geistliche Impulse

www.pius-kirchgessner.de

Predigt

von P. Pius Kirchgessner, OFMCap

 

„Du bist mein geliebtes Kind“

Fest der Taufe des Jesu

1. Sonntag im Lesejahr C; Lk 3, 15 - 16, 21 - 22

 

EVANGELIUM 

Jesus ließ sich taufen; und während er betete, öffnete sich der Himmel

+Aus dem heiligen Evangelium nach Lukas

In jener Zeit

15war das Volk voll Erwartung, und alle überlegten im Stillen, ob Johannes nicht vielleicht selbst der Christus sei.

16Doch Johannes gab ihnen allen zur Antwort: Ich taufe euch nur mit Wasser. Es kommt aber einer, der stärker ist als ich, und ich bin es nicht wert, ihm die Riemen der Sandalen zu lösen. Er wird euch mit dem Heiligen Geist und mit Feuer taufen.

21Es geschah aber, dass sich zusammen mit dem ganzen Volk auch Jesus taufen ließ. Und während er betete, öffnete sich der Himmel,

22und der Heilige Geist kam sichtbar in Gestalt einer Taube auf ihn herab, und eine Stimme aus dem Himmel sprach: Du bist mein geliebter Sohn, an dir habe ich Wohlgefallen gefunden.

 

 

In einer Morgenandacht im Radio habe ich einmal folgende Begebenheit gehört, die mich sehr beeindruckt hat:

 

Tanja, sechs Jahre alt, wird wenige Tage vor dem Weihnachtsfest in ein Kinderheim gebracht. Ein Verbleiben in der Familie ist wegen der zerrütteten häuslichen Verhältnisse nicht mehr möglich. – Am Heiligabend hat die Gruppenleiterin für die ihr Anvertrauten alles sehr liebevoll vorbereitet: in der Mitte des Zimmers einen großen Christbaum, für jedes Kind ein Gedeck und schöne Geschenke: Malbücher und Farbstifte, Kaufläden und Playmobiles… Die Augen der Kinder strahlen. Nur Tanja sitzt teilnahmslos da. Die Kinder singen zaghaft ein Weihnachtslied.

Dann wird Tanja aktiv: Sie wirft ihre Puppe auf den Boden, dann folgt der Teller und die Tasse; auch die Geschenke der anderen Kinder fliegen durch die Luft. Als Tanja auf den Christbaum losgeht, hält die Gruppenleiterin sie fest. Während alle Kinder wie erstarrt dastehen, legt die Gruppenleiterin ihre Arme um Tanja und sagt in ganz ruhigem Ton: „Tanja, wie traurig bist du! Wie dunkel ist es jetzt in deinem Herzen! Gell, du kannst dich gar nicht richtig freuen!“

 

Während die Gruppenleiterin Tanja fest in ihren Armen hält und an sich drückt, räumen die Kinder wortlos alles wieder auf, holen ihre Spielsachen und fangen an, sich ganz leise zu unterhalten, zu spielen und zu lachen.

Tanja aber löst sich nicht mehr aus der schützenden Umarmung ihrer Gruppenmutter. Kein Wort des Vorwurfs oder der Zurechtweisung oder der Ermahnung, weder von der Gruppenmutter noch von den Kindern!

 

Nach gut einer halben Stunde spielt auch Tanja wieder mit ihren Spielsachen. Und ein anderes Kind setzt sich zu ihr. Tanjas Augen sind noch ernst, aber sie beginnt sich umzuschauen.

 

Was hat sich hier ereignet? Die Gruppenleiterin hat Tanjas Not erkannt, sich zu ihr gesellt und sich verstehend mit ihr solidarisiert. Die Folge: Tanja fühlt sich verstanden. Sie fühlt sich angenommen. Jetzt wurde ihr ein wenig von der Liebe zuteil, die sie zu Hause in der zerrütten Familie nie bekommen hat.

 

Zurechtweisungen, moralische Appelle oder Bestrafung hätten das Herz des Kindes nicht nur nicht erreicht, sondern es vollends verschlossen. Hilfe durch Verständnis, durch bedingungslose Annahme. Hilfe durch Solidarisierung, Solidarisierung nicht mit der Schuld, wohl aber mit dem Schuldigen.

