Gerne habe ich die Anfrage
von Herrn Pfarrer Josef Kaufmann bejaht und die Einladung angenommen, zu
Ihnen heute nach St. Gallen zu kommen und den diesjährigen „Tag der
Ordensleute“ mitzugestalten.
In diesem Jahr ist der Ordenstag in das Jahr der Berufung eingebettet,
das in der gesamten Schweiz durchgeführt wird.
Von daher hat sich das Thema nahe gelegt, unter dem der heutige
Einkehrtag steht, nämlich das der Berufung, Berufung als Geheimnis und
Geschenk und speziell der Ordensberufung als besonderes Charisma,
sprich: Gabe des Heiligen Geistes.
Zunächst aber ein paar Worte zu mir selbst, damit Sie wissen, mit wem
Sie es zu tun haben: Ich heiße Pius Kirchgessner, bin 53 Jahre alt,
Kapuziner. Ordenseintritt 1972.
Vor 15 Jahren habe ich eine 2jährige Ausbildung beim Institut der Orden
gemacht als Exerzitien- und Meditationsleiter.
Seitdem ist meine Hauptaufgabe in der Exerzitienseelsorge.
Stationiert bin ich in Zell am Harmersbach, einem Marienwallfahrtsort im
mittleren Schwarzwald.
Und nun zum Thema Berufung: Lassen Sie mich, bevor ich zur
Ordensberufung komme, etwas Grundlegendes sagen, denn vor der Berufung
zu einer bestimmten Lebensform stehen meines Erachtens zwei ganz
wesentliche andere Dimensionen von Berufung, die wir nicht überspringen
können, zumal die Ordensberufung sie voraussetzt und darauf aufbaut.
1. Berufung zum
Menschsein
Unser Glaube sagt uns, dass Gott jeden Menschen ins Dasein gerufen und
ihm eine einzigartige Berufung geschenkt hat.
Jeder Mensch ist einmalig und unersetzbar. Das Wort des Propheten
Jeremia darf jeder auf sich selbst hin hören:
„Noch ehe ich dich im Mutterschoß formte, habe ich dich ausersehen,
noch ehe du aus dem Mutterleib hervorkamst, habe ich dich geheiligt“ (Jer
1, 4).
Dieses Geschenk der Berufung zum Menschsein ist uns Einladung, die
menschlichen Gaben, die uns ins Leben mitgegeben sind, zu entfalten:
unsere Leiblichkeit, unsere Beziehungsfähigkeit und unser Gefühlsleben,
aber auch unseren Verstand, unsere Talente und Begabungen.
In einem Lied heißt es:
„Vergiss es nie, dass
du lebst, war keine eigene Idee und dass du atmest, kein Entschluss von
dir. Vergiss es nie, dass du lebst, war eines Anderen Idee, und dass du
atmest, sein Geschenk an dich. Du bist gewollt, kein Kind des Zufalls,
keine Laune der Natur, ganz egal, ob du dein Lebenslied in Moll singst
oder Dur.“
Welche Chance und welcher Reichtum ist es, Mensch zu sein, Mann und Frau
zu sein und mit anderen Menschen Gemeinschaft pflegen zu dürfen!
Diese Wahrheit hat noch einen ganz individuellen Aspekt: Ich bin nicht
nur allgemein ins Dasein, sondern in mein Dasein gerufen.
„Ich habe dich bei deinem Namen gerufen“, heißt es beim Propheten
Jesaja. Die Annahme der Individualität, die sehr verbunden ist mit
unserer Leiblichkeit und Lebensgeschichte, ist ein wichtiger Schritt auf
dem Berufungsweg.
Mich hat es ganz tief berührt, als ich vor vielen Jahren zum ersten mal
hörte, dass das letzte Wort der heiligen Klara vor ihrem Tod folgendes
war:
„Herr, sei gepriesen,
weil du mich erschaffen hast!“
Welch eine Zustimmung zum Leben, zum Menschsein! Lebensbejahung pur!
Trotz jahrelanger schwerer Krankheit!
Die Berufung zum Menschsein finde ich einmalig schön und zutreffend in
einem Gebet von J. H. Newman ausgedrückt:
„Ich bin gerufen, etwas zu tun oder zu sein, wofür kein anderer
berufen ist. Ich habe einen Platz in Gottes Plan, auf Gottes Erde, den
kein anderer hat. Ob ich reich bin oder arm, verachtet oder geehrt bei
den Menschen, Gott kennt mich und er ruft mich mit meinem Namen.“
Roman Guardini fasst diese Dimension der Berufung folgendermaßen ins
Gebet. Es ist eines meiner Lieblingsgebete:
„Immerfort empfange ich mich aus deiner Hand. Das ist meine Wahrheit
und meine Freude. Immerfort blickt mich dein Auge an und ich lebe aus
deinem Blick, du mein Schöpfer und mein Heil. Lehre mich in der Still
deiner Gegenwart, das Geheimnis zu verstehen, das ich bin und dass ich
bin durch dich und vor dir und für dich.“
„Wenn ich einmal im Jenseits ankomme“, so erzählt Rabbi Sussja in
einer jüdischen Geschichte, „dann wird ER mich nicht fragen: Sussja,
warum bist du nicht ein so großer Führer wie Mose gewesen, oder ein so
feuriger Prophet wie Elija, oder ein berühmter Schriftsteller? Sondern:
warum bist du nicht Sussja geworden? Warum hast du dich entfernt von dem
Bild, nach dem ich dich geschaffen habe? Warum warst du immer bloß mehr
oder weniger dies, mehr oder weniger das, nur nicht, was dir bestimmt
war: Sussja zu sein? Bloß Sussja - aber dies ganz!“
Lied: „Ich will dir
danken, weil du meinen Namen kennst, Gott meines Lebens.“
Die Berufung zum Menschsein und die Entfaltung des Menschseins ist die
erste und grundlegende Dimension, wenn wir von Berufung sprechen. Darauf
basiert eine zweite Berufung:
2. Berufung zum
Christsein
In der Taufe sind wir zum
Christsein berufen. In der Taufe wurde uns die Gotteskindschaft
geschenkt, über die wir uns freuen dürfen und die wir in der großen
Gemeinschaft der Christen, in der Kirche, leben dürfen.
