicht verloren geht, sondern das ewige Leben hat. - „Aus Liebe“ geht Gott diesen Weg. Aus Liebe zu uns Menschen wird er Mensch. UNSERET­WEGEN. Der Apostel Paulus bringt es treffend zum Ausdruck: „Er, der reich war, wurde unseretwegen arm, um uns durch seine Armut reich zu machen.“ „Für uns Menschen und um unseres Heiles willen ist er vom Himmel gekommen.“ (Credo)

Im „Te deum“ betet die Kirche: „Du König der Herrlichkeit, Christus, du bist des Vaters allewiger Sohn. Du hast der Jungfrau Schoß nicht ver­schmäht, bist Mensch geworden, den Menschen zu befreien.“

Gott selbst ist in unsere Geschichte eingetreten und macht sie zu seiner Geschichte, ja er macht sie zur Heilsgeschichte.

 

Sagen Sie es selbst, liebe Schwestern und Brüder!

Kann Gott sich radikaler ausliefern und wehrloser machen als in einer Geburt? Kann Gott radikaler an die Seite der Menschen treten, besonders auch der Kleinen, der Hilfsbedürftigen, der Ohnmächtigen, der Armen und Leidenden? Kann Gott den Menschen mehr ernst nehmen und annehmen, wie wenn er selbst Mensch wird? - Gottes Liebe total, für dich und für mich, für jeden!

Wenn wir das Wort bedenken, den Satz des Johannesprologs: „er hat unter uns gewohnt“, dann meint das nicht nur die Menschwerdung, das Weihnachtsgeheimnis, das Ereignis von Bethlehem. Darüber hinaus ist zu sagen, dass Jesus, als er beginnt, öffentlich zu lehren und zu predigen, auch und erst recht unter den Menschen wohnte, indem er mitten unter ihnen lebte. Jesus hat ja nicht als Eremit gelebt, als Einsiedler.

Als Jesus die ersten zwei Jünger, die ihm folgen fragt: „Was sucht ihr?“ da haben sie geantwortet: „Meister, wo wohnst du?“ Jesus sagte: „Kommt und seht!“ Uns sie gingen mit ihm und sahen, wo er wohnte.

Jesus hat Menschen um sich gesammelt. Er hat Jünger berufen und die Apostel erwählt, dass sie mit ihm seien. Jesus ist zu den Menschen gegangen. Überall begegnete er Menschen.

Er hat unter ihnen gewohnt. Warum? Auch wieder: für uns, um uns zu befreien, um unseres Heiles willen. Aus Liebe!

Warum stellt er, der Sündenlose, sich bei der Taufe im Jordan in die Reihe der Sünder? - Aus Liebe! Solidarische Liebe!- „Ich bin gekommen, nicht die Gerechten zu berufen, sondern die Sünder.“

Warum wendet sich Jesus einem Zachäus zu, einer Maria von Magdala? Warum stellt er sich schützend vor die Ehebrecherin? Aus Liebe!

Barmherzige Liebe!- „Ich bin gekommen, um zu suchen, was verloren war und zu heilen, was verwundet ist.“

„Freund der Zöllner und Sünder“, nennt man ihn. Er isst mit ihnen. Er pflegt Gemeinschaft mit ihnen, wohnt bei ihnen. 

Warum kniet er sich vor den Jüngern nieder und wäscht ihnen die Füße? - Aus Liebe! Dienende Liebe! Liebende Hingabe! „Ich bin gekommen, nicht um mir dienen zu lassen, sondern um zu dienen und mein Leben hinzugeben als Lösegeld für viele.“

Warum geht Jesus den Weg des Leidens und stirbt am Kreuz? Warum? Wiederum aus Liebe! „Da er die Seinen liebte, die in der Welt waren, liebte er sie bis zur Vollendung.“

Gott liebt uns. Das ist die Kernbotschaft des Evangeliums. Und in Jesus Christus hat die Liebe Gottes sozusagen Hand und Fuß bekommen. Gottes Güte und Menschenfreundlichkeit ist in ihm sichtbar, greifbar, erfahrbar geworden.

