Das Evangelium ist uns
von Kindertagen an vertraut. Aber auch eine so bekannte Evangeliumsstelle
verdient es, gut und aufmerksam hinzuhören.
Es geht dabei gar nicht
so sehr darum, dass wir für uns neue Informationen erhalten, sondern dass wir im
Hören und Meditieren des Wortes Gottes zur Begegnung mit unserem Herrn geführt
werde, der Licht zur Erleuchtung auch unseres Lebens sein will.
1. Namengebung
Man gab ihm den Namen
„Jesus“ = Jahwe ist Retter, Gott ist Heil.
In ihm ist alle
erlösende Liebe Gottes gegenwärtig. In diesem Kind, in diesem Namen offenbart
Gott sein Wesen. „Gott hat seinen Sohn nicht in die Welt gesandt, damit er die
Welt richtet, sondern damit die Welt durch ihn gerettet wird.“ Und Jesus sagt
von sich und seiner Sendung: „Ich bin gekommen, um zu suchen, was verloren war
und zu heilen, was verwundet ist.“ - Der Name „Jesus“ ist eine Einladung, sich
in seinem Leben nicht mit etwas zufrieden zu geben, das geringer ist als Gott.
Das verdeutlichen
Simeon und Hanna: Bis ins hohe Alter hinein sind sie unterwegs geblieben mit
einer großen Sehnsucht nach dem lebendigen Gott. Sie haben nicht aufgehört, auf
eine Zukunft zu warten, die sie sich nicht selbst geben können.
Beide stehen an der
Schwelle vom Alten zum Neuen Bund. Prophetisch sehen sie die Zeit des
verheißenen und so lange ersehnten Messias angebrochen. Sie begegnen ihm im
Tempel und er begegnet ihnen, die das Gottesvolk des Alten Bundes
repräsentieren.
2. Erfüllung des
Gesetzes
Eine junge Familie ist
unterwegs. Sie zieht hinauf nach Jerusalem. Maria und Josef bringen ihr Kind
Jesus in den Tempel. Sie wollen treu das Gesetz erfüllen: Beschneidung des
Kindes, Darstellung vor dem Herrn, Darbringen von Opfergaben für die kultische
Reinigung der Mutter - wie es Vorschrift ist in Israel.
Nichts
außergewöhnliches, nichts besonderes! Maria und Josef tun, was gläubige jüdische
Eltern tun.
Im Tempel danken sie
Gott für ihren erstgeborenen Sohn. Sie weihen ihn dem Herrn. Sie übergeben ihn
dem Herrn.
Etwas vom Tiefsten der
jüdischen Religiosität kommt hier zum Ausdruck: das Erste, Beste, Wertvollste
ist für Gott gerade gut genug. Man opfert die Erstlingsfrüchte von der Ernte,
den ersten Wurf eines Muttertieres..., und nicht das, was übrig bleibt, wenn man
sich selber versorgt hat. Man speist Gott nicht ab mit dem Rand und den Resten.
Dass Gott wirklich an erster Stelle im Leben steht, kann man kaum deutlicher
ausdrücken.
(Der erste Gedanke am
Tag soll Gott gehören, der „Erstling“ des Tages. Es ist nicht schwer. Wenn ich
mir am Abend sage: „morgen ist mein erster Gedanke bei Gott“, dann geschieht es
„Ehre sei dir, Herr!“ Oder: „Mir dir, für dich!“ Mit Gott fang an, mit Gott hör
auf, das ist der beste Lebenslauf.)
Das Kind dem Herrn
weihen bedeutet: es aus der Hand geben, es Gott geben. Nicht ihre Wünsche und
Vorstellungen sollen sein Leben bestimmen, sondern die Pläne Gottes. Ja, Gott
soll wirklich der „Herr“ sein, sein Wille soll Vorfahrt haben, sein Wille soll
gelten.
