|
||||
Nur ein Strohhalm (Weihnachtspredigt)
|
||||
In einer Weihnachtsgeschichte* wird erzählt, dass ein junger Hirte von der Krippe etwas mitgenommen hat. Ganz fest in der Hand hat er es gehalten. Die anderen haben es erst gar nicht gemerkt. Bis auf einmal einer sagte: „Was hast denn du da in der Hand?“ „Einen Strohhalm“, sagte der, „einen Strohhalm aus der Krippe, in der das Kind gelegen hat.“ „Einen Strohhalm“, lachten die anderen, „das ist doch nur Abfall. Wirf das Zeug weg!“ Aber er schüttelte nur den Kopf. „Nein“, sagte er, „den behalte ich. Für mich ist er ein Zeichen für das Kind. Jedes Mal wenn ich den Strohhalm in der Hand halte, dann werde ich mich an das Kind erinnern und was es mir sagen will.“
Und was will dieses Kind uns sagen, liebe Schwestern und Brüder?
Eine ältere Frau berichtet: „Viele Jahre habe ich das Bild des strafenden, zornigen Gottes mit mir herumgetragen. Ich hatte Angst vor Gott. Er sah alles und wusste alles, was ich machte. Und ich glaubte immer, er würde mich für meine Sünden schrecklich bestrafen. – Dann aber habe ich geheiratet und wurde Mutter. Mein Kind in der Wiege, das änderte dann auch plötzlich mein Bild, das ich von Gott hatte. Das Weihnachtsevangelium vom Kind in der Krippe erfüllte mich von jetzt an mit großer Freude. Wenn Gott seinen Sohn als hilfloses Kind schickt, brauche ich keine Angst vor ihm zu haben. Ein Gott, der das tut, kann kein strafender, zorniger Gott sein, wie man uns früher Gott beigebracht hat. Ein Gott, der sich so klein macht, das muss ein liebender Gott sein.“
Ein Gott, der sich so klein macht, ein Gott, der ein Kind wird, hilflos, ausgeliefert, abhängig, angewiesen, das muss ein liebender Gott sein, sagte die Frau. Ja, Gott hat eine ganz große Liebe zu den Menschen. Das will uns das Kind in der Krippe ganz deutlich sagen. Das ist die Botschaft von Weihnachten.
Und wie ist es mit dem jungen Hirten und seinem Strohhalm weitergegangen? Am nächsten Tag, da fragten die Hirten ihn: „Hast du deinen Strohhalm immer noch? Ja? Mensch, wirf ihn weg! Wertloses Zeug ist das doch. Er antwortete: „Nein, das ist nicht wertlos. Das Kind Gottes hat darauf gelegen.“ – „Na und?“ lachten die anderen. „Das Kind ist wertvoll, doch nicht das Stroh.“ „Ihr habt Unrecht“, sagte der Hirte, „das Stroh ist schon wertvoll. Worauf hätte das Kind denn sonst liegen sollen, arm wie es ist? – Nein, mir zeigt das: Gott braucht das Kleine, Wertlose. Ja Gott braucht uns, die Kleinen, die, die nicht viel können, die nichts wert sind.“
Ist das nicht eine frohe Botschaft für uns alle, die wir uns oft so klein, so wertlos und überflüssig vorkommen? Frohe Botschaft für Menschen, die keine Arbeit haben; für junge Leute, die keine Lehrstelle finden; für Kranke, die sich oft so nutzlos und abgeschrieben vorkommen. Frohe Botschaft für Menschen, die trauern, weil sie einen lieben Menschen verloren haben und sich nun schrecklich allein und verlassen fühlen?
Ist das nicht eine tröstende und Mut machende Botschaft für alle, die sich wie das fünfte Rad am Wagen fühlen, wenig geachtet, missachtet, von oben herab behandelt, erniedrigt, klein gehalten, ausgenützt? Frohe Botschaft für alle, die sich ungenügend, wertlos und austauschbar vorkommen?