Er hat unter uns gewohnt. Er ist wirklich der Immanuel: Gott mit uns. Den Armen verkündet er die Botschaft vom Heil, den Gefangenen Freiheit, den Bedrückten Trost, den Trauernden Freude. Den Sündern bringt er die Vergebung des Vaters. Er hat ein Herz für die Ausgestoßenen und Verachteten. Den Bedrängten und Verzweifelten ist er ein Bruder.

In Jesus erleben die Menschen Gottes Güte und Allmacht, Gottes Heiligkeit und Barmherzigkeit leibhaftig gegenwärtig.  Und die Angst vor Gott wandelt sich in Freude an Gott. Verzweiflung und Resignation schmelzen dahin. Gottvertrauen blüht auf.

Er hat unter uns gewohnt. Er selbst sagt: „Blinde sehen, Lahme gehen, Aussätzige werden rein, Taube hören, Tote stehen auf.“

Mitleid packt ihn angesichts der vielen Menschen, die schutzlos, ohne Orientierung und verloren sind, wie Schafe, die keinen Hirten haben. „Kommt alle zu mir“ so ruft er und lädt er ein, „alle, die ihr mühselig und beladen seid. Ich will euch stärken.“- Kommt und lernt von mir, denn ich bin sanftmütig und selbstlos von Herzen!“

Er hat unter uns gewohnt. Mit seinem Leben hat er gezeigt, was Liebe ist. Seine Leben und seine Botschaft lehrt uns, dass Gott wie ein guter Vater ist und eine liebende Mutter.

Christus hat unter uns gewohnt. Er wohnt aber und ist immer noch bei uns, auch nach der Auferstehung. Er hat nicht aufgehört, der „Immanuel“ zu sein, ein Gott mit uns, ein Freund der Menschen. Auch die Zeit nach der Himmelfahrt Christi, die Zeit der Kirche, ist gekennzeichnet von der Gegenwart des Auferstandenen. „Seid gewiss“ sagt Jesus, „ich bin bei euch alle Tage bis zur Vollendung der Welt.“

Immer und an jedem Ort ist er da. Überall kann er gefunden werden. In allen Dingen können wir ihm begegnen, in der Schöpfung, im Bruder, in der Schwester, in seinem Wort, in der Eucharistie.

Er ist unter uns gegenwärtig, wenn wir uns versammeln zur Feier seines Todes und seiner Auferstehung. Er ist gegenwärtig und wohnt unter uns in jeder Gemeinschaft, die in seinem Sinn lebt. Auch in einer kleinen Gemeinschaft wie der Familie, unter Freunden, wenn sich Menschen treffen im Bibelkreis, im Gebetskreis, zu einer Wallfahrt.

Es genügen zwei oder drei Menschen, die vereint sind in seinem Namen. Vor allem begegnet er uns in unserem Nächsten, im Armen und Verlassenen, im Kranken und Leidenden. „Ich war hungrig, und ihr habt es mir getan!“ - “Was ihr einem der Geringsten meiner Brüder getan habt, das habt ihr mir getan.“

 

Liebe Schwestern und Brüder!

All das, unser Heil, die Erlösungstat Gottes in Jesus Christus hing ab von der Zustimmung eines einzigen Menschen, vom Jawort der Frau aus Nazareth. Sie war offen. Sie war ansprechbar. Sie hat eingewilligt in den göttlichen Ratschluss. Sie hat nicht gewusst, wie das geschehen wird, sie hat nicht geahnt, wohin der Weg führt. Aber sie hat ja gesagt. Sie hat geglaubt und vertraut. Sie hat sich Gott übereignet und sich ganz und vorbehaltlos zur Verfügung gestellt.

