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Ein überraschendes Drama von Verzeihung und Versöhnung (Wallfahrtsmesse: 7. Mai 2011)
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Der Evangeliumsabschnitt, den wir gehört haben (Mt 18, 21-35) trifft den Kern der Botschaft Jesu. Es geht um Vergebung. Vergebung ist ein Herzstück der christlichen Heilsbotschaft.
Petrus fragt seinen Herrn – schon Schlimmes befürchtend: Wie oft muss ich meinem Bruder verzeihen, wenn er mir etwas angetan hat? – Petrus versucht selbst eine Antwort: vielleicht sogar bis zu siebenmal? – Petrus hat für seine Begriffe schon sehr hoch angesetzt, kaum zu überbieten. Jesus antwortet, nicht nur für Petrus erschreckend: siebenundsiebzig mal! Jedes Mal, immer! Ohne Ausnahme! Petrus fragt nach einem Maßstab, nach einer oberen Grenze des Verzeihens. Jesus sagt: Es gibt keine Grenze.
Jesus begründet die grenzenlose Vergebung, indem er ein Gleichnis erzählt. Er begründet sie letztlich mit dem Hinweis auf Gott selbst. Modell für christliches Verhalten – auch bezüglich der Bereitschaft zu vergeben – ist Gott selbst.
Der entscheidende Satz lautet: „Hättest nicht auch du Erbarmen haben müssen, wie ich mit dir Erbarmen hatte?“ Hier klingt das Wort Jesu aus der Bergpredigt an: „Seid barmherzig, wie auch euer Vater im Himmel barmherzig ist!“
Wie das Herz Gottes lauteres Erbarmen ist, absolute Großmut, so soll auch unsere Haltung sein. Wie Gott unendlich gütig und barmherzig ist, so soll auch der Mensch nicht nur mit den Lippen, sondern mit seinem Herzen aufrichtig langmütig sein, barmherzig und gnädig, bereit zu verzeihen.
Von Herzen verzeihen, auch dort, wo mir jemand nicht so liegt, auch dort, wo ich gar nicht schuld bin, auch dort, wo mir jemand wirklich Schlimmes angetan hat? Gar nicht so leicht!
Und doch: Die Höchstform der Liebe ist die Vergebung. Wir können auch sagen: Die Vergebung ist der Testfall der Liebe. Von Gertrud von le Fort stammt das Wort: „In der Verzeihung des Unverzeihlichen ist der Mensch der göttlichen Liebe am nächsten.“ Vergebung ist dann möglich, wenn wir uns vom Evangelium bewegen, von der Gesinnung und dem Geist Jesu inspirieren und motivieren lassen.
Vor genau 30 Jahren, am 13. Mai 1981, geschah das schlimme Attentat auf Papst Johannes Paul II. Erinnern Sie sich noch? Ein junger Türke versuchte den Papst während einer Audienz auf dem Petersplatz zu töten. Zwei Pistolenschüsse verletzten den Heiligen Vater schwer. Die ganze Welt war betroffen und erschüttert. Tagelang schwebte der Papst in Lebensgefahr. Viele beteten. Gott sei Dank, das Schlimmste trat nicht ein.
In seiner ersten Ansprache nach dem Attentat sagte der Papst: „Ich bete für den Bruder, der mich verwundet hat. Ich verzeihe ihm aufrichtig!“
Im Dezember 1983 besuchte Johannes Paul II. seinen Attentäter, Ali Agca, im Gefängnis. Zwanzig Minuten lang unterhielt sich der Papst mit ihm. Die Zellentür stand offen. Aber den Inhalt des Gesprächs konnte niemand verstehen. Sowohl der Papst als auch Ali Agca sprachen sehr leise.
Ein Fotograf des Osservatore Romano machte ein Bild: der Killer und sein Opfer in der eigens für den Attentäter eingerichteten Sicherheitszelle. Das Foto zeigt, wie sie einander gegenübersitzen auf zwei einfachen Stühlen, rechts ein Bettgestell, oben ein Gitterfenster. Der Papst ist leicht vorgebeugt. Er spricht und hört er zu wie ein Beichtvater. Ein überaus beeindruckendes Bild! Die Begegnung ging damals durch die Presse. Das Bild erschien in allen Medien. „Was wir einander gesagt haben, bleibt ein Geheimnis zwischen mir und ihm“, sagte der Papst anschließend.“Ich habe zu ihm gesprochen wie man zu einem Bruder spricht, dem ich vergeben habe und dem ich vertraue.“ Das war alles, was Johannes Paul II. den Journalisten anschließend mitteilte. Keine Vorwürfe, kein Nachtragen, kein Herumhacken auf Schuld, sondern ein Treffen der Versöhnung, ein Gespräch brüderlicher, verzeihender Liebe. „Ein überraschendes Drama von Verzeihung und Versöhnung“, schrieb damals die Times.
Liebe Schwestern und Brüder, liebe Wallfahrerinnen und Wallfahrer! Johannes Paul II. hat nicht nur den Sonntag der göttlichen Barmherzigkeit eingeführt und damit einen wesentlichen Aspekt der Liebe Gottes ins Bewusstsein gerufen und sichtbar gemacht. Er war nicht nur ein Mahner für Gerechtigkeit, Frieden und Versöhnung. Er hat nicht nur von Barmherzigkeit und Vergebung gesprochen, sondern sie praktiziert, vorgelebt und der Kirche, ja, der ganzen Welt in einer ganz großartigen Geste ein Beispiel der Versöhnung gegeben.
Ein Jahr nach dem Attentat machte Johannes Paul II. eine Wallfahrt nach Fatima. Am 13. Mai 1982 dankte er der Gottesmutter für die wunderbare Rettung. Er schrieb es ganz ihr zu, ihrem Schutz und ihrer Hilfe, dass die Kugeln aus der Pistole des Attentäters ganz knapp ihr tödliches Ziel verfehlten. Und eine der Kugeln, die aus seinem Leib operiert wurden, brachte er der Muttergottes in Fatima und sie wurde ihrer Krone eingefügt.
„Totus tuus“ – das wollte er sein für die Gottesmutter, für Jesus, ihren Sohn. „Totus tuus“ – das wollte er sein und das war er als Stellvertreter Christi für die ihm anvertrauten Menschen.
Maria, die Mutter der Barmherzigkeit und der selige Johannes Paul II. mögen uns helfen, unser Herz – wie wir gestern am Herz-Jesu-Freitag gebetet haben - immer mehr nach dem gütigen Herzen Jesu zu formen und zu bilden. Sie mögen uns helfen, die barmherzige Liebe Gottes zu erwidern und selber Barmherzigkeit und Versöhnung nach besten Kräften auch im Alltag zu praktizieren, zu leben.
„Hättest nicht auch du Erbarmen haben müssen, wie ich mit dir Erbarmen hatte?“ – Das ist auch die Frage an jeden von uns.
Es war für mich sehr beeindruckend, wie ein Journalist im Fernsehen seinen Rückblick auf das Jahr 1983 mit der Szene vom Besuch Johannes Pauls II. im Gefängnis bei Ali Agca beendete. Noch mehr beeindruckten mich die Worte, die er nachdenklich dazu sprach: „Herr, vergib uns unsere Schuld, wie auch wir vergeben unseren Schuldigern!“
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