geistliche Impulse

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Vortrag

von P. Pius Kirchgessner, OFMCap

 

Umsonst-Erfahrungen

 

Eine Begebenheit

 

Ein junges Ehepaar schlendert über die Kirmes. Sie kommen zu einem Stand, wo Lose verkauft werden. Viele Leute stehen herum. Die beiden kaufen zwei Lose. Hauptgewinn ein Sportauto. Wär doch schön, wenn wir so ein tolles Auto hätten, denken sie. Er öffnet sein Los: Nichts! Sie öffnet: Auch nichts – Umsonst!

 

Umsonst! – Das gilt für alle haufenweise auf dem Boden liegenden Lose, die zuvor schon gekauft, geöffnet und dann weggeworfen wurden.

 

Ist dieser Loskauf nicht ein Bild für die vielen Umsonst-Erfahrungen, die wir im Leben schon gemacht haben?

 

Nehmen wir aber an, das junge Ehepaar hätte Glück gehabt und hätte für zwei Euro tatsächlich ein Auto gewonnen. Sie hätten gejubelt, hätten Freunde und Verwandte angerufen und gesagt:

Wir haben ein Auto bekommen, stellt euch vor, ganz umsonst. Hauptgewinn beim Losverkauf.

 

Es gibt zwei Arten von Umsonst-Erfahrungen.

Die eine, die Enttäuschung bedeutet, Verzicht und Leere bringt, vielleicht sogar Verzweiflung schafft. – Diese Art von Umsonst sind Erfahrungen, bei denen wir auf der Verliererseite stehen.

Wir haben investiert, wir haben gehofft, wir haben vielleicht viel und großes erwartet, aber es war nichts. Vergeblich. Umsonst.

Lateinisch heißt dieses Umsonst „frustra“. Unser Wort Frustration bzw. Frust kommt daher, sich frustriert fühlen, enttäuscht sein, niedergeschlagen, traurig.

 

Bei den anderen Erfahrungen des Umsonst bin ich der Beschenkte.

Ich habe nichts riskiert, nichts investiert, nichts gegeben, nichts geleistet. Umsonst habe ich etwas bekommen. Einfach so. Es ist mir gleichsam in den Schoß gefallen, zugefallen. Es ist mir geschenkt, gegeben worden.

Im Lateinischen heißt dieses Umsonst „gratis“. Das Wort „gratia“ steckt darin, Gnade.

 

Umsonst-Erfahrungen, die uns zum Verlierer machen

Unter diesen Umsonst-Erfahrungen gibt es ganz alltägliche.

  • Ich war umsonst beim Bäcker. Es gab keine Brötchen mehr.

  • Sie hat für die Abiturprüfung viel gelernt, hat sich angestrengt – und hat trotzdem nicht bestanden. Alle Mühe war umsonst.

  • Eine Frau macht mit 40 noch den Führerschein. Sie sagt: jetzt habe ich so viel gebetet. Umsonst. Trotzdem bin ich durchgefallen.

  • Der Sohn musste den Führerschein abgeben. Alkohol am Steuer. Die Mutter sagt: Wie oft habe ich ihn ermahnt, er soll das Auto stehen lassen, wenn er zuviel getrunken hat. Umsonst habe ich ihn gewarnt.

  • Ich habe umsonst geputzt. Schon wieder ist alles schmutzig.

  • Ich bin umsonst zum Bahnhof. Der Besuch kam nicht.

  • Ich habe umsonst gewartet. Das Flugzeug ist nicht gestartet.

  • Ich habe umsonst geläutet. Es hat niemand geöffnet.

  • Jobsuche. Zig Bewerbungen geschrieben. Umsonst.

 Umsonst heißt hier „vergeblich“ „für nichts und wieder nichts“, „alles für die Katz“, vergebliche Liebesmühe „außer Spesen nichts gewesen“.

 

Außer den alltäglichen Umsonst-Erfahrungen gibt es auch solche, die unser Leben einschneidend berühren.

  • Eine Bank macht pleite. Ein älteres Ehepaar verliert ohne Ersatz 300.000 Euro. Sie sagen: Wir haben umsonst gespart, umsonst auf Ferienreisen verzichtet, auf die schönere Wohnung.

  • Ein anderer, nicht ich bekommt die Stelle im Betrieb. Er wird befördert. Ich habe umsonst geschuftet, umsonst Überstunden gemacht, für Vitamin B, Partys, Geschenke usw. umsonst eine Menge Geld ausgegeben.

