EVANGELIUM
Das Reich des Satans hat keinen Bestand
+Aus dem heiligen
Evangelium nach Markus
In
jener Zeit
20ging
Jesus in ein Haus, und wieder kamen so viele Menschen zusammen, dass er und die
Jünger nicht einmal mehr essen konnten.
21Als
seine Angehörigen davon hörten, machten sie sich auf den Weg, um ihn mit Gewalt
zurückzuholen; denn sie sagten: Er ist von Sinnen.
22Die
Schriftgelehrten, die von Jerusalem herabgekommen waren, sagten: Er ist von
Beelzebub besessen; mit Hilfe des Anführers der Dämonen treibt er die Dämonen
aus.
23Da
rief er sie zu sich und belehrte sie in Form von Gleichnissen: Wie kann der
Satan den Satan austreiben?
24 Wenn
ein Reich in sich gespalten ist, kann es keinen Bestand haben.
25Wenn
eine Familie in sich gespalten ist, kann sie keinen Bestand haben.
26Und wenn
sich der Satan gegen sich selbst erhebt und mit sich selbst im Streit liegt,
kann er keinen Bestand haben, sondern es ist um ihn geschehen.
27Es
kann aber auch keiner in das Haus eines starken Mannes einbrechen und ihm den
Hausrat rauben, wenn er den Mann nicht vorher fesselt; erst dann kann er sein
Haus plündern.
28 Amen,
das sage ich euch: Alle Vergehen und Lästerungen werden den Menschen vergeben
werden, so viel sie auch lästern mögen;
29wer
aber den Heiligen Geist lästert, der findet in Ewigkeit keine Vergebung, sondern
seine Sünde wird ewig an ihm haften.
30Sie
hatten nämlich gesagt: Er ist von einem unreinen Geist besessen.
31Da
kamen seine Mutter und seine Brüder; sie blieben vor dem Haus stehen und ließen
ihn herausrufen.
32Es
saßen viele Leute um ihn herum, und man sagte zu ihm: Deine Mutter und deine
Brüder stehen draußen und fragen nach dir.
33Er
erwiderte: Wer ist meine Mutter, und wer sind meine Brüder?
34Und
er blickte auf die Menschen, die im Kreis um ihn herumsaßen, und sagte: Das hier
sind meine Mutter und meine Brüder.
35Wer
den Willen Gottes erfüllt, der ist für mich Bruder und Schwester und Mutter.
Was ist
die bequemste Art einen „Störenfried“ loszuwerden oder einen, der
einem nicht passt, abzutun?
Ganz
einfach: Man erklärt ihn für verrückt.
Anstatt
sich mit ihm argumentativ auseinanderzusetzen, hält man ihm vor:
„Du
bist doch wohl nicht ganz sauber? Du tickst wohl nicht mehr richtig?
Oder:
Der ist doch total bescheuert!“
So ergeht
es im heutigen Evangelium auch Jesus. Er wird genau in diese Ecke
gestellt:
Nicht
voll zurechnungsfähig für das, was er sagt und tut.
„Er
ist von Sinnen“,
d.h. neben der Kappe, nicht mehr ganz normal, übergeschnappt, verrückt.
– So sagen
die Verwandten Jesu,
die eigens kommen, um ihn – wenn es sein muss auch „mit Gewalt“ –
zurückzuholen, zurück in den Schoß der Familie, zurück in die
Normalität, zurück in den Rahmen der Tradition, zurück zu dem, wovon sie
meinen, so ist es richtig und so gehört es sich.
Die Schriftgelehrten
setzen noch einen drauf.
Diese
halten Jesus sogar für besessen, vom Teufel besessen.
„Mit
Hilfe von Beelzebul, dem obersten der Teufel“,
so behaupten sie, „treibt er die Dämonen aus.“
In den
Augen der Verwandten: verrückt!
Nach dem
Urteil der Theologen: im Bund mit dem Satan.
Zwei
Schubladen. Nicht eigentlich schuldig oder böse oder gar kriminell, aber
doch gefährlich! Denn er tritt mit einer ganz neuen Lehre auf. Er hält
sich nicht an die Ordnung. Er heilt am Sabbat. Er vergibt Sünden, was
nur Gott allein zusteht. Er isst mit Zöllner und Sündern! Unmöglich! Er
bricht sämtliche Tabus. Er schmeißt die Käufer und Verkäufer aus dem
Tempel. Er stiftet Verwirrung.
Man muss
ihm das Handwerk legen! Man muss ihn aus dem Verkehr ziehen, rasch und
unauffällig!
Wie reagiert Jesus?
Auf
zweifache Weise:
Bei
den Schriftgelehrten
geht er zum Gegenangriff über.
Ihnen
gegenüber argumentiert er, dass der Satan – bei all seiner Verblendung –
keineswegs so dumm ist und gegen sich selber kämpft. Man kann nicht im
Namen des Teufels Teufel austreiben. Ein Unding. Das widerspricht sich.