Heute, wo wir uns als Christen mehr und mehr in einer Diasporasituation
befinden, spüren wir wieder mehr als in früheren Zeiten, dass es nicht
selbstverständlich ist, zum Volk Gottes zu gehören. Christsein ist nicht
mehr das Selbstverständliche. Es ist eine Erwählung. „Freut euch, wir
sind Gottes Volk, Berufene, erwählt durch seine Gnade!“
Das entspricht ganz biblischem Denken. Oft werden da die Gläubigen
einfachhin „Berufene“ genannt.
Wenn wir von vornherein in der Kirche unterscheiden zwischen Berufenen
(im Sinne des Klerus, der Ordensleute usw.) und Nichtberufenen (im Sinne
des einfachen oder gemeinen Kirchenvolkes) dann bleiben wir weit hinter
der Hl. Schrift zurück.
Aber auch hinter den Aussagen und dem Auftrag des II. Vatikanischen Konzils, das
ganz deutlich die Berufung aller Getauften zur Heiligkeit und zur
Nachfolge Jesu herausstellt.
Wenn Sie angeklagt würden, ein Christ zu sein, gäbe es dafür genügend
Beweise? – Diese Frage ist mir neulich begegnet.
Sie hat mich nachdenklich gemacht. Auch nur einigermaßen in der
nachfolge Christi zu leben, könnte ich das beweisen?
Merkt man mir das an? Welche Anzeichen sprechen dafür?
Die Berufung zum Christsein und ihre Auswirkungen, hat Papst Benedikt
XVI. in einer Predigt bei der Feier seiner Amtseinführung schön und
treffend ins Wort gebracht:
„Wer Christus in sein Leben einlässt, dem geht nichts verloren, was es
frei, groß und schön macht. Habt keine Angst! ER nimmt nichts, ER gibt
alles!
In seiner Freundschaft findet ihr das wirkliche Leben! In dieser
Freundschaft gehen überhaupt die großen Möglichkeiten des Menschsein
auf.“
Die Berufung zum Christsein finde ich auch sehr schön in einem Gebet
ausgedrückt. Es steht im „Gotteslob“ und lautet:
„Herr Jesus Christus, du hast mich berufen, dass ich mit dir zum Vater
gehe. Mit dir will ich allzeit auf dem Weg bleiben. Sei das Wort, auf
das ich höre und dem ich folge. Sei das Licht, das mich erleuchtet. Sei
die Kraft, die mich erfüllt. Sei der Beistand, der mich nicht verlässt.
Mach mich immer mehr eins mit dir. Lass mich mit dir verbunden sein und
einst zur ewigen Vollendung gelangen.“
Lied: „Christus, der Herr, hat mich erwählt, ihm soll ich fortan leben.
Ihm will ich dienen in der Welt und Zeugnis für ihn geben. So leb ich
nicht mehr mir allein, sein Freund und Jünger darf ich sein. Ich trage
seinen Namen; sein bleib ich ewig. Amen.“ (schweizerisches Gesangbuch
Nr. 4, 3; Gl. 635, 3)
Auf die gnadenhafte Berufung in das Heil, das uns in Christus geschenkt
ist, baut eine dritte Berufung auf. Es ist der Ruf zu einer bestimmten
Lebensform.
3. Berufung zu einer spezifischen christlichen Lebensform
Innerhalb der gemeinsamen Berufung zum Christsein haben sich im Laufe
der Geschichte vielfältige Formen entfaltet, die christliche Berufung
zu leben.
-
Die einen sind gerufen, als Laien in der „Welt“, z. B. im Beruf, in
der Politik, in Vereinen und Verbänden die Nachfolge Christi zu leben.
Viele von ihnen sind gerufen zu Ehe und Familie, andere zur
Ehelosigkeit.
-
Berufen zu einer spezifischen christlichen Lebensform. Das trifft auch
auf die Diakone, Priester und Bischöfe zu, auf alle, die berufen sind,
in der Kirche den Dienst der Verkündigung auszuüben, den Dienst an den
Sakramenten zu versehen, den Dienst an den Bedürftigen zu vollziehen
oder auch die Gemeinden zu leiten.
-
Berufen zu einer spezifischen christlichen Lebensform sind auch die
Laienseelsorger und -seelsorgerinnen, Pastoral- und Gemeindereferenten,
Katecheten und Katechetinnen, Religionslehrer und Religionslehrerinnen
u. a.
