Exerzitien mit P. Pius

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Simeon und Hanna

(Lk 2, 21 - 40)

Das Evangelium ist uns von Kindertagen an vertraut. Aber auch eine so bekannte Evangeliumsstelle verdient es, gut und aufmerksam hinzuhören.

Es geht dabei gar nicht so sehr darum, dass wir für uns neue Informationen erhalten, sondern dass wir im Hören und Meditieren des Wortes Gottes zur Begegnung mit unserem Herrn geführt werde, der Licht zur Erleuchtung auch unseres Lebens sein will.

 

 

1. Namengebung

Man gab ihm den Namen „Jesus“ = Jahwe ist Retter, Gott ist Heil.

In ihm ist alle erlösende Liebe Gottes gegenwärtig. In diesem Kind, in diesem Namen offenbart Gott sein Wesen. „Gott hat seinen Sohn nicht in die Welt gesandt, damit er die Welt richtet, sondern damit die Welt durch ihn gerettet wird.“ Und Jesus sagt von sich und seiner Sendung: „Ich bin gekommen, um zu suchen, was verloren war und zu heilen, was verwundet ist.“ - Der Name „Jesus“ ist eine Einladung, sich in seinem Leben nicht mit etwas zufrieden zu geben, das geringer ist als Gott.

Das verdeutlichen Simeon und Hanna: Bis ins hohe Alter hinein sind sie unterwegs geblieben mit einer großen Sehnsucht nach dem lebendigen Gott. Sie haben nicht aufgehört, auf eine Zukunft zu warten, die sie sich nicht selbst geben können.

Beide stehen an der Schwelle vom Alten zum Neuen Bund. Prophetisch sehen sie die Zeit des verheißenen und so lange ersehnten Messias angebrochen. Sie begegnen ihm im Tempel und er begegnet ihnen, die das Gottesvolk des Alten Bundes repräsentieren.

 

 

2. Erfüllung des Gesetzes

Eine junge Familie ist unterwegs. Sie zieht hinauf nach Jerusalem. Maria und Josef bringen ihr Kind Jesus in den Tempel. Sie wollen treu das Gesetz erfüllen: Beschneidung des Kindes, Darstellung vor dem Herrn, Darbringen von Opfergaben für die kultische Reinigung der Mutter - wie es Vorschrift ist in Israel.

Nichts außergewöhnliches, nichts besonderes! Maria und Josef tun, was gläubige jüdische Eltern tun.

Im Tempel danken sie Gott für ihren erstgeborenen Sohn. Sie weihen ihn dem Herrn. Sie übergeben ihn dem Herrn.

Etwas vom Tiefsten der jüdischen Religiosität kommt hier zum Ausdruck: das Erste, Beste, Wertvollste ist für Gott gerade gut genug. Man opfert die Erstlingsfrüchte von der Ernte, den ersten Wurf eines Muttertieres..., und nicht das, was übrig bleibt, wenn man sich selber versorgt hat. Man speist Gott nicht ab mit dem Rand und den Resten. Dass Gott wirklich an erster Stelle im Leben steht, kann man kaum deutlicher ausdrücken.

(Der erste Gedanke am Tag soll Gott gehören, der „Erstling“ des Tages. Es ist nicht schwer. Wenn ich mir am Abend sage: „morgen ist mein erster Gedanke bei Gott“, dann geschieht es „Ehre sei dir, Herr!“ Oder: „Mir dir, für dich!“ Mit Gott fang an, mit Gott hör auf, das ist der beste Lebenslauf.)

 

Das Kind dem Herrn weihen bedeutet: es aus der Hand geben, es Gott geben. Nicht ihre Wünsche und Vorstellungen sollen sein Leben bestimmen, sondern die Pläne Gottes. Ja, Gott soll wirklich der „Herr“ sein, sein Wille soll Vorfahrt haben, sein Wille soll gelten.