So erfüllen Maria und
Josef mit dem Gang in den Tempel nicht nur ihre religiöse Pflicht, sondern
erkennen auch an: Dieses Kind, unser Kind, gehört gar nicht allein uns. Dieses
Kind gehört eigentlich Gott. Von ihm haben wir es als Geschenk erhalten. Dieses
Kind ist ein Kind Gottes! Und irgend
wann, wenn es älter
geworden ist, werden wir dieses Kind hergeben müssen, es loslassen, es in sein
Leben entlassen, damit es sich selbständig entfalten und sein Leben in eigener
Verantwortung führen kann.
3. Erfüllte Verheißung
Als dies im Tempel
geschieht, kommt ein alter Mann hinzu. Für Maria und Josef ist es ein Fremder.
Sie kennen ihn nicht. - Aber es ist einer, der noch etwas erwartet, einer, der
noch Ausschau hält und in dem eine Sehnsucht lebt. Sein Name ist „Simeon“ =
„Gott hat erhört“ oder: „Gott ist Erhörung“. Er betet sie herbei bei Tag und bei
Nacht. Simeon besitzt eine seltene Gabe: die Geduld der Treue und des Glaubens.
Simeon ist Urbild glauben
der Geduld.
Es ist ihm zugesagt,
noch bevor er stirbt, „den Trost Israels zu schauen.“
Diese großartige
Verheißung ist auch in seinen alten Tagen noch lebendig in ihm. Nichts wünscht
er sich mehr. Es sieht so aus, als sei sein Verlangen nach Gott größer geworden,
je älter er wurde und je mehr sich sein Leben dem Ende zuneigte.
Simeon gehört nicht zu
denen, die vornehmlich rückwärtsgewandt leben und sich an der Vergangenheit
orientieren. Er lebt auf die Erwartung des Zukünftigen hin. In ihm ist noch ein
Hunger und Durst nach Erfüllung und Vollendung. Der Heilige Geist ruht auf ihm.
Jetzt hat ihn der
Gottesgeist in den Tempel gezogen. Da erfährt er den Höhepunkt, die Gnadenstunde
seines Lebens. Es erfüllt sich die Zeit seines Suchens und Wartens.
Der Greise Simeon
erkennt in dem Kind den Heilbringer für Israel und die Heiden, den Messias.
Dieses Kind ist die Tröstung Israels und aller Völker.
4. Begegnung
Er nimmt das Kind in
seine Arme. Fassungslos und überwältigt drückt er es an sich, herzt und liebkost
es. Erlösung wird für ihn greifbar, nicht nur sichtbar, sondern spürbar. Seine
Hoffnung hat Hand und Fuß bekommen. Gott - leibhaftig in diesem Kind, hautnah in
seinen Armen
„Er nahm das Kind in
seine Arme“.
Für mich ist das einer
der ergreifendsten Momente in dieser Erzählung. Der alte Mann hält das
Neugeborene in seinen Händen, der scheidende Prophet den kommenden Retter. - Da
überschneiden sich zwei Lebenskreise. Beginn und Vollendung treffen aufeinander.
Werdendes und vergehendes Leben begegnen sich in einmaliger Weise. Heil bricht
an. Der Heilsauftrag Jesu beginnt.
Irenäus von Lyon, gestorben
um 202 sagt: „Indem der Mensch ihn, den Kind gewordenen Sohn Gottes trägt, fasst
und umarmt, empfängt er selbst die Annahme an Kindes statt.“ „Wir heißen nicht
nur Kinder Gottes, wir sind es!“
In dem kleinen Kind auf
seinen Armen erkennt Simeon den Heilbringer, den lang ersehnten Retter, das
Licht der Welt.
Der Allerhöchste ist
zum Allernächsten geworden, Allmacht Ohnmacht, der große Gott ein kleines Kind,
einer von uns, unser Bruder, um alle zu retten.
Gott hat seine Zusage
eingelöst, die alten Verheißungen erfüllt - in diesem Kind!
5. Lobgesang
Zutiefst betroffen,
erschüttert und beseligt zugleich, bricht aus dem Greis seine ganze Freude, Lob
und Dank. Sein Lobgesang gilt dem sich erbarmenden Gott. Es ist das Abendgebet
eines erfüllten Lebens. Jetzt kann er in Frieden Abschied nehmen, im Schalom mit
sich, den Menschen und Gott. Alles ist gut. Simeon wird das Wirken Jesu nicht
mehr erleben, aber ihm genügt vollauf, dass der Messias da ist.
