geistliche Impulse

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Predigt

von P. Pius Kirchgessner, OFMCap

 

Ansprache bei einer Gedenkfeier für Verstorbene

 

Liebe Angehörige der Menschen, die hier im Kreszentiastift gelebt haben und die in den zurückliegenden Monaten verstorben sind, liebe Mitbewohner und Mitbewohnerinnen, liebe – im Kreszentiastift – Pflegende, Angestellte und Mitarbeitende!

 

 

Wir haben soeben eine schöne und – ich muss sagen – sehr berührende Geschichte von zwei Blättern gehört. Die beiden Blätter unterhalten sich miteinander. Sie denken über ihr Leben nach. Sie erinnern sich, wie sie einst leuchtend grün waren, lebendig, frisch und voll Energie.

Jetzt hängen sie verwelkt, saftlos und kraftlos an einem kahlen Ast. Viele ihrer Freunde sind bereits gefallen. Sie spüren die Kälte und Einsamkeit.

 

In dem Gespräch der beiden Blätter kommen Sätze vor wie: „Ich habe Angst vor dem, was kommt.“ „Ich möchte festhalten…, aber ich weiß, dass ich loslassen muss.“ Und: „Es ist schwer Abschied zu nehmen.“ Am Schluss löst ein Windstoß eines der Blätter und es fällt sanft zur Erde.

 

Liebe Schwestern und Brüder!

Mir kommt vor: In den beiden Blättern können wir uns selbst ganz gut wieder finden. Und je älter wir sind, desto besser und desto mehr.

 

Sind ihre Gedanken nicht oft auch unsere Gedanken?

Kennen wir nicht auch dieses selige Sich-Erinnern an frühere Zeiten, wo wir mitten im Leben standen, jung, dynamisch, fit, voll Kraft und Energie? Und ist das bange Fragen der beiden Blätter – z.B. wie es weitergeht und was noch kommt – nicht oft auch unser Fragen? Sind Ihre Unsicherheiten und Ängste nicht oft auch unsere Unsicherheiten und Ängste?

Zum Beispiel die Angst, letztlich nichts festhalten zu können, sondern loslassen und Abschied nehmen zu müssen?

 


 

Liebe Schwestern und Brüder!

Es gibt Momente im Leben, da steht die Welt für einen Augenblick still. Der Tod eines lieben Menschen, eines nahen Angehörigen oder Freundes ist so ein Moment, wo die Welt für einen Augenblick stillsteht. Und wenn sie sich dann wieder weiterdreht, dann kann es sein, dass nichts mehr ist, wie es vorher war.

 

Wir gedenken heute all der Menschen, die hier im Kreszentiastift im letzten halben Jahr verstorben sind. Einen Menschen zu verlieren ist immer schmerzlich. Solches hergeben, loslassen müssen ist – wie bei den beiden Blättern – nicht immer einfach. Es kann schwerfallen, es kann bitter sein und es kann weh tun, unter Umständen sehr weh. – Ganz besonders schmerzlich ist es für diejenigen, die dem oder der Verstorbenen nahestanden, denen er oder sie lieb und teuer war.

 

Das sind zuerst natürlich die nächsten Angehörigen, die unmittelbar betroffen sind und die den Verlust des geliebten Menschen am meisten spüren. – Das sind aber vielleicht auch Mitbewohner, die ihre Zimmernachbarin vermissen oder jemanden, der einfach zu ihnen gehört hat auf der Station – wie in einer großen Familie. – Auch für die Pflegenden ist es schmerzlich, Menschen zu verlieren, die ihnen über Wochen, Monate, vielleicht Jahre – bei der Pflege, beim Da-Sein für sie, beim Sich-Kümmern um sie – vertraut geworden oder sogar ein Stück weit ans Herz gewachsen sind.

 

Bei manchen ist erst eine kurze Zeit vergangen und deshalb ist die Trauer noch groß und heftig. Bei anderen liegt der Abschied schon länger zurück und es ist womöglich bereits wieder Alltag eingekehrt. Das Leben geht ja weiter. – Und trotzdem ist nichts mehr wie vorher. Eine Lücke ist geblieben, die niemand sonst ausfüllen kann. Denn jeder Mensch ist auf seine Art einzigartig und liebenswert.

Und, so denke ich, ist es hilfreich und gut, Trauer nicht zu unterdrücken, sondern sie zuzulassen und ihr Raum zu geben.

 

Das geschieht auch in dieser Stunde, wenn nachher die Namen der Verstorbenen genannt werden, wenn für jede und jeden von ihnen eine Kerze angezündet wird und wenn wir für unsere Verstorbenen beten.

 

Hilfreich, heilsam und gut scheint es mir aber zu sein, wenn es heute aus Anlass dieser Gedenkfeier nicht bei der Trauer und beim Schmerz über den Verlust und die Lücke bleibt, die der oder die Verstorbene hinterlassen hat, sondern wenn auch Dankbarkeit aufkommt, Dankbarkeit für diesen einzigartigen Menschen, dass Sie, dass wir ihn gehabt haben, dass wir ihn kennenlernen und mit ihm zusammen sein durften. Dankbarkeit für all das Gute und Schöne, das wir durch ihn erfahren oder mit ihm erlebt haben.

 

Dank für jedes gute Wort, das wir hören durften, Dank für jedes Zeichen der Liebe, das uns geschenkt wurde. Dank für den Humor, die Gelassenheit, den Frieden, den jemand ausgestrahlt hat, Dank für jahrelange, vielleicht jahrzehntelange Freundschaft oder Partnerschaft, Dank, dass jemand -bei allen Grenzen und Unvollkommenheiten – einfach ein lieber Mensch war. Dank womöglich auch für den Glauben, den die oder der Verstorbene bezeugt hat.

 

Liebe Schwestern und Brüder!

Manchmal fragen wir uns: Was wird aus denen, die hier im Leben zu uns gehört haben und die jetzt nicht mehr leben?

Und wo werden auch wir alle einmal hingehen? Wir haben da ganz unterschiedliche Vorstellungen. Und das darf auch so sein. Aber uns alle kann trösten, was der Apostel Paulus sagt:

 

„Ich bin gewiss: weder Tod noch Leben, weder Engel noch Mächte noch Gewalten, weder Gegenwärtiges noch Zukünftiges, weder Hohes noch Tiefes noch eine andere Kreatur (nichts, rein gar nichts) kann uns scheiden von der Liebe Gottes, die in Christus Jesus ist, unserem Herrn.“

 

Hier könnte gut und gern ein „Amen“ stehen. Ich möchte aber zum Schluss noch einmal den Bogen spannen zur Geschichte von den zwei Blättern, die sich unterhalten. Und ich möchte es tun mit dem Gedicht von Rainer M. Rilke, das den Titel trägt:

 

Herbst

Die Blätter fallen, fallen wie von weit,

als welkten in den Himmeln ferne Gärten,

sie fallen mit verneinender Gebärde.

 

Und in den Nächten fällt die schwere Erde

aus allen Sternen in die Einsamkeit.

Wir alle fallen. Diese Hand da fällt.

 

Und sieh dir andre an: es ist in allen.

Und doch ist Einer, welcher dieses Fallen

unendlich sanft in seinen Händen hält.

 

 

Mögen Sie Ihren Weg weitergehen können mit der gläubigen Zuversicht und mit der tröstenden Gewissheit, dass Gott den Menschen, den Sie gehen lassen mussten, für immer in seinen Händen hält. Und glauben Sie mir: Gottes Hände sind gute Hände. Es sind bergende und heilende Hände.