 

Liebe Schwestern und Brüder!

Solidarisierung ist auch der Weg, auf dem Gott den Menschen rettet. Die Solidarisierung Gottes haben wir an Weihnachten gefeiert. Gott wird Mensch, einer von uns.

Hildegard von Bingen drückt es so aus: „In der Herabkunft des Wortes Gottes hat uns alle mütterliche Liebe umarmt.“

 

Aber auch heute – bei der Taufe Jesu im Jordan – ereignet sich Solidarisierung, und das gleich mehrfach:

 

Da heißt es als erstes im Evangelium: „Zusammen mit dem ganzen Volk.“ Jesus, einer aus dem Volk, Jesus, einer von vielen, die zu Johannes dem Täufer hinausgehen. Jesus, ganz bei den Menschen, Jesus, ganz Mensch. Erste Solidarisierung!

 

Dann heißt es weiter: „…ließ auch Jesus sich taufen.“

Die Taufe des Johannes war eine Taufe der Umkehr, eine Taufe zur Vergebung der Sünden. Obwohl ohne Sünde, lässt auch Jesus sich taufen – wie ein Sünder! Tiefe Teilnahme am Geschick der Menschen. Zweite Solidarisierung! (Später wird er sich mit den Sündern an denselben Tisch setzen und sich in einer Reihe mit zwei Verbrechern kreuzigen lassen.)

Die dritte Solidarisierung: „…während er betete.“ Jesus betet, wie Menschen beten, die der Hilfe bedürfen. Auch hier: Jesus ganz solidarisch.

 

Liebe Schwestern und Brüder!

Gott wählt zu unserer Rettung die Solidarisierung. In einem Weihnachtslied singen wir: „Entäußert sich all seiner Gewalt, wird niedrig und gering. Nimmt an sich eines Knechts Gestalt – der Schöpfer aller Ding.“

Und warum? Aus Liebe. „Für uns und um unseres Heiles willen“, so bekennen wir im Credo.Und Jesus selbst sagt später von sich und seiner Sendung: „Ich bin gekommen, um zu suchen, was verloren war und zu heilen, was verwundet ist.“

 

Liebe Schwestern und Brüder!

Das Fest der Taufe Jesu verdeutlicht das Weihnachtsgeheimnis: So also ist Gott! In Jesus legt er vorbehaltlos seine Arme um alle Menschen, nimmt sie an in ihren Zerbrochenheiten, in ihren Widersprüchen und Niedergedrücktheiten. Er beschuldigt nicht die Sündenböcke, sondern wird selbst zum „Sündenbock“, der sich in die Wüste schicken bzw. ans Kreuz schlagen lässt.

Er ist nicht gekommen, um unsere Sünden aufzurechnen, sondern sie auf sich zu nehmen.

 

Liebe Schwestern und Brüder!

Aus dem geöffneten Himmel bei der Taufe Jesu ertönen keine Vorwürfe, keine Zurechtweisungen und keine moralischen Apelle. Vielmehr tut sich Hoffnung kund, Hoffnung in aller Hoffnungslosigkeit. Wenn überhaupt ein Apell, dann der: „Lass dich in Gottes Arme nehmen!“

 

Wer einen solchen Gott erlebt, wird ein neuer Mensch. Und kann selbst zu einem Zeichen der Hoffnung für andere werden. Das hat der Zöllner Zachäus erfahren und Maria von Magdala. Das hat die von den Gesetzeshütern angeklagte Ehebrecherin erlebt und der reumütige Verbrecher neben Jesus am Kreuz.

 

Wo wir sagen: verloren, sagt er: gefunden. Wo wir sagen: verdammt, sagt er: gerettet. Wo wir nein sagen, sagt er doch ja.

 

Liebe Mitchristen!

Vor allem selbsterlösenden Tun – und die Versuche diesbezüglich sind heute weit verbreitet – vor allem Leistungsdenken, das für unsere Zeit typisch ist und das als Häresie da und dort auch in kirchliches Denken Einzug gehalten hat, vor all dem steht Gottes Tun, vor all unseren Verdiensten seine Gnade.

