1970 hat Papst Paul VI. Katharina von
Siena in den Rang einer Kirchenlehrerin erhoben. Kurz zuvor wurde diese
Ehrung Theresia von Avila zuteil. Bis dahin hatten diese Auszeichnung
nur Männer erhalten.
Wie kommt es,
dass eine Frau, die nicht die Gelehrsamkeit einer Hildegard von Bingen
oder Edith Stein besaß, zur Kirchenlehrerin erklärt wurde. Katharina von
Siena hat nie eine Schule besucht noch sonst eine Ausbildung erhalten.
Erst sehr spät hat sie ein wenig lesen und schreiben gelernt.
War es
der literarische Schwung ihrer Briefe, die sie diktierte, gerichtet an
Könige und Päpste, Fürsten und Kardinäle und die zur klassischen
italienischen Literatur zählen?
Oder war es der Inhalt, der von
der Liebe zu Gott, der Liebe zur Kirche und der Liebe zum Mitmenschen
spricht?
Wer war überhaupt diese Frau,
die es fertig brachte, verstockte Sünder zu bekehren, verfeindete Städte
zu versöhnen, den Papst aus der Abhängigkeit des Königs von Frankreich
zu befreien und ihn von Avignon nach Rom zurückzuholen?
Katharina
wurde 1347 als 24. von 25 Kindern der Wollfärberfamilie Benincasa bei
Siena geboren. Ihre Zwillingsschwester Johanna starb kurz nach ihrer
Geburt. Bereits ein Jahr später verwüstete die Pest Europa. In Siena
wurde fast die halbe Stadt hinweggerafft. Auch die meisten der
Geschwister Katharinas starben an der Pest. Ihr Vater war bescheiden und
fromm, die Mutter ganz eine toskanische Mamma: laut, heftig, energisch,
dominant, temperamentvoll, aber auch bodenständig und realistisch.
Von beiden erbte die kleine Katharina
etwas. Tiefe Frömmigkeit und selbstbewusster Eigenwille paarten sich bei
ihr.
Katharina wurde nicht anders
erzogen als die anderen Kinder in dem großen Haushalt auch. Das
Nesthäkchen wurde nicht verwöhnt. Man nahm es früh mit zur Kirche. Die
tägliche Messfeier gehörte selbstverständlich dazu.
Bereits als siebenjähriges Kind
hat Katharina ihre erste Vision, ihre erste mystische Christusbegegnung.
Jesus lächelt ihr liebevoll zu und segnet sie. Seit dieser Gnadenstunde
wollte Katharina mit dieser Freude an Jesus nichts anderes mehr
eintauschen. Sie beschließt, ihr Leben ganz Gott zu weihen. Christus
allein will sie gehören, ihm allein nachfolgen. In einem privaten
Gelübde verspricht sie „Braut Christi“ zu werden und ist sich der
Bedeutung dieses Vorhabens voll bewusst.
Als Katharina zwölf Jahre alt ist,
bemühen sich ihre Eltern – wie damals in Italien üblich – Ihre Tochter
zu verheiraten.
Katharina weigert sie sich. Um
den Heiratsplänen ihrer Mutter zu widerstehen schneidet sie sich die
Haare ab. Die Eltern sehen darin Trotz, den es zu brechen, Flausen, die
es auszutreiben gilt und versuchen ihre Tochter mit allen Mitteln zur
Vernunft zu bringen. Man behandelt sie in den folgenden Jahren wie eine
Magd. Sie wird in den großen Geschäftshaushalt gesteckt, um ihr Raum und
Zeit für das Gebet zu nehmen. Sie sollte möglichst nie allein und immer
beschäftigt sein. Katharina fügt sich, schafft und arbeitet tagsüber in
Haus und Hof, in Küche und Keller, nachts betet sie. Katharina
erträgt alle Schikanen, allen Spott, gibt aber ganz klar zu verstehen,
dass eine Ehe für sie nicht in Frage kommt. Unbedingt und mit einer
Festigkeit sondergleichen hört sie auf Gottes Ruf.
