geistliche Impulse

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Vortrag

von P. Pius Kirchgessner, OFMCap

 

Ist die Corona-Pandemie eine Strafe Gottes?

 

In letzter Zeit bin ich mehrfach mit dieser Frage konfrontiert worden: Ist die Corona-Pandemie eine Strafe Gottes? Hat Gott uns diesen schlimmen Virus mit seinen verheerenden Auswirkungen geschickt? Jemand meinte, das sei die Rache Gottes dafür, dass viele nicht mehr an ihn glauben, keine Ehrfurcht mehr vor ihm haben, seine Gebote nicht halten? Hat Gott die Geduld verloren? Hat seine Güte ein Ende? Ergießt sich jetzt sein Zorn über diese Erde und die gesamte Menschheit in Form dieser rasch um sich greifenden Pandemie, dieser schon fast apokalyptischen Seuche, an der bereits Tausende gestorben sind und vielleicht noch zig Tausende sterben werden, ganz abgesehen von dem finanziellen und wirtschaftlichen Ruin unzähliger Menschen, Firmen und Betriebe?

 

Ist die Corona-Pandemie eine Strafe Gottes?

Was für ein Gottesbild steckt hinter dieser Auffassung vom strafenden und rächenden Gott?

Aber es gibt tatsächlich Leute, die das Corona-Virus als Strafe Gottes ansehen. Ein prominenter Vertreter ist der erzkonservative Weihbischof Eleganti von Chur, aber auch in anderen Konfessionen, in der orthodoxen Kirche und bei den Freikirchen gibt es solch religiöse Eiferer, die meinen, die hinter der Pandemie den Zorn Gottes vermuten. Das Unrecht auf der Erde, sagen sie, schreit zum Himmel. Ganz schlimm geht es zu, so schlimm, dass Gott es nicht länger mit ansehen und ertragen kann. „Täuscht euch nicht“, heißt es sogar in der Bibel, „Gott lässt seiner nicht spotten.“ Nun schlägt er drein. Er züchtigt und straft das verdorbene Menschengeschlecht, um es wieder zur Räson und auf die richtige Spur zu bringen.

 

Andere sind strikt gegen diese Auffassung. Ehrlich gesagt: Auch ich halte nicht viel davon, Krieg und Hunger, Pest und Cholera, die Krebs-Diagnose und andere Schicksalsschläge, aber auch den Tsunami in Südostasien, die Buschbrände in Australien, die Heuschreckenplage in Afrika, die drohende Klimakatastrophe – und heute die Corona-Pandemie mit ihren gravierenden Folgen – Gott in die Schuhe zu schieben. Ich finde es sogar zynisch, Gott für all die Übel in der Welt und alles Böse, das geschieht, verantwortlich zu machen. Machen wir da Gott nicht zum Sündenbock? Das tun wir ja gern: Schuldige suchen, den schwarzen Peter anderen zuschieben und selbst die Hände in Unschuld waschen.

 

Ist die Corona-Pandemie eine Strafe Gottes?

Noch einmal: Welch ein Gottesbild kommt da zum Vorschein und wird damit vermittelt? Ist Gott ein Sadist, der kollektiv, also unterschiedslos die ganze Menschheit, für die sein Sohn sich aus Liebe hingegeben hat, geißelt, züchtigt und straft? Verkündet Jesus in der Bergpredigt Gott nicht als einen, der seine Sonne scheinen lässt über Guten und Bösen und es regnen lässt über Gerechte und Ungerechte? So ist Gott, sagt Jesus: unendlich weitherzig und großzügig, langmütig und voll Erbarmen.

Ich bin überzeugt: Gott denkt Gedanken des Friedens und nicht des Verderbens, der Rettung und nicht des Untergangs. Gott will unser Heil. Er will, dass wir Zukunft, Hoffnung und Leben haben.

 

Außerdem: Ist es nicht so, dass die überwältigende Mehrheit der Katastrophen und das meiste an Elend, Leid und Not auf dieser Welt von Menschen stammt, also hausgemacht ist? So gesehen kommen auch viele Katastrophen nicht von ungefähr. Sie sind kein Zufall. – Gottes gute Schöpfung „vergisst nichts“. Alles Tun hat Folgen. Was der Mensch sät, das wird er auch ernten. Was er einbrockt, das muss er auch auslöffeln. Das Unheil, das er durch Gleichgültigkeit, Ausbeutung, Unterdrückung, Rücksichtslosigkeit, Ichsucht, Gewinnsucht (und vieles mehr) wirkt, kommt eines Tages – wie ein Bumerang – auf sein eigens Haupt zurück.

