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Auch die andere Wange hinhalten? Montag der 11. Woche im Jahreskreis; Mt 5, 38 - 42
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EVANGELIUM Ich sage euch: Leistet dem, der euch Böses antut, keinen Widerstand + Aus dem heiligen Evangelium nach Matthäus In jener Zeit sprach Jesus zu seinen Jüngern: 38Ihr habt gehört, dass gesagt worden ist: Auge für Auge und Zahn für Zahn. 39Ich aber sage euch: Leistet dem, der euch etwas Böses antut, keinen Widerstand, sondern wenn dich einer auf die rechte Wange schlägt, dann halt ihm auch die andere hin. 40Und wenn dich einer vor Gericht bringen will, um dir das Hemd wegzunehmen, dann lass ihm auch den Mantel. 41Und wenn dich einer zwingen will, eine Meile mit ihm zu gehen, dann geh zwei mit ihm. 42Wer dich bittet, dem gib, und wer von dir borgen will, den weise nicht ab.
Ein provozierendes Evangelium, schwer zu verdauen. Kann Jesus das allen Ernstes fordern?
„Wenn dich jemand auf die rechte Wange schlägt, dann halte auch die andere hin.“ – Wird da nicht dem Bösen Tür und Tor geöffnet? Kann da das Unrecht nicht geradezu Triumphe feiern?
„Wenn dich jemand auf die rechte Wange schlägt, dann halte auch die andere hin.“ Steht das nicht gegen alle Erfahrung in Politik und Wirtschaft? Steht das nicht gegen alle Erfahrung auch im privaten Bereich? Überall zählt doch Stärke, Gewalt, Überlegenheit. Überall wird mit harten Bandagen gekämpft. Kann die Welt überhaupt anders in Ordnung gehalten werden?
Jesus zeigt die Alternative: Gewaltverzicht. Sie ist ein Herzstück seiner Verkündigung. Jesus durchbricht den Mechanismus der Vergeltung. Er schlägt einen Keil in den Teufelskreis von Rache und Hass. Er hebt das Freund-Feind-Schema aus den Angeln.
Gewaltverzicht im Sinne Jesu ist jedoch nicht mit Passivität gleichzusetzen. Gewaltverzicht im Sinne Jesu ist mehr als Verzicht auf Widerstand.
Jesus sagt nicht: Wenn dich jemand schlägt, dann steck’s halt ein! Er sagt auch nicht: Ertrag’s in Geduld! Opfere es auf! Jesus plädiert nicht dafür, sich rein passiv zu verhalten. Und schon gar nicht verkündet er eine Moral für Duckmäuser und Feiglinge.
Er sagt ja eben nicht: „Wenn dich einer auf die rechte Wange schlägt…“, dann nimm’s hin, sondern „dann halte auch die andere hin!“ Geh zwei Meilen mit! Gib zum Mantel auch das Hemd!
Werde aktiv! Lass dir was einfallen! Tu das Überraschende! Jesus sagt nicht nur ein eindeutiges „Nein“ zur Gewalt, sondern fordert das „Ja“ zum Frieden. Er ermuntert zu einem „Mehr“, zu einem „Darüber-Hinaus“, zu einer ungewöhnlich neuen Initiative.
Das neue Verhalten, das über das Bisherige hinausgeht, hat seinen Grund, liebe Schwestern und Brüder. Welchen? Gott. Gott handelt so. „Er lässt seine Sonne aufgehen über Guten und Bösen und lässt es regnen über Gerechten und Ungerechten.“ Er ist gütig auch gegenüber den Undankbaren.
Sehen Sie: Die Aufforderung zur Feindesliebe ist ganz tief im Glauben an Gott begründet. Sie wurzelt in der Erfahrung, dass ich selbst ganz ungeschuldet und unverdient von Gott geliebt bin.
Man kann nicht „Vater unser“ beten und dabei die Faust in der Tasche geballt haben. Vielmehr gilt: „Seid barmherzig, wie euer Vater im Himmel barmherzig ist!“
Kann man nach den Weisungen der Bergpredigt leben? Jesus hat es getan. Er ließ sich von den Soldaten nicht nur den Mantel nehmen, sondern auch das Hemd. Als er geschmäht wurde, schmähte er nicht, als er litt, drohte er nicht. Er fluchte nicht seinen Henkern, er betete für sie. Er ging nicht über Leichen, sondern gab sich selbst für andere hin. Er ging nicht nur zwei Meilen mit. Er ging alle Meilen mit. Er ging ganz, ganz weit aus Liebe, für uns! Er verschenkte sich, damit wir leben.
Gottes Liebe ruft unsere Liebe.
Das Böse durch das Gute besiegen. Gar nicht leicht! Und es wird auch nicht immer gleich gut gelingen. Kaum etwas kostet wohl so viel Überwindung, wie seinen Feind zu lieben.
Wer aber Schritte in diese Richtung tut, in der neuen Gangart des Lebens, der handelt schöpferisch. Da geschieht Unerwartetes, etwas völlig Überraschendes, ja ganz und gar Unerhörtes. Da entstehen neue Spielräume des Handelns. Da entsteht ein neues Klima. Da erfahren wir eine ganz neue Freiheit.
Wie die Freiheit aussehen kann und wie ein Mensch in dieser Freiheit handeln kann, wird deutlich an einem Erlebnis, das Werner Bergengruen beschrieben hat:
„Auf meiner Flucht aus Russland kam ich Ostern 1919 – nach Lebensmitteln suchend – in ein Dorf bei Minsk. Eine alte Bäuerin sagte zu mir: „Ich habe einen Sohn in deutscher Gefangenschaft, von dem ich nichts weiß. Ich werde jetzt denken, du bist dieser Sohn. – Sie umarmte mich und beschenkte mich reichlich.“ |
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