EVANGELIUM
Marta nahm ihn gastlich auf.
– Maria hat den guten Teil gewählt
+Aus
dem heiligen Evangelium nach Lukas
In jener Zeit
38 kam
Jesus in ein Dorf. Eine Frau namens Marta nahm ihn gastlich auf.
39 Sie
hatte eine Schwester, die Maria hieß. Maria setzte sich dem Herrn zu Füßen und
hörte seinen Worten zu.
40 Marta
aber war ganz davon in Anspruch genommen zu dienen. Sie kam zu ihm und sagte:
Herr, kümmert es dich nicht, dass meine Schwester die Arbeit mir allein
überlässt? Sag ihr doch, sie soll mir helfen!
41 Der
Herr antwortete: Marta, Marta, du machst dir viele Sorgen und Mühen.
42 Aber
nur eines ist notwendig. Maria hat den guten Teil gewählt, der wird ihr nicht
genommen werden.
Marta:
Ja, Maria, was sagst du dazu? Wir zwei Frauen haben die Rollen späterer
Frauen ganz schön geprägt.
Maria:
Das haben wir dem Evangelist Lukas zu verdanken. Weißt du noch, wie er
uns charakterisierte, als Jesus damals bei uns zu Gast war?
Marta:
Na klar! Ich, die aktive, hektische Hausfrau, die ganz in ihrer Rolle
aufgeht und obendrein noch die kleine Schwester gängelt.
Maria:
Und aus mir machte er die ruhige, sanfte Zuhörerin, die hingebungsvoll
Jesus zu Füßen liegt.
Marta:
Männerträume! Das wäre einfach zu schön, um wahr zu sein!
Doch der größte Hammer kommt
noch. Es genügte ihm nicht, uns schön brav aufzuteilen in aktiv und
passiv. Nein – deine Art wurde zum Vorbild für viele Frauen
hochstilisiert; ein wenig naiv, brav, sanft und voller Bewunderung für
den göttlichen Mann.
Maria:
Das kommt wohl daher, dass der Tadel Jesu: „Marta, du machst dir viele
Sorgen… Maria hat das Bessere erwählt“ total missverstanden wurde. Jesus
wollte dich ja gar nicht abwerten.
Marta:
Ja, ich weiß. Ich war damals ganz außer mir vor Freude, als ich hörte,
dass Jesus mit seiner Mannschaft käme. Und da wollte ich was ganz Tolles
machen, um meine Freude auszudrücken. Und meine Art ist es halt, dann
etwas Schönes auf den Tisch zu zaubern und die Gäste zu bewirten. Und
hungrig waren die ja auch! Ich hätte die mal sehen wollen, wenn ich mich
ebenfalls hingesetzt hätte und ihren Worten gelauscht hätte.
Maria:
Das hat Jesus ja auch nicht kritisiert. Er weiß ja, dass wir zwei
verschieden sind und dass jede ihre Art hat, sich auszudrücken. Er hat
dich ja machen lassen und mich erst dann in Schutz genommen, als du dich
über mich so geärgert hast.
Marta:
Daran erinnere ich mich noch gut. Ich war einfach sauer, weil ich beides
auf einmal wollte: etwas Tolles zum Essen hinstellen und an dem
interessanten Gespräch teilnehmen. Und als ich dann sah, dass du dir das
so selbstverständlich nahmst, wurde ich eifersüchtig.
Maria:
Auch ich habe mich nicht ganz wohlgefühlt, damals als Jesus das zu dir
sagte. Du weißt ja, dass mir das praktische nicht so liegt und ich mich
lieber mit geistigen Dingen beschäftige. Und da war’s mir ganz recht,
dass du das mit dem Essen in die Hand nahmst. – Doch als ich dann so da
saß, da hatte ich ein ganz schlechtes Gefühl – denn ich find’s ja auch
schön, wenn man miteinander isst.
Marta:
Ist schon gut. Ich glaube, Jesus wollte mir einfach bewusst machen, dass
zwei Dinge auf einmal zu viel sind. Mit dieser Doppelrolle habe ich mich
ganz schön gestresst. Und vielleicht wollte er mir auch zeigen, dass
deine Art auch nicht ohne ist. Ich vergess das manchmal.
Maria:
Ja, wenn du so selbstbewusst und tüchtig bist, komme ich mir richtig
klein neben dir vor. Du bist gewandt, die Diener achten dich und du bist
es gewohnt, dass deine Wünsche in Erfüllung gehen.
Marta:
Schließlich bin ich auch die Herrin des Hauses! Und das bringt einige
Verantwortung mit sich. Aber du weißt ja, dass ich dich mag. Manchmal,
wenn ich so in Hektik gerate, tut mir deine Ruhe einfach gut. Du hast so
eine sanfte Art mir Dinge zu sagen, dass ich dir gar nicht böse sein
kann. Und oft schon habe ich auf deinen Rat gehört, weil du eine feine
Spürnase hast für das, was wichtig ist.
Maria:
Eigentlich komisch, dass die meisten Leute nur die Geschichte von Lukas
kennen. Wir kommen doch noch an einer anderen Stelle in der Bibel vor.
Marta:
Ja, das stimmt! Auch der Evangelist Johannes hat uns zwei Geschichten
gewidmet.
Maria:
Johannes stellt dich, Marta, ganz anders dar. Weißt du noch, damals als
unser Bruder Lazarus im Sterben lag… und Jesus kam und kam nicht.
