Worin lag das Zentrum des Wirkens Jesu?
Was war die Mitte seiner Predigt?
Was war der Sinn seiner Wunder?
Das Evangelium heute gibt uns die Antwort.
Jesus zitiert in der
Synagoge von Nazareth den Propheten Jesaja. Und das ist ein
Schlüsseltext für die Botschaft und das Wirken Jesu.
„Der Geist des Herrn ruht auf mir; denn
er hat mich gesalbt.
Er hat mich gesandt, den Armen die Heilsbotschaft zu bringen, den
Gefangenen die Befreiung und den Blinden das Augenlicht zu verkünden, um
die Zerschlagenen in Freiheit zu setzen und ein Gnadenjahr des Herrn
auszurufen.“
Nach der Lesung erklärt Jesus:
„Heute hat sich dieses Schriftwort erfüllt.“
In
IHM, in Jesus Christus erfüllt Gott seine Verheißungen.
Das
Gnadenjahr Gottes bricht mit ihm und in ihm an.
Jetzt ist endgültig und für immer Zeit des Erbarmens, Zeit der Gnade.
In
Jesus ist die Güte und Menschenfreundlichkeit Gottes in Person
erschienen.
In
ihm erbarmt sich Gott der Armen u. Kranken, der Gebeugten und
Schuldbeladenen.
Er
ist der Erlöser, der Heiland.
Das
alles ist nicht mehr Verheißung wie bei Jesaja, sondern Wirklichkeit.
Das
alles gilt nicht für irgendwann einmal, sondern erfüllt sich jetzt,
heute.
Dieses Heute bei Lukas erschüttert mich jedes mal von neuem:
„Heute
ist euch in der Stadt Davids der Heiland geboren!“
lautet die frohe Kunde der Engel an die Hirten von Bethlehem.
„Heute
ist diesem Hause Heil widerfahren!“
sagt Jesus dem
Oberzöllner Zachäus zu.
„Heute
noch wirst du bei mit im Paradieses sein!“
verspricht Jesus dem Schächer am Kreuz.
„Heute
haben sich die Verheißungen des Propheten an mir erfüllt.“
Ein
ungeheurer Anspruch steckt dahinter.
Heute! Mit mir, in mir!
Die
Worte aus Jesaja, die Jesus in der Synagoge seiner Heimatstadt vorliest,
sind der Schlüsseltext für das ganze Wirken Jesu.
Sie
machen die innerste Absicht Jesu deutlich, seinen Auftrag, seine
Sendung.
Sie
sind sozusagen sein „Programm“.
Ich habe eine Entdeckung gemacht.
In
einem Punkt nämlich gibt es eine Abweichung, einen Unterschied zwischen
Jesaja und Lukas.
Bei
Jesaja ist nicht nur die Rede vom Heil, sondern auch vom Gericht Gottes,
das bald kommen wird.
Wörtlich heißt es bei Jesaja: „...auszurufen ein Gnadenjahr des Herrn
und einen Tag der Rache für unseren Gott.“
Erstaunlich: bei Lukas steht von Rache nichts.
Er
hat es einfach weggelassen, gestrichen.
Jesu
Jesajazitat endet mit dem Gnadenjahr des Herrn.
Von
Rache ist nicht die Rede.
Das
ist kein Zufall, sondern Absicht!
Jesus rückt – Lukas zufolge – die Gnade und das Erbarmen Gottes ins
Zentrum. Der Heilswille Gottes ist sozusagen die große Überschrift,
unter der man das Leben Jesu betrachten muss.
Gottes Erbarmen, Gottes Güte und Huld ist der Schlüssel für das ganze
Wirken Jesu.
Wenn
nun, liebe Schwestern und Brüder, die erbarmende Liebe Gottes das
entscheidende Thema der Verkündigung Jesu und all seiner Taten ist, was
ergibt sich dann daraus? Was für Konsequenzen hat das für uns?
Ich will es an zwei Beispielen
aufzeigen.
Erstens:
Umkehr.