-
Berufen zu einer spezifischen christlichen Lebensform sind wir, die
Frauen und Männer, die in einen Orden eingetreten bzw. ins Kloster
gegangen sind oder einer geistlichen Gemeinschaft angehören, sei es um
in einem kontemplativen Orden durch ein beschauliches Leben Zeugnis von
der Gegenwart Gottes in dieser Welt zu geben und stellvertretend für die
Anliegen der Menschen zu beten oder sei es, um in einem tätigen Orden
apostolisch, diakonisch oder caritativ zu wirken und so Zeugen der
Hoffnung, Werkzeuge des Friedens und Botinnen und Boten der Liebe
Gottes zu sein.
Alle diese unterschiedlichen Ausfaltungen der einen christlichen
Berufung, die ich jetzt - ohne Anspruch auf Vollständigkeit -
aufgeführt habe, sind gleichwertig und ergänzen einander.
Wie Sie wissen, wurde früher - über Jahrhunderte - der Begriff
„Berufung“ isoliert verwendet, er war praktisch für die Priester- und
Ordensleute reserviert. Die Berufung zum Weihestand und zum Rätestand
galt als einzige Möglichkeit, zur „Vollkommenheit“ zu gelangen. Solches
Denken und solches Bewusstsein wird heute zu Recht hinterfragt. Es ist zu
elitär und es „riecht“ nach „mehr und weniger“, „besser oder
schlechter“. Jeder Christ kann seinen Beruf und seinen Stand als
Berufung sehen, verstehen und leben und soll es eigentlich auch. Nachfolge ist nicht nur Sache der Ordensleute. Hinter Jesus hergehen,
auf ihn hören, von ihm lernen, sich zu ihm bekennen und von ihm Zeugnis
geben – das alles gilt für jeden Christen. Jedem Christen ist das ganze
Evangelium aufgegeben. „Mir nach spricht Christus, unser Held, mir nach
ihr Christen alle...“ Und nur innerhalb der für alle gleichen Grundberufung haben geistliche
Gemeinschaften ihren Ort. Ich sehe jedoch - ehrlich gesagt - die Gefahr, dass der Berufungsbegriff,
der früher isoliert verwendet wurde, heute nivelliert wird. Hat sich
nicht eine gewisse Verschämtheit eingestellt beim Sprechen über
geistliche Berufe und Berufungen? Weil man ja nicht besser und mehr sein
will als andere. Kommen dadurch nicht die – ich sag mal so – „besonderen
Berufungen“ zu kurz oder geraten ins Hintertreffen? Fallen wir da nicht
von einem Straßengraben in den andern? Bei allem Betonen der Berufung aller Getauften zur Heiligkeit und zur
Nachfolge Christi ist es, meine ich, nicht verkehrt, doch auch zu
differenzieren, zumal in einer Situation, wo sich immer weniger für den
Weg als Priester und/oder im Rätestand entscheiden. Sonst kann es auch
passieren, dass der Impuls, einen kirchlichen Beruf im engeren Sinn zu
ergreifen, untergeht, wenn doch ohnehin alle berufen sind. Natürlich ist der Priester- und Ordensberuf nicht die einzige
Möglichkeit mit der Taufe ernst zu machen, aber doch eine einzigartige.
Das Leben des Christen in der Taufentschiedenheit ist intensivierbar.
Es geht daher im Ordensleben nicht um ein Christsein besser oder mehr
als das aller Getauften, sondern um – wie Heinrich Spaemann sagt - eine
besondere Form von „verantwortetem Christsein“, das der Taufe
entspringt. Ich meine: auf dem Fundament der allen gemeinsamen Berufung
zum Christsein und Jünger/-in-Sein durch Taufe und Firmung kann und darf
auch profiliert von unterschiedlichen Charismen und Berufungen zum
Dienst in der Kirche geredet werden, insbesondere von den spezifisch
geistlichen Berufen. (Wo Kirche als Communio von unterschiedlichen
Berufungen und Charismen gedacht und erlebt wird, soll es da nicht
möglich sein, ängstliche Abgrenzungstendenzen und Neidereien durch
gegenseitige Wertschätzung und Sorge füreinander abzulösen? Sind im
„Leib“ der Kirche nicht alle aufeinander angewiesen und verwiesen? Und
ist es nicht so: je mehr jeder das ihm Eigene, sein Charisma einbringt,
um so lebendiger wird Gemeinde, wird Kirche?)