In dieser Zeit macht Katharina
eine wichtige Erfahrung. Sie entdeckt, dass Jesus in der „inneren
Zelle“, in ihrem Herzen wohnt und dass ihr diese Christusgegenwart
niemand nehmen kann. Der Rückzug in die „innere Zelle“ macht es
ihr möglich, trotz aller Betriebsamkeit mit Gott allein zu sein.
Später wird Katharina an einen
Ordensmann über diese Zelle schreiben: „Ich
möchte, dass Ihr diese Zelle ständig mit euch tragt, überall, wohin Ihr
auch geht, in jeder Beschäftigung. Ihr sollt sie nie verlassen, sondern
Euch immer darin verbergen, im Chor, im Refektorium, bei Zusammenkünften
und bei den verschiedenen Übungen und in allen Euren Pflichtarbeiten.“
Seit frühester Jugend ist
Katharina den Dominikanern zugetan. Als sie mit 15 Jahren vorhat, sich
der dominikanischen Laiengemeinschaft, den „Mantellaten“, (3.
Orden des heiligen Dominikus), anzuschließen, stößt sie wiederum auf
häuslichen Widerstand. Als man es ihr doch erlaubt ist sie glücklich.
Inzwischen zählt sie 18 Jahre.
In tiefer Gottverbundenheit
schaut und erkennt sie, dass einem fruchtbaren caritativen Dienst die
innere Einkehr, Gebet und Fasten voranzugehen haben. So zieht sich
Katharina für ganze drei Jahre von der Umwelt zurück. Sie schließt sich
in eine Kammer im Untergeschoß ihres Elternhauses ein, um ein strenges
Leben in Gebet und Buße zu führen. Nur zum Gottesdienst in der nahen
Dominikanerkirche verlässt sie ihre Zelle. Es wird ihr bewusst, dass
Gott den Menschen zur Liebe berufen hat und dass der schlimmste Feind
die Selbstsucht ist.
Diese rein mystische Periode
ihrer Jugend gipfelt in der „mystischen (geistlichen) Vermählung“
mit Christus. Sie erhält dabei einen Ring an den Finger gesteckt, den
zeitlebens nur sie zu sehen vermag.
Am Ende dieser Periode bekommt
Katharina von Gott den Auftrag, in das tägliche Leben zurückzukehren und
ein öffentliches Wirken zu beginnen. Zugleich sagt ihr Gott seine
fortwährende, spürbare und sichtbare Nähe auch „in der Welt“ zu.
Sie hilft Armen, dient den Kranken,
besucht Gefangene und pflegt Pestkranke. Im Pestjahr 1374 infiziert sie
sich selbst, kann aber die Krankheit überwinden. Dank einer besonderen
Gabe führt sie Menschen zu Gott zurück und stiftet Frieden zwischen
verfeindeten Familien.
Man beginnt über Katharina zu staunen,
als sie einen jungen Adeligen, der zum Tod verurteilt war, auf seinen
letzten Weg vorbereitete und ihm beim Sterben beistand. Sie konnte ihn
bewegen, die Sakramente zu empfangen und gottergeben zu sterben.
Katharina besitzt eine starke
Ausstrahlung, die Menschen anzieht. „In ihrer Gegenwart“,
schreibt Raimund von Capua, ihr Biograph, „fühlte man einen mächtigen
Antrieb zum Guten und eine unbändige Freude an Gott, dass jede Spur von
Traurigkeit aus dem Herzen wich.“ So scharten sich bald
Anhänger und Anhängerinnen um sie, Gleichgesinnte. Es bildete sich eine
lose Glaubensgemeinschaft. Katharina nannte sie „famiglia“. Es
gehörten auch Persönlichkeiten des kirchlichen und öffentlichen Lebens
dazu. Die Mitglieder der „famiglia“ gingen weiter ihren Berufen
nach, wanderten und reisten aber auch mit Katharina durch die Lande,
eine wandernde Kirche sozusagen, pilgerndes Gottesvolk. Auch dadurch
kommt Katharina in Berührung mit den großen Problemen und Nöten ihrer
Zeit.
Es gab Fehden zwischen
verfeindeten Städten, kriegerische Zwistigkeiten der führenden Familien,
den Kampf der Kaisertreuen gegen die Papstanhänger. Die Menschen waren
gepeinigt von Epidemien.