In dem Kind auf seinen
Armen ist er Gott selbst begegnet. Diese Begegnung rundet sein Leben ab, macht
es erfüllt. Und er spürt: selbst sein eigener Tod ist eingebettet in eine
umfassende Geborgenheit. Sein Abschied ist durchstimmt von der Freude geschauter
Hoffnung und vom Frieden erlöster Sehnsucht. So kann er das Zeitliche segnen.
Seine Augen haben das Heil geschaut. „Auf dich, o Herr, habe ich vertraut. In
Ewigkeit werde ich nicht zuschanden.“
Woher nehmen Menschen
die Kraft, der Vision ihres Lebens bis zuletzt treu zu bleiben? Woher nimmt
Simeon die Kraft und die Geduld, sein Warten durchzuhalten über Jahre und
Jahrzehnte und auch alt geworden dabei zu bleiben, wenn die anderen, die
vielleicht auch einmal so eine Hoffnung hatten, längst dahin gestorben sind und
eine neue Generation über diesen Alten nur noch den Kopf schüttelt, weil der
immer noch dasselbe hofft und betet, solange man zurückdenken kann?
6. Simeons Weissagung
Maria und Josef wissen
gar nicht, wie ihnen geschieht. Sie geraten ins Staunen, ins Staunen darüber,
welche Bedeutung ihr Kind für Israel und alle Menschen haben soll. Sie hören
Simeon prophetisch reden. Worte, die ihnen rätselhaft, ja unheimlich vorkommen.
An das Loblied des Greisen Simeon schließt sich eine düstere Weissagung an.
Was bedeuten diese
Worte? Was kommt an Schwerem und Leidvollem auf sie zu? Welches Schicksal
erwartet dieses ihr Kind?
Mit seiner Ankunft
setzt die Krise ein Ihr Sohn soll ein Zeichen der Entscheidung sein. An ihm
entscheidet sich das Schicksal Israels und aller Völker. Er wird Widerspruch
ernten. Er wird die Gedanken der Menschen offenkundig machen. An diesem Jesus
werden sich die Geister scheiden, wer wirklich für Gott ist und wer nicht.
Wohlwollende oder distanzierte Neutralität ist nicht vorgesehen. - Der Gehorsam
vor Gott ist der Maßstab, den dieses Kind aufrichten wird, den einen zum Fall,
zum Sturz, den anderen zur Auferstehung, zum Leben.
Wie kein anderer Mensch
wird die Mutter Jesu mit hineingezogen in den Widerspruch, der von ihrem Sohn
ausgelöst wird All das wird Schmerz mit sich bringen. Wie ein Schwert wird er
das Herz der Mutter durchbohren. Was mit Christus sterben und mit ihm leben
meint, hat sie am tiefsten er
fahren. Maria ist den
Leidensweg ihre Sohnes mitgegangen vom Morgen der Verkündigung bis zum Abend
unter das Kreuz. „Angst und Jammer, Qual und Bangen, alles Leid hielt sie
umfangen, das nur je ein Herz durchdrang. (Stabat mater)
Nebenbei gesagt: Von
allen Evangelisten zeichnet Lukas das vollständigste und liebevollste Bild der
Gottesmutter, weshalb sich schon in früher Christenheit die Legende bildete, die
ersten Bilder der Gottesmutter habe er, Lukas, gemalt.
Marias Leben und das
Leben ihres Kindes war nicht auf Rosen gebettet: Herbergssuche, verschlossene
Türen und Herzen, ein Stall als Unterkunft, ein Futtertrog als Wiege; Herodes,
der in dem Kind eine politische Gefahr wittert; Hals über Kopf müssen sie auf
die Straße, über die Grenze, in ein fremdes Land...
Welche Dramatik, welche
Tragik haftet diesem Leben an?