Gerade die Ordensberufung ist eine auffallende und ganz spezifische
Gabe des Heiligen Geistes an die Kirche. Wenn diese Berufung eines
Tages nicht mehr vorkäme und nicht mehr gelebt würde, würde etwas ganz
Wesentliches fehlen in der Kirche. Ohne das Charisma des gottgeweihten
Lebens wäre die Kirche kälter und ärmer. Wo das Zeugnis der Orden fehlt
oder schwächer wird, da fehlt der Kirche, auch der jeweiligen
Ortskirche, eine ihr wesentliche Dimension prophetischen Zeugnisses. Es
ist keine Frage: das gottgeweihte Leben ist ein wesentlicher
Bestandteil des Lebens der Kirche. Die Kirche kann nicht darauf
verzichten und sie darf nicht darauf verzichten. Denn diese Lebensform
ist ein notwendiges Zeichen und Zeugnis. Es gibt noch eine Dimension der Berufung:
4. Die Berufung innerhalb der Berufung
Eine kurze Geschichte mag dazu hinführen:
„Wie lange bist du schon Mönch?“ fragte ein junger Mann einen alten
Mönch, der bereits über 50 Jahre im Kloster lebte. „Ein richtiger
Mönch?“, sagte der Alte, „noch nicht lange. Ich habe allein 50 Jahre
gebraucht um den Berg der Entschiedenheit zu besteigen.“ Worauf der
junge Mann wissen wollte: „Sollte man zuerst sehen und dann entscheiden,
oder entscheidet man zuerst und sieht dann?“ „Wenn ich dir einen Rat
geben darf, junger Mann“, sagte der alte Mönch, „vergiss die Fragen und
nimm endlich den Berg unter die Füße.“
Viele Heilige haben erst nach vielen Jahren innerhalb einer Ordensberufung ihre eigentliche Berufung erkannt. Es ist nie zu spät zu
größerer Entschiedenheit und Radikalität. Das berühmteste Beispiel dürfte
Theresia von Avila sein. Aus unserer Zeit fällt mir Mutter Teresa ein, die als Ordensfrau
zunächst Lehrerin war, dann ihre eigentliche Berufung erkannte, in
Kalkutta den Ärmsten der Armen zu dienen. Oder Carlo Caretto: Er war nach dem Krieg Präsident der katholischen
Jugend Italiens und wurde „Kleiner Bruder“. Er, der oft zu
Hunderttausenden auf dem Petersplatz sprach, ging in die Einsamkeit der
Wüste, dorthin, wo Charles de Foucauld gelebt hatte: auf den „letzten
Platz“. Berufung in der Berufung! Noch ein Beispiel: Edith Stein, eine moderne Frau, eine unerbittliche
Sucherin, Tochter jüdischer Eltern, als junges Mädchen verliert sie den
Glauben, gewöhnt sich das Beten ab, „bewusst und aus eigenem Entschluss“,
wie sie selber später sagt, kommt aber während ihres ganzen Studiums von
der Wahrheitsfrage nicht los. Begegnungen mit überzeugten Christen
machen sie unruhig. Als Philosophin nähert sie sich dem katholischen
Glauben. Die Lektüre der Autobiographie von Theresia von Avila gibt
schließlich den Ausschlag zur Konversion. Sie lässt sich taufen. Ihr
Beruf, den sie aber als Berufung sieht und ausübt: Lehrerin bei den
Dominikanerinnen in Speyer, später Dozentin am Deutschen Institut für
wissenschaftliche Pädagogik in Münster. Außerdem ist sie eine viel
gefragte und erfolgreiche Rednerin. Sie setzt sie sich für eine
qualifizierte Ausbildung der Mädchen und für die Rechte der Frau ein.
Ihr selber bleibt die Professur an der Universität versagt, weil sie
Frau ist. Hitlers Machtergreifung bereitet ihrem öffentlichen Wirken ein
Ende. Das ist die Stunde ihrer eigentlichen Berufung, Berufung in der
Berufung. 1933, mit 42 Jahren, tritt sie in den Kölner Karmel ein. Nach
der Kristallnacht 1938 findet sie Aufnahme im Karmel in Echt/ Holland.
Jüdin, Atheistin, Philosophin, Feministin, Konvertitin, Karmelitin,
Märtyrerin. Im August 1942 wird sie mit ihrer Schwester Rosa und anderen
katholischen Juden verhaftet, nach Ausschwitz gebracht und vergast.
„Komm, wir gehen für unser Volk“, sagt sie bei der Haftung zu ihrer Schwester. Auf einem Zettel, der aus dem holländischen Sammellager das
Kloster Echt erreichte, stand zu lesen: „Konnte bisher herrlich beten“.
An ihrem Leben wird deutlich, dass eine religiöse Berufung nicht
unbedingt etwas einmaliges und abgeschlossenes ist, sondern
Wegcharakter hat, ein Prozess ist und ein Leben lang interessant,
spannend, ja abenteuerlich und faszinierend sein kann, aber auch voller
Dramatik und Tragik.
Am Lebenslauf von Edith Stein lassen sich die verschiedenen Dimensionen
der Berufung wunderbar ablesen und aufzeigen:
-
Berufung zum Menschsein – trotz Depressionen und Scheitern
-
Berufung zum Christsein – nach einer Phase der Orientierungslosigkeit
und eines jugendlich-trotzigen Atheismus.
-
Berufung zu einer Aufgabe, Auftrag, Sendung
-
und schließlich Berufung zum gottgeweihten Leben.
-
Am Schluss noch einmal Sendung, Sinngebung, Berufung:
„Komm, wir gehen
für unser Volk!“
Die Berufung in der Berufung hat viel zu tun mit dem, was die Heilige
Schrift Metanoia nennt, Umsinnen, Umkehr, Bekehrung.
Franziskus von Assisi sagte am Ende seines Lebens:
„Meine Brüder lasst uns endlich anfangen, Gott zu dienen. Bisher haben
wir es noch nicht getan.“ Alle haben wir die Bekehrung nötig, die
fortwährende Bekehrung: von den vielen Formen unserer
Selbstgerechtigkeit, Lieblosigkeit, Herzenskälte, Kleinlichkeit.
Christliches Leben – und erst recht Ordensleben - ist ein Weg
beständiger Befreiung, Ablösung von allem Gottwidrigen und aller
Lieblosigkeit, ein Weg beständiger Hinkehr zu Gott und den Menschen, ein
Weg beständiger Vertiefung und Liebe.