 

So erfüllen Maria und Josef mit dem Gang in den Tempel nicht nur ihre religiöse Pflicht, sondern erkennen auch an: Dieses Kind, unser Kind, gehört gar nicht allein uns. Dieses Kind gehört eigentlich Gott. Von ihm haben wir es als Geschenk erhalten. Dieses Kind ist ein Kind Gottes! Und irgend

wann, wenn es älter geworden ist, werden wir dieses Kind hergeben müssen, es loslassen, es in sein Leben entlassen, damit es sich selbständig entfalten und sein Leben in eigener Verantwortung führen kann.

 

 

3. Erfüllte Verheißung

Als dies im Tempel geschieht, kommt ein alter Mann hinzu. Für Maria und Josef ist es ein Fremder. Sie kennen ihn nicht. - Aber es ist einer, der noch etwas erwartet, einer, der noch Ausschau hält und in dem eine Sehnsucht lebt. Sein Name ist „Simeon“ = „Gott hat erhört“ oder: „Gott ist Erhörung“. Er betet sie herbei bei Tag und bei Nacht. Simeon besitzt eine seltene Gabe: die Geduld der Treue und des Glaubens. Simeon ist Urbild glauben

der Geduld.

 

Es ist ihm zugesagt, noch bevor er stirbt, „den Trost Israels zu schauen.“

Diese großartige Verheißung ist auch in seinen alten Tagen noch lebendig in ihm. Nichts wünscht er sich mehr. Es sieht so aus, als sei sein Verlangen nach Gott größer geworden, je älter er wurde und je mehr sich sein Leben dem Ende zuneigte.

Simeon gehört nicht zu denen, die vornehmlich rückwärtsgewandt leben und sich an der Vergangenheit orientieren. Er lebt auf die Erwartung des Zukünftigen hin. In ihm ist noch ein Hunger und Durst nach Erfüllung und Vollendung. Der Heilige Geist ruht auf ihm.

 

Jetzt hat ihn der Gottesgeist in den Tempel gezogen. Da erfährt er den Höhepunkt, die Gnadenstunde seines Lebens. Es erfüllt sich die Zeit seines Suchens und Wartens.

Der Greise Simeon erkennt in dem Kind den Heilbringer für Israel und die Heiden, den Messias. Dieses Kind ist die Tröstung Israels und aller Völker.

 

 

4. Begegnung

Er nimmt das Kind in seine Arme. Fassungslos und überwältigt drückt er es an sich, herzt und liebkost es. Erlösung wird für ihn greifbar, nicht nur sichtbar, sondern spürbar. Seine Hoffnung hat Hand und Fuß bekommen. Gott - leibhaftig in diesem Kind, hautnah in seinen Armen

„Er nahm das Kind in seine Arme“.

Für mich ist das einer der ergreifendsten Momente in dieser Erzählung. Der alte Mann hält das Neugeborene in seinen Händen, der scheidende Prophet den kommenden Retter. - Da überschneiden sich zwei Lebenskreise. Beginn und Vollendung treffen aufeinander. Werdendes und vergehendes Leben begegnen sich in einmaliger Weise. Heil bricht an. Der Heilsauftrag Jesu beginnt.

Irenäus von Lyon, gestorben um 202 sagt: „Indem der Mensch ihn, den Kind gewordenen Sohn Gottes trägt, fasst und umarmt, empfängt er selbst die Annahme an Kindes statt.“ „Wir heißen nicht nur Kinder Gottes, wir sind es!“

In dem kleinen Kind auf seinen Armen erkennt Simeon den Heilbringer, den lang ersehnten Retter, das Licht der Welt.

Der Allerhöchste ist zum Allernächsten geworden, Allmacht Ohnmacht, der große Gott ein kleines Kind, einer von uns, unser Bruder, um alle zu retten.

Gott hat seine Zusage eingelöst, die alten Verheißungen erfüllt - in diesem Kind!

 

 

5. Lobgesang

Zutiefst betroffen, erschüttert und beseligt zugleich, bricht aus dem Greis seine ganze Freude, Lob und Dank. Sein Lobgesang gilt dem sich erbarmenden Gott. Es ist das Abendgebet eines erfüllten Lebens. Jetzt kann er in Frieden Abschied nehmen, im Schalom mit sich, den Menschen und Gott. Alles ist gut. Simeon wird das Wirken Jesu nicht mehr erleben, aber ihm genügt vollauf, dass der Messias da ist.

