geistliche Impulse

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Predigt

von P. Pius Kirchgessner, OFMCap

 

Weihnachten ohne Jesus?

(1. Weihnachtsfeiertag)

 

In der Kirche St. Peter Ording steht ein kunstvoll geschnitzter mittelalterlicher Altar. Er zeigt Bilder aus dem Leben Jesu, unter anderem auch eine Darstellung der Heiligen Nacht.

Da ist alles, was dazugehört, zu sehen: Stall und Krippe, Ochs und Esel, im Vordergrund Maria und Josef wie sie zur Krippe schauen. Aber die Krippe ist leer! Das Jesuskind fehlt. Weihnachten ohne Jesus? Das gibt zu denken:

 

Könnte es sein, dass der mittelalterliche Künstler mit seiner Arbeit nicht fertig geworden ist? Oder hat er einfach vergessen, das Kind darzustellen? Unwahrscheinlich zwar, aber nicht unmöglich! Vielleicht hat er das Kind auch weggelassen, weil er ausprobieren wollte, ob überhaupt jemand das Fehlen des Kindes bemerkt?

 

Weihnachten ohne Jesus? Liebe Schwestern und Brüder!

Ist das nicht die Wirklichkeit bei vielen Menschen heute, die Weihnachten feiern? Weihnachtsmärkte, Weihnachtskonzerte, Weihnachtsplätzchen, Weihnachtsgans, Weihnachtsbäume, Weihnachtslieder, Weihnachtsstimmung, und nicht zu vergessen die Weihnachtsgeschenke. Und wo ist Jesus?

 

Viel drum rum, viel Vorbereitung, viel Aufwand, viele Äußerlichkeiten. Kein Fest bewegt die Menschen so wie Weihnachten. Und wo bleibt Jesus? Der Umsatz stimmt, die religiöse Szenerie funktioniert. Aber fehlt – bei genauerem Hinsehen nicht der Mittelpunkt? Die Mitte ist leer.

Weihnachten als ein Fest des Gemüts, der Familie, der Liebe – vielleicht auch noch ein wenig Besinnung und festliche Stimmung – aber ohne Jesus?

Manch einer merkt wahrscheinlich gar nicht im Trubel der Festtage, dass ihm Jesus abhandengekommen ist, dass Jesus Christus für ihn harmlos und bedeutungslos geworden ist.

 

Liebe Schwestern und Brüder!

Die leere Krippe stellt mich in Frage: Was steht für mich in der Mitte? Ist meine religiöse Praxis nur noch Gehäuse, nur noch Routine, frommes Getue ohne lebendige Beziehung zu Jesus? Eine andere Frage: Was ist mir Jesus Christus wert? Wie weit geht meine Liebe zu ihm? Was wäre ich bereit, für IHN herzugeben?

 

Nochmals zurück zum Altar von St. Peter Ording.

Könnte es sein, dass der Künstler das Kind ganz bewusst und absichtlich weggelassen hat, weil unseren Blick nicht am kindlichen Jesus hängen bleiben soll? Für viele Menschen ist Jesus eben nur das „Christkind“. Als Kind wird er mir nicht gefährlich. In ein Kind kann ich all meine Sehnsüchte hineinlegen, ohne dass ich mich selbst ändern muss.

 

Der Jesus aber, den das Evangelium verkündet, den wir vorhin im Kyrie angerufen haben, den wir im Gloria verherrlichen und den auch das Weihnachtsevangelium schon im Blick hat, dieser Jesus ist der, der durch Leiden und Tod zur Auferstehung gelangt ist. Es ist der erhöhte Herr.

Auch an Weihnachten, da wir uns seines irdischen Anfangs vergegenwärtigen, geht es um den erwachsenen Bruder und Herrn. Es geht um Jesus Christus, der das Reich Gottes verkündigt und es in seinen Taten und Worten sichtbar gemacht hat, Jesus Christus, der uns in seine Nachfolge ruft.