  • Jemand ist krank. Er geht zu diesem Arzt, zu jenem Doktor, zum Heilpraktiker, macht diese Kur, kauft jene Arznei. Es nützt nichts. Umsonst.

  • Ein Sohn verunglückt mit dem Auto. Tot auf der Stelle. Die Eltern sagen: Umsonst habe wir gepredigt, fahr nicht so schnell, umsonst haben für ihn sein Studium finanziert.

  • Eine Tochter heiratet. Es geht schief. Schon nach einem Jahr. Alles reden der Eltern und der Freunde war umsonst.

  • Ein Mann arbeitet seit vielen Jahren an einem Patent. Abende, Nächte, Wochenende, jede freie Sunde verwendet er darauf. Endlich ist es soweit. Er meldet das Patent an. Der Bescheid kommt zurück: Vor einem Monat hat einer dasselbe Modell eingereicht. Umsonst!

  • Bei einer OP setzen die Ärzte alles ein: All ihre Erfahrung, ihre ganze ärztliche Kunst, alle zur Verfügung stehenden Mittel. Der Puls wird weniger und weniger. Die Frau stirbt trotzdem. Alle Mühe umsonst!

 Es gibt Situationen in unserem Leben, wo wir uns total hilflos fühlen, den Umständen ausgeliefert, Ereignisse, die uns die Sprache verschlagen, wo wir unsere ganze Ohnmacht erfahren und nichts ändern können.

In solchen Situationen klagen wir: es war alles umsonst. Oder hätte ich doch… Oder hätte ich doch nicht. Aber alles „hätte“ und „wenn“ nützt nichts mehr. – Oder wir sagen: womit habe ich das verdient? Warum ich?

Wir sprechen dann auf unsere Weise wie der Psalmist:

„Umsonst habe ich mein Herz rein gehalten“ (Ps 73, 13).

Oder mit dem Propheten Jesaja: „Vergeblich habe ich mich abgemüht, meine Kraft umsonst und nutzlos vertan“ (49, 4).

 

Aber auch die Umsonst-Erfahrungen des Verlierens müssen nicht nur negativ sein. Sie können uns etwas Wichtiges und Wesentliches über unser Leben sagen, uns unterweisen.

Eine Krankheit kann eine Lehrmeisterin sein. Stunden am Sterbebett können uns viel lehren.

 

Was lehren uns die Umsonst-Erfahrungen des Verlierens?

  • Wir werden einsichtig, dass sich das Leben nicht in allen Dingen von uns zwingen lässt

  • Wir werden der Tatsache ansichtig, dass wir nicht alles machen, kaufen, absichern, organisieren, managen, herstellen und er-leisten können.

  • Wir gewinnen Einsicht in unsere Grenzen und in unsere Abhängigkeit.

  • Wir erfahren, dass es Dinge gibt, die sich unserem Zugriff entziehen.

Letztlich sehen wir uns vor das Leben als Geheimnis gestellt, das trotz allem technischen Fortschritt und trotz aller Wissenschaft ein solches bleibt: abgrundtief, rätselhaft. Auf vieles gibt es keine Antwort.

 

Aber nicht alle negativen Umsonst-Erfahrungen bedeuten schon ein totales Umsonst. In vielen Fällen liegt es auch an uns, wenn wir meinen, es sei alles umsonst, alles vergeblich gewesen.

Das junge Mädchen, das eine Lehre gemacht hat, dann aber vom Betrieb doch nicht übernommen wird, hat es nicht dennoch viel dazu gelernt? Haben die Lehrjahre nicht dennoch einen Sinn gehabt?

 

Selbst die vergebliche Reise in eine andere Stadt, deren Absicht sich nicht erfüllte, war sie nicht dennoch etwas wert? Hätte sich nicht sogar zu einer schönen Sache werden können, wenn man nicht ausschließlich und nur auf den Zweck fixiert gewesen wäre.

 

Vielleicht sollten wir uns fragen, wieviel wir im Leben versäumen, nicht erleben, nicht erfahren, weil wir oft total auf etwas festgelegt sind und so wenig frei sind und den Blick haben für anderes, um z. B. das wahrzunehmen, was auf dem Weg zum Ziel hin an Schönem zu sehen ist oder sich an Gutem ereignet.