Der Zustand der Kirche war
erbärmlich. Der Papst saß in Avignon. Die Kirche war stark verweltlicht.
Es gab Pfründenschacher, Bestechlichkeit, Verkauf geistlicher Ämter…
Katharina
leidet schwer darunter. Sie fühlt sich zum Eingreifen gerufen. Ihr
großes Herzensanliegen ist Friede und Versöhnung sowie die Reform der
Kirche. 25jährig beginnt sie ein unerhörtes politisches
Engagement. Was mit der Versöhnung zwischen verfeindeten Personen und
Familien begonnen hat, weitet sich allmählich aus auf die Aussöhnung
zwischen Städten und Republiken.
Als die Rivalitäten zweier Parteien, die
in Siena um die Macht kämpften, in blutige Straßenkämpfe ausarten, tritt
Katharina dazwischen. „Pace, pace“ – „Friede, Friede“ ruft sie
den Hitzköpfen zu, und sie stecken ihre Degen weg.
Pace – Friede ist ein
Schlüsselwort ihres Lebens. Nachdem sie es fertig gebracht hatte, in
Siena die zerstrittenen Parteien zu versöhnen, wird sie gerufen,
zwischen feindlichen Städten zu vermitteln: Florenz, Pisa, Neapel,
Mailand, Rom. Es gelingt ihr sogar, die Kriegspartei in Florenz, die in
den Kirchenstaat eingefallen war, zum Rückzug zu bewegen.
Bei einem Aufstand in Florenz
kommt sie beinahe ums Leben. Sie wird von Häschern gesucht. Man findet
sie schließlich betend in einem Garten. Vom Pöbel mit dem Tod bedroht,
bietet sie bereitwillig ihr Leben an und bittet nur um Schonung für die,
die bei ihr sind. Da weichen – wie bei der Gefangennahme Jesu im
Ölberggarten – die Soldaten zurück und lassen ihre Waffen sinken.
Es geschieht, dass
Bürgermeister, Stadtparlamente, Burgherren, der Adel, Diplomaten und
Tyrannen sie als Schiedsrichterin und Friedenstifterin holen. Selbst
der Papst fordert Katharina auf, im schwelenden Konflikt zwischen
Städtebund und Papsttum ihren Einfluss geltend zu machen. Und wo
sie nicht persönlich erscheinen kann, schreibt bzw. diktiert Katharina
Briefe: an Herzöge und Söldnerführer, an Regierungen und Bischöfe, an
Fürsten und Kardinäle. Mit starken, klaren Worten schaltet sie sich in
die Verhältnisse ihrer Zeit ein, nimmt Stellung, mahnt und findet Gehör.
Sie durchschaut die Vergänglichkeit
äußerer Pracht und irdischer Macht. An den Tyrannen Barnabo Visconti
schreibt sie: „Viele sind, die Länder und Burgen erobern, aber nicht
siegen können über ihr eigenes Selbst und ihre Sünden und somit nicht
Sieger, sondern Besiegte sind.“
Katharina sagt, was sie denkt,
direkt und unverblümt und manchmal fast unverschämt im Ton: „Seien
Sie nicht ein ängstlicher Säugling, sondern ein Mann“, bekam der
Papst zu lesen. „Bischöfe sollen Gott suchen, statt wie Schweine zu
leben“, heißt es in einem Brief.
Die Gebrechen der Kardinäle,
Prälaten und Priester geißelt sie mit schonungsloser Offenheit. Sie
klagt über die Hirten der Kirche, die nach nichts anderem trachten als
nach gutem Essen, schönen Palästen, großen Pferden und die nur ihr
eigenes Wohlleben im Sinn haben. „Der schlimmste Greuel vor Gott ist
der Anblick der Blumen, die aus dem mystischen Leib der Kirche sprießen
und, anstatt süßen Duft zu verbreiten, nach allen Lastern stinken.“
Katharina mahnt und brandmarkt
nicht nur, sie ruft zu Buße und Umkehr auf. Jeder ihrer Briefe endet mit
einer Liebeserklärung an ihren himmlischen Bräutigam: Gesu dolce, Gesu
amore.