In dem Kind auf seinen Armen ist er Gott selbst begegnet. Diese Begegnung rundet sein Leben ab, macht es erfüllt. Und er spürt: selbst sein eigener Tod ist eingebettet in eine umfassende Geborgenheit. Sein Abschied ist durchstimmt von der Freude geschauter Hoffnung und vom Frieden erlöster Sehnsucht. So kann er das Zeitliche segnen. Seine Augen haben das Heil geschaut. „Auf dich, o Herr, habe ich vertraut. In Ewigkeit werde ich nicht zuschanden.“

Woher nehmen Menschen die Kraft, der Vision ihres Lebens bis zuletzt treu zu bleiben? Woher nimmt Simeon die Kraft und die Geduld, sein Warten durchzuhalten über Jahre und Jahrzehnte und auch alt geworden dabei zu bleiben, wenn die anderen, die vielleicht auch einmal so eine Hoffnung hatten, längst dahin gestorben sind und eine neue Generation über diesen Alten nur noch den Kopf schüttelt, weil der immer noch dasselbe hofft und betet, solange man zurückdenken kann?

 

 

6. Simeons Weissagung

Maria und Josef wissen gar nicht, wie ihnen geschieht. Sie geraten ins Staunen, ins Staunen darüber, welche Bedeutung ihr Kind für Israel und alle Menschen haben soll. Sie hören Simeon prophetisch reden. Worte, die ihnen rätselhaft, ja unheimlich vorkommen. An das Loblied des Greisen Si­meon schließt sich eine düstere Weissagung an.

Was bedeuten diese Worte? Was kommt an Schwerem und Leidvollem auf sie zu? Welches Schicksal erwartet dieses ihr Kind?

Mit seiner Ankunft setzt die Krise ein Ihr Sohn soll ein Zeichen der Entscheidung sein. An ihm entscheidet sich das Schicksal Israels und aller Völker. Er wird Widerspruch ernten. Er wird die Gedanken der Menschen offenkundig machen. An diesem Jesus werden sich die Geister scheiden, wer wirklich für Gott ist und wer nicht. Wohlwollende oder distanzierte Neutralität ist nicht vorgesehen. - Der Gehorsam vor Gott ist der Maßstab, den dieses Kind aufrichten wird, den einen zum Fall, zum Sturz, den anderen zur Auferstehung, zum Leben.

Wie kein anderer Mensch wird die Mutter Jesu mit hineingezogen in den Widerspruch, der von ihrem Sohn ausgelöst wird All das wird Schmerz mit sich bringen. Wie ein Schwert wird er das Herz der Mutter durchbohren. Was mit Christus sterben und mit ihm leben meint, hat sie am tiefsten er

fahren. Maria ist den Leidensweg ihre Sohnes mitgegangen vom Morgen der Verkündigung bis zum Abend unter das Kreuz. „Angst und Jammer, Qual und Bangen, alles Leid hielt sie umfangen, das nur je ein Herz durchdrang. (Stabat mater)

Nebenbei gesagt: Von allen Evangelisten zeichnet Lukas das vollständigste und liebevollste Bild der Gottesmutter, weshalb sich schon in früher Christenheit die Legende bildete, die ersten Bilder der Gottesmutter habe er, Lukas, gemalt.

Marias Leben und das Leben ihres Kindes war nicht auf Rosen gebettet: Herbergssuche, verschlossene Türen und Herzen, ein Stall als Unterkunft, ein Futtertrog als Wiege; Herodes, der in dem Kind eine politische Gefahr wittert; Hals über Kopf müssen sie auf die Straße, über die Grenze, in ein fremdes Land...

Welche Dramatik, welche Tragik haftet diesem Leben an?