Entschieden und
konsequent wird Jesus seinen Weg gehen. Er wird die Botschaft Gottes in Wort und
Tat umsetzen. Er wird nicht immer Gehör finden und ankommen. Er wird auch auf
Verschlossenheit, Misstrauen und Ablehnung stoßen. Er wird in Konflikte geraten
und Konflikte nicht scheuen. Auch von der eigenen Familie, seinen Verwandten
wird er einiges an Auseinandersetzung und Entscheidung abfordern. Beispiel:
Predigt in Nazareth. Er wird mit einem ungeheuren Anspruch auftreten: dass
nämlich mit ihm und in ihm die Herrschaft Gottes endgültig bei den Menschen
ankommt. Für viele ein Ärgernis. Sie werden Anstoß an ihm nehmen, ihn ablehnen.
Das Kreuz wirft seinen
Schatten in die Szene!
Die ganze Tragweite der
dunklen Weissagung Simeons über die Zukunft des Kindes, von der Maria
mitbetroffen ist, können die Eltern in dieser Stunde noch nicht begreifen. Sie
ahnen aber wohl, dass ihr Weg und der Weg ihres Kindes kein Spaziergang sein
würde. Doch Gottes Kraft geht alle Wege mit.
7. Segen
„Und Simeon segnete
sie“.
Segen:
Das hebräische Wort barach bedeutet ursprünglich, jemanden mit Heil schaffender,
wohltuender Kraft begaben.
Segnen heißt:
anderen bedingungslos und uneingeschränkt alles Gute wünschen.
Segnen heißt: die göttliche Fürsorge und Gottes Schutz auf
den Menschen herabrufen.
Segnen heißt: voll Dankbarkeit an jemanden denken u. über
ihn sprechen.
Segnen heißt: dem anderen Glück und Frieden, Licht und
Heil wünschen, wobei man selber nie der Geber ist, sondern nur der frohe Zeuge
der Fülle des Lebens.
Gesegnet sein heißt: ich empfange, was ich nicht
erarbeitet habe.
Es ist unmöglich,
gleichzeitig zu segnen und zu hassen, gleichzeitig Gutes zu sagen und zu
verurteilen. Jesus sagt in der Bergpredigt: „Segnet die, die euch
verfluchen!“ Versuchen wir immer zu segnen. Segnen ist ganz wichtig. Wir
alle können es tun, nicht nur der Priester. Wir können es gar nicht oft genug
tun. Schon beim Aufwachen segnen! Den kommenden Tag segnen! Die Menschen, denen
ich begegne, segnen, auf der Straße, im Bus, am Arbeitsplatz, auf dem Amt, im
Krankenhaus, die Kinder auf dem Spielplatz, den Straßenfeger und
Schornsteinfeger, den Bäcker und die Verkäuferin...
Wenn du einen Menschen weinen siehst, segne ihn. Wenn
du einen triffst, der am Ende ist, segne ihn! Wenn du einen kennst, der
verzweifelt ist, schick Gottes Segen zu ihm! So werden wir zu
Boten der Liebe und zu Werkzeugen des Friedens. Vergiss auch nicht, den
einmaligen, herrlichen Menschen zu segnen, der du selber bist! Als Gesegneter
kannst du für andere zum Segen werden.
8. Die Prophetin Hanna
Eine zweite Person
kommt hinzu und bestätigt das Zeugnis Simeons: eine hochbetagte Prophetin,
Hanna, alt an Jahren, aber lebendig im Glauben. „Hanna“ heißt: „Gott
hat sich erbarmt“ oder auch Gott begnadet.
Allerdings: meistens kommt sie zu kurz. Der Greise Simeon
stiehlt ihr die Show. Sein Lobgesang, das nunc dimittis, hat Eingang gefunden
ins Nachtgebet der Kirche. Und am Fest Darstellung des Herrn endet die mögliche
Kurzfassung des Evangelium mit diesem Lobgesang. Hanna fällt unter den Tisch.
Und die Gebete, Orationen, auch die Präfation der Festmesse lassen die Hanna
ganz weg. Sie findet keine Erwähnung, mit keinem einzigen Wort. – Doch Lukas
nennt Hanna eine Prophetin, eine geisterfüllte Frau. Der Heilige Geist hat sich
nie, weder damals noch heute, auf einen Teil der Menschheit, den männlichen,
beschränkt!
