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STILLE Tiefe Sehnsucht und bleibende Herausforderung
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Ein Gouverneur in Indien unterbricht seine Reise, um einem bekannten geistlichen Meister seine Ehrerbietung zu erweisen. Frank und frei sagt er gleich: „Staatsgeschäfte lassen wir keine Zeit für gelehrte Abhandlungen. Könnt Ihr das Wesentliche der Religion für einen aktiven Menschen wie mich in eins, zwei Sätzen zusammenfassen?“ – „Ich werde es in einem einzigen Wort tun.“ „Unglaublich! Wie heißt dieses außergewöhnliche Wort?“ – „Stille“. (nach Antony de Mello)
Unsere Zeit ist hektisch, betriebsam, schnelllebig, lärmerfüllt. Immer mehr Geräusche, Töne, Worte, Bilder dringen auf uns ein und überfluten uns. Die meisten davon belanglos, überflüssig, oft sogar nervend und verletzend. Wir leben in einer Endlosschleife von Stimmen, Infos, Nachrichten, Meinungen und Auseinandersetzungen. Die Eindrücke und Erlebnisse überschlagen sich. Und beachtet wird gewöhnlich, was mit Getöse und großem Gebaren daherkommt. Leise Töne sind out. Und so sind nicht nur unsere Trommelfelle lärmgeschädigt, sondern auch unsere Herzen. Dazu kommt: Viele fühlen sich wie in einem Hamsterrad: ständig beansprucht, pausenlos gefordert, immer auf Trab, dauernd in action, eingespannt und darum angespannt, übermüdet, gereizt, erschöpft. Burnout ist ein weit verbreitetes Phänomen.
Der dänische Philosoph Sören Kierkegaard schreibt einmal: „Die Welt ist krank! Wenn ich Arzt wäre und man mich fragen würde, was getan werden sollte? – Ich würde antworten: Das erste, was geschehen muss, ist: Schaffe Schweigen! Hilf anderen zum Schweigen!“
Was Kierkegaard fordert, ist leichter gesagt als getan! Wir wissen, wie schwer es ist zur Stille zu finden. Je unruhiger wir sind, umso schwerer ertragen wir sie.
Aber es gibt auch eine große Sehnsucht nach Ruhe und Stille. Das erfahre ich immer wieder bei Exerzitien. Die Teilnehmenden kommen, um zur Ruhe zu kommen, Sille zu suchen, um sich neu zu orientieren und ihr Leben neu zu formen.
Ich erinnere mich: Vor vielen Jahren (2005) kam der Dokumentarfilm „Die große Stille“ in die Kinos, ein fast stummer Streifen über das Leben von französischen Kartäuser-Mönchen. Der Film war ein Riesenerfolg. Dabei ist er ganz langsam. Es wird kaum gesprochen. Es passiert nicht viel. Man sieht den Mönchen beim Beten, beim Arbeiten, beim Schweigen zu. Und begreift, dass ihre Stille der Nährboden ist, auf dem ihr innerer Reichtum wächst.
Dazu folgende Geschichte: Zu einem Einsiedler kamen Leute und fragten ihn: “Was für einen Sinn siehst du in deinem Leben der Stille?“ Der Mönch war gerade dabei, mit einem Eimer Wasser aus einem Brunnen zu holen. Er sagte zu den Besuchern: „Schaut in den Brunnen, was seht ihr?“ Sie schauten hinein. „Wir sehen nichts.“ – Nach einer Weile forderte der Mönch die Besucher noch einmal auf, in den Brunnen zu schauen. „Was seht ihr jetzt?“ Sie antworteten: „Jetzt sehen wir uns selbst.“ – „Seht ihr, sagte der Mönch, das ist die Erfahrung der Stille: Man sieht sich selber.“
Als der Mönch das Wasser schöpfte, war es in Bewegung, in Unruhe. Es war unklar. Die Leute sahen nichts. Im ruhigen Wasser aber sahen die Leute sich selbst.