Dass sie sich so etwas erlauben
konnte, zumal als Frau, bleibt fast unerklärlich. Gelegentlich
scheint es aber doch so zu sein, dass sie bei aller Furchtlosigkeit, ein
wenig Angst vor der eigenen Courage hat. So erzählt sie ihrem
Seelenführer, sie habe Christus vorgehalten, sie sei ja nur eine Frau,
die nicht predigen und nicht mit Männern gleichberechtigt umgehen dürfe.
Darauf habe er (Christus) ihr versichert, dass bei Gott nichts
unmöglich sei und dass er, seiner Gewohnheit gemäß, das Starke durch das
Schwache zu besiegen gedenke.
Katharina erfährt nicht nur
Anerkennung, sondern auch Undank und Ablehnung. Sie lässt sich jedoch
dadurch nicht beirren: „Gott hört ja wegen des
Undanks auch nicht auf, den Sündern Gutes zu tun. Und Jesus hat am Kreuz
die Menschen zur selben Stunde erlöst, da sie ihn beschimpften.“
Katharinas Auftreten, ihre
öffentlichen Ansprachen, Ermahnungen, Hinweise auf Missstände, ihre
scharfe Kritik gegenüber den kirchlich und politisch Verantwortlichen,
ihre politischen Aktivitäten – für eine Frau in damaliger Zeit äußerst
ungewöhnlich und Aufsehen erregend – all das mag mit dazugeführt
haben, dass Katharina im Jahr 1374 vor das Generalkapitel des
Dominikanerordens berufen wurde. Dokumente zu dieser Befragung
existieren nicht mehr. Die Forschung nimmt jedoch an, dass es bei
dieser Untersuchung um den Vorwurf des Ketzertums ging. Sie muss für
rechtgläubig erklärt und freigesprochen worden sein. Ihr wurde jedoch
der zu diesem Zeitpunkt bereits einflussreiche Dominikaner Raimund von
Capua als Beichtvater zugeteilt. Er hat Katharina ihr Leben lang als
Seelenführer, Berater und Dolmetscher begleitet. Nach ihrem Tod
verfasste er ihre Biographie, die „Legenda maior“.
Am 1. April 1375 erfolgte vor
einem Kreuz in Pisa ihre Stigmatisation. Auf wunderbare Weise erschienen
an ihrem Körper die Wundmale Jesu, die allerdings nur für Katharina
selbst zu erkennen waren.
Katharinas Ruf verbreitete sich
bald in ganz Europa und Menschen aus aller Herren Länder fragten sie um
Rat – darunter selbst der Papst, den sie ihrerseits nicht schonte,
sondern auch prophetisch zurechtwies. Auflehnung gegen die
päpstliche Autorität war ihr jedoch fremd. „Und
selbst wenn der Papst ein fleischgewordener Teufel wäre, statt eines
gütigen Vaters, so müssten wir ihm dennoch gehorchen, nicht seiner
Person wegen, sondern Gottes wegen. Denn Christus will, dass wir seinem
Stellvertreter gehorchen.“
Katharinas Interesse
konzentrierte sich mehr und mehr auf Papst Gregor XI. Er allein konnte den
drohenden Zerfall der Kirche aufhalten und eine Erneuerung in Gang
setzen.
1376 reist sie mit 20
Gleichgesinnten nach Avignon. Nicht zuletzt durch ihre Intervention
entscheidet sich der Papst aus Avignon nach Rom zurückzukehren. Sieben
Päpste haben über Jahrzehnte in Abhängigkeit vom französischen König in
Avignon residiert.
Aber sein Nachfolger, Urban VI.
war unklug. Bei allem guten Willen zur Kirchenreform war er „wie ein Elephant im Porzellanladen“. Er stieß die Kardinäle vor den Kopf,
die infolgedessen einen Gegenpapst kürten, Klemens VII., der sich in Rom
nicht halten konnte und schließlich nach Avignon ging. So begann die
Zeit des großen abendländischen Schismas, der Kirchenspaltung, die die
Christenheit zerreißen sollte.
Für Katharina, die ganz mit der
Kirche lebt und mit der Kirche fühlt, ist all das mitanzusehen und zu
erleben ganz schlimm und überaus schmerzlich. Es schneidet sie ins Herz.