Gebet von A. Rotzetter:
„Die selbstherrlichen Wege verlassen und den Weg Jesu gehen und das mit
aller Hingabe. – Die eigenmächtigen Gedanken aufgeben und die Gedanken
Jesu denken und das mit aller Hingabe. – Die ichbezogenen Ziele
loslassen und das Ziel Jesu verfolgen und das mit aller Hingabe.“
5. Berufung: Geschenk Gottes
Bei einem Diözesanjugendtag, der unter dem Thema stand: „Warum ich heute
im Orden bin“, stellte sich eine junge Ordensschwester einem Interview.
Vor mehreren hundert Jugendlichen wurde sie gefragt: „Schwester, warum
geht man heute eigentlich ins Kloster?“ Spontan antwortete die
Schwester: „Um ganz für andere dazusein.“ Der jugendliche Reporter
fragte zurück: „Um ganz für andere dazusein – muss ich denn dazu ins
Kloster gehen?“ „Nein, eigentlich nicht“, gab die Schwester zu und
suchte verlegen nach einer besseren Antwort. „Wir sind im Kloster, um
Gott ganz nahe zu sein.“ Wieder kam die Frage kritisch zurück: „Aber muss
ich denn dazu ins Kloster gehen?“ Lächelnd, doch innerlich furchtbar
aufgeregt, suchte die Schwester nach neuen Antworten, aber immer musste
sie hören: „Muss ich denn dazu ins Kloster gehen?“ - Nun versuchte sie
sich in ihrer Aufregung zu sammeln und stellte sich selbst die Frage:
Warum bin ich denn ins Kloster?
Und dann konnte sie die Antwort geben, sicher und ruhig, klar und
sachlich: „Ich bin im Kloster, weil ich glaube, dass Gott es so von mir
will.“ (R. Körner)
In der letzten Klasse des Gymnasium, etwa ein ¾ Jahr vor dem Abitur war
für diejenigen, die wollten an einem Morgen Berufsberatung angesagt.
Für mich stand fest: Kapuziner und Priester will ich werden. Trotzdem
ging ich hin, eine willkommene Abwechslung zum Matheunterricht. Mal
schauen, was die gute Frau zu sagen hat. Und als ich ihr mein Berufsziel
eröffnete, meinte Sie: „Das ist keine Sache des Berufes, sondern der
Berufung!“ Das hat gesessen. Den Nagel auf den Kopf getroffen. Diese Antwort habe
ich nie vergessen.
Eine Sache der Berufung!
Und Berufung ist immer ein Geschenk. Berufung
ist eine Gnadengabe, die weder erleistet, noch erworben, noch verdient
werden kann. Und letztlich ist sie ein nie ganz fassbares und auflösbares
Geheimnis. Gott ist es, der ruft. Manchmal ist es wie ein sanftes Werben (siehe
Samuel des Nachts im Tempel), ein andermal wie ein heftiger Zugriff
(siehe Paulus vor Damaskus), oftmals beides in einem, behutsames
Klopfen und Berührtwerden einerseits und Gepackt- und ergriffen werden
andererseits. Von Berechenbarkeit keine Spur. Und oftmals innige Lust
und gewaltige Last auch in einem. Die Propheten können ein Lied davon
singen. Da Ordensberufe - wie alle geistlichen Berufe - von Gott geschenkt
sind, deswegen können sie immer wieder „nur“ ins Gebet gebracht, niemals
aber gemacht werden. Die bleibende Aufgabe ist es, das Bewusstsein für
diese Gnadengaben - auch und zumal der Ordensberufungen - wachzuhalten
und alles zu tun, dass diese Berufungen wachsen können. Ganz vorne rangiert da das Gebet. Es ist ein Herzensanliegen von Jesus
selbst. Und es soll unser aller Herzensanliegen sein. Dann braucht es
ein geistliches Klima in den Pfarreien und Familien. Ganz wichtig ist
das persönliche Zeugnis der Berufenen, ihr Vorbild nach dem Motto: verba
docent, exempla trahunt: Worte belehren, Beispiele reißen mit. Und es
braucht die Elis (wie im Fall der Berufung des Samuel). Es ist
interessant, dass viele biblische Berufungen vermittelt geschehen (siehe
auch Joh, 35 -5 1 Johannes der Täufer, Andreas usw. Berufung zieht Kreise.)
Der Ruf des Herrn ist nicht verstummt. Er ergeht auch heute noch. Ich
bin sicher, dass es auch im Bistum St. Gallen junge Christen gibt,
vielleicht mehr als wir denken, die Jesus in seinen besonderen Dienst
ruft. Zugegeben: Im Trend liegt das nicht, einen geistlichen Beruf zu
ergreifen und ins Kloster zu gehen. Ist es der Zeitgeist, der hindert. Oder mindern das schwindende
Kirchenbewusstsein und die gegenwärtige Glaubenskrise den Sinn für dieser
Lebensform? Eine Lebensform, die man ja nur aus dem Glauben verstehen
und vollziehen kann! Dazu kommt heute eine große Scheu, ja Angst, sich
zu binden. Bindungen einzugehen für längere Zeit oder gar für immer,
fällt vielen zunehmend schwer. Flexibilität ist gefragt, Mobilität
angesagt, Stellenwechsel gilt als Gütesiegel. Von wegen „ein Leben lang“
oder gar „stabilitas“.