Stille und Schweigen machen uns fähiger zum Aufnehmen, zum Empfangen, zum Wahrnehmen. Wir erkennen uns selbst. Aber auch Verdrängtes und Zugedecktes kann in der Stille hochkommen, Ängste, Sorgen, Ärger, unausgestandene Konflikte, Rachegedanken, Schuldgefühle… Deswegen scheuen manche die Stille oder halten sie nur schwer aus, gehen ihr bewusst oder unbewusst aus dem Weg, flüchten in die Arbeit, suchen die Abwechslung, den Zeitvertreib, die Unterhaltung. Man fürchtet die Stille, weil sie mich mit mir selbst konfrontiert.
In der Tat: Nichts ist so laut wie die Stille. Je stiller und leiser es im äußeren Leben wird, desto lauter wird es oft in einem selbst. Was wir im Alltag „unter der Decke“ halten, drängt in der Stille mit Wucht in unser Bewusstsein. – Sich dem Stellen erfordert Mut und Ehrlichkeit. Genau darin liegt aber auch das Befreiende und Heilsame der Stille.
Meine Erfahrung als Exerzitienleiter: Stille und Schweigen vermögen zu klären, zu reinigen. Die Dinge setzen sich. Leben kann sich ordnen. Wenn man mit sich selbst zur Ruhe kommt, wenn es still in einem wird, wenn auch das Ich schweigt, dann sieht man die Welt und das Leben mit anderen Augen.
Und noch etwas: Ich vermag auch besser auf Gott zu hören, auf sein Wort, auf seine Klopfzeichen, auf seine leise Stimme in mir. Wenn ich nämlich laut bin, dann ist Gott nicht noch lauter. Gott lärmt nicht. Er dröhnt uns nicht zu.
Wichtig aber ist, nicht nur den äußeren Lärm zu meiden und sich der Flut der Worte zu entziehen, sondern auch das Gebrodel der Gedanken zu beruhigen und den schrillen Chor der inneren Stimmen zum Schweigen zu bringen. Stille - nicht nur des Mundes, sondern innere Stille, Stille des Geistes, Stille des Herzens.
Helder Camara sagt: „Der Lärm, der uns hindert, die Stimme Gottes zu hören, ist nicht, wirklich nicht, das Geschrei der Menschen oder das Fiebern der Städte und noch weniger das Sausen der Winde oder das Plätschern der Wasser. – Der Lärm, der die göttliche Stimme erstickt, ist der innere Aufruhr gekränkter Eigenliebe, erwachenden Argwohns und unermüdlichen Ehrgeizes.“
Ich bin fest davon überzeugt: Wer Gott finden will, muss das Schweigen lernen, die Stille lieben und vor allem sein eigenes Herz still machen. Man kann sich nicht in die Gegenwart Gottes versetzen, ohne sich zu einer äußeren und inneren Stille zu zwingen. Die innere Stille ist allerdings nicht leicht. Man muss sich darum mühen und sie einüben.
Wenn ich in die Stille gehe, brauche ich oft lange, um darin anzukommen. – Ich lasse alles zu, lasse kommen, was mich bewegt und beschäftigt, schaue es liebevoll an – und lasse es weiterziehen. Es braucht oft viel Zeit, bis das Herz ruhig schlägt und der Atem gleichmäßig fließt, bis mein Verstand zu denken aufhört und meine Sorgen das Grübeln lassen. Irgendwann bin ich angekommen und ich hüte die Stille wie einen kostbaren Schatz. Und dann merke ich wie die Stille, die ich hüte, mich hütet. Es stimmt: Hüte die Stille und die Stille wird dich hüten!
In Exerzitien und bei Meditationsabenden zitiere ich gern Meister Eckard: „Ich will sitzen und schweigen und hören, was Gott in mir redet!“ – Und Edith Stein: „Wir bedürfen der Stunden, in denen wir schweigend lauschen und das göttliche Wort in uns wirken lassen.“
Ja, man muss still sein, schweigen und warten, um zu erfahren, dass Gott nicht im Erdbeben ist, nicht im Sturm oder im Feuer – nicht im Lauten und Spektakulären – sondern im leisen Säuseln des Windes, in der „Stimme verschwebenden Schweigens“, wie Martin Buber 1 Kön. 19, 12 übersetzt. Die Stille ist der Raum der Gottesbegegnung. Das Schweigen der Ort seiner besonderen Nähe und Gegenwart.