Und bevor er unter uns gewohnt hat und Wohltaten spendend den Menschen begegnete, hat Maria ihm Wohnung gegeben zunächst in ihrem Mutterschoß und dann 30 Jahre in Nazareth. Wie jedes Kind wächst er neun Monate als menschliches Embryo unter ihrem Herzen heran. „Selig der Leib, der dich getragen“, ruft begeistert eine Frau Jesus zu. Und der hl. Franziskus grüßt Maria in einem Gebet voll Staunen und Ehrfurcht: „Du sein Gezelt, du sein Palast, du seine Wohnung!“

In einem Marienlied heißt es: „Du Gottes heiliges Zelt, in deinem Schoß barg sich der Herr der Welt.“ Für Zelt steht im Lateinischen das Wort tabernaculum. Maria also: Tabernakel Gottes, Wohnung Gottes. Die Lauretanische Litanei bezeichnet Maria mit zwei Titeln, die in die gleiche Richtung gehen: „Du Bundeslade Gottes“ und „du goldenes Haus“! Angewandt auf Maria drückt diese Ehrbezeichnungen ganz viel aus. Es sind sehr treffende und schöne Bilder für Gottes Mitsein und Gottes Gegenwart unter den Menschen.

 

Liebe Schwestern und Brüder!

Was Maria war: Gottes heiliges Zelt, Bundeslade Gottes oder wie Franziskus sagt: „Du sein Palast, du sein Gezelt, du seine Wohnung“, das können und dürfen auch wir sein. Denn wie Christus Wohnung und Bleibe gefunden hat in Maria, - neun Monate in ihrem Schoß und dreißig Jahre im Haus von Nazareth,- so will er auch in uns Wohnung und Bleibe finden.

Ich Wohnung Gottes, Haus Gottes, werden sie vielleicht denken?

Das mag für Maria stimmen, die Reine, die Makellose. In ihr hat Gott wirklich eine würdige Wohnung gefunden. Aber ich? Bin ich nicht meilenweit davon entfernt? Bei mir ist so viel Verwirrung und Chaos und Dunkel. Da sieht es oft eher wie in einer Markthalle oder Räuberhöhle aus. Und doch, liebe Schwestern und Brüder, fragt Paulus die Korinther, die ja wahrlich auch keine Engel und waren: „Wisst ihr nicht, dass ihr ein Tempel Gottes seid und dass Gottes Geist in euch wohnt?“

Er erinnert sie an das, was in ihnen steckt, womit sie begabt sind. Er erinnert sie an das, was sie zutiefst sind. „Wisst ihr nicht, dass ihr ein Tempel Gottes seid und dass Gottes Geist in euch wohnt?“

 

Tempel Gottes Sein, Wohnung des hl. Geistes. Das ist ihre Identität, das ist ihre Würde. Das ist ihre Berufung. Das ist total positiv. Das sollen sie immer bedenken und nie vergessen.

 

Liebe Schwestern und Brüder!

Was der Apostel der Gemeinde damals sagt, das gilt auch uns heute? Wir sehen das auch oft nicht oder viel zu wenig. Wie oft denken wir gering von uns selbst. Wie oft sehen wir nur das Schlechte und nicht das Gute.

Wohnung Gottes! Das war Maria. Das war ihre Berufung

Wohnung Gottes! Das ist auch unsere Würde als Getaufte. Das ist auch unsere Berufung als Christen.

Ich habe in meinem Neuen Testament ganz vorne einen Satz stehen, der mir schon vor Jahren ganz wichtig geworden ist und der mich seither begleitet und mir immer noch viel bedeutet. Es ist ein Wort aus den Abschiedsreden Jesu im Johannesevangelium. Da sagt Jesus: „Wer mich liebt, wird mein Wort festhalten, mein Vater wird ihn lieben, und wir werden zu ihm kommen und bei ihm wohnen.“

Ein wunderbares Wort, eine großartige Verheißung! Es ist gar nie ganz auszuloten. Man muss es sich immer wieder vorsagen, meditieren, gleichsam schmecken, verkosten, es ganz tief in sich einsickern lassen und aufnehmen, so dass es ein Wort des Lebens wird und unser Bewusstsein und unser Einstellung prägt. „Wer mich liebt...“

 

Damit wird eine frühere Ankündigung aufgegriffen und umgedeutet. Jesus hatte seinen Jüngern verheißen, ihnen bei seinem Vater eine Wohnung zu bereiten, „damit ihr dort seid, wo ich bin“ (Joh. 14,2f.). Dies geschieht nun also in umgekehrter Richtung, und es geschieht jetzt! In der Gegenwart des Glaubens wird die Gemeinschaft mit Jesus und Gott geschenkt.