Es gibt vieles, was es den jungen Menschen schwer macht, sich ernstlich
der Frage nach einer solchen Berufung mit ihrer unwiderruflichen
Verpflichtung zu stellen. Auch Zweifel daran, ob das Leben in einem
Orden der Persönlichkeitsentwicklung genügend Raum lässt. Manchmal ist es
auch die nächste Umgebung, die abrät, statt Mut zu machen. Um so
notwendiger ist es, dass wir junge Menschen, die in Frage kommen,
ansprechen, einladen, Kontakte knüpfen, die entstandenen Kontakte
pflegen, sie mitleben lassen und ihnen nachdrücklich sagen: „Habt keine
Angst, dem Ruf des Herrn zu folgen. Es ist der Ruf seiner Liebe, der Ruf
in seine Freundschaft.“ (Benedikt XVI.)
„Ich bin im Kloster, weil ich glaube, dass Gott es so von mir will“,
hat die junge Schwester im Interview geantwortet.
Ja, es ist ein folgenreicher Unterschied, ob ich frage, was will ich aus
meinem Leben machen, welchen Sinn gebe ich ihm?
Oder ob ich frage: „Herr, was willst du, dass ich tun soll?“ Schon an der Art, wie ich frage, entscheidet sich, ob ich das Gebäude
meines Lebens ganz nach eigenen Bauplänen errichte oder ob ich aus
„Berufung“ lebe und die Bauleitung gleichsam Gott übergebe.
In meiner Kindheit stand im Gesangbuch der Erzdiözese Freiburg ein
Gebet, das ich in der 3./4. Klasse und auch danach oft gebetet habe und
heute noch auswendig kann. Es heißt:
„Himmlischer Vater! Du hast mich erschaffen und mir in deiner Liebe
einen Lebensweg zugedacht, auf dem ich mein ewiges Heil erreichen soll.
Lass mich erkennen, was du mit mir vorhast, zeige mir den Beruf, der für
mich passt. Zeige mir, wo ich meine Kräfte am besten einsetzen und wo ich
am besten dir dienen kann.“ Willst du mich berufen zu deinem ungeteilten
Dienst, so gib mir dazu die heilige Bereitschaft ins Herz und lass mich
eine so unschätzbare Gnade nicht verspielen. Stärke meinen Willen zur
ganzen Hingabe an dich und lass mich dann siegreich hindurchgehen durch
alle falschen Lockungen dieser Welt.“ (Magnifikat S. 1115)
Ich habe dieses Gebet als Bub mit Inbrunst gebetet, wirklich, das ist
nicht übertrieben. Da war ein echtes Sehnen und Verlangen: „Was willst
du; Herr, dass ich tun soll?“ Und als ich merkte, Gott meint mich, fing
alles an, mein Berufungsweg. Ich denke: die Entdeckung, ER meint mich,
ist der Keim einer jeden Berufungsgeschichte. „Willst du mich berufen zu deinem ungeteilten Dienst, so gib mir dazu
die heilige Bereitschaft ins Herz und laß mich eine so unschätzbare
Gnade nicht verspielen...“
Eine so unschätzbare Gnade verspielen, den Lebenssinn versäumen, meine Berufung verpassen. Etwas Schlimmeres kann
einem kaum passieren. Ein Riesenunglück! Die Tragik des Lebens wäre das!
Vor einigen Jahren, bei der 1200-Jahr-Feier der Stadt Frankfurt am Main,
war der Seiltänzer Philippe Petit zu sehen, wie er auf einem schmalen
Seil von der Spitze der Paulskirche hinüber zur Spitze des Frankfurter
Domes balancierte. Viele der Zuschauer verfolgten gebannt seine
Schritte. Insgeheim mögen sie gedacht haben, er tue das vor allem für
Geld oder aus Ruhmsucht oder um sich zu beweisen. Philippe Petit aber
antwortete auf die entsprechende Frage: „Wenn ich drei Apfelsinen sehe, muss ich jonglieren. Und wenn ich zwei Türme sehe, muss ich gehen.“
Es gibt ein Müssen, das tiefer ist als jede äußere Absicht, ein inneres
Drängen, dem man folgen muss, wenn man sich selbst treu bleiben will.
Ich glaube, dass es in meinem Leben einen Ruf gibt, einen Ruf, der nicht
nur das Echo meines eigenen Ich ist, sondern von einem anderen kommt,
von einem, der mir näher ist als ich mir selbst, innerlicher als mein
Innerstes. Gottes Ruf braucht ein Ja. Wort will Antwort. Wer nie klar Ja sagt, wer
immer zögert und revidiert, wird seine Hand nicht an den Pflug legen
können, ohne zurückzuschauen. Ja zum einen Weg heißt immer auch Nein zu
anderen Wegen. Wer auf keine seiner Möglichkeiten verzichtet, wer keine
verschenken will, der kann auch nicht die eine ganz ergreifen und
realisieren, zu der Gott ihn ruft. Für mich hat sich Gottes Ruf bislang darin konkretisiert, dass ich als
Christ zugleich Kapuziner und Priester bin. Es ist meine Antwort auf
diesen Ruf. Eine weitere Konkretisierung sehe ich in meiner Aufgabe als
Exerzitien- und Meditationsleiter, eine Aufgabe, die ich gerne tue und
die mir - bei aller Anstrengung, die sie auch kostet - viel Freude
macht, mich ausfüllt und auch erfüllt. Dafür bin ich sehr dankbar. Natürlich gab und gibt es auch Durststrecken und Tiefs und nicht immer
war der Weg geradlinig. Es gab auch steile und steinige Wegstrecken. Vor
zehn Jahren geriet ich in eine ganz schwere Krise, Lebenskrise und
Berufungskrise. Bei Einzelexerzitien hat mir ein Wort der
Exerzitienleiterin geholfen, mir neu die Richtung gezeigt, mich gestärkt
und mir Zuversicht gegeben. Es lautet: „Tu, was du kannst; mit dem, was du hast; dort, wo du bist!“ („Tu, was du kannst“: Sämannsgleichnis; „mit dem, was du hast“: 5 Brote
und zwei Fische; „dort, wo du bist“: „Fahr hinaus!“ - „Auf dein Wort
hin!“) Wohin der Ruf Gottes mich noch führt, weiß ich nicht. Ich will offen
sein, wach, spürig für die Impulse Gottes, für seine Winke, Fingerzeige,
Klopfzeichen, für seine Stimme im Gewand des Alltags, in den
Begegnungen und Widerfahrnissen. Ich will auf die innere Wahrheitsstimme
hören. Wie Ignatius und Franziskus erfahre ich immer wieder: Gott lässt
sich finden in allen Dingen.