Es ist für sie wie ein Martyrium.
Auf Wunsch Urbans VI. zieht sie
nach Rom. Von dort aus kämpft sie für die Einheit der Kirche und für
eine Friedenslösung im krisengeschüttelten Italien. Ihre Wohnung wird zu
einem Zentrum diplomatischer Aktivität. Briefe und Boten gehen nach
allen Seiten zu den Mächtigen Italiens und den Regierenden Europas, zu
den Kardinälen, um ihnen Mut zuzusprechen und sie zu maßregeln, an den
Papst selbst mit flehentlichen Bitten und Vorwürfen. Inzwischen ernährt
sie sich nur mehr vom „Brot des Lebens“, der heiligen Eucharistie und
Wasser. Viele ihrer „Familie“ leben mit ihr zusammen.
Zu Beginn des Jahres 1380 verschlechtert
sich ihr Gesundheitszustand immer mehr. Trotzdem schleppt sie sich jeden
Morgen nach St. Peter, um dort den ganzen Tag für die Kirche betend zu
verbringen.
Voller Schmerz über die Kirchenspaltung
und aufgezehrt von den vielen Reisen, Friedensbemühungen, Sorgen und
Enttäuschungen, bricht die 33jährige eines Tages in St. Peter zusammen.
Vom 26. Februar an, muss sie ständig das Bett hüten. Am 29. April 1380
stirbt Katharina im Beisein ihrer Mutter und einigen Gefährtinnen. Ihnen
vertraut sie an: „Seid überzeugt, dass die einzige Ursache meines
Todes die Glut für die Kirche ist, die mich verzehrt.“ Und sie
verspricht, nach ihrem Tod „nützlicher“ zu sein, als sie es in
ihrem Erdenleben sein konnte.
Nach Katharinas Heimgang geschehen
zahlreiche Wunder und Heilungen. Eine große Menschenmenge strömt herbei,
um ihren in der römischen Dominikanerkirche aufgebahrten Leichnam (oder
wenigstens ihr Gewand) zu berühren. Schließlich müssen Eisengitter zum
Schutz des Leichnams angebracht werden.
Drei Nächte und drei Tage
dauert die Leichenfeier. Beim Begräbnis weinen die Römer so laut, dass
der Prediger nicht zu Wort kommt.
Ihr Grab befindet sich in der
Kirche Santa Maria sopra Minerva unter dem Hochaltar. Ihr Haupt wird
1385, noch zu Lebzeiten ihrer Mutter, nach Siena überführt und befindet
sich heute in der Kirche San Dominico.
1461 wurde Katharina
heiliggesprochen. Sie gilt als die Heilige, die „den Papst und die
Kirche geliebt hat wie niemand zuvor“.
Ich habe mich zum ersten Mal ausführlich
mit Katharina von Siena beschäftigt.
Mich beeindruckt, wie sie schon
als Kind und junges Mädchen sich von ihrer resoluten Mutter nicht
unterkriegen ließ, sondern ihren eigenen Weg ging, den Weg ihrer
Berufung, den Weg, den Christus ihr zeigte. Mich beeindruckt ihr
Beten, Fasten, Nachtwachen, ihr Leben in strenger Buße. Mich
beeindruckt, wie sie ganz nach innen gekehrt ist und doch oder
vielleicht auch gerade deswegen ganz nach außen, wie sie nach innen hört
und gleichzeitig die Zeichen der Zeit erkennt, auf Gottes Ruf antwortet
und sich den Herausforderungen der Welt stellt. Ein Leben zwischen
Rückzug in die beschaulichen Zelle und Zugewandtheit zur Welt, ein
scheinbar gegensätzliches Leben, doch ohne Risse. Mich beeindruckt
die Selbstlosigkeit, mit der sie Kranke und Aussätzige pflegt und
Ausgestoßenen beisteht, auch wenn ihr Undankbarkeit entgegenschlägt.