In einem Weihnachtslied singen wir: „Treuer Immanuel, werd` auch in mir nun geboren. Komm doch mein Heiland, denn ohne dich bin ich verloren. Wohne in mir, mache mich eins nun mit dir, der mich zum Leben erkoren.“ - „Wohne in mir!“ So singen wir, so bitten wir.

„Wohne in mir“, bleibe in mir. Das ist aber auch das sehnlichste Ver­langen Gottes. Mit seinem Licht, mit seiner Gnade, mit seinem Geist will er bei uns sein, in uns wohnen, uns beleben.

In der Pfingstsequenz beten wir: „Komm, o du glückselig Licht, fülle Herz und Angesicht, dring bis auf der Seele Grund.“

Ein Meditationswort lautet: „Du ströme in mir, ich gebe mich dir!“

Oder noch kürzer: „Du in mir, ich in dir!“

In der Apostelgeschichte steht der Satz: „Keinem von uns ist Gott fern, denn in ihm leben wir, bewegen wir uns und sind wir.“

 

Bei allen Mystikern finden wir die Aussage: Gott wohnt in uns.

Meister Eckehard sagt: „Ich bin des so gewiss, wie ich lebe, dass nichts mir so nahe ist wie Gott.“ Und Augustinus sagt: „Gott ist uns näher als wir uns selbst.“ Bei Ernesto Cardenal las ich den Satz: „Es gibt einen Gefährten, der uns von Geburt an begleitet, Gott, tief innen in unserer Seele.“ Angelus Silesius hat in seinem „Cherubinischen Wandersmann“ den Vers: „Halt an! Wo läufst du hin? Der Himmel ist in dir! Suchst du Gott anderswo, du fehlst ihn für und für.“ Und: „Wär` Christus tausendmal in Bethlehem geboren und nicht in dir, du wärst noch ewiglich verloren.“

„Der Himmel ist in dir!“ Gott ist in mir!

 

In einem Gedicht von Theresia von Avila spricht Gott:

„Wenn dein Sehnen mich nicht findet,

dann such nicht dort und such nicht hier;

gedenk, was dich im Tiefsten bindet,

und, Seele, suche Mich in dir.

 

Du bist Mein Haus und Meine Bleibe,

bist meine Heimat für und für;

Ich klopfe stets an deine Tür,

dass dich kein Trachten von mir treibe.

 

Und meinst du, Ich sei fern von hier,

dann ruf Mich, und du wirst erfassen,

dass ich dich keinen Schritt verlassen:

und, Seele, suche Mich in dir.

 

Gott sagt zum Menschen: „Du bist mein Haus und meine Bleibe, bist meine Heimat für und für.“ Und: „Suche mich in dir!“

Gott ist ganz nahe. Er ist mir wirklich näher als ich mir selbst. Ganz tief in meinem Wesensgrund ist sein lebendiger Geist, seine Kraft, sein Licht und seine Gnade.

 

Henri Nouwen, ein großer geistlicher Schriftsteller unserer Tage er­zählt in einem Buch, wie er sieben Monate lang zu Gast war in einem amerikanischen Trappistenkloster. Zu Beginn dieser Zeit, in der er ganz mit den Mönchen leben wollte, bat er den Abt um ein Meditationswort. Der Abt sagte ihm: „Meditieren Sie diese Zeit hindurch das Wort: Ich bin die Herrlichkeit Gottes.“ Und der Abt fügte hinzu: „Sie sind der Ort, den Gott sich zur Wohnung erwählt hat. Und das geistliche Leben besteht in nicht mehr und nicht weniger als in dem Versuch, ihm den Raum zu schaffen, in welchem sich seine Herrlichkeit offenbaren kann.“

 

Ja, liebe Schwestern und Brüder!!