In unserer Gesellschaft und auch in unserer Umgebung, da sind wir oft nur so viel wert als wir leisten. Wir sind gemocht, solange wie wir spuren. Wir sind akzeptiert, solange wir den Erwartungen anderer entsprechen. Weihnachten lässt und das Gegenteil erfahren. Da wendet sich uns Gott zu in einem kleinen, wehrlosen Kind und schenkt uns seine Liebe. Er macht sich selber ganz klein und unscheinbar, wird niedrig und gering. Und er erwählt und beruft die Unscheinbaren, die Geringen, die Kleinen – denken wir an Maria und Josef und an die Hirten. Weihnachten sagt uns: Gott braucht uns, auch wenn wir meinen, nicht viel zu können, nicht viel wert zu sein, uns, die wir uns manchmal niedergedrückt fühlen, ausgenutzt vorkommen Gott wird Mensch, um unsere Angst, unsere Trauer und unsere Gebrechlichkeit anzunehmen. Gott wird Mensch, damit ich, damit wir Mensch sein können – in aller Schwachheit und Niedrigkeit.
Ja, der Strohhalm aus der Krippe war dem jungen Hirten wichtig. Wieder und wieder nahm er in die Hand. Eines Tages aber nahm ihm einer der anderen Hirten den Strohhalm weg und schrie wütend: „Du mit deinem Stroh! Du machst mich noch ganz verrückt damit!“ Und er zerknickte den Halm wieder und wieder und warf ihn auf die Erde. Der junge Hirt stand ganz ruhig auf, hob den Strohhalm auf, strich ihn wieder glatt und sagte zum anderen: „Sieh doch – er ist geblieben, was er war: ein Strohhalm. Deine ganze Wut hat daran nichts geändert. – Sicher, es ist leicht einen Strohhalm zu knicken. Und du denkst: Was ist schon ein Kind, wo wir einen starken Helfer brauchen. Aber ich sage dir: Aus dem Kind wird ein Mann und der wird nicht totzukriegen sein. Er wird die Wut der Menschen aushalten, ertragen und bleiben was er ist: Gottes Retter für uns. Nein! Gottes Liebe ist nicht kleinzukriegen!“
Manche von uns werden es aus ihrer Lebenserfahrung bestätigen: Es stimmt, Gottes Liebe ist nicht kleinzukriegen! Da gelingt das Leben nicht so, wie man es erwartet hat: Die Familie ist nicht der Ort der Geborgenheit. Die Kinder gehen andere Wege als man gehofft hat. Eine schwere Krankheit wirft von heute auf morgen alles über den Haufen, alle Zukunftspläne sind zunichte. Eine Freundschaft zerbricht, ein lieber Mensch wird einem plötzlich durch den Tod entrissen.
Da kommen Zweifel an der Liebe Gottes. Da kommt sogar Wut auf gegenüber diesem Gott, der das alles zulässt. Da beginnt man zu klagen und zu hadern. Und nach langen Ringen mit ihm, nach langer Zeit des Kampfes tritt plötzlich Ruhe ein. Ich vermag Gottes Liebe wieder zu spüren und kann bestätigen: Gottes Liebe ist nicht kleinzukriegen.
Da sind wahrscheinlich welche unter uns, die befinden sich noch in dieser Phase der Ohnmacht, der Wut und des Ringens. Sie können an Gottes Liebe nicht glauben: „Du mit deinem Gott!“ sagen sie vielleicht. „Warum lässt Gott mich so leiden? Wo ist denn dein Gott mit seinem Trost, mit seiner Hilfe, mit seiner Kraft?“
Ich lade Sie ein, heute gleichsam einen „Strohhalm aus der Krippe“ zu nehmen und ihn – wie der junge Hirt in der Geschichte – zu umklammern und nicht loszulassen. Halten Sie den „Strohhalm“ fest in Angst und Einsamkeit! Umfassen Sie ihn in Leid und Dunkelheit! Verlieren Sie den „Strohhalm von der Krippe“ auch im Dickicht des Alltags nicht! Glauben Sie mir: er hält alle Anklagen, alle Vorwürfe und Wutanfälle aus. Er gibt Mut und Vertrauen. Er schenkt Licht und Hoffnung.
Bitten wir das Kind in der Krippe, dass es uns seine Liebe erfahren lässt, dass es uns an seine Liebe glauben und auf Gott vertrauen lässt!
Lied: Meine Hoffnung und meine Freude, meine Stärke, mein Licht. Christus meine Zuversicht, auf dich vertrau ich und fürcht mich nicht, auf dich vertrau ich und fürcht mich nicht.
*Hirtengeschichte – frei wiedergegeben nach einer Erzählung aus Mexiko |
||||
|