Nicht Gott straft, sondern die Natur rächt sich und die lang und schwer misshandelte „Mutter Erde“ lässt sich nicht alles gefallen.

 

Am Donnerstag, 2. April, habe ich in der FAZ folgende Anzeige der Bundesregierung gelesen: „DANKE für so wenig Kontakt wie möglich --- Jetzt zählt das WIR.“ Und wenn der ganze Spuk vorbei ist, habe ich mich gefragt, zählt dann wieder das ICH, das Ego?

Ob wir etwas aus dieser Krise lernen? Oder ist hinterher ganz schnell alles wieder wie zuvor?

 

Aber vielleicht hat auch diese Krise ihr Gutes. Meines Erachtens geschieht nichts ohne Sinn. Oft sehen wir erst im Nachhinein, für was etwas gut war. Auch der jetzige Stillstand, die Entschleunigung und Leere, das Herunterfahren der Geschäftigkeit und des ruhelosen Aktivismus.

Konnte es denn immer so weiter gehen? „Hast und Eile, Zeitnot und Betrieb? Immer noch mehr, noch schneller, noch effizienter? Vorne sein, top sein, spitze sein – auf Teufel komm raus und koste es, was es wolle. Konnte es so weiter gehen mit den Halbwahrheiten, den Lügen, der Hetze, dem Hass, dem Gegeneinander statt Miteinander im Großen und im Kleinen?

 

Ob uns diese Krisenzeit innehalten lässt? Ob wir zum Nachdenken kommen? Ob wir dahinter schauen und uns fragen, was sie mir und uns zu sagen hat? Wenn Gott schon diese Krise zulässt, dann vielleicht auch deswegen, damit wir Zeit haben, uns in unseren vier Wänden zu besinnen, Gelegenheit, umzudenken und umzukehren? – Haben wir uns – auf der Sonnenseite des Globus - nicht Jahrzehnte lang etwas in die Tasche gelogen und es uns auf Kosten von zwei Drittel der Menschheit gut gehen lassen? Haben den Eigennutz und das eigene Wohlergehen gesucht und Lazarus nebenan übersehen? Ich denke nur an die vielen Schiffbrüchigen im Mittelmeer, das für Tausende zum Grab geworden ist – unmittelbar vor unserer Haustür.

 

Die Krise als Chance zur Umkehr? Ob wir sie nutzen? Oder ist nachher alles schnell wieder verflogen, vergessen, alles beim Alten?

Ein Beispiel: In vielen Kliniken und Krankenhäusern zählte doch gar nicht mehr der Patient, sondern nur noch der Profit. Bürokratisierung und rigide Kostenoptimierung war die Devise. Viele Einrichtungen wurden regelrecht herunter gespart – auf Kosten des Menschen. Herrscht nicht schon lange eklatanter Mangel an Pflegepersonal? Vielleicht deckt der Virus den Notstand auf. Und vielleicht lernen wir auch wieder, die Arbeit und den Einsatz von Krankenschwestern und Pflegern mehr zu schätzen und auch besser zu bezahlen.

 

Wir sehen auch, wie in dieser Zeit das Klima aufatmet, wenn 85 Prozent der Flieger unten bleiben, keine Luxusreisen mit riesen Kreuzfahrtschiffen mehr stattfinden, die Autobahnen fast leer sind usw.

Ob wir in vielen gesellschaftlichen Bereichen nicht am Limit waren oder schon über die Grenzen hinaus? Ob unser System in Politik und Wirtschaft sich nicht vielfach total heiß gelaufen hatte?

Ich meine, wir tun gut daran, auch unsere Lebensweise zu hinterfragen und wo möglich und nötig, auch zu ändern. Umkehr ist viel schwerer als gleich von Strafe zu reden.

 

Ist es so wichtig, ganz viel unterwegs zu sein, dieses noch zu erleben, das noch mitzunehmen, ja nichts versäumen, von Event zu Event zu eilen, von Vergnügen zu Vergnügen? Shopping in Paris oder London oder gar in New York, muss das sein? Die Billigflieger stinken ja schon lange zum Himmel.