Ich bin gespannt, was in der Beziehung mit IHM noch kommt. Eines weiß ich: Sein Ruf hat etwas mit dem Geist der Seligpreisungen zu
tun, mit franziskanischer Freude und Einfachheit, mit Liebe und
Barmherzigkeit. Und solange ich mich diesem Geist öffne, dem Geist Jesu
Christi, und mich ihm überlasse und aus ihm versuche zu leben, hoffe
ich, einigermaßen auf dem Seil zu bleiben, das sich durch mein Leben
spannt.
Liebe Schwestern und Brüder!
Einige Gedanken noch zu:
Gebet + Arbeit / Aktion + Meditation
Als Ordenschristen können wir noch so viel und noch so Großartiges tun
und bringen und leisten in der Kirche und in der Gesellschaft, auf
caritativem, sozialem oder pastoralem Sektor, wir können noch so viel
bewirken und auf die Beine stellen. Vielleicht bekommen wir gerade
dafür viel Respekt und Anerkennung. Das alles ist wenig, wenn die Menschen uns nur als Macher, Manager,
Organisatoren erleben, als Menschen, die keine Zeit haben, die ständig
auf die Uhr schauen und gehetzt, gestresst, ausgepowert sind. Das äußere
Wirken, unser Schaffen und Machen ist wenig, wenn die Menschen nicht
spüren: da lebt jemand mit Leib und Seele seine Berufung, da ist einer
Feuer und Flamme, er hat eine leidenschaftliche Liebe zu Gott, wie Gott
eine unbändige Liebe zu uns hat; da ist jemand, der nicht aus rissigen
Zisternen, sondern aus tieferen Quellen schöpft; der aus einer tiefen
Verbundenheit mit dem lebt, der uns liebt und sich für uns hingegeben
hat. Darum soll für uns das Gebet, die Meditation, der Gottesdienst
erstwichtig sein, Vorrang haben. Dem sollen wir nichts vorziehen. Gott kann nur dann durch uns in die Welt hinein wirken, wenn wir uns
seinem Geist öffnen, dem Licht und der Kraft von oben.
Fragen wir einmal, ein jeder und jede sich selbst: Auf Kosten wovon vermindern wir immer wieder die Zeit für das Gebet, die
Stille, die Schriftlesung, die Meditation, den Gottesdienst? Ist es
nicht unsere hektische Betriebsamkeit, unser ruheloser Aktivismus? Sind
wir nicht ständig auf Trab, in action, eingespannt und darum
angespannt? Sind wir nicht oft total in Anspruch und in Beschlag
genommen von vielen Pflichten, Aufgaben und Terminen, oft über den
Feierabend hinaus? Und was beleibt auf der Strecke? Die Besinnung, das Ausruhen bei Gott,
das Atemholen der Seele. Nicht wahr, das kommt am ehesten zu kurz. Daran
wird am schnellsten abgezwackt und manchmal fällt es ganz aus.
Verstehen Sie mich nicht falsch: Aktion gehört unbedingt zur Nachfolge
Christi. Keine Frage! Nur sie muss vorher im Gebet, im Hören auf Gottes
Wort, im Fragen nach seinem Willen ihren Grund gefunden haben. Es gilt
immer wieder das Eine Notwendige zu suchen und es nicht zu versäumen.
Jesus sagt: „Euch soll es zuerst um das Reich Gottes gehen.“ Es gibt also eine Reihenfolge, wenn nicht sogar eine Rangfolge:
Meditation kommt vor Aktion, Empfangen kommt vor Geben, Sammlung vor
Sendung. Das Wort braucht das Schweigen. Das sind Gesetzmäßigkeiten. Was wir glaubend, hörend, betend empfangen,
ist immer wichtiger als das, was wir selbst produzieren, schaffen,
machen, vor allem, wenn wir uns selbst produzieren. Sonst gleichen wir
einem leeren Krug oder einem wasserlosen Brunnen. So müssen wir uns
immer wieder ausstrecken nach oben, uns öffnen für die Gaben und Gnaden
Gottes, für seinen Leben spendenden Geist, uns erfüllen lassen von
seiner Freude und seinem Frieden, von seinem Licht und seiner Kraft. Wir
sind eingeladen, uns von Gott beschenken und lieben zu lassen. Nur der
Beschenkte kann ein Schenkender und nur der Gesegnete ein Segnender
sein.
Liebe Schwestern und Brüder!