Wenn wir das glauben könnten: „Ich bin die Herrlichkeit Gottes.“  In mir wohnt die Herrlichkeit des dreifaltigen Gottes. Das wäre beseligend. Das würde alle Angst vertreiben. Das würde uns aus aller Enge heraus in die Weite führen.

 

Liebe Schwestern und Brüder!

Gott hat unter uns gewohnt. Ja, aber er wohnt auf geheimnisvoll göttliche Weise immer in uns. Er wohnt in mir und in dir. Er ist immer gegenwärtig, auch wenn wir es nicht erkennen und fühlen können. Denn es ist mehr verborgen als offensichtlich. Manchmal ist es schrecklich verborgen und verhüllt; verhüllt von unseren Zweifeln, unserer Angst, unserer Traurigkeit und Trägheit, verhüllt und überlagert auch von unserer Schuld.

Bei Johannes Tauler findet sich das Wort: „Wer sehen könnte, wie im Seelengrund Gott wohnt, den würde dieses Gesicht selig machen.“

Die Frage ist, Liebe Schwestern und Brüder, was können wir tun, dass wir des Wohnens Gottes in uns, der Herrlichkeit Gottes in uns, immer mehr innewerden? Was können wir tun, dass diese Kostbarkeit uns beseligt und dass wir darin aufleben?

 

Ein erstes: Wir können uns dessen betend immer wieder erinnern! Es gibt ein Beten, das nicht mehr in Worten besteht, das vielmehr ein Innewerden ist. Der Philosoph Kierkegaard schreibt einmal: „Als mein Gebet immer innerlicher wurde, da hatte ich immer weniger und weniger zu sagen. Zuletzt wurde ich ganz still.“ Theophanus, der Einsiedler, ein russischer Mystiker sagt: „Beten heißt: vom Verstand ins Herz hinabsteigen und dort vor dem Antlitz des immer gegenwärtigen und allsehenden Herrn verweilen, der in dir wohnt.“ Uns betend, meditierend der Nähe und Gegenwart Gottes in uns, seines Wohnens in uns innewerden. Innewerden, welches Licht in uns ist - unter aller Verhüllung und Überlagerung, unter aller Sünde! Glauben, dass Gott in mir ist, in seiner Gegenwart verweilen; sich immer wieder bewusst einüben in die Gegenwart Gottes, sich inne werden: Gott ist gegenwärtig. Das ist  das erste.

 

Und ein zweites: Dass wir zu lieben versuchen! Wie kann einer, der von diesem Glauben erfasst ist: Gott wohnt in mir, die Liebe Gottes wohnt in mir, er hat mich erwählt zum Wohnort seiner Liebe und seines Erbarmens - wie kann der nicht gedrängt sein, wiederzulieben, weiterzulieben, Gottes Liebe weiterzuschenken! „Wer liebt, erkennt Gott“, sagt der erste Johannesbrief.

Von Thomas von Aquin wird erzählt, dass ein Mitbruder ihn fragte, als Thomas bereits im Sterben lag: was soll man tun, um heilig zu werden? Thomas soll sofort und ganz spontan geantwortet haben: „Immer in der Gegenwart Gottes wandeln!“ In der Tat, ist das nicht einsichtig? Es gibt, meine ich, keine bessere Übung, um das Ziel des Lebens zu erreichen, als sich zu bemühen, immer in der Gegenwart Gottes zu leben und so immer mehr zu werden, was wir sind: Wohnung Gottes, Tempel des hl. Geistes.

Ein Rabbi - so erzählt eine jüdische Geschichte - überraschte seine Gäste mit der Frage: „Wo wohnt Gott?“ Die Leute lachten ihn aus: „Was für eine Frage? Er hat doch alles gemacht. Und die ganze Welt ist seiner Herrlichkeit voll!“ Der Rabbi aber beantwortete seine eigene Frage so: „Gott wohnt, wo man ihn einlässt.“