Umkehr verstehen wir gewöhnlich so, dass der Mensch umkehren und Buße
tun soll. Und Gott belohnt ihn dann dafür.
Aber
ist es gerade umgekehrt: Gott schenkt dem Menschen seine Liebe und sein
Erbarmen. Und Umkehr ist eigentlich nichts anderes als die dankbare und
erschütterte Antwort auf das, was Gott gewährt, was er schenkt, was er
tut, und zwar gratis, ganz umsonst, vor allem menschliche Zutun,
vor allem menschlichen Verdienst.
„Gott hat uns zuerst geliebt...“(vgl.1 Joh 4, 10-11)
„Angesichts des Erbarmens Gottes ermahne ich euch ... wandelt euch und
erneuert euer Denken!“ (Röm 12,1-2)
Angesichts des Erbarmens Gottes!
Am
Anfang steht die Liebe und das Erbarmen Gottes.
Zweitens:
Sittliches Verhalten.
Wir
sollen ein sittliches Leben führen. Aber nicht aus Angst vor Strafe oder
damit wir später im Gericht Gottes bestehen können.
Wir
sollen ein sittliches Leben führen,
weil
Gott uns bereits voller Liebe und Erbarmen angenommen hat,
weil
seine Liebe größer ist als alle Schuld,
weil
wir Kinder Gottes sind, Erlöste, zur Freiheit Berufene.
„Ihr
seid von Gott geliebt ... Darum bekleidet euch mit aufrichtigem
Erbarmen, mit Güte, Demut, Milde, Geduld…“ (Kol 3,12)
Merken Sie den Unterschied, liebe Schwestern und Brüder?
Spüren Sie auch, welche Tragweite es hat, wenn man im Jesajazitat des
heutigen Evangeliums einen Schlüsseltext sieht, der programmatisch ist
für das ganze Leben Jesu, für seine gesamte Verkündigung und all sein
Wirken?
Spüren Sie, was es bedeutet, wenn Jesus sagt, heute, in mir, mit mir ist
das Gnadenjahr Gottes angebrochen?
Zeit
des Heiles, endgültige Zeit der Liebe und des Erbarmens?
Wenn wir einander nur einen Gnadentag,
eine Gnadenstunde, eine Gnadenminute schenken würden, liebe Schwestern
und Brüder: in der Familie, zwischen Nachbarn, am Arbeitsplatz, in der
Pfarrgemeinde!
Reich Gottes wäre gegenwärtig.
Reich Gottes würde wachsen.
„Heute“
würde sich Gottes Wille erfüllen.
Haben wir es denn schon begriffen, wirklich begriffen, dass Gott uns
liebt, dass er verzeiht, dass er immer nahe ist, dass wir Kinder Gottes
sind, jeder von uns Sohn, Tochter Gottes, von Gott gewollt, angenommen,
ohne Wenn und Aber, bejaht, berufen, erwählt?
Wenn
wir das wirklich begriffen hätten, könnten wir dann noch so weitermachen
wie bisher?
Sehen Sie: Gottes Liebe ruft unsere Liebe!
Und
noch etwas:
Das
Heute Jesu in der Synagoge von Nazareth ist das Heute Gottes für
alle Zeiten und für alle Menschen.
Es
gilt auch uns heute.
Uns,
die wir Christi Namen tragen, uns, die wir uns zu Christus bekennen, an
ihn glauben und zu ihm gehören.
Uns
heute ist es aufgetragen, Jesu befreiende Botschaft sichtbar zu machen
durch unser Leben.
„Christus hat keine Hände, nur unsere Hände,
um seine Arbeit heute zu tun.
Er hat keine Füße, nur unsere Füße,
um Menschen auf seinen Weg zu führen.
Er hat keine Lippen, nur unsere Lippen,
um Menschen von ihm zu erzählen.
Er hat keine Hilfe, nur unsere Hilfe,
um Menschen auf seine Seite zu bringen.
Gott
will durch uns heute sein Werk fortsetzen,
so
dass die Menschen auch heute Befreiung und Freude,
Licht und Leben, Frieden und Heil erfahren.
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