Mich beeindruckt ihr Mut, wie sie selbstbewusst auftritt, wo andere
„kuschen“, wie sie ohne Menschenfurcht zwischen verfeindete Gruppen,
Familien, Parteien und Städte tritt, um Frieden herzustellen und Feinde
miteinander zu versöhnen. Mich beeindruckt ihre Zielstrebigkeit
und Entschlossenheit, mit der sie sich für eine Sache einsetzt. Mich
beeindruckt, wie sie als Frau Fürsten und Bischöfe berät, sie aber
auch ermahnt und selbst dem Papst die Leviten liest. Mich beeindruckt
ihr kühner Geist, mit dem sie es wagt – als Frau und ohne jedes
kirchliche Amt – den Papst nach Rom zurückzuholen. Diese Frau
widerlegt die Ansicht, die Frauen hätten im Mittelalter nur schweigen
und aushalten müssen. Mich beeindruckt ihr Sprach- und Redetalent. Von
Haus aus ungebildet diktiert sie ihr Buch „Dialog der göttlichen
Vorsehung“. Thema: „Christus, die Brücke über die aufrührerische
Welt.“
375 lehrreiche und interessante Briefe
sind von ihr erhalten. Viele Gebete sind von ihr überliefert. Sie wurde
zu einer Schriftstellerin von hohem Rang, eine Meisterin der
italienischen Sprache.
Man könnte sagen: Katharina
war erfolgreich.
Aber hat sie nicht bei ihren Angehörigen,
bei den Kranken und auch bei ihrem politischen Einsatz Undank erfahren?
Hat sie nicht erleben müssen, dass der
Friede, der eben beschworen wurde, aufs Neue gebrochen wurde?
Hat sie nach der Freude über die Rückkehr
des Papstes nach Rom nicht mit Schmerz und Trauer schon ein Jahr danach
das Schisma erlebt, als es plötzlich zwei Päpste gab, den zu Rom und den
in Avignon? Auch ihr Bestreben, dem in ihren Augen rechtmäßigen Papst
beistehen, war wenig erfolgreich.
Katharina hätte Enttäuschungen
und Niederlagen nicht ertragen und verkraftet, wenn sie nicht einen
tiefen Glauben gehabt und ein intensives Gebetsleben geführt hätte, wenn
sie nicht in enger Tuchfühlung mit Gott gelebt hätte.
Alle ihre Aktivitäten haben
ihre Liebe zu Christus und ihre Liebe zur Kirche als Ursache. Hinter
allem steht die Liebe, die Liebe zu dem, den sie liebte und von dem sie
sich geliebt wusste, die Liebe zu dem, dem sie ihr Herz und der ihr sein
Herz schenkte: Gesu dolce, Gesu amore!
Katharina von Siena ist eine
bewundernswerte, eine faszinierende Frau und eine aufregende und
außergewöhnliche Heilige. Sie hat, meine ich, den Titel
„Kirchenlehrerin“ wirklich verdient hat. Und nicht von ungefähr hat
sie Johannes Paul II. neben Birgitta von Schweden und Edith Stein 1999
zur Mitpatronin und Schutzpatronin Europas ernannt.
Katharina gilt auch zusammen
mit Franz von Assisi als Nationalheilige Italiens. Sie trug wie er die
Wundmale, die aber bei ihr auf ihren ausdrücklichen Wunsch für ihre
Mitmenschen unsichtbar bleiben. Sie trat wie er für Frieden und
Versöhnung ein. Pace – Friede ist ein Schlüsselwort von beiden.
Katharina war Mystikerin. Ihr
Wesen war Feuer, glühende Liebe, Leidenschaft für Gott. Und genau das
ist der Grund, warum sie sich aus dem politische und kirchliche
Geschehen nicht herausgehalten, sondern sich eingemischt und eingebracht
hat. Ihr besonderes Charisma ist ihre große Liebe zur Kirche und
ihre brennende Sorge um sie. Ihre Liebe zur Kirche hat sie fast
umgebracht. Sie erkannte, dass Christus selber an den Missständen im
Gottesvolk und im Klerus leidet. Er leidet, wenn es in der Kirche zum
Himmel stinkt. Weil sie das verstanden hat, deshalb hat sie sich in das
politische und kirchliche Gewühl ihrer Zeit geworfen. Katharina war eine
von Christusliebe und Kirchenliebe Getriebene.
Katharina von Siena: Ihr Leben
hat auch heute noch Strahlkraft und ihre Botschaft verdient es, gehört
zu werden.
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