 

Wenn unser Lebensweg sich vollendet, jenseits der Todesgrenze, dann begegnen wir diesem „großen“ Christus. Und am Ende der Zeit, so glauben und bekennen wir, kommt er „in Macht und Herrlichkeit“. – Sehen Sie: Auf diesen Christus sollen wir uns einstellen, nach ihm uns ausrichten, aus seinem Geist leben. Vielleicht hat der Künstler daran gedacht, als er unseren Augen verweigerte, das Kind Jesus zu sehen.

 

Ich könnte mir noch eine weitere Möglichkeit vorstellen. Vielleicht sollte das Weglassen des Kindes uns Christen daran erinnern, dass wir selbst der Ort der Anwesenheit Jesu Christi werden und sein können. Dass unser eigenes Herz zur „Krippe“ werden kann und soll? Das Herz, mit dem wir uns ängstigen, mit dem wir hoffen und glauben und lieben, das lebendige Herz des einzelnen Menschen als Ort für Jesus, als Wohnung seiner Liebe.

„Wird Christus tausendmal in Bethlehem geboren und nicht in dir, du bleibst noch ewiglich verloren.“ (Angelus Silesius)

 

Liebe Schwestern und Brüder!

Die leere Krippe erinnert mich an noch etwas, nämlich daran, dass jeder Christ ein Christophorus, ein Christusträger ist. Durch die Taufe „wohnt“ Christus in mir. Ich bin Wohnort seiner Liebe. Und immer aufs Neue kommt er zu mir und schenkt sich mir in heiliger Kommunion. Aber nicht nur in mir, in jedem ringsum, auch in den Geringsten, lebt Christus.

Die leere Krippe enthält die Aufforderung, Jesus zu suchen, nicht im Damals, sondern im Heute. Und ihn zu finden und ihm zu begegnen im lebendigen Menschen, besonders auch im Schwachen, im Armen, im Kranken…

 

Vielleicht habe ich Jesus auch nur einen Stall zu bieten, einen alten Trog mit Stroh. Doch das Evangelium sagt es ganz zuverlässig und gewiss: Davor fürchtet ER sich nicht! – Aber vielleicht fürchte ich mich davor, dass er in mich eindringt, mich ergreift u. in meinem Innern einen Umsturz verursacht?

 

Liebe Schwestern und Brüder!

Der heilige Franziskus hat drei Jahre vor seinem Tod seine Brüder und die Leute vom Rietital zur nächtlichen Weihnachtsfeier in den Wald von Greccio eingeladen. Er ließ eine echte Futterkrippe aufstellen, Heu hineinlegen und Ochs und Esel herbeiführen. Und dann hat er in jener Nacht als Diakon bei der hl. Messe das Evangelium gesungen und gepredigt. Und, so wird berichtet, er habe es mit solcher Innigkeit und Leidenschaft getan, derart ergriffen und hingerissen, dass plötzlich einer der Anwesenden eine Vision hatte. Er sah in der Krippe das Jesuskind liegen – erst wie leblos. Dann sah er den heiligen Franziskus hinzutreten, „und es war“, sagt die Lebensbeschreibung des Heiligen, „als erwachte jetzt das Kind aus tiefem Schlaf.“ Weiter heißt es: „Dieses Gesicht war voll tiefer Wahrheit. Denn war nicht das Jesuskind in den Herzen vieler dem geistlichen Tod der Vergessenheit anheimgefallen? Und wurde es nicht in ihnen durch die Gnade Gottes und durch den Dienst des heiligen Franziskus zu neuem Leben erweckt und unvergesslich der Erinnerung eingeprägt?“

 

Liebe Schwestern und Brüder!

Was damals „Dienst“ des Franziskus war, ist heute Dienst der Kirche an uns und unser Dienst an den Menschen: Die Leere mit dem lebendigen Christus zu füllen!