geistliche Impulse

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Predigt

von P. Pius Kirchgessner, OFMCap

 

Vergebung: eine Gabe des Heiligen Geistes

Pfingstpredigt 2021 – Joh 20, 19 - 23

 

 Evangelium

Wie mich der Vater gesandt hat, so sende ich euch: Empfangt den Heiligen Geist!

+ Aus dem heiligen Evangelium nach Johannes

19Am Abend des ersten Tages der Woche, als die Jünger aus Furcht vor den Juden bei verschlossenen Türen beisammen waren, kam Jesus, trat in ihre Mitte und sagte zu ihnen: Friede sei mit euch!

20Nach diesen Worten zeigte er ihnen seine Hände und seine Seite. Da freuten sich die Jünger, als sie den Herrn sahen.

21Jesus sagte noch einmal zu ihnen: Friede sei mit euch! Wie mich der Vater gesandt hat, so sende ich euch.

22Nachdem er das gesagt hatte, hauchte er sie an und sagte zu ihnen: Empfangt den Heiligen Geist!

23Denen ihr die Sünden erlasst, denen sind sie erlassen; denen ihr sie behaltet, sind sie behalten.

 

 

Es war in Südfrankreich Ende der Fünfziger-Jahre. Ein Augenzeuge hat es berichtet. Evangelische Soldaten aus den westeuropäischen Ländern trafen sich. Deutsche, Engländer, Franzosen, Dänen, Norweger, Belgier, Holländer und in Europa stationierte Amerikaner. Es gab Reden, Gesprächskreise und eine Reihe Möglichkeiten, um einander zu begegnen und sich kennenzulernen. Und es gab einen gemeinsamen Gottesdienst.

 

Als der letzte Tag zu Ende ging, saßen alle im weiten Rund auf der Erde. In der Mitte brannte ein mächtiges Lagerfeuer. Sie sangen, sie redeten und lachten. – Da bat ein schmaler junger Belgier, man möge ihm erlauben, zu der Versammlung ein paar Worte zu sagen.

 

„Ich muss euch etwas erzählen, Freunde. Ich war im vergangenen Krieg ein kleiner Junge und lebte in Belgien. Mein Vater und meine Mutter wurden von der Nazi-SS erschossen. Ich habe mir geschworen, die Mörder meiner Eltern mein ganzes Leben lang zu hassen.

Nun bin ich hierhergefahren, weil ich hoffte, französische Freunde zu treffen. Ich wusste nicht, dass auch Deutsche hier sein würden. Ich wäre sonst nicht gekommen. Denn es ist unmöglich zu vergessen. Ich kann nicht vergessen. Ich kann nicht vergeben. Nein, es ist unmöglich. So habe ich mir vom ersten Tag an gesagt. Ich wollte nun eben so tun, als wären die Deutschen nicht hier. Es war zu schrecklich, was sie mir und meiner Familie angetan hatten.

Nun, heute Morgen beim Gottesdienst unter den Kastanien, da war neben mir ein Platz frei. Ein Deutscher kam und setzte sich neben mich. Ihr wisst, es war kalt heute Morgen. Ich hatte einen Umhang, der Deutsche neben mir nicht. Da legte ich meinen Umhang um uns beide. Aber ich sagte mir: Er ist nicht dein Freund. Er ist ein Deutscher. Du musst ihn hassen. Er wusste es natürlich nicht und lachte mich an.

Nachher beim Abendmahl standen wir vorn am Altar wieder nebeneinander. Da wusste ich: Christus ist nicht nur für uns, sondern auch für diese Deutschen gestorben. Und ich entdeckte, dass auch die Deutschen Brüder sind, dass sie nicht dreckige Boches sind, wie wir sie abfällig nennen, sondern Brüder, auch Brüder im Glauben. Das ist alles, was ich sagen wollte.“

 

Nicht wahr, liebe Schwestern und Brüder, ein eindrückliches Erlebnis, ein berührendes Glaubenszeugnis – und, wie ich meine – eine Erfahrung des Heiligen Geistes. Denn der Geist Gottes ist immer ein Geist der Versöhnung, nicht der Vergeltung, ein Geist der Vergebung und nicht der Rache, ein Geist des Friedens und nicht des Hasses.

