Wer die Sixtinische
Kapelle besucht, ist beeindruckt vom Jüngsten Gericht. Es braucht Muße,
Verweilen und andächtiges Schauen, um die vielen Details wahrzunehmen
und auf sich wirken zu lassen, die Michelangelo zeigen wollte.
Eines davon ist die – in gewisser Weise –
schaurige Darstellung eines Heiligen, der seine eigene Haut in der
linken Hand hält. Es handelt sich um den heiligen Apostel Bartholomäus,
dessen Fest die Kirche am 24. August feiert.
Der Überlieferung nach soll er – um
seiner Treue zu Christus willen – als Märtyrer gestorben sein, indem er
gehäutet wurde. Es wurde ihm bei lebendigem Leib die Haut abgezogen.
Als einer der engsten Freunde Jesu hat er
den Tod dem Verrat, das Leiden der Flucht, ja die entsetzliche Folter
der billigen Rettung vorgezogen und ist Christus treu geblieben bis in
den Tod.
Er wollte buchstäblich nicht seine eigene
Haut retten, sondern Christus angehören und sich zu ihm bekennen, koste
es, was es wolle, Gut, Blut und Leben.
Wer war dieser Bartholomäus?
Wir wissen nicht allzu viel über ihn. Er
steht nie im Mittelpunkt. Es werden von ihm keine besonderen Ereignisse
überliefert.
Sein Name erscheint in den Apostellisten
bei Matthäus, Markus Lukas und in der Apostelgeschichte. In diesen
Namenslisten der Zwölf wird der Name von Bartholomäus immer zusammen mit
dem von Philippus genannt.
Im Johannesevangelium kommt der Name
Bartholomäus nicht vor. Johannes aber erwähnt einen Freund des Philippus
namens Natanael. So kam es, dass schon bald Natanael und Bartholomäus
gleichgesetzt wurden. Die kirchliche Tradition geht davon aus, dass
Natanael und Bartholomäus identisch sind. Demnach handelt es sich bei
Natanael und Bartholomäus um ein und derselbe sind bzw. waren.
„Bar-tolomai“
(aus dem Aramäischen) heißt auf deutsch „Sohn des Tolomai“.
Bartholomäus war wohl der Beiname des Apostels. Sein eigentlicher
Vorname war wohl Natanael: Natanael, der Sohn des Tolomai (wörtlich:
„des Furchenziehers“).
Wie dem auch sei: Die Berufung des mit
Bartholomäus gleichgesetzten Natanael zum Jünger Jesu und wie er den Weg
zum Herrn gefunden hat, wird von Johannes ausführlich berichtet. (Siehe:
Joh 1, 45 - 51, das Evangelium vom Fest am 24. August).
Diesem Evangeliumsbericht zufolge ist es Philippus, der dem Natanael den
entscheidenden Hinweis auf Jesus gibt: „Wir
haben den gefunden, über den Mose im Gesetz und auch die Propheten
geschrieben haben: Jesus von Nazareth, den Sohn Josefs.“
Diese Mitteilung löst bei Natanael nicht
Freude oder gar Begeisterung aus. Er reagiert vielmehr skeptisch,
misstrauisch, ja ablehnend. Er hält nämlich Natanael ein ziemlich
schweres Vorurteil entgegen: „Aus Nazareth? Kann von dort etwas Gutes
kommen?“ Nach damaliger jüdischer Auffassung und Erwartung konnte
der Messias unmöglich aus einem derart kleinen und unbekannten Dorf
stammen, wie Nazareth es war.
Wir wissen heute, dass Jesus in
Wirklichkeit nicht ausschließlich aus Nazareth stammte, sondern in
Bethlehem, der Stadt Davids, geboren wurde. Und wir glauben, dass er
letzten Endes vom Himmel kam, vom Vater, der im Himmel ist.
Zugleich macht der Einwand des Natanael
auch deutlich, dass Gott oft und mit Vorliebe das Kleine, das Schwache,
das Unbedeutende auserwählt. Und dass er gerade dort zu finden ist, wo
wir ihn am wenigsten erwarten würden.