Ich bin sicher: wo wir uns vorbehaltlos in die
Freundschaft mit Jesus Christus hineinbegeben und in der ständigen
Begegnung mit ihm reifen, da geschieht mehr und da wirken wir mehr als
nach außen hin sichtbar wird. Sehen Sie: Das allein macht letztlich auch die Ordensberufung
überzeugend und glaubhaft: die Freundschaft mit Christus, die tiefe
Verbundenheit mit ihm, die immer wieder erneuert, gestärkt und gefestigt
werden muss. Das allein macht unsere Berufung auch tragfähig. „Wer in mir bleibt und in wem ich bleibe, der bringt reiche Frucht.“
Ein Mönch trifft einen anderen und fragt ihn: „Wie kommt es nur, dass so
viele das Mönchsleben aufgeben? Wie kommt das nur? Der zweite Mönch
antwortete: „Das geht im Mönchsleben wie mit einem Hund, der einem
Hasen nachsetzt. Er jagt ihm nach und bellt aus Leibeskräften. Viele
andere schließen sich ihm an und sie jagen ihn miteinander. Doch dann
kommt der Augenblick, in dem alle, die den Hasen nicht sehen, müde
werden und einer nach dem anderen läuft davon. Nur die, die ihn sehen,
halten durch bis zum Ende.“
Mit dem Ordenseintritt und der Profess ist es nicht getan.
Bloßes Mitgehen und Mitlaufen genügt nicht. Das führt bald zur Ermüdung.
Und man gibt auf. Es bleibt nur auf dem Berufungsweg, wer auf Christus
schaut und ihn im Blick hat. Das heißt: Christ und erst recht Ordenschrist ist einer und kann einer
nur sein und bleiben, wenn er sich immer und immer wieder an Jesus
Christus orientiert, an seinem Leben Maß nimmt, das eigene Leben nach
seinem Wort und seinem Geist ausrichtet und sich von ihm her bewegen,
leiten, formen und bestimmen lässt.
Von Heinrich Spaemann stammt das Wort:
„Was wir vor Augen haben, das prägt uns, dabei werden wir verwandelt
und wir kommen, wohin wir schauen.“
Vom heiligen Franziskus schreibt Thomas von Celano:
„Jesus trug er im Herzen, führte ihn im Munde, hatte ihn in den Ohren,
trug ihn in den Augen, in den Händen, in seinem ganzen Wesen.“
Eine altgewordene Ordensfrau sagte: „Es ist viel passiert in meinem Leben und viel hat sich geändert seit
meinem Eintritt: Doch geblieben ist die Liebe.“
Fragen wir uns ruhig einmal:
IST GOTT MEINE GROSSE LIEBE?
Ich möchte meine Ausführungen beenden mit Worten von Papst Benedikt XVI.
Und ich lade Sie als Ordensleute im Bistum von St. Gallen ein, seine
Worte auf sich selber hin zu hören und zu Herzen gehen zu lassen.
Bei einer Audienz für Ordensleute der Diözese Rom sagte er am 10. Dezember
2005:
„Liebe Brüder und Schwestern! Die Kirche braucht euer Zeugnis, sie
braucht ein geweihtes Leben, das sich mit Mut und Kreativität den
Herausforderungen der Gegenwart stellt. Angesichts des Hedonismus ist von euch das mutige Zeugnis der Keuschheit
gefordert, als Ausdruck eines Herzens, das die Schönheit und den Preis
der Liebe Gottes kennt. Angesichts des Profitdenkens, das heute weite Kreise beherrscht, rufen
euer genügsames Leben und eure Bereitschaft zum Dienst an den
Notleidenden die Tatsache in Erinnerung, dass Gott der wahre und
unvergängliche Reichtum ist. Angesichts von Individualismus und Relativismus, die die Menschen dazu
verleiten, sich nur an sich selbst zu orientieren, zeigt euer
gemeinschaftliches Leben in der Fähigkeit, sich aufeinander
abzustimmen, und damit auch in der Fähigkeit zum Gehorsam, dass ihr eure
Selbstverwirklichung in die Hände Gottes legt. Wie sollte man sich nicht wünschen, dass die Kultur der evangelischen
Räte, die die Kultur der Seligpreisungen ist, in der Kirche wachsen
möge, um das Leben und das Zeugnis des christlichen Volkes zu stärken?“
Weiter sagte Papst Benedikt: „Die geweihte Person lebt in ihrer Zeit,
aber ihr Herz führt sie über das Zeitliche hinaus und sie zeigt dem
heutigen Menschen, der oft von den Dingen dieser Welt eingenommen ist,
dass seine wahre Bestimmung Gott selber ist.“ Zum Schluss dankte der Papst den versammelten Ordensleuten.
„Danke, liebe Brüder und Schwestern, für den Dienst, den ihr dem
Evangelium leistet, für eure Liebe zu den Armen und Leidtragenden, für
eure Bemühungen auf dem Gebiet von Erziehung und Kultur, für das
unablässige Gebet, das aus den Klöstern aufsteigt, für die vielen
verschiedenen Aktivitäten, denen ihr nachgeht. Die allerseligste Jungfrau Maria, Vorbild des geweihten Lebens, möge
euch begleiten und beistehen, damit ihr für alle Menschen ein
„prophetisches Zeichen“ des Himmelreiches sein könnt. Ich versichere euch meines Gedenkens im Gebet und segne euch alle von
Herzen.“ |