Marta:
Als er dann schließlich eintraf, war Lazarus tot. Mein Gott, war ich
zornig! Vor lauter Schmerz und Empörung machte ich ihm heftige Vorwürfe.
Maria:
Ich habe dieses Bild noch vor Augen, wie du dastandst: stark,
leidenschaftlich, hartnäckig.
Marta:
Ich kämpfte mit ihm wie Hiob. Seinen Argumenten war ich gewachsen. Ich
kannte die ganzen theologischen Antworten über das Leid und war nicht
bereit, mich zu ergeben.
Maria:
Ich glaube, damals beneidete ich dich um diese reife Entschlossenheit
und Glaubensstärke. Jesus ließ sich ja voll auf dich ein.
Marta:
Es entwickelte sich ein heftiges Glaubensgespräch. Und im Ringen um
diese Wahrheit wurde mir bewusst: nur von ihm, Jesus, konnte ich Rettung
erwarten. Er war meine letzte Hoffnung, er, der Herr über Leben und Tod.
Maria:
Das Glaubensbekenntnis, das du aussprachst, hat nur einer nochmals so
umfassend und tief formuliert: Petrus
Marta:
Aber auch du hattest bei Johannes einen großen Auftritt. Weißt du noch,
damals in Bethanien?
Maria:
Ja ich erinnere mich. Jesus war bei einem reichen Pharisäer – Simon hieß
er – eingeladen. Als ich das Haus betrat und ihn sah, erfasste ich mit
einem Schlag die Situation: Jesus inmitten dieser Menschen und doch:
unfassbar einsam. Keiner merkte, dass sein Herz woanders war. Er ahnte
bereits das Unheil, das in Jerusalem auf ihn wartete. Da packte mich ein
wahnsinnig zärtliches Gefühl für ihn…
Marta:
Und deine Reaktion, die alle fassungslos machte: Mit einer einzigen
Geste zerbrachst du das Parfümfläschchen und das kostbare Öl – ein
Vermögen wert – ergoss sich über Jesus. Der Duft erfüllte den Raum und
drängte sich allen auf.
Maria:
Für mich war es das einzig Mögliche in der Situation. Mir war’s ganz
wurscht, was die Männer um mich herum dachten.
Marta:
So habe ich dich noch nie erlebt. In diesem Augenblick bist du über dich
hinausgewachsen. Du warst ganz du selbst: die Ungeschickte, die
Unselbständige, die Zärtliche, die Gehemmte und doch Spontane. Auf deine
ureigene Weise hast du Jesus deine ganze Liebe gezeigt, ungeachtet der
gesellschaftlichen und persönlichen Schranken. Und darin warst du echt
stark. Und Jesus hat das voll anerkannt.
Maria:
Ich glaube, Jesus hat uns beide geschätzt und geliebt, jede auf ihre
Art. Ihm lag nichts daran, eine von uns als Vorbild für alle
hochzustilisieren.
Marta:
So wie es dann leider in der christlichen Tradition passierte. Du warst
das leuchtende Vorbild und ich stand in deinem Schatten. Damit machte
man es vielen Frauen schwer, die eher meine Züge trugen. Wer wollte sich
schon mit Marta identifizieren, nachdem Jesus doch deutlich dich lobte!
Maria:
Halt Marta! Ganz so düster sah es nicht aus. Du vergisst Meister Eckart.
Bei dem bist du nicht so schlecht weggekommen. Er schätzte deine
Tatkraft und stellte dich als die reifere und gläubigere Frau von uns
beiden hin.
Marta:
Stimmt! Und auch eine Theresa von Avila sah mich positiv. Sicher kam’s
daher, weil wir in vielem so ähnlich sind. – Aber es gab auch andere
Theologen. Du als stille, bewundernde Zuhörerin männlicher
Gedankenflüge, das war einfach eine berauschende Vorstellung in manchen
Männerköpfen.
Maria:
Den größten Hammer leisteten sich dann die Theologen, die uns am
liebsten in einer Person gekoppelt sahen: Maria und Marta in
einer Person! Ihm wie Marta den Haushalt machen und ihm wie Maria zu
Füßen liegen. Das war lange das Frauenideal vieler Männer. Für die
Frauen eine glatte Überforderung. Von einem Mann würde es auch niemand
verlangen, dass er auf allen Gebieten (Haushalt, Beruf, Gemeinde,
Familie…) Spitzenleistungen erbringt!
Marta:
Mir gefällt es, dass sich Frauen heute nicht mehr so viel sagen lassen,
dass sie sich frei machen von angeborenen oder anerzogenen
Verhaltensweisen.
Maria:
Ja, das finde ich auch gut! Und vor allem, dass sie selbst mal in der
Bibel nachlesen, was tatsächlich von uns drinsteht.
Marta:
Vielleicht entdecken sie sich dann in uns wieder und lernen, sich in
ihrer Verschiedenheit zu akzeptieren, ohne gleich wieder in dieses
ungute Konkurrenzdenken zu verfallen.
Maria:
Jedenfalls: Wir bleiben wie wir sind. Es ist doch spannend, dass wir so
verschieden sind. Das regt uns gegenseitig an u. vielleicht manchmal
auch auf.
Marta:
Und außerdem wollte Jesus eine lebendige, vielfältige Jüngerschaft und
keinen grauen, langweiligen Einheitsbrei!
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