 

Im Moment ist Schluss mit vielem. Corona hat einen Riegel vorgeschoben. Schluss mit lustig. Kein Kino, kein Fitnessstudio, keine Party, keine Disko, kein Skiurlaub und keine Malediven, auch keine Bundesliga und kein Wimbledon. Im wahrsten Sinne des Wortes „Fastenzeit“, Abstinenz, Verzicht, Sich-Einschränken. Und hoffentlich auch: In-sich-Gehen und zum Wesentlichen finden.

 

Papst Franziskus brachte es in seiner Predigt neulich beim Segen „Urbi et orbi“ treffend auf den Punkt: „Herr…, in unserer Welt, die du noch mehr liebst als wir, sind wir mit voller Geschwindigkeit weitergerast und hatten dabei das Gefühl, stark zu sein und alles zu vermögen. In unserer Gewinnsucht haben wir uns ganz von den materiellen Dingen in Anspruch nehmen lassen und von der Eile betäuben lassen. Wir haben vor deinen Mahnrufen nicht angehalten, wir haben uns von Kriegen und weltweiter Ungerechtigkeit nicht aufrütteln lassen, wir haben nicht auf den Schrei der Armen und unseres schwerkranken Planeten gehört. Wir haben unerschrocken weitergemacht in der Meinung, dass wir in einer kranken Welt immer gesund bleiben…“

 

Steckt nicht auch in dieser Krise ein Aufruf, die Prioritäten wieder neu zu setzen, nach dem rechten Maß und dem Ziel zu fragen? Was zählt? Was ist wichtig? Was gibt dem Leben Sinn? Bewusster leben, achtsamer, dankbarer! Auswählen! Nicht alles haben müssen und doch nie genug kriegen können! Aufhören mit Gieren und Geizen und nur sich selber kennen! Das wären meines Erachtens hoffnungsvolle Ziele für die Zeit nach Corona.

 

Ob wir nicht auch kritisch über die Globalisierung reden müssen, über den Umgang mit Minderheiten, über die Ursachen des Flüchtlingselends, über das kaputt gesparte Gesundheitssystem, die Freizeitindustrie, die Spaß- Konsum- und Wohlstandsgesellschaft. Vieles gehört auf den Prüfstand.

 

Die Krise als Chance?

Ob wir wieder lernen, zuzuhören, Zeit zu haben für die Verwanden, die Nachbarn, die Arbeitskollegen…? Ob wir wieder lernen, uns um die Kranken, Schwachen und Alten zu kümmern, sich einzufühlen, mitzufühlen, Rücksicht zu nehmen, solidarisch zu sein, Geduld zu haben, gut zu sein, zu helfen wo Hilfe nötig ist?

 

Ist die Corona-Pandemie eine Strafe Gottes? Ich sage klipp und klar „nein“.

Jesus am Kreuz hat seinen Henkern nicht die „Kränk“ gewünscht, er hat sie nicht verflucht, er hat ihnen nicht die Hölle angedroht. Er hat zum Vater um Verzeihung für sie gebeten. Und dem reumütigen Schächer – mit seinem total verpfuschten Leben und ganz viel Dreck am Stecken – hat er gesagt: „Heute noch wirst du mit mir im Paradies sein!“

 

Ich bin dieser Tage beim Stundengebet an einer Antiphon hängengeblieben. Sie lautet: „Gott will nicht den Tod des Sünders, er will, dass er umkehrt und lebt.“

 

„Aber die Sintflut!“ höre ich nun als Einwand. „War das nicht auch ein Strafgericht Gottes?“ Stimmt! Doch was hat Gott danach gesagt? „Das mach ich nie wieder“, hat er gesagt! Und der Regenbogen ist Symbol für diese Zusage.

 

Ist die Corona-Pandemie eine Strafe Gottes?

Kardinal Angelo Scola von Mailand meinte dieser Tage in einem Interview: „Die Vorstellung von einer göttlichen Bestrafung gehört nicht zur christlichen Vision – auch nicht in so einer dramatischen Situation, wie wir sie gerade erleben.“ Dem kann ich nur zustimmen.

 

Jesus hat mit seiner Botschaft und mit seinem Leben gezeigt, dass Gott Gutes für die Menschen will. Nicht Angst vor Strafe soll herrschen, sondern Geborgenheit, Zuwendung, Liebe.

 

Ist die Corona-Pandemie eine Strafe Gottes?