Noch etwas fällt auf und kann uns etwas
sagen:
Natanael lässt den Einwand, das Vorurteil
seines Freundes stehen. Er geht nicht darauf ein. Er versucht nicht
seine Bedenken zu zerstreuen oder seine Zweifel zu entkräften oder zu
widerlegen. Philippus hält die Kritik und Skepsis seines Freundes aus.
Vielleicht hat er sogar Verständnis dafür. Typisch Natanael! Er vertraut
jedoch darauf, dass in der Begegnung mit Jesus, das Misstrauen seines
Freundes schmilzt und sein Glaube und sein Vertrauen geweckt wird, dass
er Jesus als den Sohn Gottes erkennt, und das trotz dessen „niedriger“
Herkunft.
„Komm und sieh!“
sagt Philippus zu Natanael. Zuvor schon hat Jesus zu den beiden Jüngern,
die auf den Hinweis Johannes des Täufers hinter ihm her gegangen sind,
gesagt: „Kommt und seht!“ als die nämlich ihn fragten: „Meister, wo wohnst du?“ – „Kommt und seht!“
Im Johannesevangelium geschieht Berufung
hauptsächlich durch die Vermittlung anderer. Einer sagt es dem anderen
weiter. Berufung zieht Kreise. Johannes, der Täufer weist zwei seiner
Jünger auf Jesus hin. Einer davon, Andreas, führt seinen Bruder Simon zu
Jesus. Philippus macht Natanael auf Jesus aufmerksam.
Ob die Vermittlung des Glaubens nicht
auch heute überwiegend auf diese Weise geschieht? Auch wir sollen
Vermittler des Glaubens für andere sein. Wir können durch unser
Glaubenszeugnis die Neugier und Glaubensbereitschaft anderer wecken.
Das Zeugnis ist wichtig. Siehe Philippus!
Aber Worte allein genügen nicht. Den entscheidenden Schritt zum Glauben
muss jeder – wie Natanael – selber tun.
Letztlich muss es jeder selber sein, der
schaut, der prüft, der sich überzeugt. Jeder muss eigene und ganz
persönliche Erfahrungen machen. So ist es möglich, in eine innige und
tiefe Beziehung zu Jesus zu finden und immer mehr in sie hinein zu
wachsen.
„Komm und sieh!“
Diese Einladung des Philippus dürfen wir, die wir zu Christus gefunden
haben, wir, die wir uns Christen nennen und zur christlichen
Glaubensgemeinschaft gehören, auch an die Menschen unserer Tage richten.
Die Frage ist: Können die Menschen etwas
„sehen“ bei uns? „Seht, wie sie einander lieben“, sagte
man über die Christen in der frühen Kirche?
Was finden die Menschen bei uns?
Wertschätzung, Akzeptanz, Heimat,
Geborgenheit…?
Sind wir Stadt auf dem Berge, Salz der
Erde, Licht der Welt? Nicht Worte, sondern die gelebte Liebe ist
manchmal das allererste und allerbeste Zeugnis für das Evangelium.
Worte belehren, Beispiele reißen mit. Nur
Ergriffene ergreifen.
Als Jesus Natanael näher kommen sieht,
ruft er aus:
„Da kommt ein echter Israelit, ein Mann
ohne Falschheit!“
Jesus macht Natanael keine Vorwürfe wegen
seines Misstrauens und seiner Skepsis. Er nimmt ihm das nicht übel.
Im Gegenteil: Er erkennt und anerkennt
seine Offenheit, seinen Freimut, seine Ehrlichkeit. Er sieht in ihm
einen Menschen, der das Herz auf dem rechten Fleck hat, der sagt, was er
tut, und der tut, was er sagt, ein durch und durch ehrlicher Mann, ein
echter Israelit, der in der Tiefe seines Herzens nach Gott sucht.