Entschieden und konsequent wird Jesus seinen Weg gehen. Er wird die Botschaft Gottes in Wort und Tat umsetzen. Er wird nicht immer Gehör fin­den und ankommen. Er wird auch auf Verschlossenheit, Misstrauen und Ablehnung stoßen. Er wird in Konflikte geraten und Konflikte nicht scheuen. Auch von der eigenen Familie, seinen Verwandten wird er einiges an Auseinandersetzung und Entscheidung abfordern. Beispiel: Predigt in Nazareth. Er wird mit einem ungeheuren Anspruch auftreten: dass nämlich mit ihm und in ihm die Herrschaft Gottes endgültig bei den Menschen ankommt. Für viele ein Ärgernis. Sie werden Anstoß an ihm nehmen, ihn ablehnen.

Das Kreuz wirft seinen Schatten in die Szene!

 

Die ganze Tragweite der dunklen Weissagung Simeons über die Zukunft des Kindes, von der Maria mitbetroffen ist, können die Eltern in dieser Stunde noch nicht begreifen. Sie ahnen aber wohl, dass ihr Weg und der Weg ihres Kindes kein Spaziergang sein würde. Doch Gottes Kraft geht alle Wege mit.

 

 

7. Segen

„Und Simeon segnete sie“.

Segen: Das hebräische Wort barach bedeutet ursprünglich, jemanden mit Heil schaffender, wohltuender Kraft begaben.

Segnen heißt: anderen bedingungslos und uneingeschränkt alles Gute wünschen.

Segnen heißt: die göttliche Fürsorge und Gottes Schutz auf den Menschen herabrufen.

Segnen heißt: voll Dankbarkeit an jemanden denken u. über ihn sprechen.

Segnen heißt: dem anderen Glück und Frieden, Licht und Heil wünschen, wobei man selber nie der Geber ist, sondern nur der frohe Zeuge der Fülle des Lebens.

Gesegnet sein heißt: ich empfange, was ich nicht erarbeitet habe.

 

Es ist unmöglich, gleichzeitig zu segnen und zu hassen, gleichzeitig Gutes zu sagen und zu verurteilen. Jesus sagt in der Bergpredigt: „Segnet die, die euch verfluchen!“ Versuchen wir immer zu segnen. Segnen ist ganz wichtig. Wir alle können es tun, nicht nur der Priester. Wir können es gar nicht oft genug tun. Schon beim Aufwachen segnen! Den kommenden Tag segnen! Die Menschen, denen ich begegne, segnen, auf der Straße, im Bus, am Arbeitsplatz, auf dem Amt, im Krankenhaus, die Kinder auf dem Spielplatz, den Straßenfeger und Schornsteinfeger, den Bäcker und die Verkäuferin...

Wenn du einen Menschen weinen siehst, segne ihn. Wenn du einen triffst, der am Ende ist, segne ihn! Wenn du einen kennst, der verzweifelt ist, schick Gottes Segen zu ihm! So werden wir zu Boten der Liebe und zu Werkzeugen des Friedens. Vergiss auch nicht, den einmaligen, herrlichen Menschen zu segnen, der du selber bist! Als Gesegneter kannst du für andere zum Segen werden.

 

 

8. Die Prophetin Hanna

Eine zweite Person kommt hinzu und bestätigt das Zeugnis Simeons: eine hochbetagte Prophetin, Hanna, alt an Jahren, aber lebendig im Glauben. „Hanna“ heißt: „Gott hat sich erbarmt“ oder auch Gott begnadet.

Allerdings: meistens kommt sie zu kurz. Der Greise Simeon stiehlt ihr die Show. Sein Lobgesang, das nunc dimittis, hat Eingang gefunden ins Nachtgebet der Kirche. Und am Fest Darstellung des Herrn endet die mögliche Kurzfassung des Evangelium mit diesem Lobgesang. Hanna fällt unter den Tisch. Und die Gebete, Orationen, auch die Präfation der Festmesse lassen die Hanna ganz weg. Sie findet keine Erwähnung, mit keinem einzigen Wort. – Doch Lukas nennt Hanna eine Prophetin, eine geisterfüllte Frau. Der Heilige Geist hat sich nie, weder damals noch heute, auf einen Teil der Menschheit, den männlichen, beschränkt!