Wir müssen meines Erachtens endlich aufhören, ein Gottesbild zu propagieren, von dem sich viele Zeitgenossen bewusst und auch begründet abgewandt haben, weil es mehr zur Angstmache und zur Einschüchterung dient, als wirklich eine Einladung zu sein, eine Einladung, Gott persönlich zu begegnen und eine gute, liebevolle Beziehung zu ihm zu haben, eine Beziehung, die von Nähe und Vertrauen, von Trost und Dankbarkeit, von Hoffnung und Zuversicht geprägt ist. Natürlich auch von Ehrfurcht und Anbetung, aber nicht von Angst. Gott will nicht, dass wir auf ihn hören und ihm folgen aus Angst (vor Strafe), sondern aus Einsicht und freiem Willen. Und vor allem, weil er unser Schöpfer ist, unser Licht und unser Heil.

 

An Weihnachten hören wir die Botschaft des Engels: „Seht, ich verkünde euch eine große Freude! Heute ist euch in der Stadt Davids der Retter geboren, Christus, der Herr.“ – Retter, nicht Rächer!

Und im Exultet der Osternacht heißt es: „O glückliche Schuld, welch großen Erlöser hast du gefunden!“ – Welch großen Erlöser, nicht gnadenlosen Richter.

Gott ist kein Aufpasser, kein Polizist oder Staatsanwalt, der alles sieht, der hinter uns her ist, nach dem Bösen fahndet, die üblen Taten aufdeckt und nur an Rache denkt, nur an büßen und sühnen und drakonische Strafmaßnahmen.

 

Ist die Corona-Pandemie eine Strafe Gottes?

Der Theologe Karl Rahner hat einmal gesagt: „Gott sei Dank gibt es nicht, was sich 60 bis 70 Prozent der Zeitgenossen unter Gott vorstellen.“ Karl Rahner hat viel von der Unbegreiflichkeit Gottes gesprochen. Meines Erachtens zu recht. Gott ist und bleibt ein unbegreifliches Geheimnis. Vielleicht müssen wir es aushalten, dass auch der Glaube keine Antwort weiß, auf das „Warum“ des Leids. Vielleicht sollten wir auch gar nicht so sehr „Warum“ fragen, sondern lieber und besser „Wozu“.

 

Noch einmal Kardinal Scola: „Diese Notsituation will und muss uns die Frage nach dem Sinn unseres Lebens aufwerfen… Es wird entscheidend sein, dass jeder sich fragt: „Wofür will ich leben?“

 

Gott ist ein Freund des Lebens. „Ich bin gekommen“, sagt Jesus, „damit sie das Leben haben und es in Fülle haben.“  

Nicht Angst vor Gott soll unser Leben prägen und bestimmen, sondern Vertrauen, Gottvertrauen, gerade auch in stürmischen, bedrohlichen und schweren Zeiten. Sich festmachen in IHM, Halt finden in IHM. Vertrauen auf seine väterliche Fürsorge und liebende Führung. Vertrauen, in Gottes Hand zu sein und niemals tiefer fallen zu können als in seine Hände. Ich bin gewiss: Gottes Hände sind gute Hände und heilende Hände.

 

Ein Psalmwort lautet: „Gut ist es zu vertrauen auf den Herrn, gut zu hoffen auf den Herrn!“ Und ein anderes: „Hoffe auf den Herrn und sei stark! Hab festen Mut und hoffe auf den Herrn!“

Ja, wir können, wie der Jesuitenpater A. Delp in der Nazihaft geschrieben hat, „Wir können dem Leben trauen, weil wir es nicht allein zu leben haben, sondern weil Gott es mit uns lebt“.

 

Ein junger Jude hat während des 2. Weltkriegs folgende Inschrift an die Mauer des Warschauer Gettos gekritzelt:

„Ich glaube an die Sonne, auch wenn sie nicht scheint.

Ich glaube an die Liebe, auch wenn ich sie nicht spüre.

Ich glaube an Gott, auch wenn ich ihn nicht sehe.“

 

Und von Martin Luther King stammt folgendes Bekenntnis:

„Komme, was mag – Gott ist mächtig! Wenn unsere Tage dunkel sind und unsere Nächte finsterer als tausend Mitternächte, so wollen wir stets daran denken, dass es in dieser Welt eine große segnende Kraft gibt, die Gott heißt. - Gott kann Wege aus der Ausweglosigkeit weisen. Er will das dunkle Gestern in ein helles Morgen verwandeln – zuletzt in den leuchtenden Morgen der Ewigkeit.“