9. Witwenschicksal
Hanna hat in ihrem
Leben schon viel mitgemacht und durchgestanden.
Nur wenige Jahre war
ihr das Glück der Ehe vergönnt. Jahrzehnte, fast ihr ganzes Leben hat sie als
Witwe gelebt. Witwen gehörten damals zusammen mit den Waisen zu den
schutzlosesten und am meisten benachteiligten Bevölkerungsschichten. In jener
Zeit gab es ja noch keine Rente, keine Sozialhilfe, keine Altersversicherung.
Das bedeutete oft große materielle Not, Angewiesensein auf fremde Hilfe. Oft
blieb nichts übrig als zu betteln. Im Ganzen gesehen: ein wirklich
unscheinbares, armes Leben, am Rand der Gesellschaft .
Dazu die seelische Not.
Trauer ob des Verlust des Mannes in so jungen Jahren. Enttäuschung, die
Erfahrung der Einsamkeit, der Schmerz des Alleinseins. Doch es scheint: keine
Dunkelheit und düstere Lebenserfahrung vermochte sie daran zu hindern, gegen
allen Augenschein auf Gott zu vertrauen, auf seine Verheißungen zu bauen und auf
das erlösende Licht zu warten.
Hanna nahm wohl die
Zumutungen Gottes an und war bereit, das Leben von Gott durchkreuzen zu lassen.
Sie wusste, noch bevor Paulus das Wort gesprochen hat: „Gott führt bei denen,
die ihn lieben alles zum Guten.“ Und: „Nichts kann uns scheiden von der Liebe
Gottes.“
Mag Hanna auch noch so
gering erschienen sein in den Augen der Menschen und ohne Ansehen, in Gottes
Augen nicht, bei Gott war sie nicht vergessen. Gott schaut ins Herz. Und er holt
Hanna aus der Bedeutungslosigkeit. Er würdigt gerade sie Zeugin und Verkünderin
für den Sohn Gottes zu sein.
Hannas Leben war kein
leichtes, es war ein geprüftes Leben. Und doch ist sie an den schmerzhaften
Erfahrungen ihres Lebens nicht zerbrochen. Und nichts und niemand konnte ihr den
Glauben an Gott nehmen. Die Schicksalsschläge haben sie nicht von Gott
weggebracht, sondern näher zu ihm hingeführt. Bis ins hohe Alter hatte sie nicht
aufgehört, die „Erlösung Israels“ herbeizusehnen, den Befreier, der auch ihr
Erlösung bringen sollte.
Ich denke, wir können
uns ganz gut in der Hanna wiederfinden. Jeder trägt Anteile der Hanna in sich.
Auch in meinem Leben gibt es Unerfülltes, Nichterreichtes, Nichtgelebtes. Auch
ich habe das Glück der Erfüllung nicht immer und in allem gefunden. Es gab und
gibt die Mühsal, die Not, Entbehrung, Einsamkeit, Enttäuschung. - Ist es auch
mir gelungen, nicht zu verbittern, zu resignieren oder nur noch zu jammern und
zu lamentieren? Konnte ich das Licht spüren, mit dem ich solche Situationen
durchstehen konnte?
10. Wandel in der
Gegenwart Gottes
Auch hier bei Hanna
nochmals die Frage: Woher bekam sie die Kraft, der Vision ihres Lebens treu zu
bleiben? Was hat geholfen, nicht zu resignieren und das Warten und
Ausschauhalten nicht aufzugeben? Was hat diese Frau offen und wach gehalten und
die Lampe ihrer Sehnsucht am Brennen? Wie ist sie sehend und wissend geworden
für Jesus? Wie erkannte sie in diesem Kind den erwarteten Messias?
Wir können sagen: durch
intensives Hören auf das Wort Gottes, durch aus dauerndes, inständiges Beten und
durch freiwillige Opfer.