Oder eine Wanderung in den Bergen. Doch das Wetter war wider Erwarten schlecht. Nur Nebel, keine Sicht, kein Rundumblick, kein Gipfelpanorama. Aber die Stimmung war trotzdem gut. Man ist sich wieder einmal begegnet, konnte erzählen, ist eingekehrt. Es war gesellig, ja sogar lustig. Man hat das Beste daraus gemacht. Es war trotzdem ein schöner Tag.

Manche Umsonst-Erfahrung wäre weniger gravierend, weniger einschneidend, nicht so total und ausschließlich negativ, wenn wir bei allen Enttäuschungen und Traurigkeiten doch noch das Positive, Schöne und Gute wahrnehmen könnten. Oft stellt sich allerdings erst hinterher heraus, für was etwas gut war und wohin einem ein Krankheit, ein Unglück oder Leid einen gebracht hat.

 

Umsonst-Erfahrungen, die uns zum Beschenkten machen.

Auch sie können ein ganz alltägliches Gesicht haben.

  • Jemand grüßt mich und zeigt mir seine Sympathie – umsonst.

  • Jemand schickt mir Blumen – einfach so.

  • Jemand hilft mir bei einer Sache – umsonst, nur weil er’s gern tut.

  • Jemand merkt, dass ich’s eilig habe und lässt mich an der Kasse vor.

  • Ein Autofahrer gibt mir Vorfahrt. Umsonst.

 

Aber es gibt auch das Umsonst-Beschenktsein in den wichtigsten Bereichen unseres Lebens.

Dass ein Mensch mich liebt, dass ich durch ihn erfahre, ich darf so sein wie ich bin. Diese Liebe kann ich mir nicht verdienen, durch nichts erringen, ich kann sie mir nur schenken lassen.

„Mögen wir uns auch noch so anstrengen und noch so viel leisten: werben, Briefe schreiben, Blumen schicken, telefonieren, bitten, betteln, uns erniedrigen – das alles nützt gar nichts. Entweder leibt der andere uns, unabhängig von unserer Leistung und Tat, oder er liebt uns nicht trotz unserer Leistung und Tat“. (Heinz Zahrnt)

Dass ich gerade Glieder habe, geistig und seelisch gesund bin, dass meine Organe funktionieren, dass ich gehen, essen, arbeiten und schlafen, dass ich sehen, hören, reden und schmecken kann. – Das alles habe ich umsonst, das alles ist nicht meine Tat. Das alles ist nicht mein Verdienst oder Werk.

Dass ich angenommen und akzeptiert bin. Ich habe es umsonst.

Das Leben habe ich umsonst, mein Leben. Dass ich mich freuen kann am Leben, habe ich umsonst.

Dass ich mich entscheiden kann, dass ich mich selbst bestimmen kann, habe ich umsonst, dass ich denken kann, habe ich umsonst.

 

Nur wenn wir das Gegenteil von all dem erfahren und erleben, wird uns das Umsonst unseres Lebens als Beschenktsein bewusst.

Zum Beispiel wenn wir Körper- oder Geistigbehinderten begegnen, oder Kranken. Oder wenn wir jemanden Sterben sehen, denken wir vielleicht, dass wir leben dürfen.

 

Was lehren uns die Umsonst-Erfahrungen des Beschenktwerdens?

So wie die Umsonst-Erfahrungen des Verlierens uns einweisen in wichtige Aspekte des Lebens, in gleicher Weise geschieht dies auch durch die Umsonst-Erfahrungen des Beschenktseins.

Wir erfahren durch sie ebenso den Geheimnischarakter des Lebens.

Wir existieren aus Gnade, als Gnade, als Geschenk. Wir ver-danken uns.

Die Umsonst-Erfahrungen des Beschenktseins wollen uns das Danken lehren. Wer dankt, denkt über sich hinaus, lebt über sich hinaus.

Aber oft vergessen wir das Danken, weil wir das Leben als Geschenk, die Freude als Geschenk, die Liebe als Geschenk, die Kinder als Geschenk, die Eltern als Geschenk, die Arbeit als Geschenk nicht sehen. Alles ist eingeebnet im Bewusstsein größter Selbstverständlichkeit und vielleicht auch der Selbstleistung: Man hat es zu was gebracht: Haus, Beruf, Familie. Man stellt seinen Mann, seine Frau. Man schreibt alles sich selber zu. Man hat nichts zu verdanken.

Weil Menschsein Verdankt-Sein ist und menschliches Leben verdankte Existenz, hat das Umsonst auch die andere Seite – das Verlieren. Wir wüssten sonst nichts von unserem Verdankt-Sein. Wir fühlten uns wie Götter.