 

 

9. Witwenschicksal

Hanna hat in ihrem Leben schon viel mitgemacht und durchgestanden.

Nur wenige Jahre war ihr das Glück der Ehe vergönnt. Jahrzehnte, fast ihr ganzes Leben hat sie als Witwe gelebt. Witwen gehörten damals zusammen mit den Waisen zu den schutzlosesten und am meisten benachteiligten Bevölkerungsschichten. In jener Zeit gab es ja noch keine Rente, keine Sozialhilfe, keine Altersversicherung. Das bedeutete oft große materielle Not, Angewiesensein auf fremde Hilfe. Oft blieb nichts übrig als zu betteln. Im Ganzen gesehen: ein wirklich unscheinbares, armes Leben, am Rand der Gesellschaft .

Dazu die seelische Not. Trauer ob des Verlust des Mannes in so jungen Jahren. Enttäuschung, die Erfahrung der Einsamkeit, der Schmerz des Alleinseins. Doch es scheint: keine Dunkelheit und düstere Lebenserfahrung vermochte sie daran zu hindern, gegen allen Augenschein auf Gott zu vertrauen, auf seine Verheißungen zu bauen und auf das erlösende Licht zu warten.

Hanna nahm wohl die Zumutungen Gottes an und war bereit, das Leben von Gott durchkreuzen zu lassen. Sie wusste, noch bevor Paulus das Wort gesprochen hat: „Gott führt bei denen, die ihn lieben alles zum Guten.“ Und: „Nichts kann uns scheiden von der Liebe Gottes.“

Mag Hanna auch noch so gering erschienen sein in den Augen der Menschen und ohne Ansehen, in Gottes Augen nicht, bei Gott war sie nicht vergessen. Gott schaut ins Herz. Und er holt Hanna aus der Bedeutungslosigkeit. Er würdigt gerade sie Zeugin und Verkünderin für den Sohn Gottes zu sein.

Hannas Leben war kein leichtes, es war ein geprüftes Leben. Und doch ist sie an den schmerzhaften Erfahrungen ihres Lebens nicht zerbrochen. Und nichts und niemand konnte ihr den Glauben an Gott nehmen. Die Schicksalsschläge haben sie nicht von Gott weggebracht, sondern näher zu ihm hingeführt. Bis ins hohe Alter hatte sie nicht aufgehört, die „Erlösung Israels“ herbeizusehnen, den Befreier, der auch ihr Erlösung bringen sollte.

 

Ich denke, wir können uns ganz gut in der Hanna wiederfinden. Jeder trägt Anteile der Hanna in sich. Auch in meinem Leben gibt es Unerfülltes, Nichterreichtes, Nichtgelebtes. Auch ich habe das Glück der Erfüllung nicht immer und in allem gefunden. Es gab und gibt die Mühsal, die Not, Entbehrung, Einsamkeit, Enttäuschung. - Ist es auch mir gelungen, nicht zu verbittern, zu resignieren oder nur noch zu jammern und zu lamentieren? Konnte ich das Licht spüren, mit dem ich solche Situationen durchstehen konnte?

 

 

10. Wandel in der Gegenwart Gottes

Auch hier bei Hanna nochmals die Frage: Woher bekam sie die Kraft, der Vision ihres Lebens treu zu bleiben? Was hat geholfen, nicht zu resignieren und das Warten und Ausschauhalten nicht aufzugeben? Was hat diese Frau offen und wach gehalten und die Lampe ihrer Sehnsucht am Brennen? Wie ist sie sehend und wissend geworden für Jesus? Wie erkannte sie in diesem Kind den erwarteten Messias?

Wir können sagen: durch intensives Hören auf das Wort Gottes, durch aus dauerndes, inständiges Beten und durch freiwillige Opfer.