An Stelle einer
Wiederverheiratung hatte sich Hanna wohl für den Dienst des Gotteslobes und der
ständigen Fürbitte im Tempel entschieden. „Sie hielt sich“, so sagt es unser
Bibeltext, „ständig im Tempel auf und diente Gott Tag und Nacht mit Fasten und
Beten.“
Ihren Lebensabend
verbringt Hanna im Tempel, im Heiligtum Gottes, in der Gegenwart Gottes. Sie hat
einen ganz vertrauten Umgang mit ihm, ist dauernd im Gespräch mit ihm, sie lebt
in seiner Gegenwart.
Der Wandel in der
Gegenwart Gottes ist etwas vom Wichtigsten für jeden, der ein geistliches Leben
führen will. Allerdings, zum Wandel in der Gegenwart Gottes ist es nicht
notwendig, sich ständig in der Kirche aufzuhalten. Wir können Gott nahe sein
immer und überall. Wir können ihm begegnen und ihn finden in allen Dingen. Vor
allem können wir aus unserem Herzen einen Ort des Gebetes machen. Das ist im
Wartesaal des Arztes möglich, an der Bushaltestelle, beim Schlange stehen an
der Kasse, beim Warten auf das Essen bei Tisch usw. Immer und überall können wir
aus unserem Herzen einen Ort des Gebetes machen. Wir dürfen wissen und ganz fest
glauben und sollen es nie vergessen: Gott ist uns näher als wir uns selbst,
innerer als unser Innerstes. „Wisst ihr nicht, dass ihr ein Tempel Gottes seid
und dass Gottes Geist in euch wohnt?“ fragt Paulus die Korinther.
Leben in der Gegenwart
Gottes, Leben gemäß seiner Weisung, Gebet, Gotteslob, Fasten, Vertrauen und
Geduld waren Lebensinhalte der hoch betagten Hanna. Die Ehre und Verherrlichung
Gottes war ihr erstrebenswerter und wichtiger als die Ehre, das Prestige und der
Beifall der Menschen. Ihr Leben war ein Rühmen und Loben Gottes.
11. Hanna – Zeugin und
Verkünderin der Ankunft des Erlösers
Und so fängt auch sie
an, als sie das Kind sieht, Gott zu loben und zu preisen. Und sie verkündet die
Ankunft des Erlösers. Wovon das Herz voll ist, davon läuft der Mund über. Hanna
erzählt allen davon, die auf die Erlösung Israels warten. Sie bezeugt - wie
Simeon - dieses Kind als den ersehnten Retter, der von Schuld befreit, die
Gebeugten aufrichtet und alle Gebrechen heilt.
Wenn es von Hanna
heißt, sie habe zu allen, die auf die Erlösung warten, über das Kind gesprochen,
so stellt sie Lukas gleichsam in die Reihe der Apostel. Sie sagt es nicht
jedermann auf der Straße, sondern denen, die mitglauben, sich mitsehnen,
mitwarten auf die Erfüllung der Verheißung.
Dass eine alte weise
Frau vom Herrn kündet, eine, die sich Tag und Nacht im Tempel aufhält, eine, die
sich gleichsam Gott geweiht hat, eine, die in sich selbst ruht und als Beterin
in Gott ruht und kein Großer, kein Aktivist, kein Macher, kein Topmanager und
Superorganisator - ein wenig sollten wir vielleicht darüber nachdenken, auch das
kann uns etwas sagen.
Voll von dem Erlebten
und mit vielen Eindrücken kehrt die junge Familie heim nach Nazareth. Das Kind
wächst und gedeiht. Dass Gott mit seinem Wohlgefallen mit ihm ist, ist deutlich.
Doch die Szene im
Tempel kommt Maria und Josef immer wieder in den Sinn. Die Begegnung mit Simeon
und Hanna bleibt für sie unvergesslich. Was sie gehört und gesehen haben, geht
ihnen geheimnisvoll noch lange nach.
Maria wird wohl auch
all diese Worte und Geschehnisse in ihrem Herzen bewahrt, hin und her bewegt und
meditiert haben. Es braucht oft viel Zeit und Besinnung, um Ereignisse und
Erlebtes zu verarbeiten, zu verstehen und ihre Tragweite zu ermessen.
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