„Ein Mann ohne Falschheit.“
Diese Charakterisierung erinnert an Psalm
32, wo es heißt: „Wohl dem Menschen, dessen Herz keine
Falschheit kennt.“
„Ohne Falsch“,
das heißt, ohne Hinterlist und Hintergedanken. „Ohne Falsch“,
das heißt, aufrichtig, grundehrlich, geradeaus.
Ein Mensch ohne Falsch hat nichts Feiges
und Verlogenes an sich. Da gibt es keine Tricks und keine faulen
Kompromisse. Wort und Tun stimmen überein.
Solch ein Mensch ist glaubwürdig. Auf so
jemanden ist Verlass. Echt zu sein, ohne Falsch, wahrhaftig, das von
einem Menschen sagen zu können, ehrt ihn.
Wahrhaftigkeit ist eine wichtige
christliche Tugend.
Sie drückt eine Lebenshaltung aus, um die
wir immer wieder ringen sollen und um die wir immer wieder beten können,
nämlich glaubhafte und glaubwürdige Menschen zu sein, Menschen, die jede
Form der Lüge ablehnen und deren Wort und Verhalten wahrhaftig ist.
Natanael fragt erstaunt und neugierig: „Woher kennst du mich?“ Er ist betroffen. Wieso kann Jesus ihm
seinen Charakter auf den Kopf zusagen. Sie sind sich noch nie begegnet.
Sie haben noch nie miteinander gesprochen.
Jesus erwidert: „Noch bevor dich Philippus
rief, habe ich dich unter dem Feigenbaum gesehen.“
Das ist ein rätselhafter Satz. Was ist
unter dem Feigenbaum geschehen? Es wird nicht gesagt. Wie wissen aber,
dass in der jüdischen Tradition der Feigenbau der Ort ist, wo der fromme
Jude die Tora studiert, sich also dem Gesetz Gottes widmet, sich in die
Weisungen Gottes vertieft und das Wort Gottes meditiert, also gleichsam
„lectio divina“, Schriftbetrachtung hält.
So gesehen könnte Natanael ein
Schriftgelehrter gewesen sein, der den Messias erwartet, nach ihm
Ausschau hält und den herbeisehnt, „über den Mose im Gesetz
und die Propheten geschrieben haben“.
Wie auch immer: Natanael fühlt sich von
den Worten Jesu tief berührt. Er fühlt sich erkannt und verstanden.
Es geht ihm auf: Dieser Mann ist mehr als
ein gewöhnlicher Mensch. Er weiß alles über mich. Er kennt mich. Er ist
vertraut mit meinen Wegen und meinem Leben. Auf ihn kann ich mich
einlassen. Ihm kann ich Vertrauen schenken und mich ihm anvertrauen.
Da schwinden seine Zweifel und seine
Skepsis.
Und Natanael antwortet mit einem klaren
und schönen Glaubensbekenntnis:
„Rabbi, du bist der Sohn Gottes, du bist
der König von Israel.“
Der Überlieferung nach hat Bartholomäus
später in Indien, Mesopotamien und vor allem in Armenien den Glauben
verkündet, wo er auch das Martyrium erlitt.
Seine Reliquien werden in Rom in der ihm
geweihten Kirche auf der Tiberinsel verehrt, wohin der deutsche Kaiser
Otto III. sie im Jahre 983 gebracht hat. Die Hirnschale fand den Weg
über die Alpen und ruht heute im Dom von Frankfurt am Main, wo
Bartholomäus auch als Stadtpatron verehrt wird.
Die Tatsache, dass wir nur dürftige
Informationen über die Gestalt des heiligen Bartholomäus haben und dass uns
aus seinem Leben im Gegensatz zu anderen Apostel (wie z. B. Petrus und
Paulus) keine besonderen Ereignisse überliefert sind, kann uns auch
etwas sagen, nämlich, dass das Festhalten an Jesus und gelebte Treue Tag
für Tag auch ohne Vollbringen außergewöhnlicher Taten gelebt und bezeugt
werden kann.
Außergewöhnlich ist und bleibt Jesus
selbst. Und wir alle sind aufgerufen, uns zu ihm zu bekennen und ihm
unser Leben und unseren Tod zu weihen.
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