An Stelle einer Wiederverheiratung hatte sich Hanna wohl für den Dienst des Gotteslobes und der ständigen Fürbitte im Tempel entschieden. „Sie hielt sich“, so sagt es unser Bibeltext, „ständig im Tempel auf und diente Gott Tag und Nacht mit Fasten und Beten.“

Ihren Lebensabend verbringt Hanna im Tempel, im Heiligtum Gottes, in der Gegenwart Gottes. Sie hat einen ganz vertrauten Umgang mit ihm, ist dauernd im Gespräch mit ihm, sie lebt in seiner Gegenwart.

 

Der Wandel in der Gegenwart Gottes ist etwas vom Wichtigsten für jeden, der ein geistliches Leben führen will. Allerdings, zum Wandel in der Gegenwart Gottes ist es nicht notwendig, sich ständig in der Kirche aufzuhalten. Wir können Gott nahe sein immer und überall. Wir können ihm begegnen und ihn finden in allen Dingen. Vor allem können wir aus unserem Herzen einen Ort des Gebetes machen. Das ist im Wartesaal des Arztes möglich, an der Bushaltestelle, beim Schlange stehen an der Kasse, beim Warten auf das Essen bei Tisch usw. Immer und überall können wir aus unserem Herzen einen Ort des Gebetes machen. Wir dürfen wissen und ganz fest glauben und sollen es nie vergessen: Gott ist uns näher als wir uns selbst, innerer als unser Innerstes. „Wisst ihr nicht, dass ihr ein Tempel Gottes seid und dass Gottes Geist in euch wohnt?“ fragt Paulus die Korinther.

Leben in der Gegenwart Gottes, Leben gemäß seiner Weisung, Gebet, Gotteslob, Fasten, Vertrauen und Geduld waren Lebensinhalte der hoch betagten Hanna. Die Ehre und Verherrlichung Gottes war ihr erstrebenswerter und wichtiger als die Ehre, das Prestige und der Beifall der Menschen. Ihr Leben war ein Rühmen und Loben Gottes.

 

 

11. Hanna –  Zeugin und Verkünderin der Ankunft des Erlösers

Und so fängt auch sie an, als sie das Kind sieht, Gott zu loben und zu preisen. Und sie verkündet die Ankunft des Erlösers. Wovon das Herz voll ist, davon läuft der Mund über. Hanna erzählt allen davon, die auf die Erlösung Israels warten. Sie bezeugt - wie Simeon - dieses Kind als den ersehnten Retter, der von Schuld befreit, die Gebeugten aufrichtet und alle Gebrechen heilt.

Wenn es von Hanna heißt, sie habe zu allen, die auf die Erlösung warten, über das Kind gesprochen, so stellt sie Lukas gleichsam in die Reihe der Apostel. Sie sagt es nicht jedermann auf der Straße, sondern denen, die mitglauben, sich mitsehnen, mitwarten auf die Erfüllung der Verheißung.

 

Dass eine alte weise Frau vom Herrn kündet, eine, die sich Tag und Nacht im Tempel aufhält, eine, die sich gleichsam Gott geweiht hat, eine, die in sich selbst ruht und als Beterin in Gott ruht und kein Großer, kein Aktivist, kein Macher, kein Topmanager und Superorganisator - ein wenig sollten wir vielleicht darüber nachdenken, auch das kann uns etwas sagen.

 

Voll von dem Erlebten und mit vielen Eindrücken kehrt die junge Familie heim nach Nazareth. Das Kind wächst und gedeiht. Dass Gott mit seinem Wohlgefallen mit ihm ist, ist deutlich.

Doch die Szene im Tempel kommt Maria und Josef immer wieder in den Sinn. Die Begegnung mit Simeon und Hanna bleibt für sie unvergesslich. Was sie gehört und gesehen haben, geht ihnen geheimnisvoll noch lange nach.

 

Maria wird wohl auch all diese Worte und Geschehnisse in ihrem Herzen bewahrt, hin und her bewegt und meditiert haben. Es braucht oft viel Zeit und Besinnung, um Ereignisse und Erlebtes zu verarbeiten, zu verstehen und ihre Tragweite zu ermessen.

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