„Jedes Reich, das in sich uneins ist, zerfällt.“
Die
Kritik seiner Gegner greift nicht, sie geht ins Leere.
Außerdem:
Jesu Heilswerk als Teufelswerk abzustempeln, verrät eine gehörige
Verkennung und eine abgrundtiefe Bosheit.
Und
seine Verwandten?
Ihnen
gegenüber ist Jesus nicht ganz so scharf, aber doch sehr entschieden. Er
distanziert sich von ihnen. Er relativiert die Blutsverwandtschaft.
Im Reich
Gottes, das er verkündet, sind die Bande des Blutes zweitrangig. –
Mutter, Schwester, Bruder, das sind für ihn die Menschen, die sich
einlassen auf ihn und seine Botschaft; Menschen, die den Mut haben, ja
zu sagen zur Torheit einer bedingungslosen Liebe, zur Torheit einer
neuen Menschlichkeit, und schließlich zur Torheit einer Gewaltlosigkeit,
die sogar dem Feind verzeiht und die unter Umständen das eigene Leben
kostet.
Der
entscheidende Satz lautet: „Wer den Willen Gottes tut, der ist für
mich Bruder und Schwester und Mutter.“
Solche
Menschen, denen Gottes Wille mehr bedeutet, als die Normen erstarrten
bürgerlichen oder kirchlichen Tradition, sind seine wahren Verwandten.
Für solche Menschen vertauschen sich die Maßstäbe. Was der Welt töricht
erscheint, wird ihnen zur Weisheit. Was der Welt schwach erscheint, wird
ihnen zur Kraft.
„Verrückt!“ – „Besessen!“
Ist es
Franz von Assisi nicht ähnlich ergangen?
„Il
pazzo“ – „Narr“
riefen ihm die Leute nach und hetzten Hunde auf ihn, als er in Assisi
bettelnd von Tür zu Tür ging, nachdem er sich radikal von seinem Vater
losgesagt und vor dem Bischof auf alles verzichtet hatte, sogar auf
seine Kleider.
Auch
Elisabeth von Thüringen hatte, obwohl Landgräfin, auf der Wartburg
einen schweren Stand und wurde für übergeschnappt, für verrückt erklärt,
wenn sie Tag für Tag nach Eisenach hinunterstieg, um die Armen zu
speisen und die Frierenden zu kleiden, wenn sie im Hungerjahr die
Getreidespeicher öffnete, ihr Geschmeide verkaufte und alles hergab, um
den Hunger zu lindern, oder wenn sie bei gedecktem Tisch in Hungerstreik
trat, wenn etwas von den Speisen auf der Tafel aus Erpressung oder
anderen unrechtmäßigen Quellen stammte. Kein Mensch am Hof hat das
verstanden. Man hat nur den Kopf geschüttelt, sich geärgert oder sich
über sie lustig gemacht. Und als ihr Mann auf dem Kreuzzug an einer
Seuche gestorben war, war für sie keine Bleibe mehr am Hof. Vertreibung?
Flucht? Es blieb ihr nichts anderes übrig, als die Wartburg und damit
die höfische Gesellschaft zu verlassen.
Wird
Jesus auch in unserer Zeit Menschen finden, die so in ihn und seine
Sache „vernarrt“ sind, dass ihnen das Urteil ihrer Umgebung
gleichgültig ist, Menschen, für die nur zählt, was Gott will und die ihr
ganzes Leben nach ihm und seinen Weisungen ausrichten, egal was ihre
Umgebung denkt und sagt?
„Du
bist doch verrückt, dich für einen kirchlichen Beruf zu entscheiden! Du
bist doch verrückt, die Miete nicht zu erhöhen, obwohl du viel mehr
herausschlagen könntest! Du bist doch verrückt, dich nicht scheiden zu
lassen, wo du doch mit Sicherheit schon bald wieder einen anderen
findest.“
Was
Kritiker uns vorwerfen, ist nicht, dass wir Christen heißen, sondern
dass wir es nach dem Beispiel Christi zu wenig sind. Hierin liegt das
Dilemma.
Als der
große indische Staatsmann Mahatma Gandhi das christliche Evangelium las,
war er vor allem von der Bergpredigt so fasziniert, dass er überlegte
selbst Christ zu werden.
Der
Anblick des „gelebten Christentums“ hielt ihn zurück.
Doch
gehen wir nicht immer wieder den bequemeren Weg, passen uns an, finden
Ausreden, suchen Kompromisse und machen Abstriche?
Vielleicht sollten wir wieder mehr Mut haben, „verrückt“ zu sein,
und die Botschaft Jesu an den Platz zu rücken, wo sie hingehört, in die
Mitte unseres Lebens als den Maßstab und die Richtschnur
für unser Denken, Reden und Tun.
„Wer
den Willen Gottes tut, der ist für mich Bruder und Schwester und
Mutter!“
Unmissverständliche Worte, die auch heute nichts von ihrer Gültigkeit
verloren haben.
Nehmen
wir sie zu Herzen! Und richten wir unser Leben danach aus!
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