Gottes Geist bewegt die Herzen, wenn Feinde wieder miteinander sprechen und Gegner sich die Hände reichen. Wenn es uns gelingt, das menschlich gesehen Unverzeihliche zu verzeihen – aus Liebe zu Jesus und in der Kraft seines Geistes – da sind wir der Liebe Gottes ganz, ganz nah.

 

Liebe Schwestern und Brüder!

Wie wir mit Versagen, Unrecht und Schuld umgehen, das zeigt aus welchem Geist wir leben. Nach menschlichem Ermessen scheint Vergebung oft nicht möglich zu sein, weil das Unrecht zu groß ist und die Wunden so tief. Da braucht es Gottes Geist, um in allem Leid und Schmerz Neues zu denken, Neues zu beginnen, Vertrauen zu wagen und über Mauern des Hasses und der Feindschaft sich die Hände zu reichen.

 

Und genau dazu fordert Jesus im Evangelium heute seine Jünger auf. Er sagt: „Wie mich der Vater gesandt hat, so sende ich euch!“ Und zu dieser Sendung gehört als Grundauftrag der Kirche und aller Jünger und Jüngerinnen Jesu ganz wesentlich die Vergebung von Schuld. Gottes Geist schenkt Bereitschaft zur Versöhnung. Die Devise lautet nicht mehr: „Wie du mir so ich dir“, sondern „wie der Vater“ und „wie ich“, „so ihr“!

In der Nachfolge Christi sind wir berufen und befähigt, Schuld zu vergeben. „Wie der Herr euch vergeben hat, so vergebt auch ihr!“ – „Seid barmherzig, wie euer Vater im Himmel barmherzig ist!“ – „Vergib uns unsere Schuld, wie auch wir vergeben (haben) unseren Schuldigern!“

 

Ist Vergebung möglich? Das Evangelium spricht davon als pfingstliche Gabe des Geistes. In seiner Kraft können wir hinter uns lassen, was uns verwundet und wehgetan hat. In seiner Kraft können wir Gräben zuschütten, Brücken bauen und einander den neuen Anfang schenken. „Wem ihr die Sünden vergebt, dem sind sie vergeben“, sagt Jesus

 

Aber es gibt auch die andere Möglichkeit – und auch der junge Belgier in der Geschichte hätte sie gehabt –, wenn er sich dem Geist Gottes, dem Geist der Versöhnung verschlossen hätte und stur bei seinen Hass- und Feindesgedanken geblieben wäre.

Denn das stimmt auch: „Wem ihr die Sünden behaltet“ – und das heißt: die Vergebung verweigert – „dem sind sie behalten“ – und damit die Vergebung verweigert. Kein Pardon! Auch das gibt es. Wie oft erleben wir es! Das Festhalten und Festschreiben von Sünde und Schuld.

 

Ganz anders Papst Johannes XXIII. An Weihnachten 1958 verließ er erstmals nach Jahrhunderten als Papst den Vatikan. Er besuchte das Kinderheim Gesu Bambino und das Gefängnis Regina Coeli.

Zu den Gefängnisinsassen sagte er wörtlich: „Es ist unmöglich auszudrücken, was in meinem Herzen vorgeht, während ich zu euch spreche… Meine Augen blicken in eure… Ich drücke mein Herz an eures…“ – In der Abteilung für Schwerverbrecher fiel ein verurteilter Mörder vor ihm auf die Knie und bettelte: „Kann auch so einer wie ich Vergebung finden?“ – Statt einer Antwort hob Johannes den Gefangenen auf und umarmte ihn.

 

Da kommt mir das Bild vom barmherzigen Vater und vom verlorenen Sohn in den Sinn. Keine Vorwürfe, keine Strafandrohung, keine Bußforderung! Im Gegenteil: herzliche Umarmung, bedingungslose Aufnahme und vorbehaltlose Annahme. Es gibt keine Schuld, die Gott nicht vergeben könnte. Größer als alle Schuld ist seine Liebe.

 

Liebe Schwestern und Brüder!

Beten wir um die Kraft zur Vergebung! Beten wir um diese pfingstliche Gabe, damit wir den Frieden im Herzen spüren, den der Auferstandene durch seinen Geist schenken will.

Und öffnen wir uns für diesem Geist! Geben wir IHM Raum in unserem Denken, Reden und Tun! Lassen wir uns von IHM inspirieren und bewegen! Lassen wir uns von IHM ermutigen und leiten!