In der Stille des Herzens, da, wo ich nicht mehr plane und überlege, wo ich nicht mehr über andere nachdenke und urteile, da, wo ich auch aufhöre, mich selbst zu bewerten, im Schweigen, wenn ich alles loslasse und mir keine Gedanken mehr machen, auch nicht über Gott, da zeigt sich Gott als der Nahe, als der, der da ist. Und in Gott erfahre ich dann mein wahres Selbst. Ich werde frei von allem Zwang, mich beweisen, mich rechtfertigen, mich mit anderen vergleichen und mich erklären zu müssen. Und das ist unwahrscheinlich entlastend und befreiend.
So gesehen sind in der Tat – nach einem Wort von Friedrich Nietzsche „die größten Ereignisse nicht die lautesten, sondern unsere stillsten Stunden.“ – Oder wie Sören Kierkegaard sagt: „Wenn alles still ist, geschieht am meisten“.
Einer meiner liebsten Psalm-Verse (131, 2) lautet: „Ich ließ meine Seele ruhig werden und still. Wie ein kleines Kind bei der Mutter ist meine Seele still in mir.“ Seelen-Ruhe. Ein treffendes Wort! Die Seele kommt zur Ruhe, sie sammelt sich in der Stille.
Gott ist ein Freund der Stille. Die Natur zeigt es. Bäume, Blumen und Gräser wachsen still und leise. Die Sterne, der Mond und die Sonne gehen in der Stille auf und unter. Wachstum, Reifung, Lebensbejahung bedürfen der Stille, um zu gedeihen.
Von Jesus wissen wir, dass er immer wieder einsame Orte aufsuchte, dass er immer wieder in die Stille ging. Ebenso die großen Gestalten christlicher Spiritualität. Und sie kamen erneuert zurück, gereift, gelassen, begütigt. In vielen Religionen ist die Stille der Raum der Anwesenheit Gottes. Auch die Yogis, die Sufis, die Zen-Meister, die Starzen schätzen die Stille und üben das Schweigen.
Zeiten der Stille, Zeiten des Schweigens sind Zeiten der Klärung, der Reinigung, der Verinnerlichung, der Meditation.
Auch in der Kirche, im Gottesdienst geht es nicht ohne Stille. Sie ist ein wichtiger Akzent in unseren gottesdienstlichen Feiern. Romano Guardini schreibt dazu: „Wenn mich jemand fragte, womit liturgisches Leben anfange, würde ich antworten: damit, dass man Stille lernt. Ohne sie bleibt alles unernst oder doch vergeblich. Es geht um etwas, das sehr wichtig und – leider muss man das sagen – sehr verwahrlost ist: und die erste Voraussetzung jedes heiligen Tuns.“
Nach meinem Dafürhalten bekommen Stille und Schweigen in unseren gottesdienstlichen Feiern zu wenig Raum. Unsere gemeinsamen Gebetszeiten und Gottesdienste sind oft sehr wortlastig. Immer geschieht etwas. Immer muss es gleich weiter gehen. Das Innehalten, Verweilen, sich Zeit nehmen zum Nachklingen lassen und Nachspüren kommt meistens zu kurz.
Stille. Solange Du sie nicht kennst, fürchtest Du sie. Wenn Du ihr nahe kommst, sehnst Du Dich nach ihr. So sie in Dich kommt, liebst Du sie.
Ersehnte Stille „Wenn es nur einmal so ganz stille wäre. Wenn das Zufällige und Ungefähre verstummte und das nachbarliche Lachen, wenn das Geräusch, das meine Sinne machen, mich nicht so sehr verhinderte am Wachen –
Dann könnte ich in einem tausendfachen Gedanken bis an deinen Rand dich denken und dich besitzen (nur ein Lächeln lang), um dich an alles Leben zu verschenken wie einen Dank.
Rainer Maria Rilke
was wirklich nährt beim reden zerredet durch schreien verschrien im sagen versagt
beim plappern verplappert durch rufen verrufen im krach verkracht
äußerungen veräußern brüllen brüllt nieder dröhnen dröhnt zu
stille aber kann stillen
Andreas Knapp |
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