 

Gläubig ist der, der sich diesem gnädigen Handeln Gottes täglich neu von Grund auf anvertraut. Aus solchem Gottvertrauen erwachsen Gelassenheit und Geduld, froher Mut und gläubige Zuversicht.

 

Ein geistlicher Meister hat seine Schüler einmal gefragt:

„Worin besteht die rechte Gottesfurcht.“ Und sie antworteten: „Dass man Gott liebt.“ – Der Meister aber schüttelte den Kopf und sagte: „Nicht darin, dass ihr denkt, wir lieben Gott, besteht die rechte Gottesfurcht. Wer denkt: Ich liebe Gott, der steht noch unter Zwang. So sollt ihr sprechen: Ich glaube fest, dass Gott mich liebt. Das ist die rechte Gottesfurcht.“

 

Von Basil Hume, dem früheren Erzbischof von Westminster in London, stammt folgender Ausspruch: „If you turn to me and ask: Are you in love with God? (Wenn du mich fragst: Liebst du Gott?) I woudt pause, hesitate and say (Ich würde innehalten und zögernd antworten): I am not certain. (Ich bin nicht sicher). But one thing I am certain (Aber eines weiß ich gewiss): that he is in love with me. (dass er mich liebt).“

 

Ihre Enkelin Claudia sei gerade drei Jahre alt geworden, erzählt Frau Müller. Aber über Gott habe sie mit der Kleinen noch nie gesprochen. „Es ist ja auch nicht leicht, heutzutage mit Kindern über Gott zu reden. Wir tun uns ja selbst so schwer, wir Erwachsene untereinander“, meint Frau Müller. – Aber, so die Großmutter, vor kurzem habe sie es dann doch gewagt. Das sei so gekommen. Claudia sei zornig gewesen und habe immer wieder geschrien: „Hau ab, Omi, ich will dich nicht mehr!“ – Darauf habe sie, ruhig, aber bestimmt, der Kleinen geantwortet: „Hörst du, Claudia, ich mag dich; ich mag dich immer, ob du nun böse bist oder zornig oder nicht. Ich hab dich einfach lieb. Immer, auch wenn du schlägst und fauchst…“ – Die Kleine war sprachlos, hielt inne, streckte dann die Arme aus und drückte die Großmutter fest an sich. – Später, über das Erlebte nachdenkend, meinte Frau Müller: „Jetzt wurde mir klar: ich habe der Kleinen etwas über Gott sagen können, ohne direkt von Gott zu sprechen.“ Dann fügte sie hinzu: „Eigentlich möchte ich immer so von Gott reden.“

 

Papst Giovanni verließ an Weihnachten 1958 – erstmals nach Jahrhunderten – als Papst den Vatikan. Er besuchte das Kinderheim „Gesù Bambino“ und das Gefängnis „Regina Coeli“.

 

Zu den Gefängnisinsassen sagte Johannes XXIII. wörtlich:

„Es ist unmöglich, auszudrücken, was in meinem Herzen vorgeht, während ich zu euch spreche. … Meine Augen blicken in eure. … Ich drücke mein Herz an eures. …“ – In der Abteilung für Schwerverbrecher fiel ein verurteilter Mörder vor ihm auf die Knie und bettelte: „Kann auch so einer wie ich Vergebung finden?“ – Statt einer Antwort hob Johannes den Gefangenen auf und umarmte ihn.

 

Wie oft und „wie zart muss mir gesagt werden, dass ich geliebt bin, bis ich es wirklich glauben kann“, so fragt Andreas Knapp in einem Gedicht über die Taufe Jesu.

 

Manchmal ist es gar nicht so einfach an die Liebe zu glauben. Aber auch bei unserer Taufe hat sich der Himmel geöffnet und Gott hat gesprochen: „Du bist mein geliebtes Kind!“

 

Aus dieser Liebe können wir leben, können sie erwidern und – so gut wir können – an andere weitergeben.

 

Amen